BootsporträtEin Fischewer mit ganz viel Liebe

Michael Rinck

 · 29.12.2024

Das Wattenmeer mit seinen Gezeitenströmen ist für das mit plattem Boden und Mittel­schwert konstruierte Boot ein ideales Revier.
Foto: YACHT/Nico Krauss
Bilder vom Bau und den ersten Schlägen der “Alte Liebe”.
In Anlehnung an einen traditionellen Fischewer hat Otto Schröder gemeinsam mit seiner Frau die Gaffelketsch „Alte Liebe“ entworfen. Das war vor 30 Jahren. Ihr Stahlschiff ist bis heute eine Wucht, in jeder Hinsicht.

Am Anfang ist es nur ein Bild an der Wand im Arbeitszimmer von Otto Schröder. Es zeigt einen Fischewer aus dem vorletzten Jahrhundert. Hoher Bug, niedriges Arbeitsheck – dem Wasser so nah. Und wenn man sich den Fischgeruch wegdenkt: ein Segeltraum. Lediglich mit seinen 18 Metern wäre das Original zu groß, um als Fahrtenyacht für zwei Personen zu taugen. Doch was, wenn der Rumpf kleiner ausfallen würde, so um die zehn Meter?

Schröder ist Architekt, er weiß um die Wirkung von Formen und Linien. Die sind bei dem Ewer herrlich asymmetrisch; das weckt Emotionen. Und so beginnt er vor 30 Jahren zu zeichnen, ein segelndes Refugium für sich und seine Bruni, die noch ihren Mädchennamen Lauff trägt, die er aber im folgenden Jahr heiraten möchte.

Otto aus Ganderkesee von der Weser und Bruni aus Mardorf vom Steinhuder Meer sind beide seit Teenager-Tagen der Segelei verfallen. Kennengelernt haben sie sich aber erst, als sie um die 50 sind. Und so steht der Name fest, bevor das Boot auf Kiel gelegt wird: „Alte Liebe“.


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Ein Original-Ewer als Vorbild

Eine Reise führt das Paar nach München. Im Deutschen Museum ist ein Finkenwerder Fischewer von 1880 ausgestellt, die „Maria“. Die Verkleidungen sind stellenweise ausgeschnitten, sodass der Blick auf Rumpfbauweise und Proportionen frei ist. Für ihr eigenes Projekt nehmen die beiden ein Füllhorn voller Ideen mit.

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Bruni Lauff-Schröder hat darüber hinaus allerdings auch noch so ihre eigenen Vorstellungen, die sie verwirklicht wissen will. Schließlich ist sie seit ihrem 15. Lebensjahr Jollenseglerin – keine Regatta ohne sie. 2014, mit 76 Jahren, legt sie ihr 42. goldenes Sportabzeichen ab. Und 1994 steht Sport noch weiter oben. „Der Bug ist viel zu voll. Wir wollen segeln, nicht dümpeln“, sagt sie beispielsweise. „Wenn wir damit loswollen, dann zeichne den Bug schmaler, auch wenn es die Doppelkoje kostet!“ Und das macht ihr Otto dann auch. Er zeichnet zwei an den Füßen überlappende Lotsenkojen in die Vorpiek ein. Das schafft sogar noch Platz für eine Ankleidebank.

So geht es weiter. Sie planen gemeinsam, er bringt ihre Ideen zu Papier. Unter Deck entscheiden sie sich für weiße Flächen – die bringen mehr Licht – sowie davon abgesetzte Mahagonileisten, um die klassischen Linien zu betonen. Dazu passen Messing-Bull­eyes und an Deck Messingbelegnägel, Teakholzblöcke und sogar selbstholende Bronzewinschen.

Eine Fahrtenyacht mit Tradition

Mit dieser Kombination traditioneller Elemente und moderner Technik entwickeln sie ihr Boot fort. Denn nicht um jeden Preis wollen sie einen Fischewer kopieren. Vielmehr steht ihnen der Sinn nach einer Fahrtenyacht, die ihre Liebe zur See auf langen Reisen zusammenschweißt.

