“Polaris”Passage Maker konzipiert für den hohen Norden

Alexander Worms

 · 18.02.2024

Einzigartig: die „Polaris“ nah am Eis. Dafür wurde sie gebaut, hier fühlen sich Schiff und Crew wohl
Foto: M. Haferkamp/Hutting Yachts
Der Eigner wollte ein Schiff für ausgedehnte Törns ins Eis zu zweit. So entstand die “Polaris”: akribisch geplant, perfekt gebaut und mit durchdachten Lösungen. Das Resümee nach zwölf Jahren Touren

Es gibt sie, diese Einzelbauten, bei denen alles so zusammenkommt, wie es sein soll, schon wenn das Schiff entsteht. Ein Eigner, der genau weiß, was er will und der bereit ist, die erforderlichen Kompromisse einzugehen. Ein Konstrukteur, der sein Handwerk wie auch den Eigner versteht und das Erforderliche zu Papier bringt. Und schließlich eine Werft, die willens und fähig ist, dessen komplexen Wünsche tatsächlich perfekt umzusetzen.

Kommt all dies zusammen, dann passiert genau das, was der Auftraggeber Michael Haferkamp aus Hamburg simpel zusammenfasst: „Wir konnten unsere Reisen immer genießen, mussten eigentlich nie über die Technik oder das Schiff nachdenken.“ Und das freut dann wiederum Konstrukteur und Werft, wenn das Projekt, in das so viel Herzblut floss, in adäquater Art und Weise genutzt wird.

Genau das haben die Haferkamps gemacht: Sie haben das Schiff als Plattform für ihre Art zu reisen genutzt. Zwölf Jahre lang sind sie unterwegs. Spitzbergen stand dabei ebenso auf dem Törnplan der „Polaris“ wie die Karibik und Grönland. Dort wurde gleich mehrfach überwintert. Dabei hatten sie es nie eilig. „In diesen Revieren ist eine gute Planung und viel Zeit einfach wichtig. So vermeidet man unsichere Situationen“, weiß Haferkamp.

Konsequentes Konzept der ”Polaris”

Diese akribische Planung beginnt im Fall der „Polaris“ jedoch schon lange, bevor zum ersten Mal die Leinen losgeworfen werden. Schon immer dem Segeln zugetan, unternimmt die Familie Haferkamp seit ehedem längere Reisen auf Segelyachten, zuletzt auf einer Hallberg-Rassy 46, und sammelt dabei immer mehr Erfahrung. Irgendwann aber steht die eine ganz lange Reise an. Die Firma verkauft, soll es ohne Zeitdruck endlich dahin gehen, woran in normalen Sommertörns nie zu denken war – ins Eis.

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Dafür muss es dann ein konsequent auf eine Zweiercrew zugeschnittenes, solides, aber nicht allzu kompliziertes Schiff sein. Also machte sich Michael Haferkamp akribisch an die Planung seiner idealen Yacht: Bauweise, Material, Technik und Layout. Die Eckpunkte: „Isolierung, Heizung, gutes Ankergeschirr, einfache Bedienung, Redundanz und Platz für Kajaks, Ski und andere Outdoor-Ausrüstung.“ Das alles braucht viel Raum: die oftmals über zehn Zentimeter dicke Isolierung aus Armaflexplatten, die rie­sigen Tanks mit 2700 Liter Inhalt allein für den Kraftstoff für Maschine und Heizungen, der Ankerkasten mit 110 Meter Kette und zweimal 300 Meter Landleine auf Rollen. Trotz ihrer 17 Meter ist innen nicht viel mehr Raum als auf einem 45-Fußer.

Das passt aber ins Konzept: Tatsächlich verfügt die „Polaris“ neben dem Doppelbett in der Eignerkabine im Vorschiff lediglich über zwei weitere feste Kojen. Die befinden sich an Backbord neben dem unteren Navitisch, der eigens Kommunikationsaufgaben dient, in einer Lotsen- oder Skipperkabine. Für die Zweiercrew ist das vollkommen ausreichend.

Akribie auch im Detail

Der andere Kommandostand liegt übrigens weiter oben, dichter am Cockpit. Dort wird navigiert, dort befindet sich das Nervenzentrum des Schiffes, ideal für lange Strecken auf See. Zu allem an Bord kann Haferkamp seine Überlegungen wiedergeben, über alles wurde fast schon pedantisch nachgedacht. Die Landleinen im Anker­kasten etwa bestehen aus Dyneema. Die seien zwar teurer, aber so können sie dünner, leichter und viel länger sein. Dadurch lassen sie sich besser mit dem Dingi ausbringen.

Weitere Details: Das Schwert, das aus dem Langkiel abgelassen werden kann, wird hydraulisch bedient. Natürlich gibt es eine Handpumpe, falls die elektrische versagt. So weit, so normal. Allerdings gibt es zudem die Möglichkeit, das Schwert auch mittels Kettenzug einzufahren, wenn alle anderen Optionen versagen. Fast schon selbstverständlich: An der Stellung des Hydraulikzylinders lässt sich dank Markierungen auch ohne jede Technik erkennen, auf welcher Tiefe sich der bewegliche Anhang gerade befindet. Simpel und effektiv.

