International CanoeBis zu 25 Knoten schnell – rutschige Racer für jedermann

Max Gasser

 · 08.07.2024

Schnelles Sportgerät für Jung und Alt: Ohne viel Akrobatik sitzt der Steuermann im IC bis zu zwei Meter von der Rumpfmitte entfernt
Foto: YACHT/Ben Scheurer
Kanufahrern wurde einst das Paddeln zu langweilig. Heute zählt das International Canoe (IC) mit seinem unverkennbaren Reitbalken zu den schnellsten Einhand-Jollen überhaupt. Bei der diesjährigen Weltmeisterschaft vor Travemünde könnten auch Foils zum entscheidenden Faktor werden

Die leichte Brise am Ratzeburger See lässt das Wasser unter mir rauschen, den ellenlangen Pinnenausleger halte ich fest umschlossen in der Hand. Im Augenwinkel sehe ich eine Böe heranziehen und pariere diese souverän. Ich sitze jetzt beinahe zwei Meter von meinem Rumpf entfernt, und das Ufer nähert sich bedrohlich schnell. „Wie kriege ich das Ding jetzt um die Ecke. Und vor allem, wie komme ich selbst auf die neue Seite?“, rattert es in meinem Kopf. Dabei sitze ich auf einem der vergleichsweise zahmen klassischen International Canoes (IC) aus dem Jahr 1972.

Die heute hochmodernen Rennjollen sind einst in England aus den üblichen Paddelkanus entstanden. Noch heute sind die Segler im Kanu- und Segelverband organisiert. „Die Geschichte des ICs beginnt bereits in den 1860er-Jahren“ erklärt Eckhardt „Ecki“ Pagel, der das Kanusegeln vor über 37 Jahren für sich entdeckt hat. Um größere Distanzen überwinden zu können, habe man versucht, die Kanus mit Segeln auszustatten. Bereits wenig später stand jedoch nicht mehr nur der reine Nutzen im Vordergrund. „Ich habe zu Hause eine Zeitungsseite von 1883, auf der von einer Regatta in London auf der Themse berichtet wird“, so der 67-Jährige.

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Damals allerdings meist noch mit Besan­segel, aber ohne das heute charakteristische Ausreitbrett. Jenes trat bereits 1886 erstmals in Erscheinung, wurde dann aber zunächst wieder verboten. Heute macht es den IC maßgeblich zur wohl schnellsten nicht foilenden Einhandjolle. Mit bis zu 25 Knoten Speed rauscht man in angenehm luftiger Höhe über das glitschende Wasser. Ein Gefühl, das man sonst nur von Foilern wie der Motte kennt.

Nur sitzt man ganze zwei Meter von der Schiffsmitte entfernt, sofern der Reitbalken genannte Ausreitsitz maximal ausgefahren ist. Dann ist das aufrichtende Moment um rund 50 Prozent höher als das eines Vorschoters im Trapez. Nur so lässt sich die auf zehn Quadratmeter begrenzte Segel­fläche überhaupt bändigen. Die sportliche Jolle hat ein extrem kleines Verhältnis von Länge zu Verdrängung und benetzter Fläche. Heutige Designs sind 5,20 Meter lang, lediglich 75 Zentimeter breit und wiegen aufgeriggt 50 Kilogramm. Daraus resultiert eine hohe Rumpfgeschwindigkeit. Der IC zeichnet sich mit flachem Rumpf und dem spitz zulaufenden Kanuheck allerdings genauso durch hervorragende Gleiteigenschaften aus.

Damals wurde der IC nach 37 Jahren mit One-Design-Rümpfen wieder zur offenen Konstruktionsklasse. Die verabschiedete Box-Rule zielte ganz klar auf den Bau radikalerer Boote aus hochmodernen Materialien ab. Letztere seien der womöglich größte Unterschied zwischen den beiden Unterklassen des ICs, erklärt Eckhardt Pagel. „Wenn man praktisch mit Flugzeugbautechnik arbeitet, erreicht man natürlich ein extrem geringes Gewicht. Damit fahren die neuesten Designs fast doppelt so schnell wie die alten Kanus.“

An den Anforderungen an die Segler ­habe sich kaum etwas geändert. Lediglich ein guter Gleichgewichtssinn sei von noch wichtigerer Bedeutung auf den schmalen Sportgeräten. Auch die kostenintensiven Hightech-Materialien – alle neuen Rümpfe sind aus Kohlefaser – hätten keinen bemerkbaren Effekt auf die Klasse gehabt. „Das sind alles die Bastler und Tüftler, die früher auch da waren.“

