Eigentlich war der Test schon erledigt. Segelbilder, Messungen, alles im Kasten. Dann aber kam der Regen. Viel und kalter Regen Anfang November. Das war der Moment, an dem die Beneteau Evasion 36 ihren Partytrick aus dem Hut zauberte: Eigner Jens Termöhlen verlässt das Ruder im Cockpit und geht in den Salon.
Den dortigen Steuerstand nimmt man zwar wahr, was er aber in der Praxis bedeuten kann, bringt erst der viele Regen ans Tageslicht. Gemütlich nimmt Termöhlen auf dem erhöhten Stuhl Platz und fährt das Boot bequem und trocken an seinen Liegeplatz. Einen Knopfdruck weiter liefert auch die Warmluftheizung ihren Beitrag zum Wohlgefühl im Salon und zum Durchblick durch die Fenster, die sonst schon mal beschlagen können. Bestanden beim ersten Eindruck noch optische Zweifel über den Deckssalon und die vielen Fenster, sind diese nun dem Pragmatismus gewichen. Trocken und warm gehen vor hübsch und schnittig.
Jeder, der sich für eine Deckssalonyacht interessiert, hat diese Entscheidung längst getroffen. Der erhöht platzierte Salon bietet auch im Sitzen besten Ausblick. Zu Zeiten des Boatoffice ein nicht zu unterschätzender Vorteil, denn so muss nicht bei jedem Geräusch die Arbeit unter Deck für einen Rundumblick ins Hafenkino unterbrochen werden. Ein Zimmer mit Aussicht. Ein weiteres Highlight ist die Nasszelle. Sie ist aus dem Salon und von der Vorschiffskammer aus erreichbar. Die Türen sind zwar mit nur 1,60 Meter Höhe und 40 Zentimeter Breite etwas knapp, dafür ist das Bad an sich geräumig und gut nutzbar. Sogar eine brauchbare Dusche gibt es. Nur die Stehhöhe ist mit 1,72 Metern an die Türenmaße angepasst. Dennoch: Die Nasszelle ist ein Pluspunkt.
Kein Wunder also, dass der Voreigner das Schiff im nordspanischen Galicien als sein Zuhause nutzte. Dazu passt wohl auch der Name Evasion, der übersetzt so viel wie Ausbrechen oder Befreien heißt. Von gewöhnlichen Bootsformen vielleicht oder vom Alltag. Auf jeden Fall aber positiv besetzt und irgendwie stimmig.
Nach einer abenteuerlichen Überführung liegt das Schiff nun in den Niederlanden, in Friesland, um genau zu sein. Dort kommt der durch den Flügelkiel mögliche niedrige Tiefgang gut zupass. 1,45 Meter sind für die Schiffsgröße heute eher wenig. Das macht sich dann auch unter Segeln bemerkbar: Bei 16 Knoten Wind sind auf glattem Wasser ohne Strömung knapp 95 Grad Wendewinkel drin. Mehr ist nicht möglich, soll die Geschwindigkeit nicht zu sehr einbrechen. Die wiederum geht mit 5,9 Knoten in Ordnung.
Was allerdings zum bescheidenen Wendewinkel beiträgt, ist die Tatsache, dass der Eigner auf eine 110-Prozent-Genua wechselte und dafür die Genuaschiene auf dem Dach des Salons viel zu kurz war. Das Segel steht furchtbar, das Achterliek ist viel zu offen. Hier müsste eine andere Lösung her, wenn ein kleines Vorsegel gefahren werden soll. Falls diese in einer weiteren Schiene bestehen sollte, ist größte Sorgfalt gefragt: Das Deck hat einen Kern aus Balsaholz, der darf auf keinen Fall feucht werden, da das Holz dann sehr schnell weggammelt. Werden also Beschläge nachträglich installiert, müssen zunächst übergroße Löcher gebohrt und mit Epoxid gefüllt werden, bevor dann in den Harzstopfen gebohrt wird. Auf diese Weise bleibt das Deck intakt. Wurde das nicht so gemacht, droht ein weiches Deck. Beim Kauf gilt es, sehr sorgfältig darauf zu achten.
