Viko S 35Modernes Fahrtenboot mit Möglichkeiten zum Aufrüsten

Fridtjof Gunkel

 · 26.09.2023

Aktuelle Formen, hohes Schanzkleid, ein ausgeprägtes Cockpit: Das Design von Sergio Lupoli ist sehenswert
Foto: YACHT/J. Kubica
Schon im Vorfeld sorgte die Viko S 35 2019 mit einem Knallerpreis für Aufsehen – im Test musste sie sich beweisen. Ist das Boot ein Bluff oder eine Alternative zum Establishment?

Mehr als ein Jahr zwischen Erstpräsentation und YACHT-Test ist eine ungewöhnlich große und sehr seltene Zeitspanne; üblicherweise erfolgen unsere Probefahrten sogar vor den Messeauftritten. In diesem Fall kam ein Brand in der polnischen Werft dazwischen – und eine gewisse Furcht des Managements vor schlechten Ergebnissen. Man wolle erst das wirklich serienreife Schiff präsentieren, hieß es.

Das stand uns nun gleich in doppelter Ausführung zur Verfügung: einmal frisch ausgeliefert und noch nicht final ausgestattet beim Händler Yachthandel Hamburg und eine weitere Ausgabe segelfertig in Eignerhand und überkomplett bestückt in der Ancora Marina im schleswig-holsteinischen Neustadt. Eine Viko S 35, und die ist sogar größer als die 10,7 Meter, die 35 Fuß bedeuten. Das Boot ist im Rumpf 10,88 Meter lang. Damit passen zum direkten Vergleich Typen wie die Elan 4 (10,60 Meter), die Bavaria 37 (10,90 Meter), die Sun Odyssey 389 (10,98 Meter) und die Hanse 388 (10,99 Meter).

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Die Konkurrenz

Was sie besonders macht

Merkmal Nummer eins zeigte sich bereits auf der Messe und mehr noch zu den beiden Lokalterminen beim Test: Die Neue sieht durchaus gefällig aus, bringt moderne, rassige Linien mit. Konstrukteur Sergio Lupoli schaffte es gar, dem Boot Individualität einzuhauchen: Tiefe Chines bis zum Mast, konkave Spantform im Heckbereich und eine erhöhte Fußreling als Fortführung der Freiborde, die schon als kleines Schanzkleid durchgehen, wirken eigenständig. Eine weitere Auffälligkeit ist das übergroße und recht tiefe Cockpit. Die Duchten sind 1,55 Meter lang, und sie liegen zwischen 1,15 und 1,43 Meter auseinander. Das macht eine Abstützmöglichkeit in der Mitte obligatorisch; sie ist denn durch einen recht kurzen Klapptisch auch gegeben.

Der kostet extra, und hier geht sie los, die lange Liste der nicht enthaltenen, aber ebenso sinnvollen wie wünschenswerten Optionen. Die Duchten liegen 40 Zentimeter über dem Cockpit­boden, das passt, aber das Süll ist über weitere 44 Zentimeter hoch. Da sitzt die Crew sehr geschützt und geradezu behütet einerseits, hat aber zum Verlassen des Cockpits einen größeren Höhenunterschied zu überwinden, und kleineren Mitseglern fällt gar das Kurbeln der Fallenwinden schwer.

Auch der Steuermann steht recht tief an den beiden 80-Zentimeter-Rädern, die mittlerweile in den Standardlieferumfang aufgenommen wurden. Deren Oberkanten ragen knapp 1,30 Meter über dem Cockpitboden auf. Das passt noch beim deutschen Durchschnittsmann und liegt dann etwa auf Brustbeinhöhe. Für die Durchschnittsfrau ist das Rad allerdings schon recht hoch. Wer etwas weiter außen steht, wo die Windfäden besser zu sehen sind, findet jedoch eine angenehme Arbeitsposition. Seitlich auf dem Süll sitzend, baumelt ein Bein in der Luft; hier wäre eine klappbare Stütze sinnvollerweise nachzurüsten.

