Hauke Schmidt
· 06.03.2025
Für viele ist sie die schönste der von Olle Enderlein gezeichneten Hallberg-Rassys. In der Tat sind die Linien der 1982 vorgestellten Hallberg-Rassy 29 ausgesprochen gefällig. Dazu ein flacher Aufbau, breite, teakbelegte Laufdecks und ein schieres Vorschiff. Keine Frage, die 29er hat Klasse.
Die Konstruktion des Rumpfes mit gemäßigtem Langkiel und skeggeschütztem Ruder war schon in damaliger Zeit als eher konventionell einzustufen. Das Rigg unterscheidet die kleine Hallberg-Rassy 29 deutlich von ihren Geschwistern: Statt einer Topptakelung entschieden sich Werftgründer und Mit-Konstrukteur Christoph Rassy sowie Enderlein für ein damals auf Fahrtenyachten ungewohntes 7/8-Rigg. Dank der gepfeilten Salinge kommt es ohne Backstagen aus.
Die knapp vier Tonnen verdrängende Hallberg-Rassy 29 ist nicht unbedingt als sportlich zu bezeichnen. Die Takelung aber passt ausgesprochen gut zum Boot und erspart den Umgang mit allzu großen und unhandlichen Genuas. Stattdessen lässt sich die Tuchfläche wirkungsvoll über die Reffstufen des Großsegels anpassen.
So weit das denn nötig ist, denn wie die äußere Erscheinung schon andeutet, segelt die Hallberg-Rassy 29 ausgesprochen gutmütig. Die geringe Breite von deutlich unter drei Metern lässt sie zwar ein wenig rank erscheinen, ab 25 bis 30 Grad Lage liegt sie aber sehr steif im Wasser und steckt auch kräftige Drücker problemlos weg. Beim Probeschlag des zum Testzeitpunkt 28 Jahre alten Bootes wehten 5 bis 6 Beaufort, trotzdem konnte die Hallberg-Rassy 29 am Wind das volle Groß und die Genua II ohne allzu viel Ruderdruck tragen. Dabei segelt es sich herrlich entspannt. Das schlanke, tief geschnittene Vorschiff läuft angenehm durch die steile Ostseewelle, und die Crew sitzt sehr geschützt. Auch wenn die Originalwinschen nicht selbstholend sind, wurden sie wie die übrigen Beschläge richtig dimensioniert und sind gut zu bedienen. Ab 1984 wurde zudem das Cockpitsüll leicht verändert und der Einlaufwinkel der Genuaschot optimiert.
Wenn sich die kleine Hallberg-Rassy 29 bei Wind und Welle auch als souverän erweist, ist doch klar: Ein Flautenläufer ist sie nicht. Unterhalb von 4 Beaufort wird sie schnell träge und der Drang der Hand Richtung Zündschlüssel des Volvos immer ausgeprägter. Immerhin schiebt der Jockel bei Bedarf kräftig und durch gute Schallisolation und Saildrive-Antrieb auch angenehm leise. Bis 1984 wurde ein MD7B mit 18 PS und Einkreiskühlung verbaut, neuere Modelle bekamen das Nachfolgemodell 2002 eingepflanzt.
Die anfangs optionale Zweikreiskühlung gehörte später zur Grundausstattung. In den letzten Baunummern der Hallberg-Rassy 29, ab 1993, sorgt der 29-PS-Dreizylinder MD2020 für Vortrieb. Während das Manövrierverhalten im Vorwärtsgang trotz gemäßigtem Kiel und Skeg gut ist, hat das Unterwasserschiff bei Rückwärtsfahrt seine Tücken. Um zielgenau achteraus zu dampfen, bedarf es etwas Übung.
Den Ausbau der Hallberg-Rassy 29 gab es in zwei Varianten. Am verbreitetsten ist die Version mit vier auf Vorschiff und Salon verteilten Kojen, einer Seekartenablage an Steuerbord und drei geräumigen Backskisten. Es gibt aber auch Hallberg-Rassy 29 mit zusätzlicher Hundekoje an Steuerbord. Für den fünften Schlafplatz muss man allerdings auf eine Backskiste verzichten. Zudem liegt die Koje aufgrund der benötigten Schulterbreite fast auf dem Niveau der Pantry-Arbeitsfläche.
