Sören Gehlhaus
· 17.05.2023
Schmal, flach, Löffelbug, Yachtheck, kein Seezaun und aus Holz gefertigt. Die Spirit 72 DH aus England ist ein Fest für die Sinne – und obendrein lässt sie sich mieten
Bewunderer klassischer Yachtformen können nicht anders, als mit dem Auge etwas länger auf „Anima II“ zu verweilen. Dabei bedient sich Spirits erste 72 DH eines geschickten Kniffs: Indem der 22 Meter lange Holzbau auf eine Reling verzichtet, wirken Freibord, Deckshaus und -sprung weitaus harmonischer zusammen als ohnehin schon. Für Yachten von Spirit ist das nichts Ungewöhnliches und bei Formaten unter 80 Fuß beinahe Standard.
Doch selbst die 30 Meter lange Spirit 100 „Gaia“ und das knapp vier Meter längere Flaggschiff „Geist“ zeigten sich nach Ablieferung und auf Regattabahnen ohne die zwar Sicherheit spendende, aber ästhetisch lästige Umzäunung. Und das ist selbstverständlich auch auf der Yacht des Chefs so, der Spirit 52 „Flight of Ufford“ von Sean McMillan. Der Gusto des Werftmitgründers und Hauskonstrukteurs stellt die Inszenierung der so wunderschön strakenden Linien über vieles, nicht aber über die exzellenten Segeleigenschaften. Nun gut, für lange Offshore-Passagen oder hohen Seegang sind auf „Anima II“ wie auf den übrigen Spirits – und damit anders als auf J-Class-Schmuckstücken – Relingfüße in das hohe und an sich bereits gut schützende Schanzkleid gearbeitet.
McMillan gründete Spirit Yachts 1993 mit Freunden in einem alten Kuhstall in der Grafschaft Suffolk und baut mittlerweile in modernen Hallen in Ipswich an der Ostküste des Vereinigten Königreichs.
Ihm kam nie der Gedanke, ein anderes Baumaterial als Holz zu verwenden:
Ich liebe Holz und hege einen Riesenrespekt für die Fähigkeiten des Materials und was man damit erschaffen kann.“
So bildeten die Grundfesten der 72 DH formverleimte Spanten aus Sapeli-Mahagoni, auf denen Planken aus Douglasfichte in Nut-und-Feder-Verbindung liegen. Als Furnier dienten zwei Lagen Khaya-Mahagoni von je drei Millimeter Stärke, die in einem Winkel von 45 Grad verlegt und durch Vakuuminfusion verklebt wurden.
Beim Laminieren kommt einzig das hochwertige und universelle Epoxidharz zum Einsatz. Nachdem der Schriftzug „Anima II“ sowie Schlange und Drache in Blattgold und per Pinsel auf den Spiegel appliziert worden waren, ummantelte Spirit den gesamten Rumpf mit zwei Lagen biaxialem Glas. Im gedrehten Zustand erhielt die Kielaufhängung Carbonverstärkungen und das Interieur Schotten aus zwölf und 18 Millimeter dickem Marinesperrholz.
Die 4,80 Meter schmale Holzkonstruktion verdrängt 26 Tonnen und damit so wenig wie eine deutlich voluminösere Baltic 67 aus Carbon. Dazu tragen Kohlefasermast und -baum von Hall Spars und das stehende Gut aus Nitronic Rod bei. Elektrische Winschen von Lewmar bewegen eine Segelgarderobe von OneSails aus Groß, Selbstwendefock, konventioneller Fock sowie Code Zero und einem asymmetrischen Spinnaker. „Anima II“ zieren, wie bei Spirit üblich, moderne Anhänge: ein schmales Kompositruder und ein zehn Tonnen schwerer L-Kiel, der 3,10 Meter tief reicht und den 14 Bolzen am Rumpf halten.
Das Deck bilden Douglasien-Stäbe, die in einem schmalen Achterschiff auslaufen, wo die Werft auf Wunsch Solarpaneele installiert. Darunter befinden sich Tendergarage und Kran. Ein Nachteil des ranken Risses: Das Beiboot will vor der Nutzung aufgepumpt werden, was sich freilich elektrisch unterstützt erledigen lässt.
