Jochen Rieker
· 18.03.2020
Dass das Corona-Virus Einschränkungen auch für Segler bringen würde, war klar. Aber warum bleiben dann nicht wirklich alle Häfen dicht? Ein Erklärungsversuch
Ja, es gibt Themen, die eminent wichtiger sind in diesen Tagen als die Frage, wann Yachten zu Wasser gehen können und wir wieder segeln dürfen. Dennoch lässt sich nachvollziehen, dass das Nebeneinander von Beschlüssen und deren teils unterschiedliche Auslegung für Verdruss sorgt. Schließlich herrscht schon in normalen Zeiten zum Frühlingsanfang der Ausnahmezustand in den Winterlagern und bei Servicebetrieben, sobald die Temperaturen milder werden.
Derzeit erreichen uns Dutzende Anfragen dazu. In den Sozialen Medien wird hitzig diskutiert und kommentiert, warum der Segelsport insbesondere im Norden der Republik derart rigide beschnitten wird. Verwirrung und Verdruss dürften mit jedem Tag noch größer werden, weil mancherorts schon Schiffe in den Krangurten hängen und an den Stegen vertäut werden, während anderswo winterliche Leere in den Häfen herrscht. Wie passt das zusammen? Hier der Hintergrund:
Die Länder haben für Freizeitaktivitäten extreme Einschränkungen beschlossen. Diese betreffen Vereine, Sportstätten, Campingplätze und an Nord- und Ostsee auch weitgehend die Marinas. Gleichzeitig soll aber die Wirtschaft weitgehend aufrecht erhalten werden, um so wenige Jobs zu gefährden wie möglich.
Das führt zu der in der Tat widersprüchlichen Situation, dass Werften wie um diese Jahreszeit üblich längst mit dem Auswintern begonnen haben, in Kommunal- und Vereinsmarinas hingegen teils kompletter Stillstand herrscht. In zwei bis drei Wochen wird man etwa in Kappeln an der Schlei oder in Heiligenhafen vollbelegte Stege vor den Servicebetrieben sehen, direkt daneben verwaiste Club-Anlagen in Endzeit-Stimmung.
Segeln werden bis auf Weiteres auch jene Eigner nicht dürfen, deren Yachten bereits segelklar in der Box liegen. Denn das verbieten die Allgemeinverfügungen der Länder, die jedewede "touristischen Aktivitäten" untersagen, unter die auch die Nutzung des eigenen Bootes fällt. Doch werden sie bei einer Lockerung der Bestimmungen zur Eindämmung des Corona-Virus sofort ablegen können – wann auch immer diese kommen wird. Wer dagegen in der Vereinshalle überwintert, muss sich auf eine etwas längere Zwangspause einstellen.
Falk Morgenstern, Geschäftsführer des Baltic Sea Resorts in Kröslin, einem Hafen bei Wolgast weit im Osten der Republik, bringt mit seiner Service-Crew derzeit jeden Tag Schiffe ins Wasser – "fast so wie in jedem Frühjahr". Wegen der Pandemie und des Ansteckungsrisikos hat er die Eigner jedoch gebeten, von Besuchen ganz abzusehen oder die Kranarbeiten allenfalls aus der Distanz zu begleiten. In einer E-Mail schrieb er:
"Wir halten weiterhin den Kranbetrieb aufrecht, bitten Sie jedoch um einen Mindestabstand von 2 Metern zwischen Ihnen und unseren Mitarbeitern. In diesem Zusammenhang bieten wir Ihnen an, Ihre Schiffe ohne Ihre Anwesenheit zu kranen, Masten zu stellen und an Ihren Liegeplatz zu verholen."
Um auch in der Belegschaft einen Komplettausfall bei einer Covid-19-Infektion zu vermeiden, lässt Morgenstern seine Kollegen "nur noch in festen Zweier-Teams arbeiten, die nicht wechseln". Das sei der große Unterschied etwa zu einem Krantermin in Vereinen. "Da haben sie ein, zwei Tage lang 50, 100, 200 Leute auf einem Haufen."
Bei den Kunden treffen die Maßnahmen bisher "überwiegend auf Verständnis", so der Marina-Betreiber. Obwohl sie erstmal nicht auf ihre Boote kommen, reagierten die Eigner "meist sehr besonnen".
Das ist auch in Süddeutschland so, wie Sonja Meichle von Ultramarin in Kressbronn am Bodensee gegenüber YACHT online berichtet. Kein Wunder: Dort sind die Einschränkungen insgesamt weit geringer.
"Bei uns läuft alles ganz regulär", sagt die Chefin, die Mitglied im Präsidium des Bundesverbands Wassersportwirtschaft ist, fügt aber gleich hinzu: "Noch!" Denn niemand könne derzeit ausschließen, dass es zu weiteren Restriktionen komme.
Während Gemeindehäfen dicht bleiben und in Vereinshäfen nur mit Auflagen gekrant werden kann, dürfen bei Ultramarin Eigner sogar selbst auf die Boote, etwa zum Anschlagen von Großbaum und Segeln. Überall auf dem Gelände des Betriebs hat die Corona-Epidemie dennoch Spuren hinterlassen: Die Hygienemaßnahmen sind verschärft worden, der Fachmarkt darf nur noch auf einer abgegrenzten und stark verkleinerte Fläche ein Rumpfsortiment an Antifouling, Pflegemitteln und anderen Produkten anbieten.
Immerhin: Segeln sei auf dem Schwäbischen Meer erlaubt – nur eben nicht mehr grenzüberschreitend nach Österreich und in die Schweiz, sagt Sonja Meichle. Eigner von dort, die ihre Yachten den Winter über bei Ultramarin untergebracht haben, müssen deshalb ebenfalls pausieren. Sie können wegen der Grenzschließung bis auf Weiteres nicht an Bord.
Geduld und Gleichmut, so scheint es, werden stark gefragte Tugenden sein in den kommenden Wochen.