Noch immer baut und bastelt ein Großteil der IC-Segler am eigenen Boot. Serienboote gibt es wenige bis gar keine. Stattdessen gleicht kaum eine Konstruktion der anderen. „Es gibt einige wenige, die gleich sind. Jeder hat aber seine eigenen Einstellungen und Besonderheiten“, erklärt Emma Grigull. „Die wenigsten Boote wurden tatsächlich von professionellen Bootsbauern gebaut. Man eignet sich stattdessen den Bootsbau in diesem kleinen Bereich an. Ich kenne zumindest in Deutschland niemanden, der alles abgibt.“

Grigull ist Ressortleiterin Kanu-Segeln im Deutschen Kanu Verband. Zum IC ist die Flensburger Seglerin mit dem Taifun über ein weiteres Segelkanu gekommen. Während der IC eine internationale Klasse mit Verbreitung in mehr als zehn Ländern ist, werden Taifune einhand auf nationaler Ebene gesegelt und zweihand als Jugendbootsklasse eingesetzt. Anders als beim IC finden sich auf beiden Seiten des nicht ganz so schmalen Rumpfes kleine Ausreitbretter, die sich jedoch nicht verschieben lassen.

Reitbalken-System: eigentlich wie eine Schublade in einer Kommode

Mit 19 Jahren muss der Taifun dann alleine gesegelt werden, was gewisse körperliche Voraussetzungen von Nöten macht. Im IC ist das anders. Auch deshalb wechselte Grigull damals die Klasse. „Wir sind genderneutral und segeln alle miteinander. Es kommt auf den Segler an, der auf dem Boot sitzt, und nicht auf Größe, Gewicht, männlich, weiblich oder sonst was.“

Besonders entscheidend und vor allem koordinativ enorm anspruchsvoll sind dabei die Manöver. Auf der Kreuz lässt sich die Jolle noch in entspannter Position vom Reitbalken aus steuern, bei Wenden und Halsen geht es dafür richtig zur Sache. Das Ausreitbrett muss während des Manövers auf die neue Seite geschmissen werden. Dafür rutscht der Segler zunächst etwas zum Boot und steuert in die Wende oder Halse ein. Im weiteren Verlauf wird der Ausreitsitz schwungvoll auf die neue Seite geschoben. Dann sollte der neue Kurs erreicht sein, und der Segler wirft sich je nach Bedingungen ebenso kraftvoll auf das Brett.

Der Reitbalken beruht auf einem simplen System und wird bei Wenden und Halsen vom Segler auf die jeweils neue Seite geschleudert. Die Technik hat sich kaum verändert und wurde auch bei klassischen ICs (Bild) bereits eingesetztFoto: YACHT/Ben ScheurerDer Reitbalken beruht auf einem simplen System und wird bei Wenden und Halsen vom Segler auf die jeweils neue Seite geschleudert. Die Technik hat sich kaum verändert und wurde auch bei klassischen ICs (Bild) bereits eingesetzt

Dieses blockiert dann wieder von selbst. Denn für das ausgeklügelte System braucht es keine Klemmen oder Bolzen. Der Sitz verkantet unter der Last in seiner Führung und lässt sich ohne Belastung wieder problemlos verschieben. Das bestätigt auch Eckhardt Pagel: „Das System funktioniert eigentlich wie eine Schublade in einer Kommode. Da ist keine Technik drin. Man muss nichts belegen oder lösen.“

Anders bei der Ausrichtung in Fahrt­richtung. Auf einer Schiene kann der komplette Sitz je nach Bedingungen und Kurs nach vorne oder hinten verschoben und fixiert werden.

Foils am Segelkanu: entscheidende Entwicklung für die WM in Travemünde?

Erheblichen Einfluss auf dieses Trimm­element hat die neueste Entwicklung. Denn im aktuellen Reglement konnte eine Lücke gefunden werden, die es ermöglicht, Foils am Ruder des Kanus anzubringen. Dieses kann und darf das Boot zwar nicht vollständig aus dem Wasser heben, dient aber als Elevator. Dieser eliminiert dort Gewicht, der Schwerpunkt wandert weiter nach vorne. Besonders auf raumen Kursen hat sich das bereits als sinnvoll erwiesen.

