ForschungsyachtenKlimaschützer unter Segeln

Marc Bielefeld

 · 04.01.2024

Forschungsyachten: Klimaschützer unter SegelnFoto: Marc Bielefeld
Die „Waya Waya“ von Manuel Marinelli ist ein segelndes Labor für Biologen und Meeres­schützer. Ihr Einsatzgebiet: das Mittelmeer
Vermehrt nutzen Forscher und Aktivisten Yachten, um den Planeten vor dem Kollaps zu bewahren. Sie fischen Müll aus dem Meer, kämpfen fürs Seegras, sensibilisieren die Jugend für unsere Umwelt, sammeln Daten für die Wissenschaft: Wir stellen Projekte mit Vorbildcharakter vor

Ein gelbes Segelschiff liegt in der Eckernförder Bucht, an Bord sind Taucher, Chemiker und Skipper Frank Schweikert. Zum Segeln sind sie nicht hier. Die Besatzung ist auf der Suche nach Bomben, Torpedos und Granaten aus dem Zweiten Weltkrieg. Zwei Taucher und der Unterwasserroboter „Findus“ gehen ins Wasser. Sie wollen Proben nehmen, den Meeresboden scannen und sprengstofftypische Verbindungen nachweisen. In vielen Gebieten der Ostsee rosten Minen und Munition vor sich hin, deren Giftstoffe die Ökosysteme belasten.

Die Ausrüstung der „Aldebaran“ ist beachtlich. An Bord sind Echografen, Hydrofone, Mikroskope. Dazu Bodengreifer, Metalldetektoren und Multimeter, um Sauerstoff- und Salzgehalt, pH-Werte und Leitfähigkeit des Wassers zu messen. Kurz, die Ovni 43 ist ein segelndes Labor. Eine Forschungsstation unter weißen Tüchern. Einsatzgebiet: weltweit zwischen Ostsee und Karibik. Meistbefahrene Reviere: die flachen Küstengewässer Deutschlands und Europas. Mission: die Wissenschaft unterstützen, das Meer zu schützen.

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Seit 32 Jahren segelt die „Aldebaran“ bereits über die Meere. Über 100.000 Seemeilen hat sie zurückgelegt und auf ihren Reisen mehr als 500 Projekte unterstützt. Die Munitionsfahrten in der Ostsee sind nur ein Thema. Klimaforschung, Meeresmüll, Artensterben: Zahllose Wissenschaftler weilten schon an Bord, um Studien durchzuführen und ihre Feldforschung voranzutreiben. Sie kamen von Universitäten aus Greifswald bis Hamburg, Bayreuth bis München, dazu Gran Canaria und Übersee.

Der Skipper Frank Schweikert ist selbst Biologe. Zu seinem Team gehören Techniker, Kameraleute, Meeresökologen und -biologen. Anfang der neunziger Jahre war die „Aldebaran“ eine der ersten Segelyachten, die im Namen der Forschung aufbrachen. Damals kam dies einer Pioniertat gleich. Initiator Schweikert erinnert sich: „Während meines Biologiestudiums wurde mir klar, wie wenig erforscht die Meere in Wirklichkeit noch immer waren, vor allem in den Flachwasserbereichen.“ Mit seiner „Aldebaran“ wollte er darum eine Plattform schaffen, um neues Wissen zu generieren.

„Aldebaran“ – das gelbe Medienschiff von der Elbe

Die „Aldebaran“ ist hierzulande eines der segelnden Forschungsschiffe der ersten Stunde
Foto: Aldebaran

So unterschiedlich die Projekte auch sind, verfolgen sie doch alle dasselbe Ziel: die Rettung unseres Planeten

Schweikert segelte damals für erste Umweltexpeditionen über die Ostsee, von Kiel bis zur polnischen Grenze. Es ging um den Hering, um ein erstes Monitoring der Seegraswiesen, insbesondere an der Küste Mecklenburg-Vorpommerns. Danach folgte Projekt auf Projekt. Doch einfach war das nie. Schweikert: „Die Reisen fanden im Schatten des öffentlichen Forschungsbetriebs statt, dessen Gelder selten bei uns ankamen.“ Und das sei immer noch so – wobei ein Umdenken dringend gefragt ist. „Heute sehen wir explosionsartige Veränderungen in den Meeren“, sagt Schweikert. „Besonders die Erwärmung hat schlagartig sensationelle Ausmaße angenommen, sie liegt deutlich über allen Prognosen.“

