ReportageAuf Streife mit der Wasserschutzpolizei

Marc Bielefeld

 · 07.05.2024

Steuermann mit Wappen am Ärmel: Polizeimeister Frank Stüben auf Kontrolltörn
Foto: YACHT/ B. Scheurer
Schikane! Willkür! Kontrollwut! Wenn es um die Wasserschutzpolizei geht, werden viele Skipper emotional. Im Rahmen der “Maritime Safety Days” werden am heutigen 9. Mai, dem “Vatertag”, in Niedersachsen, Bremen, Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern verstärkt Freizeitboote überprüft. Aber was passiert wirklich, wenn Yachten überprüft werden? Die YACHT war vor einigen Jahren auf Patrouillenfahrt mit Freunden und Helfern

Um sieben Uhr hat der Tagesdienst in dem roten Backsteinhaus am Düsternbrooker Weg begonnen. Von der Hauptwache der Wasserschutzpolizei in Kiel, rund um die Uhr besetzt, blickt man direkt auf die blau glitzernde Förde, die Fenster stehen offen. Carina Raschke prüft gerade die letzten Meldungen, sie trägt blonde Haare, blaue Hose und ein weißes Hemd mit Schulterklappen, geziert von drei dünnen goldenen Streifen. Das Dekor der Polizeiobermeisterin. Raschke sagt: „Auf dem Nord-Ostsee-Kanal wurde ein Motorboot ge­sichtet, das 20 Knoten fährt. Dem werden wir gleich mal nachgehen.“

Ihre Kollegen Dirk Loof, Polizeiobermeister, und Polizeimeister Frank Stüben, sitzen bei einem schnellen Frühstück, Brötchen, Tasse Kaffee – und schmunzeln über eine skurrile Meldung von der Wache Brunsbüttel. Sie ist heute das unangefochtene Thema Nummer eins.

Nackter Mann mit grünen Haaren gesucht

Auf der Elbe sei ein nackter Mann mit grüner Perücke hinter einer weißen Segelyacht Wasserski gelaufen und soll anderen Booten ziemlich dicht vor die Steven gefahren sein. Die Damen und Herren Wasserschutzpolizisten haben schon so einiges erlebt. Aber das hier klingt doch sehr abstrus.

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Fast jeden Tag fährt die Wasserschutzpolizei raus, geht gemeldeten Vor­fällen nach, erledigt Routinekontrollen. An den Wänden der Hauptwache hängen Einsatzpläne und Seekarten, Nord-Ostsee-Kanal, Kieler Hafen, Kieler Förde, die Ostsee bis hoch nach Kegnæs und Langeland. Vor der Funkkonsole liegen Berichte, Notizen, daneben ein dicker Ordner: das Verkehrsblatt-Dokument Nr. B 8350, Titel: „BVKatBin-See“, der Buß- und Verwarnungsgeldkatalog Binnen und See.

Das Dokument ist 233 Seiten stark, es wimmelt vor Paragrafen und enthält fast alle erdenklichen „Tatbestände“, die auf deutschen Gewässern zu verzeichnen sind. Es ist das bleierne Werk, das den Verkehr zu Wasser regeln soll. An verbotener Stelle ankern, Öl ver­klappen oder in der Sommer­brise mit ein, zwei Bieren zu viel an der Pinne stehen – jedes Vergehen ist hier penibel be­schrie­ben, nebst entsprechenden Strafen. Verwarnungsgelder. Anzeigen. Bußgelder. Gegebenenfalls Drastischeres.

Mit ihren Seebooten überwacht die Wasserschutzpolizei die Ostsee bis zur Zwölf-Seemeilen-Grenze, mit ihren Hafenbooten den Kanal, Kieler Hafen und die Förde. Die Aufgaben sind vielfältig. Gefahrenabwehr, Ermittlung, Verfolgung von Straftaten. Bei schifffahrtspolizeilichen Einsätzen kontrollieren die Beamten die Einhaltung der Sicher­heitsvorschriften in der Berufsschifffahrt, die Besetzung der Schiffe, sie überprüfen Zeug­nisse, Papiere und Auflagen. Hinzu kommt die Verfolgung von Umweltdelikten, seit 2003 auch die Fischereiaufsicht.

