Liteboat XPCarbon-Wanderjolle zum Gleiten – und Rudern

Jochen Rieker

 · 20.07.2025

Famos. Schon bei 10 bis 12 Knoten Wind hebt das Bötchen unter Gennaker seinen Bug und geht ansatzlos ins Gleiten über.
Foto: Rick Tomlinson
Ein unverstagtes Carbonrigg bringt sie ins Gleiten, zwei Kohlefaser-Riemen dienen als Hilfsantrieb. Campen geht auch auf ihr, zumindest irgendwie. Porträt der modernsten Wanderjolle der Welt.

Es ist dies die Geschichte eines ziemlich außergewöhnlichen Bootes. Und vielleicht wäre deshalb eine Vorbemerkung, eine Art Sicherheitshinweis, angezeigt. Sehen Sie uns also den folgenden Absatz, zumal als Einstieg, freundlicherweise nach. Sie werden im späteren Verlauf merken, dass wir es nur gut mit Ihnen meinen.

Hier also, sicherheitshalber, der Sicherheitshinweis: „WARNUNG! Das im Folgenden beschriebene Fahrzeug ist dazu geeignet, einen Ihr Leben verändernden Einfluss auszuüben! Insbesondere kann es zu abenteuerlichen, fern jeder Zivilisation führenden Exkursionen verleiten.“


Weitere besondere Boote:

Dass eine normensprengende Wirkung von diesem Wolpertinger-ähnlichen Gefährt ausgehen kann, zeigt schon die schier unmögliche Zuordnung. Das Ding passt in keine Nische des üblichen Bootsmarktes. Nicht einmal sprachlich lässt es sich sauber verorten, was sein zwitterhaftes Wesen unterstreicht. Soll man „das Liteboat“ sagen – wie in „das besondere Boot“? Oder genre­typisch besser „die XP“ – wie in „die Jolle“, „die Yacht“? Fast möchte man seinen einstigen Deutschlehrer anrufen in diesem Dilemma der Determinanten. Aber der könnte wiederum wenig helfen bei der Frage, was genau da im Wasser schwimmt: Ruderboot? Wanderjolle? Kleinkreuzer? Wir legen uns, weil Herumlavieren ja selten eine Lösung ist, an dieser Stelle zumindest in Bezug auf den Artikel fest. Ansonsten ausdrücklich nicht. Denn die Liteboat XP ist tatsächlich vieles zugleich.

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Innovation auf dem Wasser

Normalerweise gehen solche Experimente bestenfalls halb schief. Wir erinnern uns an die inzwischen nahezu ausgestorbene Gattung der Motorsegler, die ihren Zenit schon in den späten achtziger und frühen neunziger Jahren überschritten hatte. An einstige Bestseller wie die MacGregor 26, die nur noch ein Schattendasein als Lizenznach­bau führt, oder jüngste Versuche wie die Nuva MS6, die nach zwei mageren Jahren zum reinen Motorboot umkonstruiert und erst als solches ein Verkaufserfolg wurde.

Vor diesem Hintergrund betrachtet, muss einem die Entwicklung aus Gre­noble, das ja nun nicht gerade für sein nautisches Erbe oder auch nur die Nähe zum Wasser bekannt ist, wie ein einziges Wagnis vorkommen. Oder, was durchaus aufs Gleiche hinausläuft, für die Idee eines völlig Verrückten. Und das trifft es zufällig ganz gut.

Der Verrückte heißt Matthieu Bonnier, und er hat sich die XP aus seiner Begeisterung für – sagen wir: sehr selektive – Outdoor- und Ausdauersportarten ausgedacht. Der Mann ist ein Fitness-Phänomen, ein nur aus Muskelfasern und Sehnen bestehender Freizeitathlet: Ruderer, Radler, Berg- und Lang­läufer. Er hat mit der Kraft seiner Arme und zweier Riemen schon den Atlantik überquert und die Nordwestpassage bezwungen. Er hat das legendäre Schlittenhundrennen Iditarod in Alaska bestritten, von Anchorage in die einstige Goldgräbersiedlung Nome an der Beringsee.

Streng genommen ist Bonnier gar kein Segler – zu beschaulich, zu unanstrengend. Aber da war diese Regatta im Nordwesten der USA, die von Port Townsend im Bundesstaat Washington bis nach Ketchikan in Alaska führt, vorbei an Vancouver Island, Moresby and Graham Island, 750 Meilen entlang menschenleerer, teils völlig unerschlossener Küsten, bewohnt von Grizzlys, phasenweise unpassierbar wegen extremer Gezeiten.