Da das Deckshaus aus Sipo-Mahagoni merklich in Richtung Schanzkleid abfällt, fügt sich der Aufbau auch von achtern gesehen geschmeidig in die Linien ein. Die Draufsicht offenbart sieben Luken in unterschiedlicher Ausrichtung und zwei prägnante Oberlichter mit diagonalen Verstrebungen, die von oben an Herzmuscheln erinnern und unten lange Schatten werfen. Dem nicht genug, fällt davor über ein klassisches Skylight Licht ein. Sean McMillan weist auf ein wichtiges Detail hin: „Die 72 DH ist die erste Spirit mit Deckshaus ohne Sitz- und Navigationsbereich auf mittlerer Ebene, der das Cockpit mit dem Hauptinnenraum verbindet.“
Stattdessen geht es prompt in die Pantry mit luftiger Deckenhöhe und einem zentralen raumeinnehmenden Küchenblock, der zum Anlehnen, Mitkochen oder zur schnellen Snack-Einnahme einlädt. Die Ausstattung ist mit Induktionskochfeld, Geschirrspüler, Kühlschrank mit Gefrierfach und Mikrowelle komfortabel für Privat- und Chartergäste.
Letztere buchen ihren Mittelmeer-Törn auf „Anima II“ über Ocean Independence ab 25.000 Euro – die Woche. An der Navigation an Steuerbord vorbei führen zwei Stufen hinab in den Salon mit rechteckiger Sitzgruppe, die Spirit aber auch in Anlehnung an die kurvigen Innenräume von „Geist“ auf Kundenwunsch rund fertigt. Der Mahagoni-Tisch lässt sich ausziehen und zu einem zusätzlichen Bett absenken. Das eigene Designstudio setzte den Eignerwunsch nach einem hellen Interieur um. Natürlich gibt es dunkles Mahagoni auf Hochglanz lackiert, das aber konterkarieren Wandverkleidung, die schmale Deckentäfelung in Weiß sowie Drache- und Schlange-Intarsie unmittelbar unter dem Niedergang. Die Mastersuite befindet sich vor dem Salon, lässt aber noch Raum für die Kabine der zweiköpfigen Besatzung im Vorschiff, die durchgehend klimatisiert und über eine große Luke erreichbar ist. Ganz achtern sind zwei Gästedoppelkabinen untergebracht.
Sean McMillan beschreibt die Gestaltung so: „Die Eigner wollten einen moderneren Stil, also öffneten wir den Innenraum, um mehr natürliches Licht hereinzulassen und den Unterhaltungsbereich zu maximieren. Weiße, satinierte Paneele und LEDs ergänzen natürliche Hölzer, bleiben aber dem zeitgenössischen Briefing treu.“
Bei Spirit Yachts sind derzeit zwei weitere 72 DH im Bau. Immer läuft es nach dem gleichen Muster ab, verrät der Werftchef: „Jedes neue Projekt beginnt mit einem Pott Kaffee und einem weißen Blatt Papier.“ Der Spiritus Rector zeichnet ausschließlich per Hand und leitet diese Scribbles dann an seine Konstrukteure weiter, welche die ersten Ideen in technisch verwertbare Pläne übersetzen. Das Ergebnis der besonderen Zuwendung: Egal aus welcher Perspektive, die Linien einer Spirit sind immer eines – stimmig.
Spirit Yachts ist die einzige Manufaktur, die regelmäßig Yachten aus Holz in großem Format baut. Wobei das Werftprogramm durchaus auch handlichere Einheiten enthält. In der klassischen Programmreihe fertigen die Engländer von 30 bis 75 Fuß. Der jüngste Wurf ist ein stilistisch, technisch und auch preislich hochambitionierter Daysailer von 30 Fuß Länge.
Die Modelle der Cruiser-Racer-Linie mit dem Kürzel CR bieten etwas mehr Breite, Innenraumhöhe und Platz. Wie die meisten Yachten des Herstellers werden sie auch mit Elektroantrieben und Hydrogeneration angeboten, wobei jede Spirit mehr oder weniger ein Einzelbau ist, also sinnvolle Lösungen nach Eignerwunsch realisierbar sind. Die dritte Baureihe besteht aus einem Deckshausyachten-Trio in den Größen 63, 65 und eben 72 Fuß wie die „Anima II“. Superyachten in den Formaten 100 und 111 sowie Motorboote komplettieren die große Range.
Bekannt wurde die englische Werft durch zwei James-Bond-Filme mit Hauptdarsteller Daniel Craig: In „Casino Royale“ (2006) spielt eine Spirit 54 in Venedig, in „No Time to Die“ („Keine Zeit zu sterben“, 2021) eine Spirit 46 in Jamaika eine sehenswerte Nebenrolle.
Die Werftbezeichnung ergab sich aus dem Namen der ersten 37 Fuß langen Ablieferung und sollte keineswegs auf Geister verweisen oder Ausdruck von Spiritualität sein, sagt Sean Mc-Millan: „Es hatte ausschließlich mit der Menge an Whiskey zu tun, die wir meiner Meinung nach trinken mussten, um das Projekt durchzuziehen. Daher auch das Logo, das einem Destillierkolben nachempfunden ist.“ Im Englischen steht Spirit für hochprozentigen Alkohol.