Das Kürzel HH ist im europäischen Yachtmarkt noch eine Unbekannte. Kaum jemand hat in hiesigen Revieren je einen der Katamarane aus China auf dem Wasser gesehen. Auch fehlt es der Marke in weiten Teilen des alten Kontinents an einem Händlernetz. Doch das Boot, um das es hier geht, könnte alles ändern. Denn der HH 44 – das schon vorweg – zählt ohne Zweifel zum Besten, was weltweit auf zwei Rümpfen segelt.
Und obwohl er mit rund 1,6 Millionen Euro sündhaft teuer ist, lässt er in den Verkaufszahlen manch gleich großes Modell aus simplerer Serienfertigung hinter sich. Bereits 40 Order liegen für den schnittig gestalteten Performance-Cruiser vor, der auch als Luxuskreuzer durchgehen kann, weil er kaum Kompromisse in Sachen Fahrtenkomfort fordert. Man kommt nicht umhin, den derzeit arg inflationierten Begriff Gamechanger zu verwenden, um den von CEO Paul Hakes konzipierten und von seinem Sohn James konstruierten Kat zu beschreiben. Denn das ist er in der Tat, gleich auf mehrfache Weise.
Rumpf und Deck bestehen aus Carbon, E-Glas und Epoxidharz mit hochfestem Schaumkern, getempert im Autoklaven, der den gesamten Kasko 48 Stunden lang auf 70 Grad erhitzt, um eine homogene molekulare Verbindung von Harz und Fasern zu gewährleisten.
Der vordere Längsholm samt Bugspriet sowie die C-förmig gebogenen Schwerter werden sogar aus vorimprägnierten Kohlefasergelegen laminiert. Ruder inklusive Quadranten sind ebenfalls Vollcarbon-Konstruktionen; sie werden in einem Durchgang infusioniert und anschließend zum Aushärten erhitzt. Besser, steifer, langlebiger kann man Serienboote nicht bauen. Im Komposit-Bereich erfüllt oder übertrifft HH Catamarans damit selbst Superyacht-Standards mit Leichtigkeit.
Der 44, dem dieses Jahr ein ähnlich gestalteter 52 folgen wird, glänzt darüber hinaus mit weiteren Alleinstellungsmerkmalen. Er verfügt über einen äußerst cleveren Parallelhybrid-Antrieb, der ohne Generator auskommt, weil die E-Motoren direkt auf der Welle der beiden Dreizylinder-Diesel sitzen und sowohl unter Segeln als auch unter Maschine bis zu je fünf Kilowatt an Ladeleistung produzieren. HH nennt das mehrfach redundante System EcoDrive, und der Name wird dem Antrieb gerecht. Gekoppelt ist es mit einem Solardach über dem Aufbau, das 3,2 Kilowattpeak leistet und zur sehr umfangreichen Serienausstattung zählt. Es sind diese und viele weitere höchst sinnvolle, leider seltene Details, die dem Katamaran 2023 die Nominierung für Europas Yacht des Jahres eingetragen haben. Viel hat nicht gefehlt zum Sieg des HH 44. Doch dazu später mehr.
Da ist zum einen Paul Hakes, 58, ein Neuseeländer, der seit Jahrzehnten am oberen Ende der Branche agiert, lange Zeit vor allem im Regattasegment (u. a. „Playstation“ für Steve Fossett oder die von Judel/Vrolijk gezeichnete „Oystercatcher XXX“). Und da ist Hudson Wang, 67, ein Taiwanese, der es als Unternehmer in China mit der Fertigung von Baseball-Schlägern für den US-Markt zu einigem Erfolg und erklecklichem Vermögen gebracht hat.
Seit 2012 bilden die beiden ein kongeniales Team, der eine als Mastermind der Marke HH, der andere als Logistiker und Finanzier. Auf einem trockengelegten Ufergrundstück haben sie in Xiamen am Südchinesischen Meer einen Musterbetrieb förmlich aus dem Boden gestampft: mehr als 30.000 Quadratmeter Hallenfläche mit Laufkatzen an der Decke, riesigen Mehrachs-Fräsmaschinen, CNC-Cuttern und Robotern sowie eigenem kleinen Hafen.
