Fridtjof Gunkel
· 30.03.2024
Man mag es kaum glauben. Neu kostete sie zum Beginn ihres Lebenszyklus im Jahr 2005 rund 108.000 Euro, und heute ist sie für bis zu 130.000 Euro auf dem Markt. Teurer gebraucht als neu, das ist eine, wenn auch theoretische, weil Kaufkraftverlust und Preisschwankungen der Werften nicht berücksichtigende Entwicklung, wie sie üblicherweise nur wenigen Typen vorbehalten bleibt.
Unabhängig davon: Damals war das Boot tatsächlich gut – heute ist es das immer noch. 2005 markierte die Hanse 370 einen wichtigen Schritt der damals zweitgrößten deutschen Werft in die Moderne. Die neue Linie wirkte frischer, dynamischer und eigenständiger als die vorherige Generation. Die 370 fußte dabei auf der 371, und die war die erste eigenständige Entwicklung aus Greifswald; bis dahin hatte man lediglich ältere Formen anderer Hersteller genutzt.
Aber was kann die Hanse 370 aus der zweiten Produktgeneration heute, was hat Bestand, wo sind Defizite zu verzeichnen und schließlich: Wie gut und empfehlenswert ist die Hanse 370 als Gebrauchtboot?
Optisch kommt sie durchaus immer noch zeitgemäß daher mit ihrem recht breiten, flachen, halboffenen Heck, dem markanten Aufbau, einem hochmodernen Unterwasserschiff und dem hohen schlanken 9/10-Rigg. Was auf den ersten Blick mittlerweile anders ist: Bugsektionen sind heute fülliger, die Rümpfe gewinnen durch Chines noch weiter an Platz unter Deck, und Heckklappen vergrößern den Cockpitkomfort. Weitere achtern stehende Riggs ermöglichen größere Vorsegel, was besonders beim Einsatz einer Selbstwendefock sinnvoll ist. Doppelte Räder schaffen gute Sitzpositionen und erlauben die einfache Passage. Aber sind die Vorteile signifikant?
Zum Gebrauchtboottest steht uns die Baunummer 318 von Michael Wienecke aus Stöckte an ihrem Sommer-Heimathafen im dänischen Sønderborg zur Verfügung. Ein Exemplar, das ob seines herausragenden Pflegezustandes und seiner ebenso sauber ausgeführten wie schlauen Optimierungen die beste Hanse 370 unter der Sonne sein dürfte. Der ehemalige Messebauer hat das Schiff 2006 gekauft und inzwischen neu lackieren lassen. Die Oberflächen pflegt er akribisch und mit Hingabe („Das ist mein zweites Hobby“). Wo was kratzen, schamfilen oder scheuern kann, hat der Vielsegler, der mit seiner „fanta ... four“ bereits bis ins Mittelmeer vorgedrungen ist, schützende Kunststoffflächen oder Nirowinkel angebracht. In Stauräumen schaffen Gummimatten Schutz vor schwerem Gerät. Unter Deck hat Wienecke ungenutzte Stauräume zum Leben erweckt, eine ausziehbare Nespresso-Maschine eingebaut, die Polster erneuert und hält vor allem alles penibel sauber. Es ist eine wahre Augenweide.
Die „fanta ... four“ mag aufgrund ihrer besonders hohen Güte keine typische Hanse 370 mehr sein, taugt aber hervorragend als Beispielboot, um zu zeigen, wie gut ein gebrauchtes Exemplar sein oder in kundig-willigen Händen werden kann.
Als ob das Boot nicht genug Anlass zur Freude liefert, präsentiert sich die Sønderborger Bucht am Testtag von der besten Seite mit 14 bis 16 Knoten, Sonnenschein und hohen Temperaturen. 6,3 bis 6,5 Knoten und ein Wendewinkel von unter 90 Grad sind an der Kreuz drin, gute Werte, die sich bei homogenerer Welle leicht steigern lassen. Abgefallen klettert der Speed schnell auf Ende sieben Knoten. Zu verdanken sind die guten Ergebnisse auch den sauber stehenden, immerhin fünf Jahre alten Laminattüchern von Jan Segel in Großenbrode. Im Einsatz ist eine leicht überlappende Genua auf an Deck geschraubten Schienen, welche die Werft damals auch dann installierte, wenn der Kunde keine Genua geordert hatte.
Die Alternative ist eine Selbstwendefock, die jedoch unterhalb zehn Knoten wahrem Wind das Boot zum Schwächeln bringt und schon auf leicht geschrickten Kursen arg an Effizienz einbüßt. Das schlanke Segel öffnet dann oben, Barberholer sind hier ein gute Idee. Und generell eine möglichst reckarme Schot, da sie auf dem langen Weg vom Schothorn über die Schiene nach oben in den Mast und nach unten sowie retour ins Cockpit viele Meter zurücklegt und so schnell dehnen kann. Wer eine Selbstwendefock fährt, ist mit einem Laminat- oder Membransegel besonders gut beraten, sonst wird es kaum gelingen, das Achterliek zu beruhigen, trotz Vertikallatten.
