HavarienWie Corona die Zahl der Boots-Pannen in die Höhe treibt

Pascal Schürmann

 · 21.04.2022

Havarien: Wie Corona die Zahl der Boots-Pannen in die Höhe treibtFoto: SeaHelp
Eine Segelyacht im Schlepp des SeaHelp-Pannendienstes. Den gibt es außer an der Adria in mehreren anderen Revieren

An der Adria gab es infolge der Pandemie einen Wartungsstau bei Yachten. Crews gerieten vermehrt in Not. SeaHelp-Gründer Wolfgang Dauser über die Ursachen

Seinen ersten Boots­pannendienst gründete er als Vercharterer: 2008 wollte Wolfgang Dauser lediglich seinen eigenen Charterkunden schneller zu Hilfe eilen können, wenn diese von unterwegs wegen eines Defekts an der Ausrüstung oder am Schiff anrie­fen. Aus der internen Pannenabteilung wurde nach und nach ein eigenständiges Privatunternehmen: SeaHelp. An den Standorten in Kroatien, Italien, Slowenien, Deutschland, den Niederlanden und Spanien werden inzwischen pro Jahr weit über 1.000 Einsätze gefahren. Daran hat auch die Corona-Pandemie wenig geändert; einen Rückgang der Zahlen habe es nicht gegeben, im Gegenteil. Im YACHT-Gespräch berichtet Wolfgang Dauser von zuvor nie beobachteten Entwicklungen.

YACHT: Herr Dauser, Ihre Leute wurden 2021 allein in Kroatien zu 611 Einsätzen gerufen und mussten bei technischen Problemen viermal so oft helfen wie im Vorjahr. Treibt Corona die Einsatz­zahlen in die Höhe?
Wolfgang Dauser: Das kann man so sagen! Infolge der regelmäßig im Herbst angestiegenen Corona-Zahlen blieben beim Einwintern ungewöhnlich viele der üblichen Servicearbeiten an den Schiffen unerledigt. Im Frühjahr flaut die Pandemie dann mittlerweile ebenso regelmäßig wieder ab. Plötzlich ist die Situation in den Werkstätten angespannt, denn alle wollen nun ihr Boot seeklar haben. Arbeiten, die sich bislang über fünf Monate verteilten, ballen sich jetzt binnen ein bis zwei Monaten. Viele Eigner bekamen anders als in den Vorjahren schon gar keinen Servicetermin mehr. Die Gefahr besteht, dass sich auch in diesem Jahr die Wartung der Boote wieder bis zum Frühsommer hinzieht. Mit der Folge, dass viele mit ungenügend oder gar nicht gewarteten Booten erst mal lossegeln.

Sind denn die Ursachen für die Pannendienst-Einsätze gleich geblieben?
Covid hat die Statistik deutlich verändert, anfangs nach unten. 2020 beobachteten wir auf der Nord- und Mitteladria, dass Eigner sich aus Sorge vor kurzfristigen Pandemieentwicklungen nicht weiter als 20 bis 30 Seemeilen von ihrem Liegeplatz entfernten. Die Südadria wurde 2020 praktisch gar nicht befahren. 2021 normalisierte sich das Törnverhalten. Jetzt standen Urlaubstörns mit langen Strecken wieder im Vordergrund, doch diesmal auf Booten, die wie beschrieben nicht immer gut gewartet waren. Den letzten ordentlichen Service hatten die meisten Boote, denen wir helfen mussten, 2019 gesehen. Crews waren im August 2020 Hals über Kopf abgereist und hatten oft fluchtartig ihre Boote verlassen. Auf manchen liefen noch die Kühlschränke, viele hingen noch über Wochen unbeaufsichtigt am Landstrom.

Was waren die Folgen?
2021 war das Jahr der heißgelaufenen Motoren. Die Liste der Ursachen dafür ist lang: An erster Stelle standen Probleme mit der Kühlung des Motors: Impeller, die nicht ausgewechselt worden waren; Miesmuscheln in der Kühlwasseranlage; zugewachsene Kühlwasserzuläufe; verunreinigter Kraftstoff, weil der Diesel seit zwei Jahren im Tank war. An zweiter Stelle folgten Probleme mit den Batterien, die nicht regelmäßig geladen worden waren, da Eignerboote in den langen Lockdown-Phasen nicht erreicht werden konnten.

  Der Österreicher Wolfgang Dauser hat SeaHelp in den vergangenen Jahren stetig erweitert. Und das nicht nur regional: Neben Pannendienstleistungen, die wie bei einem Automobilclub über eine Mitgliedschaft zu haben sind, bietet das Unternehmen auch Bootsversicherungen oder Revierinformationen an. <a href="https://sea-help.eu/" target="_blank" rel="noopener noreferrer nofollow">sea-help.eu</a>Foto: SeaHelp
Der Österreicher Wolfgang Dauser hat SeaHelp in den vergangenen Jahren stetig erweitert. Und das nicht nur regional: Neben Pannendienstleistungen, die wie bei einem Automobilclub über eine Mitgliedschaft zu haben sind, bietet das Unternehmen auch Bootsversicherungen oder Revierinformationen an. sea-help.eu

Können Sie angesichts solcher Ausnahmesituationen das Einsatzgeschehen überhaupt noch vorausplanen?
Das funktioniert nur kurzfristig. Meine Mitarbeiter können aber schon beim Abhören des Wetterberichts vorhersagen, was auf sie zukommt. Je perfekter sich im Sommer eine Schönwetter-Hochdrucklage aus­bildet, desto mehr Einsätze für uns. Die meisten haben wir bei besten Bedingungen.