Dabei benutzen sie keineswegs immer das Boot. Oft ist das Auto schneller, um die Einsatzorte am Wasser zu erreichen. Wenn in den Häfen ein Diebstahl gemeldet oder irgendwo am Steg randaliert wird. Wenn sie allerdings das Boot nehmen, gelten die Kontrollen speziell in der Saison auch regel­mäßig den Sportbooten.

Nicht viele Boote können mit der “Brunswik” mithalten

Um 10 Uhr machen Loof und Stüben die „Brunswik“ klar, Rufzeichen DA 2342. Ein finnisches GFK-Boot vom Typ Minor, 11,40 Meter lang, zwei Mann Besatzung und „ausreichend motorisiert“, wie Loof es nennt. Die zwei Maschinen leisten weit über 300 PS. Es dürfte nicht viele Vehikel auf der Förde geben, die hier mithalten können.

Es ist ein Sahnetag, Badewetter. Die „Bruns­wik“ tuckert erst einmal gen Süden. Stüben sitzt am Steuer, vor ihm diverse Instrumente. Radar, Seefunk, Schiffsidentifizierungssystem, Navtex. Die beiden Beamten tragen Pistolen vom Typ Sig Sauer P6. „Zum Glück muss­te ich meine bisher nur beim Übungsschießen einsetzen“, sagt Loof.

Die „Brunswik“ fährt an zwei riesigen Kreuzfahrtschiffen vorbei, die Besatzung vom Dampfer „Bussard“ und die Kapitäne der Fäh­ren winken der Patrouille zu. Man kennt sich auf dem Wasser. Um 11.15 Uhr der erste Vorfall. Ein kleiner Traditionssegler fährt unter Segeln und Motor, hat aber nicht – wie in den Kollisionsverhütungsregeln vorgeschrie­ben – den schwarzen Kegel, Spitze unten, gesetzt.

Eine kurze Belehrung, damit ist die Sache erledigt

Auf dem Boot sind drei junge Leute. Als die „Brunswik“ nah heranfährt, schauen sie etwas verdutzt. Loof stellt sich an der Bug­reling des Polizeiboots auf, er sieht, dass einer der Segler an Bord bereits dabei ist, den Kegel hervorzukramen. Es folgt eine kurze Belehrung, Loof wünscht noch einen schönen Sonntag, damit hat es sich.

„Wir wollen nicht päpstlicher sein als der Papst“, sagt Loof. „Oft weisen wir nur auf einen Fehler hin und erteilen nicht gleich eine Verwarnung. Dass bei einer Segelyacht, die unter Motor läuft, aber andere Vorfahrts­regeln gelten und der Kegel gesetzt sein muss, das sollten die schon wissen.“ Loof stellt sich ans Heck, blickt über die Förde und rückt seine schwarze Sonnenbrille zurecht. Um 11.30 Uhr passiert das Boot die Grenze zwischen Hafen und Außenförde.

Oft müssen sich die Polizisten um Kleinigkeiten kümmern. Treibholz aus dem Was­ser fischen zum Beispiel oder Jugend­liche zur Ordnung rufen, wenn sie bei war­mem Wetter mal wieder von den Anlegern ins Kielwasser der ablegenden Fähren springen. Dann kommt eine Dehler 35 in Sicht, die ohne gesetzte Segel auf der Förde dümpelt. Der Skipper steht in Badehose im Cockpit und angelt. Kaum ist das Polizeiboot auf Tuchfühlung, ruft er: „Na, was wollt ihr se­hen?“ Loof nimmt „du“ und „ihr“ nicht krumm, es ist der Ton auf See. Er lässt sich Angel- und Sportbootführerschein herüberreichen. Alles in Ordnung, es werden ein paar nette Worte zum Thema Dorsch gewech­selt, dann geht es weiter.