Mit Genua ist die Hanse 370 ausgezeichnet unterwegs, die Reffgrenze liegt bei etwa 15 bis 16 Knoten wahrem Wind, ein ordentlicher Wert. Für guten Speed auf dem Testschiff sorgt auch der widerstandsarme Drehflügelprop, das externe Bugstrahlruder des Testschiffes wirkt dem positiven Effekt dann jedoch wieder entgegen.
Die Hanse 370 wendet zügig, nimmt Wellen sauber, und sie zu steuern ist ein Gedicht dank der schlupf- und spielfreien Kardananlage des Herstellers Jefa. Auf der „fanta ... four“ hat der Eigner mit einem 140 Zentimeter durchmessenden Kunststoffrad des Herstellers Carbonautica die maximal realisierbare Größe installiert. Die Maßnahme ermöglicht entspanntes Sitzen auf dem Cockpitsüll ohne lange Arme und gefühlvolles Steuern. Der Rudergänger findet gute Sitzpositionen vor der recht massiv wirkenden Radsäule und kann ungehindert und ermüdungsarm in die Vorsegelfäden und auf die Wellen gucken. Bei Bedarf nimmt er das große Rad zwischen die Beine und stützt sich mit dem vorderen an der Säule ab.
Die 1:6 untersetzte Großschot arbeitet auf einem Traveller im Cockpit, das war damals ein Extra und ist die richtige Wahl für Einhandtauglichkeit und Effizienz. Die Achterstagtalje wird per 1:16-Talje komfortabel bedient. Durch die optionalen größeren 46er-Winschen geht die Bedienung der Genuaschoten leicht von der Hand. Alles fein, nur leinenverstellbare Holepunkte würde man sich wünschen, kann diese aber recht einfach nachrüsten. Was noch auffällt, ist das gegenüber moderneren Konstruktionen recht kleine Cockpit mit 1,60 Meter langen Duchten.
Motoren kann sie auch: Mit Vollgas kommt die Hanse auf 7,3 Knoten, in Marschfahrt sind es knapp sechs. Die Geräuschentwicklung hält sich dabei in erträglichen Grenzen. 76 Dezibel (A) sind es in der Achterkabine, 70 im Salon. Das Boot ist ebenfalls mit einem größeren 40 PS starken Aggregat von Yanmar zu haben gewesen.
Angenehm sind auch die weiteren Eindrücke unter Deck: Das optionale Ausbauholz aus Kirsche ist recht spärlich eingesetzt, weiße Flächen dominieren, das war damals ein neuer Stil im Serienbau, der heute Usus ist. Auf dem Testboot ist eine gewisse Verfärbung des Holzes vom rötlichen in einen leicht gelblichen Farbton sichtbar. Der Salontisch wurde auf frühen Baunummern nur am Boden festgespaxt und konnte losgerissen werden, ein Punkt, den Interessenten kontrollieren sollten. Ebenso die Bilge. In einigen Baunummern wurde etwas unsauber laminiert, was sich in scharfkantigen Laminatüberständen und einzelnen freistehenden Fasern zeigte. Auch gibt es zuweilen unschöne Stellen durch nicht entfernten Kleber und andere Rückstände. Nicht, dass sich da viel tun ließe außer einer Behandlung mit Schleifpapier und Topcoat, wenn man diese optische Unzulänglichkeit unter den Bodenbrettern als Makel empfindet.
Unser Testboot zeigt sich dagegen von seiner besten Seite. Die Bodenbretter geben keinen Mucks von sich, Meister Wienecke hat Moosgummi verlegt und gut geschraubt, sehr angenehm. Zur Wahl standen ihm als Erstkäufer ein Sofa oder eine Dinette. Der gewählte, immerhin 60 mal 70 Zentimeter große Zweittisch dient als Büro und Navigationsecke. Statt zweier Kabinen im Heck gibt es nur eine und dafür eine riesige Backskiste, die sich durch eine kleine Tür auch über die Pantry erreichen lässt. Dadurch taugt sie auch als direkt zugänglicher Stauraum. Die Backskiste hat derart viel Volumen, dass sie unterteilt werden sollte. Selbst eine Notkoje ließe sich dort installieren.
Die Pantryzeile fällt in der Version mit nur einer Kabine im Heck länger aus, die Küche hat Gardemaß mit mehr Arbeitsfläche, Stau- und Stehraum als der Dreikabiner. Ganze 2,30 Meter misst der lange Schenkel der L-förmigen Pantry, die sich über die Aufbaufenster und natürlich das Mittelluk und den Niedergang lüften lässt. Alle Fenster in den Kajütdachseiten sind aufstellbar, ein echtes Plus für gute Querbelüftung, auf das viele Werften leider verzichten. Schön auch: Der Ofenkocher kann für übliche Krängungswinkel weit genug in beide Richtungen schwenken und lässt sich mit einem Segment der Arbeitsfläche abdecken. Der von Hanse und Isotherm entwickelte Kühlschrank kann von oben und von der Seite geöffnet werden. Der Kompressor ist jedoch schlecht erreichbar und bekommt etwas wenig Luft, natürlich hat unser Optimierer einen Luftkanal in den Salon verlegt. Was noch fehlt, ist der obligatorische Spritzschutz zum Salonsofa, der sich jedoch einfach nachrüsten lässt.
