Die Nachricht schlägt ein wie eine Bombe: Die holländischen Zwillingsbrüder Robbert und Rudolf Das werden 1952 von der britischen Presse der Spionage bezichtigt. Anlass dafür ist die Veröffentlichung detaillierter Perspektivzeichnungen des neuen und streng geheimen Kampfjets der Royal Air Force, der Vickers Supermarine Swift, in einem internationalen Luftfahrtmagazin. Die Zeichnungen der Turbinen- und Waffentechnik sind so unerhört präzise, dass von nichts anderem als von Verrat auszugehen ist.
Nach kurzzeitigen Turbulenzen auf Regierungsebene können die Brüder jedoch beweisen, dass sie ausschließlich mit öffentlich zugänglichem Informationsmaterial gearbeitet haben. Unbekannte Details vermochten sie mit ihrem hohen technischen Verständnis auszumerzen. Trotzdem müssen sie hoch und heilig versprechen, „so etwas nicht noch mal zu machen“.
Geboren werden die Zwillinge 1929 in Haarlem. Der Vater Henk Das ist ein erfolgreicher Möbel- und Interieur-Designer und erkennt früh das zeichnerische Talent seiner Söhne. Um die Jungs in der dunklen Zeit des Zweiten Weltkrieges zu beschäftigen, versorgt er sie mit Tapetenrollen, auf denen sie sich zeichnerisch austoben können. Einer sitzt an dem einen Ende, der zweite an dem anderen, und so arbeiten sie sich bis zur Mitte vor.
Die Brüder begeistern sich für große Kriegsschiffe, die sie mit Bleistiften aus unterschiedlichen perspektivischen Blickwinkeln malen. Daraus entsteht eine Leidenschaft, die sie für den Rest ihres Lebens nicht mehr loslassen wird.
Nach dem Abschluss der Schule beschließen die beiden, nicht in die Fußstapfen ihres Vaters zu treten, sondern eine Pilotenausbildung zu beginnen. Wegen eines leichten Augenfehlers von Robbert muss diese Idee jedoch schnell wieder begraben werden, und stattdessen gründen sie eine kleine Agentur für technische Illustrationen.
Der Skandal um den britischen Kampfjet und die daraus resultierende Aufmerksamkeit werden der Startschuss für eine große Karriere. Ihre Gabe, technische 3D-Zeichnungen mit teils noch unbekannten Details in höchster Präzision herzustellen, ist plötzlich so gefragt, dass sie mit Anfragen überhäuft werden.
Doch die Gebrüder Das wollen nicht nur Aufträge abarbeiten. Sie entwerfen auch – selbst aus heutiger Sicht – visionäre Studien von Flugzeugen, Schiffen und ganzen Städten, die zum damaligen Zeitpunkt wie Science-Fiction anmuten.
Schon damals in den 1960er Jahren sind Nachhaltigkeit und saubere Energie ein großes Thema bei den Zwillingen. Ihr erstes Buch „View of the Future“ wird ein Bestseller und führt zu neuen Aufträgen von Unternehmen, die ihre eigene Zukunftsvision von den Brüdern dargestellt haben wollen. Einige Konzepte, wie das der Wohnhügel, die frei in der unberührten Landschaft stehen und alle Aspekte des Wohnens, Arbeitens, Pflegens und Erholens vereinbaren sollten, werden viele Jahre später tatsächlich aufgegriffen und realisiert.
Während Rudolf sich weiter auf Architektur spezialisiert, beginnt Robbert sich zunehmend für das Segeln zu interessieren. Er wird passionierter Regattasegler und nimmt einige Male am Fastnet Race teil. Natürlich stammt das Design seiner „Ros Beiaard“ von ihm selbst.
„Sein Bedürfnis zu segeln wurde so stark, dass er sich sogar in seiner Hochzeitsnacht um fünf Uhr morgens aus dem Haus schlich, um es rechtzeitig zum Start eines Rennens zu schaffen“, weiß Künstler Ludo van Well zu erzählen. „Aber seine Frau und er hatten eine gute Ehe, und das sollte bis zu ihrem Tod in 2020 so bleiben. Sie wurde 101 Jahre alt.“
Im Jahr 1965 tauchen Robbert Das und sein Kumpel Lex Pranger in der Hamburger YACHT-Redaktion auf und stellen ihr mit der Hochschule Delft entwickeltes Programm zum Testen von Segelbooten vor.