Und tatsächlich, nun tut sich endlich etwas. In Zeiten des Klimawandels stehen Segelschiffe nämlich noch einmal in einem ganz anderen Licht da. Sie punkten nicht nur mit ihrem Image, sondern auch beim Thema Emissionshaushalt. Meeresforschung mit minimalem CO2-Fußabdruck, da können andere Fahrzeuge nicht mithalten. Alles blue, alles green, alles sauber. An diesem richtungsweisenden Dreiklang muss es liegen, dass das Beispiel der „Aldebaran“ in den letzten Jahren Schule gemacht hat. So kreuzen unter dem Motto „Sailing & Science“ derzeit immer mehr Segelschiffe über die Meere, um zahllose Projekte zu unterstützen.

Crews laufen mit Schiffen aus, um Wale und Delphine zu retten, um Müll zu sammeln oder bedrohte Habitate zu kartografieren. Andere kümmern sich um Meeresschildkröten, dokumentieren das Schwinden des Eises oder fangen in entlegenen Seegebieten Plankton und Mikroplastik ein. Die Aufgaben sind vielschichtig, das übergeordnete Ziel ist meist dasselbe: Herausfinden, wie schlimm es um unseren Planeten bestellt ist. Zusammenhänge besser begreifen. Und vor allem, nach Lösungen zu suchen, wie man gegensteuern könnte.

Vor zehn Jahren entwickelte beispielsweise die Firma SubCTec in Kiel zusammen mit dem französischen Wetterdienst das „Ocean Pack“ und erprobte es an Bord der „Aldebaran“. Ein Gerät, das Meeres- und Wetterdaten sammelt und gezielt auf Yachten einsetzbar ist. „Heute zählt jede Forschungsplattform, die wir im Ozean kriegen können“, sagt Schweikert. „Denn im Verhältnis zu dem, was die Meere für unsere Zukunft auf dem Planeten bedeuten, wissen wir noch immer nur einen Bruchteil.“

Die „Eugen Seibold“ – Hochsee-Labor des Max-Planck-Instituts

Die Konstruktion des Italieners Lorenzo Argento ist knapp 22 Meter lang, sechs Meter breit und wiegt 44 Tonnen
Foto: YACHT/M. Amme

Wie viele schwimmende NGOs und segelnde Meeresschützer heute auf eigenem Kiel unterwegs sind und dem entgegenwirken, ist schwer zu sagen. Allein in europäischen Gewässern sind es Dutzende. Inzwischen gibt es Internetportale, wo viele der Projekte gelistet sind, um einen Überblick zu erlangen. Mit dabei: die 24 Meter lange „Eugen Seibold“ des Max-Planck-Instituts, eine Hochseeyacht, die für die Meeres- und Klimaforschung die Segel setzt. Mannschaft und wechselnde Wissenschaftler an Bord analysieren Wasser-, Plankton- und Luftproben – segelnd und kontaminationsfrei.

Das Ziel ist es, die Wechselwirkungen zwischen Ozean und Atmosphäre besser zu verstehen: Welche Rolle spielen die oberen 1.000 Meter der Meeresschichten für das Klima? Hinzu kommt die Kalibrierung paläoozeanografischer Archive sowie der Versuch, chemische und biologische Abbauprozesse in den Meeren besser zu begreifen. Entsprechend sieht die „Eugen Seibold“ aus: Das halbe Schiff ist mit Mikroskopen, Aquarien und Messgeräten bestückt, samt Reinraum, Feuchtraum und bordeigenem Atmosphärenlabor.

Die “Witness” von Greenpeace

Große Umweltschutzorganisationen setzen ebenfalls unter anderem auf Segelschiffe. Im September 2021 ließ Greenpeace das kleinste Schiff seiner Flotte vom Stapel, die 22,5 Meter lange „Witness“. Das Boot ist polartauglich, kann zudem Kiel und Ruder einziehen, um Flussufer und flachere Gewässer zu erreichen.

Die internationale Umweltschutzorganisation Greenpeace kann nicht nur auf ihre berühmte „Rainbow Warrior“ zurückgreifen. Seit 2021 steht ihr auch eine 22-Meter-Segelyacht zur VerfügungFoto: Credit: Jani-Markus Hasa/Alamy Stock PhotoDie internationale Umweltschutzorganisation Greenpeace kann nicht nur auf ihre berühmte „Rainbow Warrior“ zurückgreifen. Seit 2021 steht ihr auch eine 22-Meter-Segelyacht zur Verfügung

Der Name der Yacht ist Programm: Die „Zeugin“ will schwer schiffbare Orte der Welt ansteuern, um auch dort Umweltsünden aufzudecken – Überfischung und Verschmutzung durch Plastik, Öl und Gas. Obendrein ist die Yacht mit Solarzellen und Windgeneratoren ausgestattet, die Crew lebt quasi autark an Bord.

