“Aquamare”Verlängerte Biga 262 wird zum Schmuckstück

Stefan Schorr

 · 15.09.2024

One-off: typisch Biga mit Holzaufbau, aber obendrein mit hübschem Yachtheck
Foto: Stefan Schorr
Verlängerter Rumpf, erhöhter Freibord, Modifikationen: Wie aus einer konventionellen Biga 262 eine Biga 282 wurde. Das Einzelstück ist noch trailertauglich, wirkt aber wie eine ausgewachsene Yacht

“Ein Tag Segeln ist für mich wie eine Woche sonstiger Urlaub“, erzählt Michael Schäfer strahlend auf seiner „Aquamare“. „Selbst wenn ich nicht segele, bin ich einfach gern an Bord. Hier fühle ich mich rundum wohl, wozu bestimmt auch beiträgt, dass in diesem tollen Hafen so viele nette Leute ihre Boote liegen haben.“

Der Badener ist sichtlich angekommen im Sportboothafen Nordenham an der Weser. Schäfer stammt ursprünglich aus Offenburg, jener Stadt am Oberrhein, die sich „Tor zum Schwarzwald“ nennt. Rund 30 Jahre lang arbeitet er in Berlin in der IT-Branche. 2004 macht er seinen Sportbootführerschein Binnen und segelt sein erstes Boot, eine Conger-Jolle, auf den Binnengewässern der Hauptstadt. Als Michael Schäfer 2019 in den Ruhestand geht, zieht er zu seiner Partnerin nach Norddeutschland: in den Norden der Hansestadt Bremen, ins maritim geschichts­trächtige Quartier Vegesack am Nordufer der Weser. Sein zweites Boot, eine Micro Weyer, segelt er fortan auf dem Zwischen­ahner Meer.

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Als Liegeplatz für Boot Nummer 3, eine 6,2 Meter lange Jeanneau Sun 2000, entdeckt er Nordenham, rund 20 Seemeilen weser­abwärts von Vegesack. Der von einem Schilfgürtel umgebene dortige Sportboothafen liegt ruhig und idyllisch im Deichvorland im Süden der Stadt am linken Weserufer. 1983 schlossen sich sechs Vereine an diesem Ort, der bei Niedrigwasser trockenfällt, zusammen und betreiben seither als Nordenhamer Sportboothafen-Gemeinschaft jeweils eine eigene Steganlage.

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Die Weser bietet hier schon mehr Platz zum Segeln als vor Bremen-Vegesack, und die Außenweser und das Wattenmeer sind schnell erreicht. So wächst bei Schäfer bald der Wunsch nach einem abermals größeren Boot – wäre damit doch ein deutlich größeres Fahrtgebiet zu erschließen, etwa die nahegelegenen Ostfriesischen Inseln während ausgedehnter Sommertörns. „Mit meiner kleinen Sun 2000 wäre ich auch niemals bis nach Helgoland gesegelt. Außerdem möchte ich meine Partnerin mit mehr Komfort an Bord noch mehr fürs Segeln begeistern“, erklärt Schäfer.

Schnell fällt dem Ruheständler wieder ein, dass er einst in Berlin eine Biga-Yacht am Steg bestaunte. „Ich bin damals eine ganze Weile ums Boot geschlichen und habe es von allen Seiten betrachtet. Das Bauprinzip fand ich sofort genial“, sagt Michael Schäfer. „Der Rumpf aus GFK, sodass ich damit als Eigner kaum Arbeit habe. Der Aufbau und der Innenausbau aus exzellent verarbeitetem Edelholz, das für dieses besonders wertige Erscheinungsbild sorgt.“

Tatsächlich kann man seine „Aquamare“ getrost als Schmuckstück bezeichnen. Doch irgendwie lassen sich ihre Dimensionen nicht so recht mit denen der aktuellen Modelle Biga 242, 270, 292 oder 330 in Einklang bringen, die von Juliane Hempel und Georg Nissen konstruiert wurden. Und für die äl­tere Biga 262 scheint sie etwas zu groß. Tatsächlich ist „Aquamare“ ein Biga-Modell, das es so nie gab in der Produktreihe der Bootswerft Gerhard Bicker in Ahlen-Dolberg. Ein Einzelstück.