Es ist ein Komplex, der sich mit den Topwerften in Europa messen kann – und nicht die einzige Produktionsanlage: Vor Kurzem eröffnete die Hudson Yacht Group in Cebu auf den Philippinen einen gleichermaßen arrivierten Zweigbetrieb mit 300 Mitarbeitern. Dort wird aus einem zweiten Satz Formen bereits der HH 44 gebaut, ebenso der HH 52.
Obwohl er längst an die Dynamik seines Geschäftspartners gewöhnt sein sollte, findet sich Paul Hakes noch heute verblüfft: „Wenn ich Hudson sage, was wir brauchen, verdoppelt er es einfach.“ So kam der Kiwi schon früh zu einer 18 Meter langen Fünfachsfräse, bevor er sich überhaupt getraut hatte, von einer solchen Investition nur zu sprechen. Derzeit reifen Pläne für eine doppelt so große Maschine. Insgesamt 50 Millionen US-Dollar hat Wang bisher in den Yachtbau gesteckt. „Es ist eine ganz andere Denke hier“, schwärmt Hakes.
Die vorwärts orientierte Unternehmenskultur ermöglicht der Werft, sowohl ihr Knowhow als auch die Fertigungstiefe beständig auszubauen. HH verfügt über eigene Elektronikspezialisten, eine eigene Tischlerei, eine eigene Lackieranlage, erledigt den millimetergenauen Zuschnitt von Carbon- und E-Glasmatten sowie Schaumkernen an eigenen CNC-Maschinen, testet die Kohlefaser-Schwerter bis zum Doppelten der Arbeitslast auf einem selbst entwickelten Prüfstand. Das alles, gekoppelt mit Paul Hakes’ Erfahrung und seinem hohen Qualitätsanspruch, spiegelt sich in der Klasse, Rasse und Reife des HH 44.
Dass er kein Kat von der Stange ist, zeigt sich schon am Dock. Und damit ist nicht nur der weithin sichtbare, über ein einziges Salingspaar abgespannte Carbonmast von Marstrom gemeint, der zum Standard zählt. Seinen Sonderstatus unterstreichen auch die Spiegel.
Im Gegensatz zu allen anderen modernen Mehrrumpfern lässt sich das Cockpit des HH 44 achtern komplett schließen. Die Heckansicht wirkt im Gegensatz zu den sonst dynamischen Linien fast plump, doch bietet die Konstruktion handfeste Vorteile: Sie vermittelt der Crew Geborgenheit und erlaubt es, die Steuerstände weit achtern und außen zu platzieren, ohne den Rudergänger zu exponieren. Vor Anker oder im Hafen lassen sich die Spiegel nach unten abfieren und bilden dann zwei großzügige Badeplattformen. Aus dem 44-Fuß-Kat wird so temporär ein 47-Fuß-Boot.
Optionale Türen in den Rumpfseiten erlauben beim Längsseitsgehen einen einfachen Zugang zum Steg. Sie zählen zu den sehr empfehlenswerten Extras, denn die Cockpitsülls ragen achtern fast hüfthoch auf. Was ein Segen ist, weil es bei nach außen geneigter Steuersäule erlaubt, sich im Stehen gegen die Bordwand abzustützen. Wahlweise lassen sich auch bequeme Sitze aus dem Süll klappen. Sie waren bei den ersten beiden Booten etwas zu tief angebracht; inzwischen hat die Werft aber bereits die Höhe angepasst, sodass auch kleinere Rudergänger ohne Verrenkungen übers Deck oder durch den Kajütaufbau nach vorn peilen können.
Nicht optimal ist die Sicht durch die Fenster. Selbst wenn man die achteren Scheiben hochklappt, schränken die vorderen Fenster aus dunkel getöntem und gehärtetem Glas den Durchblick durch Spiegelungen ein. Bei erhöhtem Verkehrsaufkommen in Hafennähe bleibt dann nur, ab und an die Seite zu wechseln, um direkte Sicht zu haben.