Die “Blue Panda” des WWF

Auch der WWF segelt inzwischen. Die 26-Meter-Ketsch „Blue Panda“ kreuzt vor allem durchs Mittelmeer von Schutzgebiet zu Schutzgebiet. Die Ziele sind ambitioniert: Daten sammeln, Umweltschutz und Tourismus unter einen Hut bekommen, invasive Arten zurückdrängen, dazu Lebensräume in der Tiefsee erforschen und Korallenriffe von Geisternetzen befreien.

Tiefseelebensräume und -arten im Mittelmeer erforschen sowie für Schutzprojekte bei den Menschen vor Ort werben, dafür nutzen die Tierschützer ihren blauen Seebären | WWFTiefseelebensräume und -arten im Mittelmeer erforschen sowie für Schutzprojekte bei den Menschen vor Ort werben, dafür nutzen die Tierschützer ihren blauen Seebären | WWF

Die „Blue Panda“ kreuzt zudem als segelnde Botschafterin zwischen Alboránsee und Bosporus. Laut WWF sind knapp zehn Prozent des Mittelmeers als Schutzgebiete ausgewiesen, doch nur ein winziger Bruchteil davon wird angeblich wirklich effektiv geschützt. Wie die anderen Forschungsyachten trägt der WWF-Zweimaster darum vor allem einen dringenden Appell in die Welt: „Leute, bitte mitmachen, bitte umdenken!“

Keineswegs aber sind es nur bekannte Institute und international agierende Organisationen, die vermehrt Segelyachten für ihre Zwecke auf Reisen schicken. Viele NGOs, Stiftungen, Abenteurer und sogar Privatskipper haben ihre Schiffe zu schwimmenden Meeresschutzplattformen umgerüstet. Oft ohne öffentliche Gelder oder kapitale Spenden. Einer von ihnen ist Manuel Marinelli.

Die „Waya Waya“ – unterwegs im Mare Nostrum

Auf dem Zwei­master ist Platz für ein Dutzend Wissen­schaftler
Foto: YACHT/M. Bielefeld

Seit weit über zehn Jahren bereist der Österreicher das Mittelmeer. Erst mit einer kleineren Yacht, inzwischen mit dem 21 Meter langen Schoner „Waya Waya“ steuert er Reviere zwischen Griechenland und Korsika an, um sich verschiedener Probleme anzunehmen. Mit seinem „Projekt Manaia“ (siehe Yacht 15/2023) scannt er Zonen konzentrierten Plastikmülls und versucht das Eindringen invasiver Arten wie des Rotfeuerfischs zu verstehen und zu begrenzen.

Besonders am Herzen liegt ihm das Seegras. Marinelli kehrt regelmäßig zu bedrohten Arealen zurück, analysiert den Bestand und will herausfinden, wie sich die Wiesen gezielt renaturieren lassen. Er sammelt Samen, pflanzt sie unter Wasser an. Dafür kooperiert er mit Tauchbasen und versucht, Kommunen vor Ort für das Thema zu sensibilisieren, um möglichst viele Menschen mit ins Boot zu holen.

Wechselnde Besatzungen aus aller Welt reisen an, um auf der „Waya Waya“ mitzufahren, die unter anderem von der Deutschen Stiftung Meeresschutz unterstützt wird. An Bord buchen sich Meeresbiologen ein, Walexperten, Ökologen oder Doktoranden der Zoologie, um ihren Studien nachzugehen. Auch sie nutzen das Segeln als machbare und nachhaltige Methode, um den Schutz der Meere voranzutreiben.

Marinelli weiß, dass noch viel zu tun ist. „Die Projekte der segelnden NGOs müssten viel besser gebündelt und koordiniert werden. Es fehlt an Strategien, Geldern und einem klugen Networking“, bedauert er. Die Folge: Statt von öffentlichen Mitteln profitieren zu können, sei man vielerorts auf privates Sponsoring angewiesen. Die Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Wissenschaft funktioniere zwar teilweise bereits, letztlich aber stecke das alles noch in den Kinderschuhen, so Marinelli. Dabei ist das Potenzial groß. Segelschiffe in ökologischer Mission sind inzwischen in diversen Revieren zu finden.