Rumpf der Biga 262 wird um 55 Zentimeter verlängert

Das kam so. 2004 wendet sich ein potenzieller Kunde an den 50 Jahre zuvor gegründeten Betrieb; seit 1954 baute Gerhard Bicker in seiner Kleinbootwerft im tiefsten Binnenland Paddelboote aus Holz, seit den frühen sechziger Jahren auch Segelboote, Piraten und Zugvögel. 1975 entstand die erste Biga 24. Mit 240 verkauften Einheiten ist sie das bis heute erfolgreichste Biga-Modell.

Der Entwurf von Heribert Streuer hatte einen GFK-Rumpf, dessen Aufbau traditionell aus Mahagoni-Bootsbausperrholz entstand. Mit dieser Kombination hebt sich die Werft optisch positiv vom großen Angebot reiner Kunststoffyachten ab – bis heute. Zur gehobenen Qualität der Biga-Yachten trägt außerdem der sorgfältige Holzausbau bei, der unter Deck nichts vom Kunststoffrumpf erkennen lässt. Angehende Biga-Eigner haben verschiedene Wahlmöglichkeiten für Rigg, Kiel oder auch die Gestaltung des Innenraums. Dem Ersteigner der künftigen „Aquamare“ gefällt das damalige Modell Biga 262 schon ziemlich gut. Die Konstruktion von Fritz Harz ist noch trailerbar und verbindet nach Werftangaben sportliches und fami­lienfreundliches Segeln mit 26 Quadrat­metern Segelfläche bei 2,7 Tonnen Verdrängung. Die stilvolle acht Meter lange Yacht ist dem Interessenten jedoch etwas zu klein, er wünscht sich mehr Raum und Komfort.

Also gibt er einen individuellen Neubau in Auftrag. Der Rumpf der Biga 262 wird dabei um 55 Zentimeter auf 8,55 Meter verlängert, was auch die Länge in der Wasser­linie leicht erhöht. Ferner wird der Rumpf um zwei Zentimeter höher gebaut und mit einem positiven Heckspiegel versehen. „Das Heck hat auch nicht die untere Kante, die bei der Standard-262 zum Festsaugen führte, wenn das Boot achtern zu sehr beladen war“, erklärt Junior-Werftchef Bicker.

Der 1,40 Meter tief gehende Kiel wird mit Bleianhang und innenliegendem Dieseltank ausgeführt. Der gesamte Aufbau, das komplette Cockpit und die vier Backskisten werden ebenso aus Mahagoni angefertigt wie der Stauraum auf dem Vordeck. Das Holz wird zehnfach klar lackiert. „Der Eigner wünschte sich außerdem das Doppelsüll mit den Schwalbennestern, das er auf der Biga 292 gesehen hatte“, erklärt Bicker. Die Werft setzte natürlich auch diesen Sonderwunsch des Kunden um. „Obwohl es mir persönlich weniger gut gefällt, dass Cockpit und Aufbau nun durch einen weiteren Winkel nicht mehr wie aus einem Guss aussehen“, meint der Werftchef.

“Wartungsstau” ist unter allen Eignern ein Fremdwort

Das Boot, das der Eigner fortan als „Biga 282“ und die Werft als „Biga 262 Plus“ bezeichnet, soll einhandtauglich sein. Der Senior-Werftchef selbst baut eine wunderschöne Pinnenverlängerung in der geschwungenen Form der Pinne, und „Aquamare“ erhält einen Autopilot.

Alle Instrumente samt UKW-Funkgerät werden im Cockpit positioniert. Für maximalen Segelspaß wird das Binnenrigg mit längerem Mast gewählt, an dem triradial geschnittene Laminatsegel, ein durchgelattetes Großsegel und eine Rollgenua, gefahren werden. Für Leichtwindbedingungen wird ein 44 Quadratmeter messender Gennaker geordert. Bei Starkwind kann eine Sturmfock als Coversail gesetzt werden. Die als Maß­anfertigung in Auftrag gegebene Sprayhood bekommt eine feste Plexiglasscheibe.

