Buzzard’s Bay 15Herreshoff-Nachbau auf dem Schweriner See

Lasse Johannsen

 · 05.11.2023

Franz Köhn am Ruder seiner auf den Namen „Therapie“ getauften Buzzard’s Bay 15
Foto: YACHT/N. Krauss
Entworfen von Nathanael Greene Herreshoff, ist die Buzzard’s Bay 15 eine der yachthistorisch bedeutsameren Einheitsklassen aus den Anfängen des Segelsports. Ein Bootsbauer in Schwerin hat ein Exemplar nachgebaut

Der Himmel über dem Schweriner Schloss ist wolkenverhangen an diesem Spätsommertag; der See ­davor zeigt sich leer, bis auf ein Fahrgastschiff befindet sich niemand auf dem Wasser. Außer Franz Köhn. In einen gelben Friesennerz gehüllt, pullt der fitte Rentner sein Boot mit zwei langen Riemen aus dem Hafen und macht sich daran, die winzige Fock und das gewaltige Gaffelsegel zu setzen. Zufrieden nimmt er anschließend die Pinne zur Hand, die Schoten dicht, und beobachtet, wie sein erst kürzlich vom Stapel gelaufenes Schmuckstück bei kaum nennenswertem Wind ins Laufen kommt.

An den ersten Segeltag auf seiner „Therapie“, dem originalgetreuen Nachbau einer amerikanischen Einheitsklasse namens Buzzard’s Bay 15, kann Köhn sich noch genau erinnern. Ein erhabener Moment. Sechs Jahre lang hatte er zuvor in jeder freien Minute in der Werkstatt verbracht und – der Bootsname ist Programm – bei bootsbauerischem Tun Kraft getankt. Wer ihm zuhört, bekommt den Eindruck, dass schon allein der erste Schlag unter Segeln die Mühe wert war: „Und denn plötzlich rauschten wir da über den See, das war schnell. Ich dachte mir, so ungefähr muss es sein, wenn man mit dem Starboot segelt.“

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Abwegig ist diese Assoziation keineswegs. Denn die Buzzard’s Bay 15, wegen ihrer Wasserlinienlänge von 15 Fuß auch Herreshoff 15 genannt, mag den Spaziergängern am Ufer des Schweriner Sees zwar vorkommen wie die einer Fantasie entsprungenen Requisite für eine Filmszene vor dem historischen Schloss, tatsächlich aber ist sie auf die gleiche Mentalität zurückzuführen, die auch das Starboot hervorbrachte.

Herreshoff für One-Design verantwortlich

Das Design der Buzzard’s Bay 15 entstand im Auftrag mehrerer Mitglieder des Beverly Yacht Club of Marion, Massachusetts. Man schreibt das Jahr 1898, Regatta­segeln ist der letzte Schrei, doch die Clubmitglieder sind es leid, dabei nach den unausgegorenen Vergütungsformeln jener Zeit auf höchst unterschiedlichen Booten gegeneinander zu segeln. Niemand Geringeres als Star-Konstrukteur Nathanael Greene Herreshoff erhält von ihnen den Auftrag, ein One-Design für den Yacht Club zu schaffen.

Ein „NGH-Design“ ist seinerzeit der Traum eines jeden Seglers. Der Name des 1848 geborenen Konstrukteurs gilt um die Jahrhundertwende international als Synonym für Innovation im Yachtbau. Auf der 1878 mit Bruder John Brown in Bristol gegründeten Herreshoff Manufacturing Company entstehen neben zahlreichen dampfgetriebenen Fahrzeugen mehrere der größten Regattayachten jener Zeit. Das Unternehmen ist damals längst ein Konglomerat unterschiedlicher Spezialbetriebe, die mit mehr als 300 Angestellten alles fertigen, was beim Stapellauf an Bord sein muss.

Vor allem aber entwickelt sich der ­Betrieb unter dem begnadeten Ingenieur Nathanael Greene Herreshoff innerhalb kürzester Zeit zu einem yachtsportlichen Laboratorium, welches die unglaublichsten Erfindungen aufs Wasser bringt. Durchgehende Latten, hohle Masten, extremer Leichtbau, Aluminiumrümpfe, Flossenkiele und Mehrrumpfboote – bei Herreshoff wird schon früh aus Fiktion Wirklichkeit.