Die “Marevida” ein 71-Fuß-Schoner für Eisfahrt

Der Einzelbau der Berckemeyer 70 vereint die Vorteile eines Motorboots mit der Seetüchtigkeit einer Segelyacht
Foto: YACHT/M. Amme

2019 nahm der Segelschoner „Marevida“ Kurs auf Spitzbergen. Der Törn führte in die noch weitgehend unberührten Weiten der nördlichen Arktis. Mit seinem „Project Arctic Circle“ will der Hamburger Arzt Peter Kaupke aufzeigen, wie dramatisch sich die Region unter dem schwindenden Eis verändert. 2022 folgte eine erneute Expedition in den hohen Norden, um weitere Beobachtungen anzustellen – diesmal in Zusammenarbeit mit internationalen Universitäten und Forschungseinrichtungen. Die Daten, die das Team mit nach Hause brachte, sollen gleich mehreren Disziplinen dienen: Ozeanforschung, Biowissenschaften, Fischerei, Blue Robotics und angewandte Meerestechnik.

Besonders glücklich dürften Studenten und Doktoranden aus vielen Fachbereichen sein, dass zunehmend mehr Yachten im Zeichen der Forschung die Leinen lösen. Die jungen Wissenschaftler können für ihre Studien selbst an Bord gehen oder den Schiffen Probenbehälter und Experimente mit auf die Reise geben. Das eröffnet ihnen ganz neue Möglichkeiten, haben doch etliche Aufgabenstellungen infolge des Klimawandels enorm an Bedeutung gewonnen.

Das Problem: Feldforschung auf dem Meer ist nicht einfach. Die Plätze auf den großen nationalen wie internationalen Forschungsschiffen sind begehrt und noch dazu äußerst kostspielig. Ein einziger Tag auf einem ausgewachsenen Expeditionsdampfer kann mit bis zu 50.000 Euro zu Buche schlagen. Zudem: Die Fahrten werden über Jahre vorbereitet, Logistik und Technik sind komplex, entsprechend streng die Auswahlverfahren.

Die forschenden Segelyachten stoßen da in eine willkommene Nische. Sie steuern auch küstennahe Seegebiete an, sind flexibler und deutlich günstiger. An Bord der „Waya Waya“ segelte diesen Sommer der Meeresbiologe Simon Jungblut mit. Er ist von der Universität Bremen, hat den Master of Science in Marine Biodiversity and Conservation und promovierte auf dem Gebiet der Marinen Zoologie. Heute koordiniert er das von der EU geförderte Forschungsprojekt Face-It. Jungblut untersucht, wie sich küstennahe arktische Ökosysteme mit der Erderwärmung verändern, wie Pflanzen und Tiere in den nordischen Fjorden verschwinden, andere aus dem Süden nachrücken. Marinellis „Project Manaia“ im Mittelmeer steht er als wissenschaftlicher Beirat zur Seite.

„Auf der Segelyacht finden bis zu zwölf Studenten aus aller Welt Platz“, sagt Jungblut. „Gerade sind junge Forscher aus Deutschland, Japan, Schottland und England an Bord, um ihre Projekte voranzubringen.“ Und genau das sei wichtig: die frühe Vernetzung, die Lust am wissenschaftlichen Arbeiten, das Eintauchen in die Materie. „Die Wissenschaft wird einen großen Teil dazu beitragen müssen, Phänomene zu verstehen und die Dinge zum Besseren zu wenden“, sagt Jungblut. „Das geht nicht nur vom Schreibtisch aus.“

Allen ist klar, dass die Ozeane einer der Schlüssel sind, um unseren Planeten und seine Biodiversität, das Klima und letztlich uns selbst vor dem Schlimmsten zu bewahren. Allein: Das Meer und die damit verbundenen Kausalitäten sind hochkomplex. Um sie zu ergründen, sind unzählige Messungen, Daten und Beobachtungen nötig. Zwar liefern heute Abertausende Messbojen und Sensoren Informationen. Doch können sie die Schiffe nicht ersetzen. Nicht die aktive Forschung am Ort des Geschehens.