Rund 110.000 Euro lässt sich der Erst­eigner den Einzelbau samt maßgeschneidertem Trailer 2004 kosten. Er segelt seine „Aquamare“ zunächst an der spanischen Mittelmeerküste, später auf dem niederländischen IJsselmeer. Als er 2012 beschließt, sein Schiff zu verkaufen, bringt er es zur Überholung in die Bicker-Werft. „Dort werden das Antifouling und die Anoden erneuert und der Rumpf poliert“, heißt es damals im Exposé. „Das Boot wird also in neuwer­tigem Zustand angeboten.“ Dazu trägt auch bei, dass diese besondere Biga ausschließlich vom Eigner selbst gesegelt und das ganze Jahr über mit einer Vollplane abgedeckt worden war. Die Winter verbrachte sie stets in einer Halle.

Der zweite Eigner kauft „Aquamare“ von der Werft weg. Auch für ihn, der die Biga 262 Plus ausschließlich für Tagestörns auf der Ostsee nutzt, ist das Wort „Wartungsstau“ ein fremdes. „Er ließ alle Arbeiten von einer Werft durchführen“, erzählt Michael Schäfer. Als er „Aquamare“ im August 2021 als dritter Eigner kauft, befindet sich die 17 Jahre alte Yacht noch immer in einem „optisch wie technisch sehr guten Zustand“.

”Aquamare” problemlos einhand im Griff

Für die Überführung von Großenbrode an die Weser nimmt Schäfer einen Profiskipper aus Bremer­haven zur Unterstützung mit. Der weist ihn in die Feinheiten der Segelgarde­robe ebenso ein wie in die Handhabung des Autopiloten. „Als wir nach der Fahrt durch den Nord-Ostsee-Kanal die Elbe hinaus­gesegelt sind, stand da ordentlich Welle. Dennoch fühlte sich alles total gut und sicher an“, erinnert sich Schäfer begeistert.

Auch am heutigen Oktobertag auf der Weser geht es nach dem Auslaufen bei Südwind der Stärke fünf gegen den Flutstrom einigermaßen ruppig zu. Unter einfach gerefftem Groß und leicht gereffter Genua hat der Neueigner seine „Aquamare“ aber einhand problemlos im Griff. Er kann die sportliche Kreuz zum Saisonende in vollen Zügen genießen.

Die Biga lässt sich mit der Pinne agil und leicht dirigieren und überzeugt mit ihren guten Se­geleigenschaften. Im tiefen selbstlenzenden Cockpit sitzt die Crew geschützt hinter dem hohen Süll. Das sorgt in Kombination mit der großen Sprayhood für relativ trockenes Segeln. Der Abstand zwischen den Cockpitbänken erlaubt gutes Abstützen mit den Füßen, wenn die „Aqua­ma­re“ Lage schiebt. Der Boden der geräumigen Plicht ist übrigens ebenso wie das Deck aus Massiv-Teakstäben auf Bootsbausperrholz verleimt. Fallen und Reffleinen sind ins Cockpit umgelenkt, das so zum Bedienen der Segel nicht verlassen werden muss; aus Sicherheitsgründen war das dem Ersteigner wichtig und deshalb sein ausdrücklicher Wunsch.

Für den Rudergänger liegen die Großschot auf ihrem Reitbalken mit Traveller und die Genuaschoten auf ihren selbstholenden Winschen gut erreichbar. Der Niedergang lässt sich mit der stilvollen Klapp­tür aus lackiertem und unlackiertem Holz schnell verschließen. Im aufgeklappten Zustand verdecken die beiden Teile der Tür jedoch die Instrumente und den Steuerkompass – ein einziges kleines Manko.