Bis dahin galt es als unmöglich, Yachten zu testen und zu vergleichen. Während Das Skizzen von Testapparaturen zur Messung von Krängung und Geschwindigkeit präsentiert, versucht Pranger mit seinem stahlblauen Anzug, gelber Krawatte und einer gelebten Aura von Unwiderstehlichkeit zu punkten. Trotz anfänglicher Skepsis überzeugen sie den damaligen Chefredakteur, und so kommt es noch im selben Jahr zum allerersten YACHT-Test der Magazingeschichte. Am IJsselmeer wird eine Victoire 22 mit wundersam anmutenden Instrumenten wie elektronischer Schlepplogge, Krängungswinkelmesser und Stoppuhr auf Herz und Nieren untersucht. Gekrönt werden die ab diesem Zeitpunkt im Zweiwochentakt erscheinenden Tests mit einer 3D-Zeichnung des jeweiligen Bootes von Robbert Das.
Die neue Rubrik wird innerhalb kürzester Zeit so populär, dass die Auflagen in ungeahnte Höhen schießen. Bei vielen Tests ist Robbert mit an Bord, um ein Gefühl für das Boot zu bekommen und auch um Skizzen anzufertigen, besonders von den engen, schwer zu fotografierenden Räumen.
Der spätere Chefredakteur Harald Schwarzlose erinnert sich: „Robbert war ein besonderer Kollege, der nicht nur wegen seines Talents, sondern auch wegen seines Humors ein Goldschatz für uns war!“ Mit Lachtränen erzählt er von einer Episode, die sich nach einem Test in Schilksee abspielte: „Unsere Crew beschloss spontan, ein Kieler Etablissement zu besuchen, wo es neben Striptease und kalten Getränken auch gutes Essen gab. Wir wollten es mal ordentlich krachen lassen! Robbert war sehr angetan von den Damen und auf einmal verschwunden. Als sich nach einer kleinen Pause unter lautem Tusch der Bühnen-Vorhang wieder öffnete, stand darauf Robbert, mit nichts anderem bekleidet als mit einer rosa Unterhose, und machte seine Kapriolen. Der Saal tobte vor Lachen. Er war immer für jeden Spaß zu haben!“
Weitaus dramatischer ging es im Frühjahr 1968 im holländischen Medemblik zu, als ein englischer Fahrtenkatamaran der Marke Iroquois getestet werden soll. Das, Pranger, Schwarzlose und eine weitere Redakteurin fahren trotz Starkwindwarnung aufs IJsselmeer, obwohl zu diesem Zeitpunkt noch keiner nennenswerte Erfahrungen mit Zweirumpfern hat. Weit draußen kommt es zur Kenterung. Die vier Tester müssen die geflutete Kabine verlassen und retten sich auf einen der Schwimmer, der knapp unter der Wasseroberfläche liegt, während der andere in den Himmel ragt. Dabei klammern sie sich am Trampolin fest. Bei Regen, Kälte und Sturm erweisen sich die Luftkammern des Schwimmers als undicht, sodass er langsam sinkt. Das Wasser steigt erst bis zu den Knien, dann zum Bauch bis hin zur Brust. „Wir dachten, wir würden wie die Ratten ersaufen“, erinnert sich Schwarzlose.
Plötzlich taucht ein Sportflugzeug auf, das zwar schnell wieder verschwindet, aber augenscheinlich Hilfe angefordert hat. Die kommt in Form eines Saugbaggers, der längsseits zu dem havarierten Kat geht und die völlig unterkühlten Havaristen einsammelt. Den Katamaran im Schlepp, lädt der Kapitän die Crew wieder in Medemblik ab. Auch wenn das Boot einen Totalschaden erlitt, wird der Test schließlich veröffentlicht, und die Ergebnisse tragen zur Weiterentwicklung des Katamarans bei.
In den 1970er Jahren wandert Robbert nach Südfrankreich aus und arbeitet wie am Fließband. Wie ein Simultanschachspieler vermag er es, an mehreren Zeichnungen gleichzeitig zu arbeiten und dabei hin und her zu springen, je nach Geistesblitz oder Laune.
Neben seinen Aufträgen für die YACHT oder auch das niederländische Segelmagazin „Waterkampioen“, für die er hauptsächlich aktuelle Boote zeichnet, gilt sein Interesse aber auch allen historischen Schiffen, die zu ihrer Zeit technisch innovativ waren oder mit denen Rekordfahrten gelangen. Ob Kolumbus’ „Pinta“, die J-Class „Endeavour“ oder auch das Mikroboot „Vera Hugh“, mit dem Tom McNally den Atlantik überquerte – Das verewigt sie alle in seinem ureigenen Stil.
Seine Bilder zeigen die Schiffe so, wie es kein Computerprogramm vermag – mit ihrer Seele.