Eigner Termöhlen will wieder auf eine größere Genua umsteigen und bei Bedarf eher das Großsegel reffen. Wenn jedoch auch die größere Genua eingerollt werden muss, bleibt das Problem der zu kurzen Genuaschiene. Abgesehen davon wirft der Segelplan keine Fragen auf. Topprigg, zwei Salinge, wenig Riggtrimm. Um die Tücher in Form zu bringen, gibt es einen Traveller, den Unterliekstrecker und besagte Genuaschienen. Das reicht für den Hausgebrauch. Der Voreigner hat noch einen leichter bedienbaren Achterstagspanner nachgerüstet. Damit kann zwar wegen der Topptakelung kaum Druck im Großsegel abgebaut werden, um aber etwas Durchhang aus dem Vorstag zu ziehen und die Genua somit flacher fahren zu können, reicht es. Auch vereinfacht das bewegliche Achterstag das Mastsetzen, da sich das Vorstag leichter einhängen lässt.
Eine schöne Verbesserung ist der Umbau der Großschot vom Kajütaufbau ins Cockpit. Der Traveller wird weiterhin genutzt, nur der Zugriff auf die Bedienung des Groß ist dann auch dem Steuermann möglich. Ein Auge, drei Blöcke und eine neue, längere Schot, und schon ist die Verlegung erledigt. Sehr sinnvoll. Auch die Genuaschot hat der Eigner angepasst. So läuft diese ebenfalls nicht mehr aufs Kajütdach, sondern zu den Winschen auf dem Süll. Leider führt die Schot dadurch genau über das Gangboard und ist somit beim Weg nach vorn eine Stolperfalle.
Der Vorteil der ursprünglich als Schotwinschen ausgelegten Trommeln auf dem Kajütdach ist, dass diese nun in ihrer Funktion als Fallwinschen sehr üppig daherkommen. Das macht vor allem die Bedienung des Großsegels aus dem Cockpit komfortabel. Was den Segelspaß jedoch leider trübt, ist die schwergängige Steuerung. Das Rad innen ist zwar über eine Hydraulik mit dem Quadranten verbunden und somit auch redundant ausgeführt, diese Hydraulik jedoch will bewegt werden. Das merkt man dann wiederum am Rad im Cockpit. Schade! Eigner Termöhlen forscht an einer Möglichkeit, mehr Leichtgängigkeit ins Steuern an Deck zu bekommen. Das wäre wünschenswert.
Unter Deck ist ja erst mal gar nicht wirklich unten. Der Salon liegt fast auf einer Ebene mit dem Cockpit, getrennt nur durch das Brückendeck. Hier findet sich an Steuerbord zunächst die Pantry. Bei ihr fällt das wirklich große Kühlschapp auf und die Möglichkeit, sich zwischen Anrichte und Niedergang einzukeilen. So lässt es sich auf See recht gut arbeiten. Durch das ganze Schiff ziehen sich die vielfältigen und sehr gut nutzbaren Staumöglichkeiten. Durch die Höherlegung des Salons wurde viel Raum geschaffen. So ist etwa der dort verbaute Wassertank schon 450 Liter groß. Ebenfalls dort installiert ist der 170 Liter große Dieseltank. Der Raum für die Tanks steht dadurch an anderer Stelle als Stauraum zur Verfügung.
Vor der Pantry schließt sich ein kleiner Navitisch an, der zum Innenfahrstand gehört. Von hier lässt sich das Schiff wie beschrieben fahren. Segeln ist jedoch nur bedingt möglich. Die Segel sind natürlich von hier aus nicht einseh- oder erreichbar, Passagen unter Motor oder Nachtwachen aber sind sehr gut zu absolvieren.
An Backbord befindet sich die große und gemütliche Sitzgruppe. Mittels zweier Hocker, die in der Schiffsmitte bei Bedarf platziert werden können, finden alle Crewmitglieder Platz am Tisch. Die Bank jedoch ist als Seekoje mit 1,80 Meter Länge eher kurz geraten. Wäre sie zehn Zentimeter länger, würde sie genau zur Stehhöhe im Schiff passen. Die ist mit 1,90 Metern aus heutiger Sicht auch nicht eben üppig. Damals war das jedoch Standard. Super: Fast alle Fenster lassen sich öffnen. Dadurch bleibt es auch im Sommer im Salon angenehm. Eigner Termöhlen berichtet davon, bei allzu viel Sonne hierher zu flüchten, auch zum Steuern.
Ins Vorschiff geht es an der Nasszelle vorbei. Die Koje dort ist mit 2,04 Metern erfreulich lang und im Schulterbereich angenehme 1,70 Meter breit. Am Fußende bleiben davon 71 Zentimeter über. Leider führt ein für die Struktur erforderlicher Bogen etwa in Kniehöhe über die Koje. Er ist nur 33 Zentimeter hoch. Schade! Im Original fehlt der Koje zudem an Steuerbord eine Ecke. Sie soll als Ablage dienen. Das ist jedoch eher sinnlos. Eine Vergrößerung der Matratze sorgt für einen deutlichen Komfortgewinn. Das hat auch der Eigner erkannt und bereits umgesetzt. Üppig ist auch hier das Stauraumangebot. Schrank, Schubladen und das ganze Volumen unter der Koje nehmen jede Menge Staugut auf. Belüftet wird nur mit einer Decksluke.