Weder allzu pflegeintensiv noch kräftezehrend soll das Boot sein. Ein Holzrumpf kommt daher nicht infrage. Jahr um Jahr acht Klarlackschichten auftragen, das haben sie von Jugend an zelebriert. Jetzt wollen sie Zeit haben zum Segeln. Mit einem Schiff, optisch unverwechselbar und robust genug, um selbst eine leichte Kollision unbeschadet zu überstehen. Sie entscheiden sich für einen Stahlbau.

Profis helfen beim Planen mit

Als der Segelplan der Ketsch fertig ist, müssen die Profis ran: Den Rumpf zeichnet Schiffbaukonstrukteur Matthias Jetschke. Den Zuschlag zum Schweißen erhält die Bootswerft Wilhelm aus Wilhelmshaven, eine Autostunde von Ganderkesee entfernt.

Sechs Millimeter starke Stahlbleche halten die 30 Millimeter dicke Bodenplatte. Der Kielgang schließt sich mit fünf Millimetern an, der Schergang hat noch vier und das Deck drei Millimeter. Vor dem Lackieren wird der Rumpf sandgestrahlt und erhält diverse Zwei-Komponenten-Korrosionsschutzschichten von Farbenspezialist Wohlert, der ist wie sie vom Weserufer. Die Scheuerleisten schließlich sind in Niro gefertigt.

Die Bauzeit ist eng begrenzt, der Hochzeitstermin naht, und Bruni und Otto wollen mit der „Alten Liebe“ in die Flitterwochen aufbrechen. Das klappt tatsächlich, sie bewältigen das Projekt in nur einem Jahr.

Ab in die Flitterwochen

Als der Werftkran ihr Boot Mitte Juni 1995 in das torfbraune Wasser des Ems-Jade-Kanals von Wilhelmshaven setzt, sind sie erleichtert. Der Rumpf ist dicht, sie packen nur noch vorn zum Feintrimm 75 Kilogramm Blei auf den Boden. Dann ist ihre „Alte Liebe“ startklar.

Mit dem Boot kommen sie überall hin, 90 Zentimeter Tiefgang bieten jede Menge Bewegungsfreiheit im flachen Revier. Die mächtige Bodenplatte ist Kollisionsschutz und Ballast zugleich. Und dank der einen Meter breiten Kielsohle ist Trockenfallen ohne Umkippen selbst auf steinigem Untergrund beulenfrei möglich.

Doch wie macht sie sich nun unter Segeln, diese „Fischkiste“ aus dem vorletzten Jahrhundert mit ihren niedrigen Masten und dem stolzen Gewicht von achteinhalb Tonnen? Sie haben mehr oder minder aufs Geratewohl hin konstruiert und dabei nebenher mal eben 360.000 Mark investiert – ohne sich an Referenzobjekten orientieren zu können. Nicht zuletzt dazu gehört eine große Portion Mut und Zuversicht.

Der erste Schlag – Spannung pur

So wartet das Paar nach dem Aufriggen von Großmast und Besan gespannt, dass sich die Tore der Wilhelmshavener Schleuse für den ersten Schlag auf der Jade öffnen. Otto Schröder erinnert sich: „Bruni hatte darauf bestanden, das eine Tonne schwere Schwert zu verlängern, um besser kreuzen zu können.“ Aus diesem Grund wurde zwar eine Stufe vor der Pantry für die Schwertaufnahme im Rumpf notwendig, „aber gefiert haben wir jetzt bei 2,20 Meter Tiefgang einen beachtlichen Lateralplan.“ Der wirkt.

Schröder schätzt, dass ihre „Alte Liebe“45 Grad Höhe am Wind segelt, was sich beim Probeschlag im Flutstrom der Jade aber nicht genau überprüfen lässt. Auch vor dem Wind macht das Boot eine gute Figur: Obwohl eine leichte Gib’Sea 282 einen Blister gesetzt hat, zieht sie nur sehr langsam vorbei. Das Gaffelgroßsegel ist auf Vormwindkursen durchaus effektiv, und beim Bergen fallen die Mastringe auch leicht herunter, ohne sich zu bekneifen.

Überrascht und erfreut stellen die beiden damals also gleich während der ersten Ausfahrten fest, dass ihr Boot recht flott läuft und das vorbalancierte Eichenholzruder leicht in der Hand liegt. Die Ehefrau findet lediglich die vielen „braunen Lappen“ anfangs umständlich, der Gatte dagegen praktisch, weil an jeden Wind anzupassen.