Weil dann die meisten Crews die Marinas verlassen und unterwegs sind?
Ja. Bei stabilen Hochdrucklagen trauen sich auch Skipper mit weniger Praxis zu, die Nacht an einer Boje oder vor Anker zu verbringen. Crews bleiben dann länger in Buchten, was zu den typischen Schönwetter-Problemen an Bord führt: Der Kühlschrank saugt unbemerkt die Batterien leer; die Ankerwinsch quittiert den Dienst; der Anker verklemmt sich am Grund in Felsspalten. Letztes Jahr hatten wir darüber hinaus auch nach dem Sommer, im September und vor allem im Oktober, nach dem Abflauen der wartungs­bedingten Frühsommerschäden weiterhin untypisch hohe Einsatzzahlen. Denn anders als früher haben die Eigner aus Sorge vor dem nächsten Lockdown ihre Boote bis weit in den Herbst hinein genutzt.

»Manchmal kommen wir mit den Einsätzen kaum hinterher. 2019 gingen in einer Gewitternacht 60 Notrufe ein!«

Gibt es weitere Aspekte, wie die Pandemie Einfluss auf Ihre Einsätze nimmt?
Das Jahr 2020 war schon merkwürdig. Im Frühjahr hatten wir nach Ausbruch der Pandemie gar keine Einsätze – wegen der Reisewarnungen war nichts los. Plötzlich aber kamen vermehrt Anrufe, weil Eigner im Vorjahr ihren Liegeplatz gekündigt hatten. Der bisherige Platz war weg, die Eigner konnten aber wegen des Lockdowns ihr Boot nicht wie geplant verlegen. Plötzlich fielen für sie doppelte Liegekosten an; oft lagen Boote mit hohen Tagesgebühren auf den teuren Transitliegeplätzen. Wir wurden dann gefragt, ob wir auch Boote verlegen könnten. Das haben wir gemacht. Aber da wir ja keine Schlüssel hatten, mussten wir die Boote schleppen. Kurz gesagt, jedes Jahr ist anders.

Was war denn Ihr verrücktestes Jahr bisher bei SeaHelp?
Das war ohne Frage das Jahr 2019! Eine besondere Wetter­lage mit drei Gewittern an drei Tagen hintereinander brachte viele Segler in Not. Wir kamen mit den Einsätzen kaum noch hinterher.

Was war da los?
Vor allem bei Unwettern in der kroatischen Hochsaison können wir nicht alle Anrufer gleichzeitig abarbeiten. Ich gebe mal ein Beispiel: In der Nacht auf Freitag, den 6. August 2019 tobten über der Mittel­adria ab Mitternacht heftige Gewitter. Von zwei Uhr nachts bis morgens um zehn Uhr erreichten uns rund 60 Notrufe. Ein großer Teil davon – zwischen 25 und 30 Anrufe – betraf die Bergung gestrandeter und gesunkener Yachten.

Was gilt bei Ihnen denn als Bergung und was vielleicht noch als Schlepphilfe?
Eine Bergung wird notwendig, wenn ein Schiff durch äußere Einwirkung oder infolge technischen Versagens so beschädigt ist, dass seine Besatzung es aus eigener Kraft nicht mehr in einen Hafen bringen kann oder die Weiterfahrt mit eigenem Antrieb unmöglich ist. Teilweise deckt die SeaHelp-Mitgliedschaft solche Einsätze ab. Aber wenn es um den Totalverlust der Yacht geht und Umweltschäden drohen, wird der Einsatz immer kostenpflichtig. SeaHelp ist ja keine Rettungsorganisation, sondern ein Pannendienst.

Ist das denn im Fall eines Unwetters ausschließlich durch äußere Einwirkungen ver­ursacht wie starke Böen oder Windseen? Oder ist da auch der Mensch beteiligt, wenn ein Boot geborgen werden muss?
Der Mensch ist immer beteiligt: wenn er ein Boot zu nah an den Felsen ankert; wenn er bei Gewittergefahr ein Boot unbemannt auf Sveti Klement in einer nach Norden offenen Bucht, der Hauptwetterrichtung, zurücklässt. Wenn eine Bergung notwendig wird, ist der Mensch immer als Unfallursache beteiligt. Er ist es, der richtige oder falsche Entscheidungen trifft, nicht das Boot.

Was sind die häufigsten Fehler?
In 70 bis 80 Prozent aller Fälle ist zu wenig Kette gesteckt. Oder es wurde zu nah an den Felsen geankert. Die zweit­häufigste Ursache in Kroatien ist, dass eine Boje nicht gehalten hat und die Yacht auf Drift geht.

