Besonderes BootDer Tortue 147 ist eine Designrevolution auf zwei Rümpfen

Michael Good

 · 02.11.2025

Der Tortue 147 verlässt traditionelle Muster. Das riesige Dach überspannt den kompletten Wohnbereich achtern, bis über die Rümpfe.
Foto: YACHT/Michael Good
​Wer schnell von A nach B segeln will, hat mit dem Tortue 147 das falsche Boot gewählt. Seine Stärken liegen ganz woanders. Ein Streifzug durch ein sehr ungewöhnliches Mehrrumpf-Universum.

​Die Begegnung mit dem Ungewöhnlichen zwingt zum Innehalten und Staunen. Was dort in der Bucht vor Anker liegt, entzieht sich jeder Schublade, jeder gewohnten Typisierung. Es wirkt wie ein Stück Zukunft, das versehentlich im Heute gestrandet ist – wie ein Traum, der plötzlich Wirklichkeit geworden ist. Und tatsächlich hat alles mit einem Traum begonnen.

Jean Sommereux, ein französischer Tüftler mit unerschütterlicher Geduld und einem ausgeprägten Sinn fürs Andersdenken, wollte eigentlich nur ein Schiff für sich selbst bauen. Ein schwimmendes Refugium sollte es werden, eine Art Altersresidenz auf zwei Rümpfen. Doch dabei blieb es nicht. Freunde und Weggefährten, die Sommereux’ Entwicklungsarbeit von Beginn an begleiteten, waren fasziniert von der eigenwilligen Formensprache seines Projekts und dem Mut zur Abweichung. Sie haben den Entwickler ermutigt, weiterzugehen und weiterzudenken. So ist aus einem persönlichen Abenteuer ein richtiges Projekt geworden und die Keimzelle einer möglichen kleinen Serie.


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Inzwischen hat Jean Sommereux seinen Tortue 147 bereits auf der renommierten Mehrrumpfmesse in La Grande-Motte sowie auf dem Yachting Festival in Cannes präsentiert. Und er hatte dort alle Hände voll zu tun. Alle wollten das ungewöhnlich spannende Katamaran-Konzept sehen, welches schon so viele vor ihnen ins Schwärmen und Erzählen gebracht hat.

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Gebaut in Tunesien

Die Werft hinter dem Projekt Tortue 147 trägt den Namen Cataruga – eine Wortschöpfung aus Katamaran und Tartaruga, der italienischen Bezeichnung für Schildkröte. Das gepanzerte Kriechtier steht hier sinnbildlich für Gelassenheit, Beständigkeit, Schutz und Entschleunigung – Eigenschaften, die hervorragend zum Charakter des Tortue 147 passen, der nun als erstes Ergebnis dieser besonderen Konzeptphilosophie auftritt.

Gebaut wird der Tortue 147 allerdings nicht in Frankreich, sondern in Hergla, einem kleinen Küstenort im Nordosten Tunesiens. Jean Sommereux kennt die Maghreb-Staaten seit vielen Jahren. Er hat dort gelebt, gearbeitet und Freundschaften geschlossen. Und das, lange bevor die Idee zu Cataruga entstanden ist.

Seine Entscheidung, die Werft in Tunesien anzusiedeln, folgt daher einem ganz persönlichen Antrieb. „Ich wollte an einem Ort bauen, an dem Handwerk noch eine Seele hat, so wie ich es in Afri­ka kennengelernt habe“, sagt der heute 57-jährige Ingenieur im vorgezogenen Ruhestand. Natürlich spielt auch der Kostenfaktor eine Rolle, und Sommereux macht daraus kein Geheimnis: In Nordafrika lassen sich Boote eben deutlich günstiger bauen als in Europa – ein gewichtiges Argument für den Aufbau einer neuen Marke.