Unter Vollzeug bringt es die „Alte Liebe“ auf satte 95 Quadratmeter Segelfläche – beachtlich für einen Zehn-Meter-Rumpf. Unterteilt ist der Segelplan in Groß (26,1 m²), Besan (10,1 m²), Klüver (14,2 m²), Wendefock (10,9 m²), Botterfock (16,6 m²), Toppsegel (7,2 m²) und Besanstagsegel (10,2 m²).

Stört sie der Besan beim Steuern nicht? Eindeutig nein: „Gerade dessen Wanten geben zusätzlichen Halt – man findet im Seegang stets etwas zum Festhalten. Selbst die Fallen finden auf den Belegnägeln aus Messing ihren Platz, ohne im Weg zu sein“, meint Bruni Lauff-Schröder. Dafür hat der Cockpittisch eigens Aussparungen bekommen.

Erstaunlich viel Komfort

Erst als sie die 70 überschritten haben, rüsten sie ihr Boot nach, um es noch ein wenig komfortabler bewegen zu können. Allem voran wird der 2,60 Meter lange Klüverbaum eingelagert; sie ersetzen ihn durch einen nur einen Meter kurzen Rollklüver. Das erleichtert nicht nur das Segelsetzen und die Hafenmanöver. Auch das Klettern über den Bug auf den Steg gestaltet sich etwas einfacher.

Dass Otto Schröder nicht nur mit Zeichenstift und Lineal umzugehen weiß, wird an vielen Details an und unter Deck sichtbar. Perfekt liegt beispielsweise die Pinne in Form eines ellenlangen Aals in der Hand. Der Eigner hat sie selbst geschnitzt, so wie er sämtliche Zierhölzer der Süllboards unter Deck gedrechselt und die Scheiben des Niedergangs sauber in Messing gefasst hat.

Ein Hingucker ist auch der Holzkohle­ofen, der das Hauptschott dominiert. Keine schlechte Idee, denn der kleine Brenner produziert kaum Asche und keinen Funkenflug aus dem kurzen Schornstein an Deck. Ferner: Holzkohle qualmt nicht, was Nachbarlieger freut.

Clevere-Heiz-Lösung

Damit es beim Anlegen an kalten Tagen schon warm ist, ist ein dezent versteckter Heizkörper an den Kühlwasserkreislauf der Maschine angeschlossen. Dann kommt auch heißes Wasser aus einem 30-Liter-Boiler. „Im Tidenrevier ist die eine oder andere Motorstunde unvermeidbar“, sagt Otto Schröder. Heißes Wasser, reguliert durch den Motorthermostat, ist aus den Hähnen oder in der Heizung ganz schnell verfügbar. Warum solle man das nicht nutzen, wenn jeder Installateur die Verbindungen schaffen könne, gibt der Eigner zu bedenken.

Am Boiler ist eine Pumpe angeschlossen, ein Duschkopf im Cockpit installiert. Das Wasser fließt durch die Lenzrohre in der Plicht ab. Vorteil: Unter Deck bildet sich erst gar keine Feuchtigkeit, andernfalls wäre eine große Luke im kleinen Bad notwendig gewesen. Und bei 80 Grad Vorlauf reicht zum Mischen mit Kaltwasser der kleine Boiler allemal.

Andererseits: Duschen im Cockpit, wer will das schon, noch dazu in hiesigen Breiten? „Das ist doch kein Problem. Vor Anker oder auf See gibt es keine Blicke anderer Leute“, erklärt Lauff-Schröder.

Sorge, dass das Wasser knapp wird, brauchen sie auch nicht zu haben. In drei Tanks fahren sie 280 Liter Frischwasser. Der Dieselvorrat bemisst sich auf 200 Liter.

Das Motto: „Ora et labora“

Ins Auge fallen auch die Lotsenkojen. Durch die Bulleyes mit ihren massiven Holzeinfassungen streichen Sonnenstrahlen über mit maritimen Verzierungen versehene Kissen. Obwohl bestens zugänglich, hat doch jeder Mitsegler das Gefühl, seinen eigenen Rückzugsbereich zu haben.