Neben Konstrukteur ist Herreshoff auch Regattasegler

Und so steht der Name zu jener Zeit weltweit für Tiefen der Ingenieurskunst, die im aufkeimenden Industriezeitalter nicht wenigen als Geheimwissenschaft vorkommen – was Herreshoff seinen Spitznamen „Magier von Bristol“ einträgt. Von sechs für den America’s Cup von ihm entworfenen Yachten haben fünf den Sieg errungen. Und noch Generationen nach ihm ist es unter Konstrukteuren üblich, bei einer vermeintlich neuen Idee zu prüfen, ob Herreshoff nicht schon längst die gleiche hatte.

Unter Seglern aber trägt der Magier noch einen weiteren Spitznamen. Seine zahlreichen Regattaerfolge als Steuermann lassen Herreshoffs Gegner respektvoll von „Captain Nat“ sprechen. Als mit „Vigilant“ 1893 sein erster America’s-Cup-Entwurf tatsächlich die silberne Kanne gewinnt, steht der Kon­strukteur selbst am Ruder. Und vom seinerzeit erfolgreichsten Profi-Skipper Charlie Barr ist überliefert, dass er höchsten Respekt vor Herreshoffs seglerischem Können hatte.

Die Arbeit aber lässt wenig Zeit für eine Karriere als Regattasegler. Unternehmer Herreshoff hat eine Siebentagewoche, und so bestimmen kleine Boote sein Privatleben, in welchem er mit der Familie für kurze Auszeiten vor der Haustür aufs Wasser geht. Zahlreiche offene Kielbootklassen entstehen für die Segler der umliegenden Region in jener Zeit auf dem Zeichentisch des Magiers von Bristol.

Entstehung der „Compromise Sloop”

Die Vorgaben für die 1898 in Massachusetts geplante Einheitsklasse – der zweiten einer ganzen Reihe von Herreshoff-One-­Designs – folgen, wie es seinerzeit üblich ist, vor allem den lokalen Gegebenheiten. Es entsteht ein 15 Fuß langer Kielschwerter – damals „Compromise Sloop“ genannt. Das überdimensionale Gaffelrigg soll es auch bei wenig Wind ermöglichen, zu regattieren. Andererseits soll sich der Segeldruckpunkt mittels einer unkomplizierten Reffeinrichtung bei aufkommender Brise schnell nach unten verlagern lassen, um dann mit respektabler Fläche sportlich weitersegeln zu können.

Gleich im Winter 1898/99 entstehen auf Herreshoffs Werft in Bristol, Rhode Island, elf Boote des neuen Typs. „Captain Nat“ – Ehrensache für ihn – liefert sie selbst aus, im Schlepp seiner Dampfyacht „Squib“.

Nachdem die Clubmitglieder die Boote untereinander verlost haben, wächst gleich in der ersten Saison die Begeisterung für die kleine Sloop. Insgesamt 70 Neubauten verlassen in den folgenden Jahren die Werft. Eine für damalige Verhältnisse ausgesprochen große Zahl. Vor allem vor dem Hintergrund, dass hinter jedem Auftrag ein Mitglied des besagten Clubs steckt.

Geschichte des Herreshoff-Designs fällt Schweriner zu

Nur wenige dieser Boote von damals haben bis heute überlebt. Anders ist es mit den Plänen. Und so kommt es immer mal wieder zu Neubauten. Wie jenem von Franz Köhn. Der ist gerade in den vorzeitigen Ruhestand gegangen, als er mit der „Therapie“ anfängt. „Da meine Frau weiterarbeitete, wollte ich auch eine Beschäftigung haben“, erinnert sich der heute 67-Jährige. Das Bootsbauhandwerk lernte er Anfang der siebziger Jahre auf einer Schweriner Sportbootwerft, wo er bis zur Wende auch beschäftigt war. Als Selbst­ständiger baute er anschließend Boote im Kundenauftrag.