„Was jetzt in Deutschland gerade erst anfängt, ist in England schon etwas mehr verbreitet“, erklärt Emma Grigull. Ein starker Austausch unter den Seglern bringe derartige Innovationen voran und jetzt auch nach Deutschland. Ob die ICs fortan immer mit Foils segeln werden, ist damit jedoch längst nicht entschieden. „Es fängt immer einer an, und dann merken die anderen, was es für einen Vorteil bringt, und dann machen sie mit. Oder man merkt, dass die Entwicklung nicht sinnvoll ist und baut es wieder zurück.“

Auch Grigull hat an ihrem rund zehn Jahre alten IC jüngst die Ruderanlage komplett umgebaut. Wie bisher üblich, war ihr Ruderblatt ins achterliche Deck eingelassen. Jetzt sitzt sie wie für Jollen gewöhnlich ganz hinten am Heck. So verliert das Boot zwar etwas Agilität, dafür spart man sich aber den komplizierten Rudermechanismus und ermöglicht den Einsatz des Ruderfoils. Denn die Klassenregeln geben vor, dass das Ruderblatt vollständig aufholbar sein muss. Mit einem einfachen Stecksystem wie in vielen Skiffklassen üblich, geht das problemlos.

Das Ruderfoil im aufgeholten ZustandFoto: YACHT/Ben ScheurerDas Ruderfoil im aufgeholten Zustand

Der Flügel ist an der Unterseite des Ruderblattes angebracht und bildet so ein klassisches T-Foil. Wie von der Motte bekannt, kann der Neigungswinkel des kompletten Ruders durch Drehen am Pinnenausleger verändert werden.

Insbesondere im Vergleich zu den bei vollständig foilenden Bootsklassen gängigen Profilen ist das Foil Grigulls IC-Kanu überraschend groß. Es liefert also durchaus starken Auftrieb, allerdings systembedingt auch einiges mehr an Widerstand. Möglicherweise könnte hier zukünftig noch Fahrt aufkommen, wenn Boote unter der klaren Berücksichtigung eines Ruderfoils gebaut werden. Diese würden dann potenziell auch wieder mehr Volumen im Vorschiff tragen und so Nose-Dives vorbeugen.

Wie eine Familie: das Zusammenleben innerhalb der IC-Klasse

Während der knallrote Rumpf der „Wild Venture“ am Wind problemlos durch die Wellen sticht, ist das Segeln auf den Raumwindgängen auch für Expertin Emma Grigull eine durchaus kipplige Angelegenheit. Auf die Spitze getrieben wurde das zwischenzeitlich durch einen IC-Spin-off mit Gennaker. Der sogenannte AC hat so zwar ein extrem hohes Geschwindigkeitspotenzial, ist je nach Bedingungen allerdings kaum zu beherrschen. Teils sind sie auf Regatten noch in einer eigenen kleinen Startgruppe vertreten, generell konnte sich diese Innovation jedoch nicht durchsetzen.

„Die Entwicklung geht ja irgendwo immer weiter, und sie muss auch bei den ICs weitergehen“, sagt Eckhardt Pagel, der zudem leidenschaftlicher Eis- und Strandsegler ist. „Aber ich selber wünsche mir eigentlich für die Klasse, dass sie weiterhin bestehen bleibt und dass wieder viele jüngere Leute einsteigen.“

Durch die große Konkurrenz von vielen anderen Klassen sei es heutzutage sehr schwierig, für Nachwuchs zu sorgen. „Es gibt Klassen, die expandieren ohne Ende, teilweise auch durch die Leute, die früher vielleicht auf den IC gestiegen wären“, vermutet Pagel. Die hohen Geschwindigkeiten und das besondere Fahrtgefühl, das mit dem Trapezsegeln nicht zu vergleichen ist, sollten Grund genug sein, einmal auf das schmale Geschoss zu steigen.

Wirklich besonders ist für Pagel allerdings das Zusammenleben innerhalb der Klasse. „Es ist eigentlich wie eine riesige Familie. Alle sind enorm gastfreundlich, egal ob man gerade in England, Australien oder Amerika ist.“ Das Urgestein aus Buchholz vom Ratzeburger See muss es wissen, immerhin hat Pagel seit 1987 keine der in der Regel alle drei Jahre ausgetragenen Weltmeisterschaften verpasst.