Tortue soll Genussmenschen ansprechen

Der Rumpf, das Deck, die Aufbauten sowie sämtliche tragenden Strukturen des Tortue 147 bestehen vollständig aus Aluminium. Verarbeitet werden Platten mit zehn Millimetern Stärke unterhalb der Wasserlinie, acht Millimetern darüber und sechs Millimetern für Deck und Aufbauten. Das Boot bringt damit ein stattliches Gewicht von rund 20 Tonnen auf die Waage. Das ist viel im Vergleich zu Katamaranen gleicher Größe aus GFK. Sommereux begründet die Wahl des robusten Werkstoffs und der soliden Bauweise mit Haltbarkeit und Reparaturfreundlichkeit. Auf Leichtbau hat der Franzose bewusst verzichtet.

Mit seinem exklusiven Tortue-Konzept möchte Sommereux vor allem die Genussmenschen unter den Seglern ansprechen – jene, denen es im Grunde gleichgültig ist, wie schnell sie von A nach B gelangen. Performance spielt bei diesem Katamaran keine tragende Rolle, dafür umso mehr das Vergnügen und die reine Lust am Unterwegssein. Das Boot lädt dazu ein, den eigenen Rhythmus zu verlangsamen, das Ziel aus den Augen zu verlieren und stattdessen die Zeit dazwischen zu genießen. Damit positioniert sich der ungewöhnliche Katamaran deutlich abseits des gängigen Marktes. Während andere Werften ihre Modelle stetig weiterentwickeln, um Geschwindigkeit, Gewicht und Chartertauglichkeit zu optimieren, stellt Sommereux die Frage nach dem Sinn solcher Maßnahmen. Er sieht in seinem Tortue 147 nicht primär eine Plattform zum Reisen, sondern vielmehr einen Ort zum Bleiben.

Dementsprechend erinnert das Schiff auch eher an ein schwimmendes Loft als an einen klassischen Fahrtenkatamaran. Großzügige Volumen, offene Übergänge und durchdachte Rückzugsorte prägen die Optik und die Räume. Alles ist auf eine fließende Verbindung zwischen Innen und Außen ausgelegt. Der Salon öffnet sich weit zum Achtercockpit, welches wie eine über dem Wasser schwebende Plattform wirkt, eine Art Balkon, der zugleich Schutz und Nähe zum Element bietet.

Unkonventionelle Ansätze vom Groben bis ins Detail

Auch auf der Flybridge zeigt sich der Wille zum Anders- und Umdenken. In der Mitte des Dachs ist ein flaches Arbeitscockpit eingelassen, in dem sämtliche Schoten, Fallen und Trimmleinen gebündelt zusammenlaufen. Dahinter befindet sich eine kleine Sitzgruppe zum Entspannen in luftiger Höhe. Das Bimini darüber ist klappbar und dient wahlweise als schützendes Dach oder als Abdeckung des Arbeitscockpits – ­eine clevere und durchdachte Lösung. Seitlich davon ist der Steuerstand auf halber Höhe zwischen Achtercockpit und Flybridge installiert. Hier wird ausschließlich gesteuert und die Motoren bedient; wer die Segel setzen oder trimmen will, muss aufs Dach klettern.

Dazu ist das Deckhaus großzügig mit Solarpaneelen belegt, die bei starker Sonneneinstrahlung eine Spitzenleistung von bis zu 5,5 Kilowatt erzeugen. Damit lässt sich dauerhaft ein Großteil des Bordstroms decken – ein entscheidender Schritt hin zur energetischen Autarkie. Innerhalb der Aluminiumstruktur des Dachs befinden sich außerdem große Stauräume, in denen sich sperrige Gegenstände wie zum Beispiel Paddle- oder Surfboards verstauen lassen. Oben lassen sich dafür große Klappen öffnen.

