Bootsporträt „Nerezinac“Restaurierter Logger segelt vor Losinj

YACHT-Redaktion

 · 27.04.2024

Die „Nerezinac“ vor ihrem Heimathafen auf der in der nördlichen Adria gelegenen Insel Losinj
Foto: YACHT/Vid Slapnicar
Vor 150 Jahren segelten speziell an die Adria angepasste Arbeitsschiffe auf den kroatischen Küstengewässern. „Nerezinac“ konnte in letzter Sekunde vor dem Verfall bewahrt werden. Ein Bordbesuch

Text von Vid Slapnicar

Es ist ein kalter Spätwintermorgen an der Adria. In einem Küstenort auf der Insel Losinj fahren die schwieligen Hände eines Bootsbauers an einem hölzernen Schiffsrumpf entlang. Seine Fingerspitzen tasten die Dichtmasse zwischen den Fugen der mächtigen Planken ab. Wurden die Arbeiten sorgfältig ausgeführt? Ist das Schiff bereit, zu Wasser gelassen zu werden? Mehrere Monate hatte es zur Überholung an Land gestanden. Nun soll die „Nerezinac“ wieder in Fahrt gehen.

Es wird angenommen, dass sie zwischen 1850 und 1880 in einer der Losinjer Werften auf Kiel gelegt wurde. Damals trug sie noch den Namen „Drazica“. Das genaue Jahr ihrer Entstehung lässt sich ohne Kohlenstoffdatierung oder andere wissenschaftliche Methoden nicht genau bestimmen. Inspiriert war sie eindeutig von den mit Schratsegeln versehenen Arbeitsschiffen, wie sie seinerzeit vor den Küsten Frankreichs, Englands, Irlands und Schottlands verbreitet waren, den Loggern.

Deren Rümpfe waren zumeist flach, der Tiefgang gering. So konnten sie beispielsweise für die Küstenfischerei und auch für die Frachtschifffahrt in flachen Gewässern und insbesondere in Tidenrevieren eingesetzt werden. Die Bootsbauer an der Adria passten sie hingegen an ihr Revier an: Hier bekamen es die Schiffe mit starken Bora- und Jugo-Winden zu tun sowie mit einer kurzen und steilen Welle. Die Rümpfe erhielten daher einen tieferen und deutlich ausgeprägteren Kiel. Mit 50 Tonnen Verdrängung zählte die „Drazica“ zu den größeren Schiffen, die zu ihrer Zeit auf der Adria fuhren. Nur einige wenige andere Boote brachten es auf über 80 Tonnen Gewicht. Jahr für Jahr transportierte sie Holz von den Inseln und dem Festland zu den Öfen der Glasbläser in der nördlich gelegenen Lagune von Venedig.

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„Nerezinac“ wird vom Logger zum Minenräumer zum Motorfrachtschiff

Während des Zweiten Weltkriegs entkam sie der Beschlagnahme, indem sie nach Malta ausgeflaggt wurde. Aufgrund ihrer hölzernen Bauweise diente sie als Minenräumer. Erst nach dem Krieg kehrte sie in die Nordadria zurück. Man kappte ihr Rigg, und in Kraljevica wurde sie zu einem Motorfrachtschiff umgebaut. Ihre Laderäume nahmen fortan Salz, Kohle, Sand oder auch Granit auf. Irgendwann jedoch hatte sie als Arbeitstier ausgedient. Modernere Schiffe konnten deutlich mehr Ladung aufnehmen, waren schneller und verbrauch­ten weniger Treibstoff.

Die Familie Turina aus Smrika, der das Schiff gehörte, hatte allerdings weder die finanziellen Mittel noch die technischen Möglichkeiten, es zu restaurieren. Es bestand wohl auch wenig Interesse daran, die „Drazica“ zu erhalten. So war sie dem Verfall preisgegeben. In einem Trockendock rottete sie vor sich hin.

Schließlich aber wendete sich das Blatt. Drei Männer entdeckten den Logger und nahmen sich seiner an. Der erste von ihnen war Ferdinando Zorovic aus Nerezine, einem Hafenort im Nord­osten von Losinj. Er überredete den örtlichen Werftchef Kreso Lekovic, die „Drazica“ in seinem Betrieb unterzubringen. Als Dritten holte er seinen Freund Karl-Heinz Pütz mit ins Boot. Der Kölner hatte sich an der Adria niedergelassen und besaß in Nerezine gemeinsam mit Zorovic ein Hotel und Restaurant.