Auffällig ist das Bemühen von Werft und Konstrukteur um eine ansprechende Gestaltung auch vermeintlich simpler Bauteile wie Sülls, Duchten oder Aufbau. Fasen und Kanten brechen große Formen und Flächen, das sieht gut aus und wirkt wertig. Die Knicke am Aufbauschott beidseits des Niedergangs jedoch verhindern das gemütliche Anlehnen, wie es dort gern praktiziert wird.

In Sachen Bedienung steht das Boot der Konkurrenz abgesehen von den hohen Fallenwinden kaum nach. 40er-Winschen, wahlweise von Lewmar oder Harken (Aufpreis), sind klassentypisch, eine Holepunktverstellung per Pinstop ist verschmerzbar, ein Traveller auf dem Cockpitboden willkommen. Mit 4:1 ist die werftseitige Großschot zu schwach, auf dem Testschiff war eine kräftigere Talje mit zwei Gängen installiert (Aufpreis).

Wie sie segelt

Die Optik gefällig, die Bedienung okay: Wie sieht es mit den Segeleigenschaften aus? Die Viko S 35 ist im Standard mit einem 13,5 Meter langen Mast ausgestattet, an dem rund 51 Quadratmeter Tuch gesetzt werden. Damit und mit dem Gewicht von 6,1 Tonnen ergibt sich eine Segeltragezahl von 3,9, was sehr niedrig ist. Die Einschätzung bestätigt sich bei wenig Wind. 5,5 Knoten und 90 Grad Wendewinkel bei 3 bis 4 Beaufort sind Werte, die das Boot als reine Fahrtenyacht ausweisen. Wird der Wind noch schwächer, sackt der Speed auf unter fünf Knoten, und das sich ansonsten recht neutral steuernde Boot tendiert zur Leegierigkeit.

Wie sie sich tunen lässt

Ganz anders auf raumen Kursen und etwas mehr Brise. Kaum abgefallen, sprintet das Boot gut los und vermittelt durchaus Segelspaß. Und der lässt sich auch schon bei weniger Wind haben. Zum einen sind die Standardsegel nicht flächenoptimiert, hier kann jeder Segelmacher noch ein paar Quadratmeter herausholen. Und für einen vergleichsweise kleinen Aufpreis erhält der Kunde einen 1,5 Meter längeren Mast sowie rund zwölf Quadratmeter größere Segel. Die Maßnahme boostet die Segeltragezahl auf immerhin 4,3 und ist sicher auch für Familiencrews empfehlenswert.

Tuning ist auch für den Motor ebenso möglich wie ratsam. Das Standardaggregat bringt 15 PS mit und liefert 13,6 PS Output. Das sind also nominell nur 2,5 PS pro Tonne, das wird bei kurzer Welle, viel Wind oder stärkerem Strom nicht ausreichen. Optional sind 30 PS möglich, ebenfalls von Yanmar. Dann sind 7 Knoten Marschfahrt drin, wobei die Geräuschentwicklung in Achterkabine und Plicht die Marke von 80 Dezibel(A) reißt, was als laut gilt. Der größere Motor katapultiert den Preis nach oben, der empfohlene dreiflügelige Faltprop addiert noch mal. Was in dem Kontext noch auffällig ist: Die Roll­reffanlage ist ebenfalls ein Extra.

Auch die Badeplattform ist nicht inkludiert, aber das ist sie bei einigen Großserienherstellern ebenfalls nicht. Der Bugspriet addiert sich ebenfalls.

Was sie innen auszeichnet

Das Interieur überrascht. Die Gestaltung ist recht simpel und offen, Rumpffenster und vier kleine sowie zwei große Decksluken (alles Serie) sind erfreulich. Der Ausbau erfolgt mit Holzimitat-beschichtetem Bootsbau­sperrholz, ein Materialmix, der als sehr haltbar gilt. Im Vergleich der beiden begutachteten Viko S 35 zeigten sich recht große Unterschiede im Holzfinish, das teils ziemlich grob wirkte.