Ein weiterer, besonders unkonventioneller Ansatz betrifft die Motorisierung. Die beiden Dieselmotoren mit jeweils 57 PS Leistung sind ungewöhnlich weit vorn in den Vorschiffen untergebracht. Die langen Antriebswellen führen durch die Kiele hindurch zu den Propellern an deren Hinterkante – so bleiben die Schrauben beim Trockenfallen gut geschützt. Diese Lösung ermöglicht es, den Katamaran auch in flachen Revieren oder in Tidengewässern sicher und problemlos aufzusetzen. Gerade Blauwassersegler auf langer Fahrt werden dieses Detail schätzen.

Der Technikraum befindet sich auf der Backbordseite, er beherbergt den Generator, den Wassermacher und die Heizung. Zwar wäre der Einbau elektrischer oder hy­brider Antriebe technisch möglich, doch Sommereux setzt vorerst bewusst auf Diesel. „Ich mag die Einfachheit und Zuverlässigkeit klassischer Technik“, erklärt er.

“Atmende Architektur” im Inneren

Auch der Innenausbau folgt einer klaren Haltung. Statt exotischer Edelhölzer kommt ausschließlich leichtes Paulownia-Holz zum Einsatz – eine schnell wachsende, europäische Baum­art, die zugleich robust, sehr leicht und angenehm warm in der Haptik ist. Böden und Decks des Tortue 147 werden ebenfalls mit Platten aus diesem Holz belegt, das sich selbst bei starker Sonneneinstrahlung kaum erhitzt. Der Werkstoff harmoniert hervorragend mit der metallischen Struktur des Rumpfs und schafft eine ausgewogene Balance zwischen Technik und Natur. Jean Sommereux spricht von einer „atmenden Architektur“, in der jedes Material seine eigene Funktion erfüllt.

Das Interior inszeniert sich insgesamt in einem sommerlich hellen, äußerst wohnlichen Ambiente – irgendwo zwischen einem mediterranen Ferienhaus und einem Atelier an der bretonischen Küste. Betritt man den Salon, fühlt man sich weniger wie ein Besucher auf einer Yacht, sondern eher wie in einem lichtdurchfluteten Designstudio. Der Raum öffnet sich großzügig nach allen Seiten. Besonders auffällig ist die dynamisch gestaltete Holzstruktur, die das umlaufende Fensterband trägt. Dieses Netz, ebenfalls aus Paulownia-Holz und in aufwendiger Handarbeit gefertigt, verleiht dem Salon eine eigenständige, organische Anmutung im Stil maurischer Architektur – ein Detail, das perfekt zum Konzept und zur Herkunft des Tortue 147 passt.

Im Zentrum des Salons steht eine mächtige Pantry-Insel, die weit mehr ist als nur eine Küche. Sie dient zugleich als Esstisch, Bar und Mittelpunkt des Bordlebens. Die Arbeitsflächen sind großzügig dimensioniert, die Linienführung ist klar – fast schon skulptural. Alles wirkt wie aus einem Guss: funktional, aber mit feinem Sinn für Ästhetik. Ein hexagonales Schauglas im Boden erlaubt den direkten Blick ins Wasser, auf Lichtreflexe, wandernde Schatten und vorbeiziehende Fische. Dieses Fenster nach unten symbolisiert, wofür das gesamte Konzept steht: Nähe zum Element, Transparenz und die Lust am Schauen und Entdecken.

Besonders spannend ist auch die Raumaufteilung in den Rümpfen. Auf der Steuerbordseite befindet sich eine großzügige Eignerkabine, die eher an ein kleines Apartment erinnert, mit eigenem Arbeitsbereich, großem Bad mit Dusche, separater Garderobe sowie direktem Zugang zum Heck und zum Wasser. Hier wohnt man wie in einer privaten Einliegerwohnung. Eine zweite Kabine liegt im Steuerbordrumpf, ­eine dritte auf der Backbordseite, beide mit eigenen Nasszellen. Ein weiteres, ausgesprochen charmantes Detail ist die offene, seitlich angeordnete Tages- oder Hundekoje. Sie lädt zum Lesen oder Entspannen ein und bietet eine umwerfende Aussicht auf das Meer durch die großen Aufbaufenster.