Auf der Höhe der Zeit ist die Hanse 370 mit ihren Platzverhältnissen und Ergonomiemaßen, was sich in den Stehhöhen, den Kabinengrößen, in den Kojenmaßen und besonders in der recht großzügigen Nasszelle zeigt. Die Dusche ist komplett separierbar, das war 2005 beileibe nicht selbstverständlich.
Die Hanse 370 wurde auch in Epoxidharz laminiert angeboten, das kostete damals 6.844 Euro Aufpreis und stand neben Osmoseresistenz für mehr Festigkeit und eine bessere Verklebung. Ein entsprechend laminiertes Gebrauchtboot ist also der Theorie nach höherwertig einzustufen.
Es gibt diverse weitere spezifische Punkte, auf die ein Kaufinteressent achten sollte: Die Erstausstattungen einiger Warengruppen waren von recht einfacher Qualität und zielten nicht auf lange Haltbarkeit oder Qualität. Die Polster, Matratzen und die Schläuche des Fäkaliensystems sollte der Voreigner bereits ausgewechselt haben, andernfalls müsste das zur Senkung des Kaufpreises beitragen können. Die Segel sollten nicht älter als fünf Jahre sein. Sprayhoods, Kuchenbuden und Persenninge dagegen dürften mindestens zehn Jahre halten. Von Eignern früher Baunummern ist weiterhin zu hören, dass die eine Zeit lang verwendeten Simrad-Displays zu Undichtigkeiten neigten und der Autopilot schon mal quietschen konnte.
Ansonsten sind für einen Gebrauchtbootkäufer die typischen Themen wichtig. Der Motor sollte regelmäßig und nach Herstellervorgabe gewartet, die Saildrivemanschette nach etwa zehn Jahren getauscht worden sein. Eine Probefahrt ist generell angeraten, ebenso eine Inspektion an Land. Rund 600-mal ist die Hanse 370 gebaut worden, entsprechend oft ist sie im Gebrauchtbootmarkt zu finden. Mit der bis 2016 gebauten Hanse 375 ist ein vergleichbarer Typ zu finden. Die Unterschiede liegen im Wesentlichen im Cockpit, im Heck und in einer moderneren Fensterlinie.
Die Hanse 370 wird üblicherweise für 80.000 bis 130.000 Euro angeboten. Günstige Exemplare liegen meist im Mittelmeer oder kommen vereinzelt aus Charterbeständen, wo das Schiff deutlich seltener anzutreffen gewesen ist als vergleichbare Yachten der anderen Großserienhersteller Beneteau, Jeanneau oder Bavaria.
Alles in allem: Das Boot segelt gut, lässt sich mit Genua oder auch Code Zero in den Leichtwettereigenschaften effektiv aufwerten und ist eine Freude zu steuern. Die Substanz macht einen wertigen und belastbaren Eindruck, Finish und Installationen gehen ebenfalls in Ordnung. Durch Pflege und Pfiff wird die Hanse 370 zu einem langlebigen GFK-Klassiker. Mit diversen konstruktiven und gestalterischen Merkmalen war die Hanse 370 ihrer Zeit voraus. Und deswegen wirkt sie heute nicht veraltet, sondern angekommen.
Handauflegeverfahren. Rumpf Sandwich oberhalb der Wasserlinie, Balsaholz-Kern. Bodengruppe aus GFK. Deck Balsa-Sandwich. Schotten anlaminiert. Deck-Rumpf-Verbindung geklebt und geschraubt. Erste Modelle mit Epoxidharz laminiert
Die Hanse 370 lief zwischen 2005 und 2010 vom Band. Derivat mit demselben Rumpf gebaut von 2010 bis 2016 (Hanse 375)
Die optionalen Genuaschienen können das Deck zumindest an Steuerbord heben, dort sollte ein Unterzug installiert sein. Auf einigen Modellen tauchten Undichtigkeiten auf. Ansonsten die üblichen Bereiche prüfen: Gelcoat, Teakdeck, Deck-Rumpf-Verbindung (insbesondere am Spiegel), Haarrisse an Deck. Undichte Beschläge sind kritisch fürs Sandwichdeck mit Balsakern
Hanseyachts, Greifswald
Die Hanse 370 ist immer noch ein modernes, gut segelndes und komfortables Schiff. Ein echter Tipp für Gebrauchtbootkäufer. Die marktübliche Preisspanne ist angemessen