Zurück an Deck: Am Topp des Besanmastes ist die Radarantenne angebracht, am Fuß des Großmastes eine Zahnradwinde uralter Schiffertradition. Über ihr prangt sinnigerweise der Schriftzug „Ora et labora“ – „bete und arbeite“; gemeint ist weniger der religiöse Hintergrund, sondern die Disziplin und der Arbeitseinsatz, um ein besonderes Boot zu bauen und auf hoher See sicher zu führen. Diese Winde gehörte früher auf Arbeitsboote, um schwere Lasten zu heben: volle Netze, Fässer, Ladung aller Art. Hoch genug an Deck ist sie angebracht, um notfalls die Ankerwinde zu ersetzen oder einen Warpanker zu bedienen. Zugegeben ist sie aber selten in Gebrauch, dafür aber ein wunderschöner Blickfang.

Ausfälle hatten sie auf ihren Reisen bislang kaum. Nur einmal hat ihr Vetus-Diesel auf Peugeot-Basis gezickt, als sie vor der französischen Küste segelten. Ein Problem mit der Kraftstoffpumpe vom separaten Tagestank, leicht zu beheben.

Bis in die Biskaya gesegelt

Die Schröders waren auch schon im Golf von Morbihan, auf den Inseln des Ärmelkanals, auf der Belle Ile. Sie steckten den Bug in die Biskaya. Allesamt anspruchsvolle Ziele. „Das Boot hat sich dabei bestens bewährt“, sagt Otto Schröder. „Mit wenig Tiefgang kommen wir überall hin.“ Und wenn sie unterwegs auf das Kentern des Tidenstroms warteten oder bei schwerem Wetter eine Pause bräuchten, könnten sie mit dem Schiff sehr gut beidrehen.

Nach einem langen Testtag kommen Koteletts mit Kartoffelsalat auf den Tisch. Ihre Liebe zum Detail findet sich noch im Gedeck der „Alten Liebe“ wieder, ein Geschenk zur Hochzeit und Schiffstaufe: Der Bootsname ist im Besteck eingraviert, und die handgefertigten Tonbecher sind Erinnerungsstücke einer Reise zur Hallig Hooge. Auch da kommt man mit wenig Tiefgang sehr gut hin.

Doch die Zeit der Schröders mit ihrer „Alten Liebe“, sie neigt sich dem Ende zu. Das Alter! Sie planen den Verkauf des Bootes, „ohne Hast“, wie sie betonen. So lange nichts draus wird, segeln sie einfach weiter.

1950 konstruiert Otto Schröder (hier 80 Jahre alt) ein segelbares Paddelboot. 1967 kauft er seine erste Touren­yacht. 1972 baut er den Rumpf einer See­zunge B aus. 1994 folgt die „Alte Liebe“.Foto: YACHT/N. Krauss1950 konstruiert Otto Schröder (hier 80 Jahre alt) ein segelbares Paddelboot. 1967 kauft er seine erste Touren­yacht. 1972 baut er den Rumpf einer See­zunge B aus. 1994 folgt die „Alte Liebe“.

Dieser Artikel erschien erstmals in YACHT 23/2014. Die „Alte Liebe“ wurde wenig später verkauft und segelt bis heute in den Niederlanden.


Technische Daten “Alte Liebe”

Der Knickspanter mit plattem Boden und Mittelschwert wurde zusammengeschweißt aus Schiffbaustahl unterschiedlicher StärkeFoto: privatDer Knickspanter mit plattem Boden und Mittelschwert wurde zusammengeschweißt aus Schiffbaustahl unterschiedlicher Stärke
  • Entwurf: O. Schröder
  • Konstruktion: M. Jetschke
  • Werft/Bj.: Wilhelm/1995
  • Länge über alles: 11,40 m
  • Länge über Deck: 9,88 m
  • Wasserlinienlänge: 8,72 m
  • Breite: 3,60 m
  • Tiefgang: 0,90–2,10 m
  • Gewicht: 8,5 t
  • Segelfläche: 95,3 m²
  • Motor: 4-Zyl.-Peugeot, 52 PS

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