Der HH 44 versöhnt dafür mit exzellenten Segelleistungen. Er ist schon bei leichtem bis mittlerem Wind absolut wie relativ sehr flott unterwegs, begeistert an der Kreuz mit feiner Balance und zugleich bemerkenswerter Agilität. Lediglich die Rückmeldung von den Rudern könnte etwas ausgeprägter sein; vor allem raumschots bei Welle braucht es Konzentration, den Kurs zu halten, so unmittelbar setzt der Kat selbst kleinste Steuerimpulse um.
Alles an ihm vermittelt Präzision. Aufgrund der enormen Festigkeit seiner Struktur verwandelt er Böen nicht in Verwindung oder Widerstand, sondern in Fahrt. Die fünf Meter langen Schwerter verbessern mit zunehmender Geschwindigkeit sowohl den Wendewinkel als auch die Leistung. Sie generieren bei 15 Knoten Speed 1.000 Dekanewton Auftrieb, leichtern also das Boot um etwa ein Zehntel.
Der HH 44 ist der Schiff gewordene Laser, wo sich andere wie eine stumpf gehauene Axt anfühlen. Man spürt es überall – in der Art, wie er aufs Ruder reagiert, wie er Wellen pariert. Und man kann es sogar hören. Unter Deck regt sich nichts, wenn das Boot durch gut anderthalb Meter hohe Altsee geht: Scheppern, Ächzen, Quietschen aus den Verbänden – Fehlanzeige. Der Kat aus China nickt nur merklich mit den Bügen, die vorn scharf zulaufen.
Sorgen um die Seegängigkeit muss hier niemand haben. Die Rümpfe sind bis zum vorderen Querholm als Crashbox ausgeführt und unter der Segellast noch wasserdicht abgeschottet. Gleiches gilt für die achteren Sektionen, in denen die Ruder gelagert sind; auch sie können im Havariefall volllaufen, ohne die Schwimmfähigkeit des Bootes zu kompromittieren.
Abgesehen von der für zwei Personen deutlich zu schmalen Vorschiffskammer an Steuerbord, bietet der HH 44 durchweg hohen bis sehr hohen Fahrtenkomfort. Die Plicht ist weitläufig, die Polsterung der Sitze und Liegeflächen erstklassig, und auch der Salon, die U-Pantry und die Boatoffice- taugliche Navigation mit Blick voraus überzeugen. Die nach vorn öffnenden Salonfenster machen eine Klimaanlage fast obsolet. Und dann sind da noch der leise, fast völlig autarke EcoDrive oder der Regenwassersammler im Kajütdach, die das Gesamtpaket abrunden.
Für alle, die es sich leisten und über die wenigen Mankos hinwegsehen können, ist der HH 44 definitiv ein Must-see, eigentlich mehr noch: ein Must-have. Bei der Wahl zu Europas Yacht des Jahres blieb er vor allem wegen des hohen Preises zweiter Sieger. Der ist aber wegen der aufwändigen Bauweise keinesfalls überzogen, sondern vollauf gerechtfertigt.
Rumpf und Deck aus E-Glas und Kohlefaser, mit hochfestem Schaum als Kernmaterial, mit Epoxidharz unter Vakuum laminiert und getempert. Schotten und Stringer aus Carbon, geklebt und laminiert. Schwerter aus Prepreg-Kohlefaser, Ruderwellen aus Vollcarbon. Mast, Baum und Bugspriet sowie Längs- und Querholm ebenfalls Kohlefaser-Konstruktionen
Der HH 44 hat in der Sport-Cruising-Version (SC) serienmäßig einen Parallel-Hybridantrieb. Dabei werden die Dieselmotoren mit zwei E-Antrieben gekoppelt, die unter Segeln auch als Generatoren fungieren können
Der Kat zählt zu den teuersten seiner Klasse, überzeugt aber durch eine ungewöhnlich komplette und überaus hochwertige Ausrüstung
Stand 03/2024, wie die ausgewiesenen Preise definiert sind, finden Sie hier!
Hudson Yacht Group, Xiamen/ China. www.hhcatamarans.com
Paul Hakes und Hudson Wang, die beiden „H“ von HH Catamarans, haben schon einige herausragende Yachten geschaffen. Der HH 44 toppt sie alle. Er ist derzeit praktisch konkurrenzlos