Das Trio beschloss, das Schiff und damit ein Stück Bootsbautradition der Region zu bewahren. Das aber war alles andere als einfach. Schon bei dem Versuch, private Geldgeber für die Sanierung des Schiffs zu begeistern, scheiterten die drei. Dann verstarb unerwartet Karl-Heinz Pütz, sodass die beiden verbliebenen Männer das Projekt allein vorantreiben mussten. Es vergingen mehrere Jahre, bis eine Lösung gefunden war: die Initiative „Mala Barka 2“. Dahinter verbarg sich ein grenzüberschreitendes kroatisch-slowenisches Projekt zur Erhaltung und Wiederbelebung des maritimen Erbes der nördlichen Adria.

Wichtigster maritimer Kulturschatz der Flotte von erhaltenen Loggern

In Zusammenarbeit mit dem Team von Professor Robert Mohovic von der Schifffahrtsfakultät an der Universität in Rijeka sowie in Kooperation mit der Stadt Losinj gelang es, im Frühjahr 2019 den Logger endlich wieder flott zu machen. Bei der Gelegenheit erhielt er seinen neuen Namen: „Nerezinac“. Die hat ihren festen Liegeplatz nun vor dem Apoxyomenos-Museum in Mali Losinj. Unter Deck ist eine interaktive Ausstellung integriert worden. Die Gemeinde Losinj unterstützt das Projekt finanziell, nicht zuletzt, weil man es als touristisches Aushängeschild nutzen will. Der Schiffsbetrieb indes liegt weiterhin in Händen der Universität von Rijeka.

Die „Nerezinac“ ist heute zwar nur einer von mehreren noch erhaltenen Loggern auf der Adria. Aber mit ihrer Größe sowie dank der professionellen Restaurierung ist sie zweifellos der wichtigste maritime Kulturschatz der Flotte. Längst ist sie in allen Teilen der Adria und auch in benachbarten Mittelmeer­revieren ein gern gesehener Gast. Insbesondere zu Klassikerfestivals wird sie regelmäßig eingeladen.

Geführt wird das Schiff von seinem charismatischen Kapitän Gilberto Fazlic. Als sich der Winter also nun dem Ende entgegenneigt, ist er es, der mit wissendem Blick und prüfender Hand über die Planken streicht, Rumpf und Rigg in Augenschein nimmt und schließlich das Kommando gibt, die „Nerezinac“ zurück ins Wasser gleiten zu lassen. Ein kalter Wind weht übers Meer, doch der zuvor von grauen Wolken bedeckte Himmel bricht just in diesem Moment auf. Das sanfte Licht der tief stehenden Sonne taucht das Schiff unvermittelt in goldene Farbtöne.

Den Koloss ohne Maschinenunterstützung aus dem Hafen zu bugsieren wäre ein gewagtes Unterfangen

Wie gern wäre man sogleich an Bord gegangen, hätte die Leinen gelöst, die Segel gehisst und Kurs hinaus auf die Adria genommen. Doch noch ist es nicht so weit. Bis das Schiff klar zum Auslaufen ist, gehen weitere Wochen ins Land. Vor allem die Takelage, die vor dem Einwintern größtenteils abgenommen worden war, muss erst wieder geriggt werden. Bleiben zunächst nur lange Gespräche mit dem Kapitän unten im Schiffsbauch über das Boot, dessen Geschichte sowie die Tradition der Fischerei- und Frachtschifffahrt in der Adria.

Einige Zeit später ist es dann aber so weit. Gilberto Fazlic hat sich Verstärkung geholt, um die vier Focks, zwei Großsegel und zwei Toppsegel bedienen zu können: fünf Männer von der Insel, gestandene Segler allesamt, einheitlich gekleidet in marineblau-weiß gestreiften Shirts. Es macht ihnen sichtlich Spaß, die alte Dame auszuführen. Mit Kraft und Eifer hängen sie sich in die Leinen, um die schweren Rahen nach oben zu ziehen und später die Segel mal zu fieren, mal dichtzuholen. Scherze fliegen übers Deck, Anfeuerungsrufe, Ermunterungen. Einer von ihnen, Vedran, hat sich überdies beruflich dem Maritimen verschrieben: Er ist Segelmacher, und er hat sogar schon an einer Mini-Transat-Kampagne teilgenommen.

Der Himmel ist klar an diesem warmen Frühsommertag. Eine sanfte Brise streift übers Wasser. Beim Ablegen muss der Schiffsdiesel mit ran. Ohne Murren springt er an, sehr zur Freude und wohl auch Erleichterung des Kapitäns. Den Koloss ohne Maschinenunterstützung aus dem Hafen zu bugsieren wäre ein gewagtes Unterfangen. Zumal das Ruderblatt im Rahmen der Restaurierung nicht ganz original wieder hergestellt worden war. Es ist zwar nicht mehr so klein wie zu Zeiten, als der Logger noch als Frachter fuhr. Aber eben auch nicht so groß wie damals, als das Schiff vom Stapel lief.