Liteboat XP steht für Abenteuer

An diesem „Race2Alaska“ (s. YACHT 17/15) hatte Bonnier bereits 2016 teil­genommen, damals mit einem stark modi­fizierten Ruderboot, das mittels zweier Schwimmer und eines kleinen Catriggs zum Tri mit Hilfsbesegelung mutierte. Sein Groß erwies sich auf dem langen Weg nach Norden jedoch als zu klein, sodass er – als Solist unterwegs –viel Zeit mit Rudern verbrachte. Und mit Nachdenken.

Denn irgendwann wurde es selbst ihm, dem Marathonmann, zu viel. In seinem Kopf sinnierte er bereits über einen neuen, noch besseren Untersatz – am besten für zwei Personen. „Abenteuer sind ja am schönsten, wenn man sie teilen kann“, befand der Franzose. Kaum daheim, machte er sich an die Arbeit. So entstand die Liteboat XP, ein Akronym für „Expedition“. Vielleicht ahnen Sie jetzt, warum wir diesem Text einen Warnhinweis vorangestellt haben.

Matthieu Bonnier ist in Sachen Bootsbau durchaus vom Fach, wenn auch ein Spät- und Quer­einsteiger. Ursprünglich studierte er Tiermedizin, arbeitete als Veterinärarzt mit eigener Praxis, gründete dann eine Kette von Tierfutterläden, die so erfolgreich lief, dass das deutsche Unternehmen Fressnapf einstieg. Nach einer Übergangsphase ließ sich Bonnier auszahlen und ging erst mal Rudern – über den Atlantik.

Die Passage bezeichnet er im Rückblick als „eine der schlimmsten Erfahrungen“ seines Sportlerlebens. Aber sie brachte ihn auf eine neue Geschäftsidee: Er wollte fortan Ruderboote bauen. Nicht irgendwelche, sondern besonders leichte, mit viel Stabilität durch breite Rümpfe, die auch weniger Geübten schnell Spaß vermitteln.

Liteboat XP mit dualem Nutzen

In Sam Manuard, der sich bereits mit Minis, Class 40s und Seascapes einen Namen gemacht hatte, fand er einen kongenialen Konstrukteur. Und dann ging es 2012 los mit Lite­boat, einer Werft, die inzwischen 280 Einheiten pro Jahr fertigt, hohe zweistellige Wachstumsraten schreibt – und seit 2018 auch Segelmodelle im Programm führt.

Natürlich ließ es sich der Chef nicht nehmen, seinen Segler standesgemäß zu er­proben – bei ebenjenem Race2Alaska. Was prompt gelang und ihm den Sonderpreis für das bestplatzierte kleine Boot bescherte, nebst der Erkenntnis, dass seine XP tatsächlich einiges abkann.

Sie ist, aus jedem Winkel, eine eigenwillige Kreation. Der Aufbau wölbt sich konvex übers Vorschiff wie bei einem 505er, die Rumpf-Deck-Verbindung erfolgt über einen breiten, leicht überstehenden Flansch. Harte Chines konturieren die Flanken bis fast zum Bug, dessen Steven leicht negativ verläuft. Die Plicht nimmt mehr als die Hälfte der Rumpflänge ein – eine flache Wanne, in der kaum etwas an ein Ruderboot erinnert. Denn Rollsitz und Fußstützen verschwinden im Segelbetrieb unter Deck. Nur die seitlich in der Plicht gelaschten Riemen verraten den dualen Nutzen des Bootes.

Expeditions-Jolle ist unsinkbar

Die Bauweise der Liteboat XP ist ausgesprochen hochwertig. Rumpf und Deck bestehen aus Schaumsandwich. Dabei werden die Glasfaser- und Kohlefasermatten sowie das Kernmaterial samt Spanten und Stringern in einem Arbeitsgang per Vakuumverfahren mit Harz getränkt. Das sorgt für einen leichten und festen Verbund. Nur wenige Werften arbeiten heutzutage so.

Der Carbonmast, der unverstagt in einer Halterung im Vordeck steckt, ist wasserdicht ausgeschäumt. So verhindert er – zusammen mit dem komplett aufholbaren Ballastschwert – das Durchkentern. Die XP bleibt vielmehr selbst dann stabil auf der Seite liegen, wenn eine Person an Bord ist, weshalb sie die CE-Kategorie C erfüllt – sie widersteht also bis zu 6 Beaufort Wind und zwei Meter hohen Wellen. Zudem ist sie wegen fest einlaminierter Auftriebskörper unsinkbar. Alles Eigenschaften, die angesichts ihrer Bestimmung für Langstreckenregatten im wilden Alaska nicht verwundern.

Wir konnten die Expeditions-Jolle im Rahmen der Tests für die Wahl von Europas Yacht des Jahres segeln, wo sie in der Kategorie nominiert ist, die auch diese Rubrik benennt: besondere Boote. Matthieu Bonnier ließ es sich nicht nehmen, seine Krea­tion in den westschwedischen Schären um die Bootsbauerinsel Orust vorzuführen – ein Revier, das nicht gerade als lieblich bekannt ist, wenn es im Skagerrak weht.

