47-Meter-Katamaran“Artexplorer” ist ein segelndes Kunstwerk

Sören Gehlhaus

 · 08.09.2024

Segel-Kunstwerk: Axel de Beaufort paarte Bullaugen mit Wavepiercer-Rümpfen. Mit dem futuristischen Konvexglas der Aufbauten kontrastieren Mahagoni-Elemente
Foto: Benoit Linero
One-offs spiegeln die Ambitionen ihrer Eigner wider. Der 47-Meter-Katamaran von Frédéric Jousset ist schnelle Segelbasis, Charteryacht und Museum. Mit Wanderausstellungen im Mittelmeer bringt der Franzose Kunst zu den Menschen

Kinder hüpfen über die Teakdecks, Besucher bevölkern auf Klappliegen das Sonnendeck und lauschen über Bluetooth-Kopfhörer einer mediterranen Klangreise. Im 16 Meter langen Kino-„Tunnel“ des Salons tauchen Museumsgäste in ein immersives Erlebnis ab und blicken auf wechselnde Kunstwerke des Louvres. Auf „Artexplorer“ ist das der Realität gewordene Traum des Eigners. Mit der altruistischen Nutzung entfällt logischerweise auch das Verwirrspiel um die Identität des Eigners.

Frédéric Jousset freut es, wenn pro Tag bis zu 2.000 Personen über die Gangway seiner Yacht spazieren und sie zum öffentlichen Raum machen. Sie zahlen keinen Eintritt, müssen sich lediglich über eine Website anmelden. Während des Art Explora Festivals wird der mit 47 Metern größte Alu-Segelkat der Welt zum Ausstellungsraum und die Kaianlage zur Bühne für Aufführungen und Workshops. Die Inhalte sind im Erbe und in den Themen des jeweiligen Landes verwurzelt. Stationen waren bislang Valletta, Venedig und Marseille. Die Bilanz auf Malta: zehn Tage Festival, zwölf Workshops für Kinder, 55 Veranstaltungen, 95 Künstler und 21.000 Besucher. An Bord lief die Ausstellung „Present“ in Zusammenarbeit mit dem Louvre, die weibliche Persönlichkeiten der mediterranen Zivilisationen in den Mittelpunkt stellt. Ein zweigeteiltes Erlebnis mit einem Film, der auf dem Achterdeck zu sehen ist, und einem immersiven Erlebnis in der Hauptgalerie.

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„Dieser Zwischenstopp in Malta war ein wichtiger Moment in der Geschichte des Art Explora Festivals, und der Erfolg ist richtungsweisend für den Rest der Ausstellungsreise. Es ist der Beginn einer dreijährigen, vielversprechenden Tour, die es der Stiftung Art Explora ermöglichen wird, ihre Mission fortzusetzen: Kunst mit so vielen Menschen wie möglich zu teilen.“

Abkehr vom Geschäftlichen, Hinwendung zur Kunst

Jousset gründete Anfang der Nullerjahre Webhelp mit, ein Unternehmen, das Business-to-Business-Dienste anbietet, wozu unter anderem Callcenter- und Helpdesk-Lösungen zählen. Zum Segeln kam der Pariser über das Bergsteigen. Als er im Frühjahr 2019 den Mount Everest bezwang, erreichte ihn die Mail eines potenziellen TF35-Teams. Der Foil-Kat-Rennstall suchte einen Investor und Jousset stieg ein. Mehr noch, der ohnehin abenteuerlustige Unternehmer gab bei The Italian Sea Group „Artexplorer“ in Auftrag und legte seine operativen ­Tätigkeiten bei Webhelp nieder.

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Im selben Jahr rief Jousset, dessen Mutter Kuratorin in der Designabteilung des Centre Pompidou war, Art Explora mit vier Millionen Euro Startkapital ins Leben. Jährlich zahle er etwa sieben Millionen Euro in die Stiftung ein. Schon als 35-Jähriger spendete er dem Louvre eine Million Euro. Im Jahr 2020 gründete er einen mit 119 Millionen Dollar (100 Millionen Euro) dotierten Impact Investment Fund für Kunst und Kultur namens ArtNova, dessen Gewinne zur Unterstützung von Art Explora beitragen. „An Bord einer Yacht zu gehen ist an sich schon ein Erlebnis, und es wird noch spezieller, wenn Besucher einzigartige kulturelle und künstlerische Angebote an Bord und am Kai entdecken“, weiß Stiftungspräsident Frédéric Jousset. Er bringt Kunst zu den Menschen und versucht über die Faszination für eine Yacht jene abzuholen, die Berührungsängste mit Museen haben.