Die kommende startet am 19. Juli im Rahmen der Travemünder Woche. Im Feld der bisher 34 gemeldeten Segelkanus werden auch klassische ICs an den Start gehen, das älteste Design stammt aus dem Jahr 1972. Während Pagel als Vermesser vor Ort sein und das Geschehen somit lediglich beobachten wird, ist es für Emma Grigull die zweite Weltmeisterschaft: „Ich bin heiß auf die WM und habe auch den Ehrgeiz, alles zu reißen, was möglich ist!“

Technische Daten des International Canoe

International CanoeFoto: YACHT/Ben ScheurerInternational Canoe
  • Hersteller: C12
  • Gesamtlänge: 5,20 m
  • Breite: 0,87 m
  • Tiefgang (Schwert): 1,00 m
  • Masthöhe über Rumpfunterkante: 6,36 m
  • Gewicht: 55 kg
  • Großsegel: 7,53 m²
  • Vorsegel: 2,47 m²

Klassische ICs: traditionell schnell

Der IC von Klaus Röpke wird mit Baujahr 1972 der Älteste bei der diesjährigen WM in Travemünde seinFoto: YACHT/Ben ScheurerDer IC von Klaus Röpke wird mit Baujahr 1972 der Älteste bei der diesjährigen WM in Travemünde sein

Der schottische Reiseschriftsteller John MacGregor, der zu den Urvätern des Kanusports in Europa zählt, soll auch für die erste Besegelung der schmalen Rümpfe verantwortlich sein. Die zunächst rein zweckmäßig geriggten Kanus wurden stets verbessert und spätestens mit der Wiedereinführung der Reitbalken zu wahrhaften Rennjollen. 1934 gab es erstmals international einheitliche Klassenregeln. Der abgebildete IC ist über 50 Jahre alt und wird mit Eigner Klaus Röpke als ältestes Schiff bei der anstehenden Weltmeisterschaft vor Travemünde an den Start gehen. Dort wird auch die nach dem America’s Cup älteste Trophäe im Segelsport ausgesegelt: die 1886 erstmals organisierte New York Canoe Club Challenge Trophy.

Das gelbe Segelkanu mit den aufgemalten Piranha-Zähnen fällt unter die Kategorie der One Designs, welche von 1971 bis 2007 üblich waren. Sie waren zwar schnell, aber aus verschiedenen Gründen deutlich langsamer als der heutige Standard. So lag das Mindestgewicht mit 83 Kilogramm deutlich höher, außerdem waren damalige ICs breiter. Während in einem aufwendigen Verfahren selbst die leicht gebogenen Ausreitbretter aus Holz gebaut wurden, wird heute größtenteils auf Carbon gesetzt. Die Veränderungen am Rigg fielen gering aus, beachtlich ist derweil die Ruderanlage. Diese wurde mit einer Kassette ins Heck eingelassen und wird durch einen Riegel gesichert.

Bei Pinnenaktivität bewegt sich nur das Ruderblatt wie bei einer Yacht unterhalb des Rumpfes, während die Halterung fest im Deck steckt. So konnte das Ruder nach vorne versetzt werden, und die Jolle bleibt trotz des langen Hecks optimal manövrierfähig. Wie auch das System und die groben Maße des Ausreitbalkens hat sich das bis zuletzt gehalten. In den Manövern lassen sich die heutigen Ausreitsitze allerdings deutlich einfacher verschieben. Auch die heute weitverbreiteten Selbstwendefocks helfen bei Wenden und Halsen enorm.


IC-Urgestein Eckhardt Pagel im Interview

Eckhardt PagelFoto: YACHT/Ben ScheurerEckhardt Pagel

YACHT: Wie sind Sie zum IC-Segeln gekommen?

Eckhardt Pagel: Als Jugendlicher habe ich in Hamburg auf der Bootsausstellung ein dort ausgestelltes IC gesehen. Damals habe ich beschlossen, eines zu kaufen, wenn ich Zeit und Geld habe. Irgendwann kam der Punkt, da hatte ich Zeit, aber eigentlich kein Geld – und habe mir trotzdem ein IC zugelegt.

Haben Sie demnach später aus finanziellen Gründen selbst Segelkanus gebaut?

Selber gebaut habe ich drei Schiffe, aber nicht nur des Geldes wegen, sondern auch, um ein zu mir passendes Boot segeln zu können. Ich habe dann immer das verwendet, das am besten zu funktionieren versprach. Das letzte Boot war extrem leicht und weit der Zeit voraus.

Inwieweit haben moderne Materialien die Klasse verändert?

Früher wurde aus Glasfaser gebaut. Das war nicht so aufwendig und auch günstiger als heute. Allerdings: Entscheidender als das Material ist der Mensch. Daran hat sich nichts geändert. Ich würde sogar sagen, dass jede Bootsklasse von einem bestimmten Typ Mensch gesegelt wird. Bei den ICs sind das meiner Erfahrung nach sehr sympathische Leute.

Sie waren auf der ganzen Welt unterwegs. Welcher Erfolg bleibt bis heute besonders im Kopf?

Die Weltmeisterschaft 2008 in Australien. Da habe ich Platz elf belegt.


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