Gekocht wird an Backbord neben dem Niedergang, serienmäßig auf einem Zweiflammenherd mit Backofen. Die ursprünglich im Ankerkasten der Hallberg-Rassy 29 gestaute Gasflasche wurde aber inzwischen von vielen Eignern in einen Behälter achtern verlegt.
Die relativ dunkle Mahagoni-Atmosphäre des Bootes mag nicht nach jedermanns Geschmack sein, lässt sich aber mit einem helleren Polsterstoff gut auflockern, zumal durch die Seitenfenster genügend Licht nach unten dringt.
Insgesamt wirkt der Ausbau der Hallberg-Rassy 29 gediegen, und es wird schnell klar, wie der gute Ruf von Hallberg-Rassy entstanden ist. Die Holzverarbeitung ist vorbildlich, sämtliche Beschläge und Bauteile sind ungemein massiv – auch wenn die Lackierungen der ersten Baujahre aus heutiger Sicht nicht ganz optimal ausfallen.
Verblüffend ist, wie viel gut nutzbarer Stau- und Wohnraum sich in der schlanken Hallberg-Rassy 29 versteckt. Ob in der Pantry, im Salon, im Bad oder unter der Vorschiffskoje, überall gibt es Schubladen und Schapps.
Ähnlich solide wie der Innenausbau ist die Qualität der Kunststoffverarbeitung, den Rumpf der Hallberg-Rassy 29 haben die Schweden im Spritzverfahren mit zusätzlichen Mattenverstärkungen gefertigt. Da sie eher zu viel als zu wenig Material verwendeten, sind keine Festigkeitsprobleme zu befürchten. Der Eisenballast des Kiels ist vollständig einlaminiert und daher vor Korrosion geschützt. Das Deck besteht ebenfalls aus Spritzlaminat, hat aber einen Kern aus PVC-Schaum, somit sind auch hier kaum Schäden zu erwarten. Selbst wenn das trocken aufgeschraubte Teakdeck lecken sollte, kann sich die Feuchtigkeit nicht im Sandwich ausbreiten.
Einzig am Gelcoat nagt der Zahn der Zeit. Viele Rümpfe sind stark ausgekreidet oder wurden wie unser Testboot bereits lackiert.
Neben dem Allgemeinzustand sind der Motortyp und sein Alter die Hauptgründe für Preisunterschiede. Wirklich günstig sind sie nie. Die Angebote schwanken je nach Baujahr zwischen knapp unter 40.000 Euro bis knapp unter 50.000 Euro.
Ob das Geld gut angelegt ist, liegt natürlich in den Vorlieben des Eigners. Wer aber ein solides Sorglos-Fahrtenboot sucht, sollte die HR in die engere Wahl einbeziehen. Immerhin besteht die Chance, dass der Wiederverkaufswert weiterhin hoch bleibt, womit die HR neben dem Segelvergnügen zur Geldanlage wird.
Selbst bei den besten Konstruktionen zeigt sich nach Jahrzehnten Verschleiß. Wie gut die Schwedin dem Verfall trotzt, verwundert aber schon. Im Grunde gibt es nur eine typische Schwachstelle: Spiel im unteren Ruderlager am Skeg. Dadurch entstehen keine Festigkeitsprobleme, das Geklapper nervt aber beim Segeln.
Natürlich treten alterstypische Probleme wie beschädigte Teakdeckfugen oder herausfallende Pfropfen auch bei der HR auf. Immerhin verhindert der PVC-Schaumkern eine Beschädigung des Deckslaminates, und die Materialstärke des Teaks erlaubt meist eine Überholung.
Schwieriger sieht es bei der Einbaumaschine aus. Die einkreisgekühlten Versionen des MD7B, die anfangs verbaut wurden, sind oft am Ende ihrer Lebensdauer angelangt. Wer sich für eine HR mit dieser Motorisierung interessiert, sollte auf jeden Fall einen Fachmann zu Rate ziehen und den Zylinderkopf demontieren lassen. Nur so lässt sich sicher klären, ob die Maschine noch einmal instandgesetzt werden kann oder ob ein Austausch nötig ist.
Das souveräne Seeverhalten lässt die HR 29 wie eine größere Yacht erscheinen. Der Gebrauchtpreis ist hoch, er relativiert sich aber durch solide Substanz und den Wiederverkaufswert
Stand 05/2024
Dieser Gebrauchtboottest wurde erstmals in YACHT 23/2011 veröffentlicht und für diese Online-Version aktualisiert.