Zwei Tage lang musste sich die XP dort in einem breiten Windfenster beweisen: von 8 bis 12 Knoten bis über 20 Knoten. Das gelang ihr ausgezeichnet, ja schon fast erschreckend gut. Mit zwei Mann Besatzung ließ ihr Amwind-Potenzial bei Leichtwind zwar gelegentlich etwas zu wünschen übrig: Mehr als 4,5 Knoten Fahrt sind bei 2 bis 3 Beaufort an der Kreuz nicht drin. Da fehlt es ihr eindeutig an Segelfläche und an einer Fock.

Doch bei frischeren Bedingungen loggte sie bis zu 6 Knoten bei Wendewinkeln um die 90 Grad, was sehr achtbar ist. Fast noch erstaunlicher war, wie trocken sie dabei segelt. Dank ihrer geringen Verdrängung schwimmt sie wie ein Korken stets obenauf und nimmt kaum Wasser über.

Wechsel von Segelbetrieb zum Rudern

Raumschots kommt die Französin mit dem recht kleinen Gennaker schon früh ins Gleiten: 10 bis 12 Knoten Wind reichen, damit sie ihrer Heckwelle davoneilt. Das ist schon bei 6,5 bis 7 Knoten Fahrt der Fall, ein Moment, in dem es ganz leise wird auf der XP. Sie lässt sich aber auch bei weitaus mehr nicht aus der Ruhe bringen. Im Test erreichte sie ohne jede Nervosität bis zu 12,5 Knoten durchs Wasser – und distanzierte dabei weit sportivere und größere Boote.

Der Ruderdruck bleibt stets gering, die Bedienung kinderleicht. Am Wind gilt es sonst ja nur, die Großschot zu bedienen. Aber auch unter Gennaker ist das Cockpitlayout recht gut einhandtauglich. Ein Großbaum wird nicht vermisst – er würde ohnehin beim Rudern nur stören.

Apropos Rudern: Der Wechsel von Segelbetrieb zu Hilfsantrieb geht rasch vonstatten. Man kann das Groß im Zweifel sogar stehen lassen und muss lediglich die Carbon-Riemen in den Dollen auf den Seitendecks sichern, den Rollsitz in die einlaminierten Rezesse setzen und die Fußstützen in einer Vertiefung der Cockpitwanne arretieren. Das dauert weniger als eine Minute – schon kann es auch bei Flaute losgehen.

Camping auf der Liteboat XP

Ein leidlich geübter Ruderer mit normaler Kondition kann die Liteboat XP kurzfristig auf bis zu 4,5 Knoten treiben; über längere Strecken sind 3 Knoten Fahrt realistisch. Das ist nicht eben viel, aber angesichts der guten Segel­eigenschaften ausreichend – oft muss man nämlich gar nicht Hand anlegen.

Kann man auf dem Wolpertinger (oder Blutschink, Dilldapp, Elwetritsch, Hanghuhn oder Rasselbock) am Ende gar wohnen? Nun, ja und nein. Wohnen, dieser Begriff ginge etwas zu weit. Sagen wir besser: campen. Denn viel mehr als Stauraum fürs Gepäck (gar nicht so wenig) und eine Doppelkoje (2,10 Meter lang, 1,45 Meter breit, immerhin!) bietet die Konstruktion von Sam Manuard nicht. Für eine Wanderjolle ist das freilich sehr beachtlich, zumal sich der Lebensraum durch ein passendes Kuppelzelt noch deutlich vergrößern lässt.

Matthieu Bonnier, der Verrückte, hat aus einem Spleen heraus also ein ziemlich ge­niales Bötchen geschaffen. Es zu rudern ist gesund und umweltfreundlich. Unter Segeln eignet es sich ideal für Binnenreviere oder geschützte Küstenabschnitte. Abenteurer­typen können auch weit mehr damit anstellen, Stichwort: Alaska. Aber sagen Sie hinterher nicht, wir hätten Sie nicht gewarnt!

Technische Daten der Liteboat XP

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  • Konstrukteur: Sam Manuard
  • CE-Kategorie: C
  • Lüa (Rumpflänge): 5,99 m
  • Breite: 1,78 m
  • Tiefgang: 0,14/1,08 m
  • Gewicht: 165 kg
  • Segelfläche Groß/Gennaker: 9,8/11,0 m²
  • Segeltragezahl: 5,8
  • Händler Dtld.: www.liteboat.com/de/

Der Artikel erschien erstmalig 2018 und wurde für diese Onlineversion überarbeitet.

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