„Wir haben uns dieses Museum auf dem Wasser als ein vollwertiges Kunstwerk vorgestellt“, sagt Axel de Beaufort, der das gestalterische Konzept außen wie innen ausarbeitete. Im Heck erwartet den Besucher glanzlackiertes Mahagoni als offensichtliche Reminiszenz an nautische Traditionen. Das Linienspiel des Tropenholzes zeigt sich an den Aufbauten, auf Regiestühlen und der Außentreppe. Beim Blick auf das Gangbord drängt sich die moderne Seite auf: ein konvexes Fensterband, das sich im Stile von „Eco“ (jetzt „Enigma“) biegt und über 20 Meter erstreckt. Die Scheiben berechneten und lieferten die Strukturglas-Spezialisten von Eckersley O’Callaghan, die auch Steve Jobs’ „Venus“ zum schwimmenden Glaspalast erhoben. Das futuristisch geformte Deckshaus läuft vorn scheinbar offen und wie das Maul eines Mantarochens aus. Glatte Flächen, wenig Schnörkel, de Beaufort setzt auf Minimalismus. Das Wechselspiel aus Alt und Neu setzt sich an den speerspitzenförmigen Rümpfen fort. Auf klassische Bullaugen folgen scharf geschnittene Wavepiercer-Buge.

Segelnder Gestalter mit Konstrukteurshintergrund

„Bei der Gestaltung ließ ich meine Offshore-Erfahrungen einfließen. In enger Zusammenarbeit mit meinem guten Freund Guillaume Verdier entwarfen wir ein Boot, das Leistung und Funktionalität nahtlos miteinander verbindet“, führt Axel de Beaufort aus. „Artexplorer“ ist nicht das erste Projekt, das er mit dem Star-Konstrukteur realisierte. De Beaufort ist leidenschaftlicher Segler, Designer und Schiffbauingenieur mit eigenem Büro in Paris. Mit seiner Marke Nacira Yachts realisierten Verdier und er einen 69-Fuß-Renner, der sich als komfortabler Imoca 60 versteht. Zudem leitet der Franzose seit 2013 das Designstudio Hermès Horizons, das für die Edelmarke Spezialprojekte wie Holzfahrräder, Skier oder Surfboards kreiert.

De Beaufort sagt über das Interieur: „Das Innendesign strahlt zeitlose Eleganz und Raffinesse aus und spiegelt die Essenz des Chics wider.“ Hochglanz-Mahagoni prägt die Räume, Ambiente erzeugen cremefarbene Sofas und Textilpaneele sowie Rattan an den Wänden und in den Schranktüren. Die Bullaugen verschließen runde Holzblenden. Und doch galt es, ein Museum zu integrieren, wenn auch ein temporäres. Vom ursprünglichen Vorhaben, Ölgemälde im Salon zu zeigen, nahm das Projektteam aufgrund der schwierigen Salz- und Luftverhältnisse und der zu hohen Versicherungssummen Abstand.

Stattdessen sollte der Salon zur 16 Meter langen, fünf Meter breiten und 2,30 Meter hohen Hauptgalerie werden. Als Medium wählte man Videos und kam über Projektoren zu LED-Wänden, welche die französischen Systemintegratoren Akumendo und ArScénique entwickelten. Dabei hatte die Videowand auch jene Hohlkehle auszufüllen, die der Radius der Aufbauten weiter außen vorgibt. Letztlich lieferten die LED-Spezialisten von Leyard 512 biegsame Module auf Schockabsorbern und 352 Kohlefaserrahmen, die sich per Magneten einfach montieren und demontieren lassen. Das Ergebnis: ein immersiver Raum mit über 50 Millionen Pixeln und einem Abstand der Pixelzentren (Pitch) von nur 1,5 Millimetern zueinander. Damit war es nicht getan. Da die Lüfter für zusätzliche Wärme sorgten, musste man eine zusätzliche Klimaanlage in der Tunnelmitte installieren. Für die Formschönheit sorgte de Beaufort.