Und: „Der 5,5 Meter lange Bugspriet ist auch nicht gerade hilfreich, wenn er beim rückwärts Ablegen über die von Fußgängern bevölkerte Hafenpier hinwegfegt“, erklärt Fazlic schmunzelnd. Die Rollen sind unter der Besatzung gut verteilt und eingeübt, sodass der Kapitän nur selten Kommandos geben muss.

„Nerezinac“ hat mehr als passable Kreuzeigenschaften

Es dauert einige Zeit, bis alle Segel gesetzt sind. Gilberto Fazlic schaltet den Motor aus, fällt leicht ab, und sofort legt sich die „Nerezinac“ sanft auf die Seite. Ruhig gleitet sie über die Adria. Dass sie dabei auf Kurs bleibt, ist keineswegs selbstverständlich. „Das Ruder allein würde das nicht schaffen“, erklärt der Kapitän. „Es kommt auch darauf an, das achtere Segel korrekt zu trimmen. Ist das nicht der Fall, wird der Ruderdruck schnell viel zu groß.“

Als Nächstes demonstriert Fazlic die mehr als passablen Kreuzeigenschaften des Schiffs. Einen Wendewinkel von lediglich rund 45 Grad zum Wind würde man von solch einem alten Gefährt wahrlich nicht erwarten. Erwartungsgemäß hingegen ist der überschaubare Boots-Speed: Auf Amwind-Kurs sind – sicherlich auch der schwachen Brise geschuldet – nicht mehr als maximal drei Knoten Fahrt durchs Wasser drin. Die meiste Zeit ist es sogar ein Knoten weniger. Auf Kursen vor dem Wind klettert die Geschwindigkeitsanzeige auch mal auf über drei Knoten. „Das Schiff braucht halt deutlich mehr Wind, um richtig in Fahrt zu kommen“, sagt der Kapitän und zuckt mit den Achseln. Man kann also nur erahnen, wie gut sich die alte Dame im Frühjahr und Herbst schlägt, wenn es auf der Adria des Öfteren stürmt.

Selbst jetzt, bei überaus moderaten Bedingungen, muss dennoch im Segelmanöver jeder Handgriff sitzen. Denn eines ist die „Nerezinac“ nicht: manövrierfreudig. Koordination ist wichtig. Bisweilen hilft auch die nicht, und der Motor muss mitlaufen, damit der Bug in der Wende durch den Wind geht. Die Männer frotzeln, dass an Land die Mütter ihren Kindern mittlerweile beibrächten, vorm Zubettgehen ihre Zähne so lange zu putzen, wie ein Wendemanöver der „Nerezinac“ Zeit in Anspruch nehme.

„Nerezinac“ macht deutlich, welche Anstrengung Segeln seinerzeit bedeutete

Kaum vorstellbar, wie die Seeleute von einst ein solches Schiff ohne Motorunterstützung unbeschadet durch die vielen Engstellen zwischen den hiesigen Inseln gesteuert haben. Ganz sicher war das nichts für schwache Nerven. Doch es blieb ihnen wenig anderes übrig. Zu Hause warteten Frauen und Kinder, die versorgt werden wollten.

Viel zu schnell ist der Tag auf dem Meer vorüber. Der Kapitän steuert das Schiff zurück gen Hafen. Wer nun denkt, die Segel zu bergen sei deutlich einfacher, als sie zu setzen, der irrt. Zwar rutschen die Tücher und die Rahen unter ihrem Eigengewicht zügig am Mast nach unten. Das anschließende Auftuchen jedoch ist eine mehr als schweißtreibende Angelegenheit. Jeder muss mit anpacken, auch der Kapitän stellt den Autopiloten an und hilft mit.

Ein letztes Mal ahnt man, mit wie viel Mühen die Seefahrt früher einherging. Anders als heute war sie Lebensnotwendigkeit und kein Vergnügen. Schiffe wie die „Nerezinac“ zeugen davon. Gut, dass es sie immer noch gibt.

Technische Daten der „Nerezinac“

  • Rumpflänge: 18,90 m
  • Breite: 4,63 m
  • Tiefgang: 2,0 m
  • Gewicht: 50 t
  • Masthöhe: 18 m
  • Segelfläche: 170 m2
  • Motor: Iveco Aifo 199 kW

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