Die „Therapie“ legt er vor sechs Jahren auf Kiel. Vier Jahre will er damals mit dem Projekt überbrücken, die Pläne liegen bereits seit längerer Zeit im Schubfach. „1993 war ich mit meiner Familie in Holland im Urlaub“, erinnert er sich. „Da fiel mir das ­Magazin ,The Boat Man‘ in die Hände, mit einer großen Geschichte über die Buzzard’s Bay 15. Mir gefiel das Boot auf Anhieb. Nicht zuletzt, weil es mit seinem Kielschwert hervorragend auf den Schweriner See passt.“

Ein Kunde, der öfter in den USA zu tun hat, bringt dem Bootsbauer von einem Besuch des Mystic Seaport Museum die zwei dort zu kaufenden Zeichnungen der Buzzard’s Bay 15 mit, einen Segelplan und einen Linienriss, der auch einige Details wie Ruderanlage, Schwertkasten und Beschlags­anordnung enthält. Doch mehr auch nicht. Dimensionierungen, Wahl der Hölzer, Beschaffenheit des Riggs und der Beschläge, all das sind Fragen, die im Rahmen eines Nachbaus selbst zu klären sind.

Genügend Raum für individuelle Entscheidungen

„Herreshoff hat niemals auch nur einen Linienriss gezeichnet“, so die einfache Erklärung des Museums. Der Plan sei aufgrund der Vermessung eines Originals entstanden. Der studierte Ingenieur nämlich entwickelte seine Schiffe nicht auf dem Papier, sondern in der Werkstatt – als maßstabs­getreues Halbmodell. Mit speziell entwickelten, feinmechanischen Apparaturen entnahm er dem Modellrumpf sodann die Zahlen für die Aufmaßtabelle. Wurden später im Bauprozess Detailfragen angesprochen, fertigte er spontan Skizzen an und überreichte sie seinen Mitarbeitern stets mit den Worten: „Das sollte reichen.“

Franz Köhn hat niemanden, den er fragen kann, als er seine „Therapie“ beginnt – was ihn an dem Projekt seinerzeit besonders reizt. Heute sitzt er an der Pinne, lässt den Blick über das makellose Deck gleiten und wirkt restlos zufrieden. „Darüber nachzudenken, wie das im Einzelnen zu bauen ist, das hat mir immer riesigen Spaß gemacht“, so der passionierte Bootsbauer.

Dass aus den veranschlagten vier am Ende sechs Jahre werden, weil ihn die selbst gefundenen Detaillösungen und auch gesundheitliche Probleme aufhalten werden, weiß er noch nicht, als er seinerzeit darangeht, die Baumallen aufzustellen. Köhn entscheidet sich damals für die Leistenbauweise. Die miteinander verklebten Khaya-Planken schraubt er auf unter Dampf gebogene Eichenspanten. Auf das Unterwasserschiff laminiert er, nachdem der gesamte Rumpf mit Hobel und Schleifpapier geputzt ist, mit Epoxidharz zwei Lagen Glasfasermatte.

Abweichungen vom Herreshoff-Original

Keine eigenen Gedanken fließen in die Formensprache. „Da habe ich mich penibel an die Zeichnungen gehalten, um das schöne Design nicht zu verfälschen“, sagt Köhn. Und auch, wenn nach den Plänen entstandene Nachbauten laut Mystic Seaport Museum offiziell nicht als Herreshoff-Konstruktion bezeichnet werden dürfen, ist der „Therapie“ die Handschrift des deutschstämmigen Altmeisters aus Übersee dank der Einstellung Köhns doch eindeutig gegeben. Denn die Formgebung von so stilbildenden Elementen wie Süll und Waschbord hat er ebenso selbstverständlich nachgebildet wie das gewaltige Gaffelrigg.

„Anders ist es mit den Maßen von Kiel, Spanten, Wrangen und dergleichen“, sagt Köhn. Da habe er stärker dimensioniert. „Die Mastspur etwa steht im Original nur auf drei der Bodenwrangen, das war mir zu kurz, die habe ich länger gefertigt, um die Kraft vom Rigg besser in den Rumpf einzuleiten. Bei Spanten und Wrangen, Decksbalken und Knien habe ich mich an die Vorgaben von Lloyd gehalten.“

Das Totholz aus Mahagoni bolzt Köhn mit dem selbst gegossenen Bleiballast unter das Schiff und behandelt es mit einem konventionellen Farbaufbau. „Das wird arbeiten“, erklärt er, ein Überzug würde sich daher irgendwann lösen. „Und so kann man es auch viel besser reparieren“, sagt Köhn.

Bootsname „Therapie” ist Programm

Ende 2015 ist der über Kopf gebaute Rumpf fertig und wird gedreht. Aus Nadel- und Eichenholz fertigt Franz Köhn sodann die Decksunterkonstruktion und belegt sie anschließend mit zehn Millimeter starkem Bootsbausperrholz.