Überhaupt, die Beschriftungen. Alles, wirklich alles ist mit einem Label versehen. Das erklärt einfach und verständlich, wozu welcher Schalter oder Hebel dient und wie der in welchem Betriebszustand stehen muss. So werden Fehlbedienungen ausgeschlossen. Und wenn es mal schnell gehen muss, erspart man sich langes Suchen in Bedienungsanleitungen. Man habe „wenig Stress gehabt unterwegs. Auch deswegen“, versichert der Eigner. Ein weiteres Beispiel für die Akribie ist das Kraftstoffsystem. Aus den insgesamt vier Tanks, die im Schiff verteilt sind, gelangt der Diesel durch eine elektrische Pumpe in den Tagestank. Dabei wird der gefiltert und vom Wasser befreit. Die Pumpe wird über Sensoren gesteuert. Zusätzlich kann sie mittels Knopfdruck manuell in Gang gesetzt werden. Wenn das nicht mehr geht, gibt es noch eine Handpumpe, sodass immer sauberer Kraftstoff für Maschine und Heizungen zur Verfügung steht.

Fast so viel Akku­kapazität wie in einem Tesla

Heizungen? Ja, es gibt drei. Eine Warmwasserheizung mit Heizkörpern im ganzen Schiff, ein 3500-Watt-Warmluftgerät und ein Refleks-Ofen im Salon. „So konnten wir komfortabel überwintern, auch wenn es draußen minus 30 Grad Celsius waren. Drinnen waren es 22 plus“, so Haferkamp. Heißes Wasser bereitet entweder die Haupt­maschine oder die Warmwasserheizung.

Stichwort Hauptmaschine: Einen Generator gibt es nicht, Strom kommt hauptsächlich von einer zweiten Lichtmaschine und einem Windgenerator. Auf See hilft noch ein Schleppgenerator. Solarzellen? Fehlanzeige. „Die nutzen nicht viel, wenn es auch über Tag nicht hell wird“, weiß der Eigner.

„Wir brauchten aber auch nicht viel Strom. Der Refleks geht ganz ohne, Licht kam aus LEDs, und gekocht haben wir mit Petroleum.“ Die Batteriebänke sind dennoch enorm. Nach dem Refit 2019 stehen rund 5000 Amperestunden an Lithiumakkus im Schiff. „Das ist fast ein Tesla-Akku“, erklärt Tjerk Hutting. Er ist Chef der Werft in Makkum, die „Polaris“ seinerzeit gebaut und jetzt überholt hat. Der Perkins-Diesel muss also nicht nur für Vortrieb, sondern auch für Strom sorgen, besser also, er funktioniert immer zuverlässig.

Neben Kraftstoff benötigt er Kühlung. Die erledigt eine großflächige Aufdoppelung im Rumpf, die als Wärmetauscher dient. Dazu benötigt man nicht einmal eine Impellerpumpe, der äußere Seewasserkühlkreislauf entfällt ganz. Der Auspuff bleibt trocken, so kann Frost dem System nichts anhaben. Gleiches gilt für die Wellendichtung, auch dort ist eine simple Fettpackung die erste Wahl. Nur konsequent ist es da, dass auch der Propeller besonders robust daherkommt. Mit fast 60 Zentimetern im Durchmesser und festen Blättern kann ihm leichtes Eis nichts anhaben. „Drehflügellösungen erschienen uns zu fragil. Damit unter Segeln nichts mitdreht, haben wir eine Wellenbremse ähnlich einer Lkw-Ausführung verwendet. Die funktioniert üblicherweise mit Luft, die hier an Bord ist hydraulisch. Sie geht zu, wenn das Getriebe keinen Öldruck hat, der Motor also aus ist“, erklärt der Eigner.

Redundanz ist unerlässlich auf “Polaris”

Dass das Thema Redundanz einen hohen Stellenwert für ihn hat, zeigt sich auch daran, dass alle wesent­lichen Teile der Maschine ein weiteres Mal als Ersatzteil ein­geschweißt an Bord mitgeführt werden – bis hin zur kompletten Einspritzpumpe. In der Bilge wartet, ebenfalls eingeschweißt, neben mehreren hundert Kilogramm an Dingen, die sonst noch kaputt gehen könnten, eine Ankerwinsch auf ihren ersten Einsatz.

Im hohen Norden müsse man sich selbst helfen können; so etwas wie einen Seenotrettungsdienst wie von der DGzRS gibt es schlicht nicht. „Die haben einen Hubschrauber für ganz Grönland, da kannst du nicht auf Hilfe rechnen, wenn was schiefgeht.“ Und schließlich geht doch etwas schief. Das Schiff überwintert vermeintlich sicher im Hafen von Aasiaat an der Westküste Grönlands. In einem Sturm reißt sich die Stahlyacht eines französischen Einhandseglers los und treibt gegen die „Polaris“. Etwa mittschiffs entsteht an Steuerbord eine große Beule. Doch der Alurumpf tut, was er soll und bleibt dicht. Auch das Rigg kommt ohne Schaden davon. Kein Wunder: Der Rumpf besteht über der Wasserlinie aus 7 Millimeter dickem Sealium, darunter sind es sogar 8 Millimeter.