Sind die Bojen denn nicht sicher?
Leider nicht immer. Von den Abrissen 2021 ereigneten sich 90 Prozent in offiziell ausgewiesenen Bojenfeldern.

Spielen auch rutschende Grundgewichte eine Rolle?
Wenn sie ordentlich gemacht sind, nicht. Ein Freund hatte mit seiner 60-Tonnen-Motor­yacht in einer Bucht auf Rava ein mitternächtliches Gewitter mit Spitzen bis zu 60 Knoten. Er und ich hingen gemeinsam auf einer Ankerboje mit einer Landfeste. Unsere Yachten tanzten heftig in den Böen. Als ich am nächsten Morgen zum Betonblock tauchte, um zu kontrollieren, ob wir ihn versetzt hatten, war der keinen Milli­meter gewandert. Das Vakuum am Boden hält die Blöcke mehr an Ort und Stelle, als man glaubt.

Und woher kommen dann die Abrisse der Yachten von Bojen?
Häufig ist das Tau oder der Schä­kel zwischen Block und Boje der Schwachpunkt. Es gibt auch schwarze Schafe unter den Bojenvermietern oder Re­staurantbesitzern, die nur einen 100 Kilo schweren Block oder gar nur einen Sonnenschirmständer versenken. Man sollte grundsätzlich immer kontrollieren, woran man festmacht.

Haben Sie mehr mit Segel- oder mit Motoryachten zu tun?
Unsere Mitglieder sind zu 63 Prozent Motorbooteigner, nur 37 Prozent sind Segler. Bei den Einsätzen ist das Bild aber andersherum: 70 Prozent aller Einsätze fahren wir für Segel­schiffe, nur zehn Prozent für Motoryachten. 20 Prozent gehen auf das Konto kleinerer Sportboote. Und: In Kroatien sind zwar ungefähr 5.000 Segel- und 1.000 Motoryachten in Charter unterwegs, über 80 Prozent der Einsätze fahren wir aber für Privateigner.

»70 Prozent unserer Einsätze fahren wir für Segelyachten – obwohl wir viel mehr Motorbootfahrer als Mitglieder haben«

Wie erklären Sie sich, dass Segler doppelt so häufig Ihre Hilfe benötigen?
Nun, der typische Skipper einer privaten Motoryacht ist über 60 Jahre alt und mit seiner Frau allein auf Urlaubstörn. Auf Segel­yachten sind Familien mit Kindern oder größere Crews unterwegs, die allein von der Personenzahl häufiger duschen und mehr Strom verbrau­chen, mehr Laptops, Handys, Tablets laden und benutzen. Das Problem, das dann am häufigsten auftritt, ist Stromausfall. Ein weiterer Punkt: Motoryachten haben zwei Motoren und deshalb auch zwei Lichtmaschinen, Segel­yachten aber nur einen. Oft haben wir es auch mit Riggproblemen oder verklemmten Roll­segeln zu tun. Riggwartung auf Segelyachten findet quasi nicht statt, die wird vernachlässigt. Wohl auch, weil viele Privat­eigner sich die Ausgaben sparen wollen oder meinen, vieles selbst reparieren zu können.

Wenn Segelyachteigner mehr selbst reparieren: Wieso ist Ihr Pannendienst dann überhaupt notwendig? Früher halfen sich Segler doch auch gegenseitig, egal ob im Hafen oder auf See.
Die Bereitschaft, anderen zu helfen, hat leider massiv abgenommen. Dass beispielsweise Scharen von Crews an einem anderen treibenden Boot vorbeifahren und nur freundlich winken, obwohl dessen Skipper hektisch gestikulierend um Hilfe bittet, ist kein Einzelfall. Und noch etwas hat sich verändert: Die Menschen sind ungeduldiger geworden. 2005 waren die Leute froh, wenn wir nach eineinhalb Stunden vor Ort waren. Heute hören wir nicht selten nach einer halben Stunde Klagen, dass man seinen Urlaub nicht fortsetzen könne, weil wir noch nicht zur Stelle seien.

Womit rechnen Sie für 2022?
2021 war das Jahr der Motor­defekte. 2013 seltsamerweise das Jahr der defekten Starter- und Ankerrelais. Was diese Saison passiert, ist schwer zu sagen.

Gehen Sie denn von noch mehr Urlaubern an der kroatischen Küste aus als im letzten Jahr?
Das ist ja kaum noch möglich. So viele Urlauber auf dem Wasser wie 2021 hat es wohl nie zuvor in Kroatien gegeben. Es war ein Sensationsjahr, sagen jedenfalls die Wirte der Restaurants. 2022 wird, denke ich, ein Stück planbarer. Nach zwei Corona-Saisons hat jeder ausreichend Erfahrungen gesammelt. Der Trend zum Bootstourismus wird aber weiter ansteigen, da viele dessen Vorzüge selbst erlebt und ihren Freunden davon erzählt haben.

Das Interview hat Thomas Käsbohrer geführt. Es ist in YACHT 8/2022 als Teil unseres ausführlichen Kroatien-Spezials erschienen. Sie haben das Heft verpasst? Kein Problem, hier können Sie es nachbestellen (einfach anklicken!).