Bis zu 200 Kilowatt Sonnenenergie am Tag

Er war es auch, der einen Boden aus Harz in Betonoptik vorschlug. Der macht sich zudem gut im Chartereinsatz, auf den „Artexplorer“-Eigner Frédéric Jousset ebenso abzielte und der sechs Gästekabinen erforderte. Drei Stück beherbergt der 14 Meter breite Aufbau trotz der üppigen Salonmaße mittschiffs. Eine VIP- geht steuerbords und eine Doppelkabine backbords des „Tunnels“ ab. Davor belegt die Mastersuite gut 20 Quadratmeter mit freier Voraussicht sowie überdachter Außen-Chaiselongue. Drei Quartiere verteilen sich auf den Steuerbordrumpf, die im Mittel mit einer Breite von vier Metern auskommen müssen. Besondere Nähe zu den Bordwänden pflegt auch der Haupttender, ein 6,60-Meter-Rib, das backbords achtern unterkommt. Die Motoren sitzen jeweils im Langkiel, der in seinem Schwung dem von J-Class-Yachten nicht unähnlich ist und 3,50 Meter tief geht.

Unter der Wasserlinie lagern auch Lithium-Batterien, die von zwei Generatoren und Solarmodulen geladen werden und den Hotelbetrieb für mehrere Stunden aufrecht­erhalten können. Das 65 Quadratmeter große PV-Paneel, das sich auf dem Deckshaus kaum als solches zu erkennen gibt, erzeugt bis zu 200 Kilowatt Energie am Tag. Damit es unter Segeln schnell vorangeht, verordneten Verdier und de Beaufort dem 47-Meter-Kat einen 50 Meter langen Flügelmast, der weit achtern steht – und mit bis zu 240 Tonnen auf den Kugelkopf-Mastfuß drückt. Das Limit, was Lorima mit Kohlefasern abbilden kann. Die Mastbauer beliefern das Gros der Imoca-Flotte und laminierten auch Beam und Crossbeam. Den Mast transportierten sie in einem Stück aus dem französischen Lorient zum Hauptsitz von The Italian Sea Group (TISG) nach Marina di Carrara in der Toskana.

“Artexplorer” ist Glücksfall für Perini Navi

Ursprünglich sollte „Artexplorer“ unter der TISG-Marke Admiral segeln. Nachdem die Werftengruppe 2022 Perini Navi aus der Insolvenz gekauft hatte, war jedoch klar, dass Perinis Stern-Logo an „Artexplorer“ prangen musste. Wie keine zweite Werft wurde Perini Navi mit segelnden Superlativen groß, die Technizität mit Tatendrang und Formgefühl verbinden. Sind die 1.215 Quadratmeter Segel per Knopfdruck entrollt, zieht der Multihull bei 15 Knoten wahrem Wind mit zwölf Knoten durch das Mittelmeer, mit Chartergästen oder auf dem Weg zum nächsten Ausstellungsort. Von Frühjahr 2024 bis Herbst 2026 wird das Art Explora Festival in 20 Häfen in 15 Ländern rund um das Mare Nostrum gastieren.

„Artexplorer“ wird zur Museumsyacht, wenn Techniker den Videotunnel herrichten und die Crew Polster und Möbel in Lkw verstaut, Fly und Trampolin absperrt und Tische, Schränke wie Böden mit Persenningen überzieht. Frédéric Jousset ist sich sicher: „Mobilität und künstlerisches Schaffen sind mächtige Werkzeuge, um den Blickwinkel zu verändern und Bilder und Geschichten zu teilen, die unterschiedliche Beziehungen zur Welt schaffen.“ Mehr noch: Mit den Festivals wolle man alle Zielgruppen erreichen und gemeinsam eine neue Vision des Mittelmeers entwerfen. Dass an der Umsetzung ein futuristischer Supersegler maßgeblich beteiligt ist, markiert eine Zeitenwende.

Technische Daten der “Artexplorer”

 | Zeichnung: Werft | Zeichnung: Werft
  • Länge über alles: 46,50 m
  • Breite: 17,30 m
  • Tiefgang: 3,50 m
  • Gross Tonnage: 497 Gross Tons
  • Material: Alu
  • Segelfläche: 1215 qm
  • Mast: Lorima, 50 m
  • Motoren: 2x CAT C9.3
  • Generatoren: 2 x 118 kW
  • Solaranlage: 200 kWp
  • Kraftstoff: 36.000 l
  • Wasser: 10.000 l
  • Gäste: 12
  • Crew: 10
  • Konstruktion: Guillaume Verdier, Axel de Beaufort
  • Exterieurdesign: Nacira, Axel de Beaufort
  • Interieurdesign: Nacira, Axel de Beaufort
  • Klasse: Bureau Veritas
  • Werft: Perini Navi, 2023
  • Charter: Fraser, 240.000 Euro p. W.

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