Holzarbeiten auf höchstem Niveau

Nach zwei Stunden Segelspaß liegt die Kielyacht wieder an ihrem Liegeplatz, an dem sie bei Niedrigwasser im weichen Schlick steckt. Der Innenausbau präsentiert sich bei einer Stehhöhe von gut 1,80 Metern klassisch gemütlich. Auf eine Auflockerung der Naturholzmöbel mit weißen Flächen wurde verzichtet. Die Holzarbeiten sind allesamt auf höchstem Niveau ausgeführt. Auch hier wurden viele individuelle Wünsche des Ersteigners umgesetzt. So fasst der den Salon teilende Tisch sowohl Seekarten als auch sechs Flaschen schmackhafter Alkoholika. Die Liegeflächen der beiden Salonkojen lassen sich durch Hochklappen der Rückenpolster verbreitern. Durch aufstellbare Leebretter werden diese außerdem zugleich voll seetauglich.

An Steuerbord befindet sich die funktionale Pantry mit Spüle, Kühlfach, viel Stauraum in den Schränken, Schapps und Schubladen sowie einem Wallas-Dieselkocher. Durch das Absenken der Edelstahlklappe über dessen Ceranfeld wird dieser zur Diesel-Warmluftheizung. Gegenüber an Backbord liegt der geräumige WC-Raum mit Pump-Toilette. Ein Lüfter in der Decke und die zu öffnende Luke im Aufbau sorgen für ausreichende Belüftung. Der angeschlossene Fäkalientank kann über die Decksabsaugung geleert werden. Ein Boiler sorgt für warmes Wasser, auch aus der Außendusche im Cockpit. Im Vorschiff bietet die V-förmige Doppelkoje Platz für zwei weitere Crewmitglieder.

Ein sicherer Aufbewahrungsort für Wertgegenstände wurde ebenfalls in der Yacht versteckt, die über bemerkenswert viel leicht zugänglichen Stauraum verfügt.

Recht spät kommt „Aquamare“ aus dem Wasser, Mitte Oktober endet die Saison. Michael Schäfer wird seine Yacht auf dem Trailer zur Bicker-Werft in Ahlen ziehen. Dafür wurde extra ein stärkeres Zugfahrzeug an­geschafft. Der Warmwasserboiler soll durchgecheckt werden. Außerdem scheint der Dieseltank eine Mini-Leckage zu haben. Dennoch ist die To-do-Liste sehr überschaubar. Als größere Investition steht mittelfristig ein neuer Satz Segel auf Schäfers Wunsch­liste. Anfang April werden die Stege im Sportboot­hafen Nordenham wieder ins Wasser kommen. Michael Schäfer wird die erste komplette Saison mit seiner einzigartigen Biga also beizeiten beginnen können.

Bis dahin herrscht Vorfreude. „Meine Partnerin ist von ‚Aquamare‘ auch sehr angetan, was natürlich beste Voraussetzungen für gemeinsame Törns sind“, verrät er und hofft auf ausgedehnte Segelreisen. Helgoland steht auf der Wunschliste, ebenso die Ostfriesischen Inseln. Auch ein Sommer auf der Ostsee reizt ihn. „Bis jetzt wurden meine hohen Erwartungen an ‚Aquamare‘ voll erfüllt“, versichert Michael Schäfer. „Ich freue mich also einfach darauf, viel Zeit an Bord zu verbringen, wo ich mich so wohlfühle.“

Wie aus einer Biga 262 eine 282 wird

Anlaminiert: Der Originalspiegel einer Biga 262 ist recht steil und leicht negativ gestaltet. Das Heck neigt zum Festsaugen. Das zusätzliche Heckteil ist so solide wie das Schiff gebaut und strakt perfekt. Es wird großflächig an den Rumpf der 262 laminiert
Foto: Bootswerft Bicker

Technische Daten der Biga 262 Plus/Biga 282

yacht/riss_ff1cc4b27142077f59dc4e220360a504Foto: Bicker Werft
  • Rumpflänge: 8,55 m
  • Breite: 2,50 m
  • Gewicht: 2,8 t
  • Tiefgang: 1,40 m
  • Mastlänge: 10,00 m
  • Großsegel: 15,2 m2
  • Genua: 20,5 m2

Der Artikel erschien zum ersten Mal in YACHT-Ausgabe 02/2022 und wurde für diese Onlineversion überarbeitet.

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