Sealium ist eine spezielle Aluminium­legierung, die sich gegenüber normalem Aluminium durch besondere Seewasser­beständigkeit und gleichzeitig höhere Festigkeit auszeichnet. Im Kielbereich ist der Rumpf gar 20 Millimeter stark. Bereiche wie rund um Ruder, Skeg und den Propeller sind noch einmal verstärkt. „Wir haben zwar keine Eisklasse, doch auch wenn größere Eisblöcke gegen den Rumpf stießen, haben die nie irgendwelche Spuren hinterlassen“, berichtet Haferkamp.

Apropos Spuren hinterlassen: Das Inte­rieur, so beteuert der Werftchef, sei beim Refit nicht angefasst worden – „alles noch original, wie es damals von der Werft kam. Nicht mal die Böden haben wir neu lackiert.“ Das ist verblüffend, denn die Nutzung inklusive Überwinterung an Bord war durchaus intensiv. Dem Schiff sieht man es nicht an.

Segeleigenschaften der “Polaris”

Wie segelt solch ein Trumm nun? 28 Tonnen und 140-am- Wind-Quadratmeter bedeuten eine Segeltragezahl von 3,9, das ist überschaubar. 10,8 Tonnen Ballast liegen innen im Rumpf. Der Langkieler sorgt für viel Widerstand unter Wasser. „Na ja, es ist ein Passage Maker“, erklärt Werftchef Hutting, als ob er sagen will, dass Segeleigen­schaften nicht die höchste Priorität hatten. Und vielleicht haben sie das auch nicht. Von einer Leeküste freikreuzen? Geht, auch dank des Schwertes, das bis zu 3,20 Meter absenkbar ist. Und ansonsten hat man es nicht eilig auf und mit der „Polaris“.

Die Zeit an Bord unter Segeln ist einfach angenehm, da spielt es keine Rolle, wenn eine Atlantikpassage einen oder zwei Tage länger dauert. Aufgrund der Wasserlinienlänge sind die Durchschnittsgeschwindigkeiten jedoch gut und Etmale von 200 Seemeilen möglich. Sei es im Deckssalon auf der Couch mit Rundumblick und Aussicht auf den Navitisch oder unter dem Dodger im Cockpit: Eine Wache lässt sich angenehm abarbeiten. Auch das Kochen gelingt in der großen zentralen Pantry vorzüglich; viel seegerechter kann man das nicht machen. Der WC-Raum gleich am Niedergang hilft ebenfalls, wenn es auf Wache mal drückt. Und die Koje im Vorschiff ist perfekt, um während der freien Zeit erholsam und fernab der Schiffsführung zu schlafen. Sollte es mal ganz holprig werden, steht die Lotsenkoje mittschiffs zur Verfügung.

Die Steuerung ist dabei sogar einiger­maßen direkt und mitteilsam, wenngleich für gewöhnlich der Segler nicht selbst Hand anlegt, sondern einen der beiden vonein­ander unabhängigen Autopiloten die Arbeit tun lässt. Auch beim Segelerlebnis stand konsequent die eigentliche Aufgabe des Schiffes im Vordergrund: komfortables und sicheres Reisen. Da muss das letzte bisschen Leichtwind-Performance hintanstehen.

Die Reisen der Familie Haferkamp in den hohen Norden sind vorbei. „Auch wenn ich vom Eis nie genug bekommen kann. Dort inmitten der Natur hatten wir einfach das Gefühl, angekommen zu sein. Diese Natur kann man nur schwer erzählen, das muss man erleben.“ Und das geht an Bord der „Polaris“ besonders gut. Sie wartet derzeit auf einen neuen Eigner und neue Abenteuer.

Technische Daten der “Polaris”

Sehr solide gebaut, Wandstärken bis 20 Millimeter im Kielbereich, Rumpf 7 bis 8, Deck 5. Die Spezial-Legierung Sea­lium ist besonders seewasserbeständig | Zeichnung: Hutting YachtsSehr solide gebaut, Wandstärken bis 20 Millimeter im Kielbereich, Rumpf 7 bis 8, Deck 5. Die Spezial-Legierung Sea­lium ist besonders seewasserbeständig | Zeichnung: Hutting Yachts
  • Rumpflänge: 17,20 m
  • Breite: 4,65 m
  • Tiefgang: 1,50–3,20 m
  • Verdrängung: 28,0 t
  • Segelfläche: 140,0 m²
  • Ballast: 10,8 t
  • Material: Aluminium/Sealium
  • Werft: Hutting Yachts Makkum
  • Konstrukteur: Dick Koopmans

Dieser Artikel erschien in YACHT-Ausgabe 20/2020 und wurde für die Onlineversion überarbeitet.


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