Speziell ist die achtere Koje der Zwei­kabinenversion. Sie ist zwar groß, aber recht flach unter dem tiefen Cockpitboden und langt bis auf die Steuerbordseite, wo sich die Achterkabine nach oben unter dem Süll zu einem ungenutzten Raum öffnet. Der Schweizer Eigner hatte sich dort ein wasserdichtes Luk in die Ducht einbauen lassen und kann den Bereich so als zur Kabine hin offene Backskiste nutzen.

Der Stauraum ist groß, auch weil sich der Platz unter allen Kojen mehrheitlich nutzen lässt – die Tanks sind mit 145 Liter für Frisch­wasser (in einem Sack) und mit 65 Liter für den Motor recht klein dimensioniert. Ebenso die Stromkapazität: 60 Amperestunden fasst die einzige Batterie im Standard.

Alles in allem: Das Boot ist sehr spärlich ausgestattet. Zum Grundpreis kommen nötige Basics wie Kompass, Kühlschrank, Fäkalientank. Mit dem von der YACHT definierten Komfortpaket aus­gestattet (dabei sind dann Posten wie Teak im Cockpit, Instrumente, Autopilot, Land­anschluss, Warmwasser und Heizung), klettern die Anschaffungskosten erneut. Und Aufpreis kosten Dinge, welche die Konkurrenz meist schon mitbringt: Cockpittisch, stärkere Großschot, mehr Tuch, ein normal kräftiger Motor, Rollreffanlage und Badeklappe. Allerdings: Mit dem Boot kann man niedrig starten und dann sukzessive die Annehmlichkeiten nachrüsten.

Die Messwerte zum Test der Viko S 35

 | Darstellung: YACHT

Die Viko S 35 im Detail

 | Zeichnung: YACHT/ N. Campe | Zeichnung: YACHT/ N. Campe

Technische Daten der Viko S 35

  • Konstrukteur: Sergio Lupoli
  • CE-Entwurfskategorie: A/B
  • Rumpflänge: 10,88 m
  • Wasserlinienlänge: 10,00 m
  • Breite: 3,74 m
  • Tiefgang/alternativ: 1,95/1,60 m
  • Gewicht: 6,1 t
  • Ballast/-anteil: 2,0 t/33 %
  • Segelfläche: 51,45 m2
  • Maschine (Yanmar): 11 kW/15 PS

Rumpf- und Decks­bauweise

Handauflegeverfahren. Rumpf Voll­laminat, Deck Schaum-Sandwich. Schotten anlaminiert an Rumpf und Deck

Preis

  • Grundpreis ab Werft: 115.990 Euro inkl. MwSt
  • Garantie/gegen Osmose: 2/2 Jahre

Preise Stand 09/2023, wie die ausgewiesenen Preise definiert sind, finden Sie hier!

Werft

Viko Yachts, Polen

Vertrieb

Yachthandel Hamburg; www.yachthandel-hamburg.de

YACHT-Bewertung der Viko S 35

Die Viko S 35 wirkt heißer, als sie mit dem Standardrigg ist. Sie bietet ein sehr großes Cockpit, das jedoch die Achterkabine verkleinert. Der Grundpreis ist sehr günstig, die Ausstattung dann aber noch recht knapp

Konstruktion und Konzept

  • + Modernes, ansprechendes Design
  • + Günstiger Einstieg in die Klasse
  • + Zwei Rigggrößen
  • -/+ Cockpit sehr tief, aber groß

Segelleistung und Trimm

  • - Standardrigg knapp für Leichtwind

Wohnen und Ausbauqualität

  • + Große Kojen
  • + Viel Stauraum
  • - Holzarbeiten recht heterogen

Ausrüstung und Technik

  • + Durables Ausbaumaterial
  • - Kleine Maschine im Standard
  • - Kleine Tanks im Standard

Dieser Artikel erschien erstmals in YACHT 13/2020 und wurde für diese Online-Version überarbeitet.

Das Video zur Viko S 35 von 2020 unter Berücksichtigung des damals gültigen Einstiegspreises:


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