Die Bodenbretter entstehen aus Lärche, das Ruderblatt aus Mahagoni und Kohle­faser. Zahlreiche solcher Lösungen beschäftigen Franz Köhn in der Theorie, der daran ebensolche Freude hat wie an der handwerklichen Ausführung selbst. Das profilierte Holzschwert etwa bekommt von ihm eine Ummantelung aus dünnem Blei, damit es sich gut absenken lässt. Für stilgerechte Bronzebeschläge reist Köhn zu Dauelsberg nach Delmenhorst und zu Toplicht in Hamburg. Was er dort nicht bekommt, fertigt er selbst.

Aus 16 Fichtenleisten verleimt Köhn das hohle Mastprofil, die Holzblöcke baut er eigenhändig. Und als sämtliche Lackierarbeiten abgeschlossen, die Beschläge montiert und die Segel geliefert und angeschlagen sind, geht es mit seiner Frau auf besagte Jungfernfahrt über den heimischen Schweriner See. Nicht jedoch, ohne vorher eine formvoll­endete Taufe zu zelebrieren. „Wenn ich in die Werkstatt verschwand, sagte meine Frau immer: ,Na, gehst du wieder zur Therapie?‘“, sagt Franz Köhn und lacht. Und während er die Schot dichtholt und sein Traumschiff hoch an den Wind bringt, huscht ein Lächeln über sein Gesicht. Und es ist klar zu erkennen: Seine Therapie wirkt.


Die Konstruktion

Das offene Kielboot wurde von dem berühmten amerikanischen Konstrukteur Nathanael Greene Herreshoff 1898 nach damaligen Vorstellungen konsequent für das Regatta­segeln entwickelt. Das Gaffelrigg galt dafür aus verschiedenen Gründen als vorteilhaft. Das Schwert ist dem Heimatrevier geschuldet, die im Küstenbereich seichte Buzzard’s Bay liegt an der amerikanischen Ostküste im Südosten des Bundesstaates Massachusetts. Das Boot war das zweite einer Reihe von One-Designs von Herreshoff, die in der ­Region sehr verbreitet waren. Heute existieren nur noch wenige historische Exemplare. Die vollständigen Pläne liegen im Massachusetts Institute of Technology (MIT), einfache Zeichnungen sind bei Mystic Sea Port erhältlich (www.mysticseaport.com).


Technische Details der Buzzard’s Bay 15

  • Konstrukteur: Nathanael Greene Herreshoff
  • Konstruktionsjahr: 1898
  • Bauwerft: Franz Köhn/Schwerin
  • Baujahr: 2013–2020
  • Gesamtlänge: 7,50 m
  • Wasserlinienlänge: 4,60 m
  • Breite: 2,10 m
  • Tiefgang: 0,7–1,50 m
  • Segelfläche am Wind: 30,7 m²
  • Rumpfmaterial: Mahagoni auf Eiche

Der Konstrukteur

Nathanael Greene Herreshoff
Foto: Privat

Nathanael Greene Herreshoff, genannt der „Magier von Bristol“ oder schlicht „Captain Nat“, dominierte zur Zeit der Jahrhundertwende den internationalen Yachtsport. Seine Konstruktionen gewannen für gewöhnlich den America’s Cup, wenn sie an den Start gingen, viele bahnbrechende Erfindungen im Yachtbau tauchen erstmals auf ­seinen Konstruktionen auf. Das gemeinsam mit Bruder John Brown Herreshoff ­gegründete Werft-Konglomerat Herreshoff Manufacturing Company beschäftigte zu Hochzeiten mehr als 300 Angestellte und war dazu in der Lage, alles, was auf ein Schiff gehört, selbst herzustellen. Auch in anderer Hinsicht war das Unternehmen bahnbrechend. Extreme Leichtbauten, ungewöhnliche Materialien und immer wieder unvorstellbar kurze Bauzeiten machten es schon zu Lebzeiten der Inhaber zu einer ­legendären Schmiede für Außergewöhnliches. Auch als Segler genoss „NGH“ einen exzellenten Ruf, und bis ins hohe Alter verfolgte er das Regattageschehen im Heimatrevier vor Newport von Bord seiner eigenen Dampfyacht aus. Heute ist der Nachlass des großen Konstrukteurs im Herreshoff Museum zu bewundern.

Dieser Artikel erschien erstmalig in YACHT-Ausgabe 21/2020 und wurde für diese Onlineversion überarbeitet.


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