Die Wissenschaft nutzt daher jede Art Schiffe. Auch viele große Containerfrachter haben inzwischen wissenschaftliche Apparaturen an Bord. Diese liefern Proben, Daten, Messwerte. Doch fahren die großen Pötte meist schnurstracks auf kürzesten Routen, lassen oftmals aussagekräftige Seegebiete aus und müssen obendrein strikte Zeitpläne einhalten. Das Raster bleibt daher zu grob, die Erkenntnisse zu lückenhaft. Auch darum sind die forschenden Segelschiffe eine willkommene Ergänzung. Sie fungieren wie kleine Satelliten, die gezielt speziellen Einsätzen nachgehen können.

Die “Pangaea” von Mike Horn

Dabei sind es auch waschechte Segler und Abenteurer, die ihren Reisen inzwischen einen Sinn geben, der über das reine Erlebnis hinausgeht. Der Extremsportler Mike Horn zum Beispiel nimmt auf seiner Yacht „Pangaea“ junge Menschen mit, die grüne Projekte und nachhaltige Start-ups planen. Seine Yacht soll ihnen als Anlauf dienen, um innovative Ansätze zu realisieren.

Ein Bildungs- und Umweltprogramm unter Segeln, geleitet vom Forscher Mike Horn, soll junge Menschen inspirieren, innovative Projekte zum Schutz der Erde zu entwickelnFoto: Dmitry Sharomov/ Mike HornEin Bildungs- und Umweltprogramm unter Segeln, geleitet vom Forscher Mike Horn, soll junge Menschen inspirieren, innovative Projekte zum Schutz der Erde zu entwickeln

“Dagmar Aaen” der Haikutter von Arved Fuchs

Der über 90 Jahre alte Gaffelkutter "Dagmar Aaen"
Foto: J. Staugaard

Ein anderer ist Arved Fuchs. Schon 1977 führte ihn eine Expedition in die kanadische Provinz Quebec, wo er mit Kanus entlegene Flüsse befuhr. Seither besegelt er den Norden Europas – auf seinem über 92 Jahre alte Segelkutter „Dagmar Aaen“. Zwischen Ostsee, Lofoten, Norwegen und der Arktis ist das Segelschiff längst zu einem kreuzenden Beobachtungsposten geworden. Seit 2015 läuft das Projekt „Ocean Change“: Fuchs und seine Crew dokumentieren Veränderungen in den Ozeanen und erkunden, wie sich diese auf Klima und Küstenlandschaften auswirken.

Ob Ozeanforschung, Blue Robotics, Meerestechnik, Fischerei oder Biowissenschaften: Viele Disziplinen profitieren von den Törns

Dieses Jahr ging es zu den Hebriden. An Bord der „Dagmar Aaen“ befand sich eine technische Ausrüstung, die das betagte Schiff in einen modernen Hub der Informationsübertragung verwandelt. Messgeräte sammeln meteorologische und ozeanografische Daten, darunter den Salzgehalt, die CO2 -Sättigung und die Oberflächentemperaturen. Rund um die Uhr werden die Informationen in Echtzeit zu den Wissenschaftlern nach Deutschland übermittelt. Zudem nimmt die Mannschaft in speziellen Flaschen Wasserproben, die im Labor analysiert werden. Bereits in Warnemünde kamen zehn spezielle Messbojen an Bord der „Dagmar Aaen“, sogenannte Argo-Floats, die Fuchs an bestimmten Positionen im Ostseeraum aussetzte. Das Ziel: Um Datenlücken zu schließen, müssen die chemischen Signaturen der Meeresoberfläche an bisher weißen Flecken bestimmt werden.

Im Atlantik angekommen, ist Fuchs dem nächsten Rätsel auf der Spur: Woher genau stammen die Wassermassen, die zwischen dem schottischen Festland und den Orkney-Inseln in die Nordsee strömen? Zu welchen Anteilen fließen sie aus der Irischen See, zu welchen aus dem Nordatlantik? Auch dies ist ein Puzzleteil, mit dem sich die Wissenschaft beschäftigt.

“Manta” The Sea Cleaners

Das erst im Bau befindliche Fabrikboot unter Segeln soll Plastikmüll aus dem Meer holen und ihn an Bord trennen und recyceln. Ini­ti­a­tor ist der Schweizer Segler Yvan BourgnonFoto: The SeaCleanersDas erst im Bau befindliche Fabrikboot unter Segeln soll Plastikmüll aus dem Meer holen und ihn an Bord trennen und recyceln. Ini­ti­a­tor ist der Schweizer Segler Yvan Bourgnon

Einem anderen Problem hat sich der Abenteurer und Rekordsegler Yvan Bourgnon verschrieben: den Müllmassen in den Meeren. Der Segelhaudegen aus Frankreich rief 2016 die Umweltschutzorganisation Sea Cleaners ins Leben. Seither fischt er Plastikschrott aus den Ozeanen und den Mündungen großer Flüsse wie dem Nil, Mekong oder Jangtsekiang. Bourgnon kooperiert mit Wissenschaftlern verschiedener Fakultäten, und er ist beim Umweltprogramm der Vereinten Nationen akkreditiert.