Für seine 3D-Ansichten, die stets auch einen Einblick in das Innenleben der Schiffe ermöglichen, nutzt er Bleistift, Tinte und Wasserfarben zur Kolorierung. Sein Trick, um auch kleinste Details zu veranschaulichen, ist so einfach wie genial: Er vergrößert sie, ohne dass es dem Betrachter ins Auge springt. Er zeichnet auf allen Papieren, die ihm passend erscheinen beziehungsweise gerade zur Verfügung stehen. Falls der Platz auf einem Blatt nicht ausreicht, klebt er einfach mit Tesafilm ein weiteres Stück Papier an. „Seine Bilder zeigen die Schiffe so, wie es kein Computerprogramm vermag – mit ihrer Seele. Und man sieht auch die Hingabe, mit der Robbert sie gemalt hat.“
Den technikaffinen Regattasegler reizen aber auch hochgezüchtete Rennyachten, die über die Ozeane pflügen. Selbst als ihm 2006 der Zutritt auf den holländischen Volvo-Ocean-Racer „Black Betty“ verwehrt wird, lässt er sich nicht davon abbringen und skizziert das Boot kurzerhand von der Pier aus. Das Interieur entspringt seiner Fantasie und seinem Verständnis für Technik und Aufbau einer Rennyacht. Wie ein Detektiv ortet er die exakten Positionen von Ruder, Vorstagen oder Rumpfnieten und stellt alles in einen Kontext. Auch hier kommt das Ergebnis wieder verblüffend nah an das Original heran, nur der Spionage wird er diesmal nicht bezichtigt.
Dafür hält sich allerdings bis heute das Gerücht, dass dem damals 77-Jährigen eine Schummelei mit dem zulässigen Ballastgewicht aufgefallen ist – ohne jemals an Bord gewesen zu sein.
Seine künstlerischen Ausflüge in die frühe Seefahrt dienen Robbert Das aber auch, um die technische Entwicklung zu verstehen und um Blicke in die Zukunft zu wagen. Bereits 1972 zeichnet er eine Segelyacht mit Schwenkkiel, und zehn Jahre später werden seine spektakulären Entwürfe von foilenden Rennyachten und starren Flügelsegeln publiziert.
Anfangs noch belächelt, werden diese Ideen viele Jahre später maßgeblich in das Design der heutigen Rennziegen einfließen und dort nicht mehr wegzudenken sein. Wieder einmal erweist sich der Illustrator als Visionär.
Trotz seines Hangs zu Technik und futuristischen Konzeptionen verabscheut er die digitalisierte Welt. Einen Computer besitzt Das ebenso wenig wie ein Mobiltelefon oder gar einen Taschenrechner.
An eine Altersvorsorge verschwendet der Freigeist keinen Gedanken, ein Versäumnis, das sich später bitter rächen sollte. Der Wahlfranzose hat nie in die holländische Pensionskasse eingezahlt und sich stets auf seine Kunst und die damit einhergehenden Honorare verlassen.
Doch dann passiert etwas, was sogar er nicht hatte kommen sehen: Computergesteuerte CAD-Programme, mit denen sich 3D-Modellierungen sehr günstig und schnell anfertigen lassen, ersetzen seine Zeichenkünste mit einem Schlag. Robbert Das’ Vermögen beginnt zu schmelzen, und zu seiner eigenen Verwunderung überlebt er sogar seinen kongenialen Bruder Rudolf, der mit 91 Jahren das Zeitliche segnet.
Heute lebt Robbert Das zurückgezogen in einem kleinen Ort in der Nähe von Nizza. Sein einziges Einkommen bezieht er aus dem Verkauf seiner alten Bilder und des Buches „Ocean Pioneers“, erschienen im Dokmar-Verlag, in dem er den Pionierleistungen großer Segler und ihren Booten huldigt. 2018 beschließt das Niederländische Schifffahrtsmuseum in Amsterdam, das Vermächtnis von Robbert Das zu sichern und seine Kunst als nautisches Kulturgut Hollands anzuerkennen. Dutzende Bilder werden dafür gekauft und 2024 in einer Sonderausstellung gezeigt. Außerdem wird er als Mitglied in die exklusive Vereinigung der holländischen Marinemaler aufgenommen.
Im hohen Alter von 90 Jahren beweist Robbert Das zum vermeintlich letzten Mal, dass er noch in der Lage ist, sich in andere Welten hineinzuversetzen. Inmitten der Corona-Pandemie reist er dafür wieder in die Vergangenheit und illustriert für ein Kunst- und Nachbauprojekt in Zeeland die „Caudicaria Navis“, einen 1.800 Jahre alten römischen Küstenfrachtsegler, der zwischen Holland und Britannien pendelte.
Auch dieses liebevoll mit warmen Farben gestaltete Bild besitzt etwas, was kein CAD-Programm jemals in der Lage sein wird zu produzieren: eine Seele.