Die gleichen Maße wie vorn finden sich ebenso in der Koje achtern. Allerdings wird diese nicht schmaler zum Fußende. Selbst die geringste Höhe von 48 Zentimetern geht vollkommen in Ordnung. Eine auch für zwei Personen gut nutzbare Koje also. Sie ist ebenfalls umrahmt von Ablagen, Schränken und Schubladen. Belüftet wird jedoch nur durch kleine Luken, was im Sommer nicht ausreichen dürfte. Ebenso zweifelhaft ist die Aufteilung der Polster in mehrere Teile. Das macht zwar die darunterliegenden Stauräume besser zugänglich, schmälert jedoch den Schlafkomfort durch Ritzen und Wegrutschen der Teile.
Im Cockpit waren auf dem Testschiff die optionalen Gennakerwinschen montiert. Damit lassen sich die umgeleiteten Vorschoten und die Großschot gut bedienen. Hinter dem Rad steht es sich gut, wenn der Durchgang zur Plattform nach achtern geklappt ist. Sonst ist es hier etwas beengt. Vom Süll aus ist das Rad gerade noch erreichbar. Nachträglich installiert wurden die Sitze im Heckkorb. Sie sind sehr gemütlich, auch wenn von dort aus kein Bedienelement erreichbar ist. Die Bänke sind mit 1,97 Metern erfreulich lang. Nur die Rückenlehne könnte etwas höher sein für bequemes Sitzen.
Große Stauräume, gute Kojenmaße, üppige Tanks und ein Salon, aus dem man bestens herausschauen kann, auch im Sitzen: Das Schiff ist ideal geeignet für Menschen, die viel Zeit an Bord verbringen wollen. Geringer Tiefgang und Innensteuerstand ermöglichen auch Binnenpassagen etwa auf französischen Kanälen, wenn der Mast mal nicht mitmuss.
Seglerisch ist die Evasion, wie viele Schiffe dieser Machart, keine Offenbarung, besonders durch das schwergängige Ruder und den untiefen Kiel. Dabei segelt sie keineswegs schlecht, nur steht das Reisen mehr im Vordergrund als der reine Segelspaß. Das gilt jedoch in gleichem Maße auch für ältere Moody Eclipse und Sirius. Wer sich die nicht leisten möchte und mit einem Interieur aus der Großserie, allerdings aus einer Zeit, als noch echtes Holz im Spiel war, leben kann, findet mit der Evasion 36 eine gute Alternative.
Achten sollte man auf dichte Aufbaufenster, ein insbesondere im Bereich von Beschlägen noch solides Deck und intakte Kielbolzen. Diese sind offenbar als Schrauben in den Kiel gedreht worden, was den Austausch fast unmöglich macht. Leider wurden nur wenige Evasion 36 gebaut, umso mehr lohnt es, den Markt im Auge zu behalten, denn der Wertverlust dürfte gering sein.
Nur etwa 50 Stück wurden gebaut, und es gab keine Optionen. Alle Boote haben den Flügelkiel und das Rollgroß. Gebaut wurde der Rumpf massiv. Das Deck ist ein Sandwich. Auf dem Testschiff wurde ein Lattengroß nachgerüstet
Wer so ein Schiff sucht, muss schnell sein. Es kommen immer wieder mal welche auf den Markt, die dann aber zügig weg sind. Die Preise liegen je nach Zustand zwischen 60.000 und 70.000 Euro
Stand 08/2024
Besonders bei nachträglich montierten Beschlägen auf die Steifigkeit des Decks achten. Leider wurden für den Kiel rostende Unterlegscheiben verwendet. Ob sich die Schrauben lösen und wieder befestigen lassen, um die Scheiben zu tauschen, ist fraglich. Sind die Scheiben weggerostet, ist der Kiel lose. Daher die Scheiben bestmöglich gegen Korrosion schützen. Leckagen an den vielen Fenstern des Aufbaus sind möglich
Solides Wohnschiff mit hohem Komfort. Herausragende Segelleistung stand beim Entwurf nicht im Vordergrund. Der geringe Tiefgang erschließt viele Reviere