Kaum zu glauben, ausgerechnet Segelyachten spielen in den Wirren von Klimawandel und ökologischen Verschiebungen eine ganz neue Rolle. Wind und Wissenschaft – sie feiern gerade eine Hochzeit. Das bestätigt Toste Tanhua vom Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel, Abteilung Chemische Ozeanografie. „Noch kommen die Segelschiffe in moderatem Ausmaß zum Einsatz“, sagt Tanhua. „Doch die Kurve zeigt steil nach oben.“ Die Wissenschaft brauche dringend mehr fundierte Daten, wofür Yachten aus verschiedenen Gründen besonders gut geeignet seien.

Viele der vergleichsweise kleinen und günstigen Schiffe würden heute weltweit zu finden sein. Auch die Technologie sei vorangeschritten. Die nötigen Sensoren und Messgeräte sind kleiner geworden, leichter, günstiger, genauer und dabei deutlich einfacher mitzuführen und auszuwerten. „In der Kombination steckt großes Potenzial“, sagt Tanhua. „Die Wissenschaft will die Segel-Community darum noch viel mehr einbinden.“ Das Konzept „Sailing and Science“ ist inzwischen sogar Teil des „Global Ocean Observing System“ und wird von der UN unterstützt.

Auch die Yachten von Boris Herrmann hat Tanhua schon bestückt. Von der Kieler Firma SubCtech entwickelte Sensoren maßen auf mehreren seiner Fahrten die Kohlendioxidkonzentrationen im Oberflächenwasser der Ozeane. Und auch bei anderen Hochseeregatten segelt die Wissenschaft mit. Besonders aus den südlichen Polarmeeren hätten belastbare Messreihen wegen des extremen Wetters und der Abgeschiedenheit lange gefehlt. Die Forscher sprechen von einem „Undersampling“. Nun aber seien sie endlich auch hier zu neuen Einsichten gekommen. „Die Fahrt von Boris bei der Vendée Globe half uns enorm dabei, einen Kreis zu schließen“, so Tanhua.

Die Forscher interessieren sich dabei vor allem für die Konzentrationen von Kohlendioxid und Salz im Meer sowie die Wassertemperaturen. Dank anderer Schiffe und Stationen können sie die gesammelten Daten anschließend extrapolieren und die CO2 -Flüsse in den Meeren berechnen. So ist – auch mit Hilfe der Regattayachten – ans Tageslicht gekommen, dass jedes Jahr rund zehn Billionen Tonnen Kohlendioxid in den Ozeanen landen. Das ist einerseits gut, weil das CO2 nicht in die Atmosphäre gelangt. Andererseits beunruhigend, da die Meere versauern.

Es gilt daher, noch genauer herauszufinden, wo generell die Kipppunkte liegen, wie mögliche Kettenreaktionen aussehen und welche Wechselwirkungen dies mit anderen Bereichen hat. Und dieses Wissen muss möglichst schnell her. Beim Thema Biodiversität hinkten wir in dieser Hinsicht weit hinterher, sagt Tanhua. Was die Entschlüsselung der CO2 -Aufnahme betreffe, sei man wenigstens auf halber Strecke. Nur in Sachen Klima und Temperaturen wisse man inzwischen recht gut Bescheid.

Was die Sache nicht besser macht. Neue Ergebnisse ergaben kürzlich, dass die weltweiten Ozeane infolge der Erderwärmung in den zurückliegenden 40 Jahren rund 300 Zettajoule an überschüssiger Energie aufgenommen haben. Tanhua: „Das entspricht der Kraft vieler Millionen Hiroshima-Bomben. Genauer gesagt: Es entspricht der Energie von 14 Atombomben pro Sekunde – und das über einen Zeitraum von 50 Jahren.“

Auf die Frage, ob wir den Planeten noch retten können, antwortet der Chemiker des Meeres: „Es steht auf der Kippe. Wir gehen gerade an und über Grenzen. Es könnte schiefgehen, aber es bleibt auch noch Hoffnung, die Probleme in den Griff zu bekommen.“ Gut, dass es Segelschiffe und ihre Crews gibt, die dabei helfen.


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