Unter Segeln wird die „Schildkröte“ ihrem Namen gerecht

Jean Sommereux hat seinem ersten Tortue 147 einen Rollmast spendiert – ein für Katamarane eher ungewöhnliches Detail. Das hohe, schlanke Großsegel wird von einer kurzen Selbstwendefock ergänzt. Insgesamt fällt die Segelfläche für einen Katamaran mit 20 Tonnen Verdrängung ausgesprochen bescheiden aus. Beim Testschlag in einer leichten Brise von nur sechs bis acht Knoten Wind reicht sie gerade eben aus, um das Schiff gemächlich in Bewegung zu bringen – wenn man ihm die nötige Zeit lässt. Mehr ist unter solchen Bedingungen nicht zu erwarten. Zumindest bei Leichtwind wird die „Schildkröte“ ihrer Namensbedeutung vollauf gerecht. Das Boot wirkt deutlich untertakelt, und ­eine seglerische Offenbarung bleibt aus. Auch der Rudergänger hat wenig Freude an seiner Arbeit: Die hydraulische Steuerung funktioniert zwar zuverlässig, bleibt jedoch völlig gefühllos.

Natürlich ließe sich der Tortue 147 auf Kundenwunsch deutlich sportlicher und kraftvoller konfigurieren – etwa mit einem herkömmlichen Rigg aus Aluminium oder Kohlefaser, einem größeren Großsegel mit Square-Top, einer überlappenden Genua oder zusätzlich einem Code Zero. Den Möglichkeiten sind kaum Grenzen gesetzt.

Man kann sich gut vorstellen, dass der Katamaran mit entsprechenden Leistungs-Upgrades bei mehr Wind ­eine ganz andere Dynamik entfaltet. Dank der flexiblen Bauweise aus Aluminium sind individuelle Anpassungen und spätere Modifikationen nahezu beliebig realisierbar.

Etwa 1,13 Millionen Euro in der Basisversion

Jean Sommereux, der hauptsächlich an Bord lebt, arbeitet derzeit intensiv an der Zusammenstellung von Spezifikationen und einer Preisliste für sein Erstlingswerk. Damit unterstreicht der umtriebige Franzose seine Absicht, das Schiff auch in Serie zu bauen. Drei bis vier Boote im Jahr könne seine Werft in Tunesien fertigen, dafür sei sie ausgelegt. Auch eine erste Preisorientierung nennt er bereits: Rund 1,13 Millionen Euro soll der Kat in der Basisversion kosten, etwa 1,5 Millionen Euro in einer Ausführung vergleichbar mit der Bau­nummer eins.

Mit dem Tortue 147 hat Jean Sommereux nicht nur ein Schiff nach seinen eigenen Vorstellungen geschaffen, sondern auch ein Statement aus Aluminium. Es ist ein Manifest für Menschen, die nicht beeindrucken, sondern ankommen wollen. Für jene, die bereit sind, ihren Rhythmus zu verlangsamen, um intensiver zu erleben, bewusster zu genießen und die Momente auf dem Wasser wirklich wahrzunehmen. Am Ende bleibt der Tortue 147 das, was er von Anfang an war: die Verwirklichung eines persönlichen Traums, geformt aus Überzeugung, Geduld und Beharrlichkeit.

Technische Daten des Tortue 147

Bild 1
Foto: Cataruga
Sonderbare Erscheinung: Die markante Rumpfform, der schlanke Segelplan sowie das weit überhängende Kajütdach prägen die spezielle Optik des Tortue 147. Die Propellerwellen führen durch die langen Kiele hindurch.
  • Konstrukteur: Jean Sommereux
  • Design: Jean-Michel Kalfon
  • Rumpflänge: 14,70 m
  • Breite: 7,85 m
  • Tiefgang: 1,50 m
  • Gewicht: 20,0 t
  • Masthöhe über WL: 24,30 m
  • Segelfläche am Wind: 92,0 m²
  • Motorisierung: 2 x 57 PS

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