Nur bei Auffälligkeiten wird kontrolliert

Manche Segler sind genervt von der Was­serschutzpolizei und be­klagen Kontrollwut und Behördenwillkür. Wie ein älte­rer Skipper, der sich in der Lübecker Bucht einer Rund­um-Kontrolle unterziehen musste; die Beamten, sagt er, seien sogar an Bord gekom­men und hätten den Winkel des Flaggenstocks vermessen. Tatsächlich gibt es solche Zeitgenossen in Uniform, die sich anscheinend berufen fühlen, Sportbootskipper mög­lichst nach allen Regeln der Kunst zu schikanieren. In jüngerer Vergangenheit sind mehrere derartige Vorfälle an der Grenze zur Ab­surdität von der Flensburger Förde und der Schlei publik geworden – ein übereifriger Gesetzeshüter, selber Segler, soll sogar seine eigenen Vereinskameraden reihenweise wegen Bagatellen verfolgt haben.

Aber solch eigenwillige Interpretation des Jobs ist seltene Ausnahme. „Wir stoppen Seg­ler in der Regel nur bei Auffälligkeiten“, sagt Loof. Viele Skipper, so erzählen sie in den Yacht­häfen, sind überhaupt noch nicht kon­trolliert worden. „Wir haben eigentlich wenig Stress mit Sportbooten“, sagt der Polizei­ober­meister. „Wir versuchen eher, ein anstän­diges Mitein­ander auf See zu pflegen.“

Dennoch müssen Segler jederzeit damit rechnen, überprüft zu werden. Auch ohne dass es einen ersichtlichen Grund gibt.

Defizite bei Vorfahrtsregeln

Bei leichten Verstößen fordern die Beamten meistens nur ein Verwarnungsgeld, womit die Sache geregelt ist. Im Zuständigkeitsbereich der Kieler handelt es sich dabei meistens um drei Vergehen. Für Geschwindigkeitsüberschreitungen bis zu drei Kilometer pro Stunde müssen Sportbootführer 20 Euro zahlen, für den grundlosen Aufenthalt im Schleu­senzufahrtsgebiet sind 15 Euro, fürs Fahren im Sperrgebiet vor Fried­richsort 25 Euro fällig.

Außerdem, sagt Loof, sei auffällig, dass Segler relativ häufig gegen das Rechtsfahr­gebot im Fahrwasser verstießen und Defizite in puncto Vorfahrtsregeln aufwiesen. Loof: „Viele Segler beherzigen nicht, dass sie keine Vorfahrt vor Motorbooten haben, wenn diese dem Verlauf des Fahrwassers folgen.“ Manche Skipper würden den Frachtern und Berufsfahrzeugen außerdem viel zu dicht vor den Bug laufen, für die Brückencrews auf großen Schiffen sei das ziemlich unangenehm, weil sie einen erheblichen toten Winkel vorm Steven haben. „Wenn die Segler darauf mehr achten und früh genug ausweichen würden, könnten wir uns viele Anrufe von aufgebrachten Lotsen und Kapitänen ersparen.“

Der in aller Regel entspannte Umgang miteinander leidet nur, wenn Skipper, die mit mündlichen Belehrungen oder Verwarnun­gen nicht einverstanden sind, zetern oder dumme Sprüche klopfen. Wenn sie einen solchen Ton anschlagen oder flapsig werden, ist selbst mit den wohlmeinendsten Wasserschutzpolisten nicht mehr gut aus­zukommen. Dann nehmen diese eine An­zeige auf und verhängen ein Bußgeld, das bis zu zehnmal höher ausfallen kann als das Verwarnungsgeld.

Polizisten sollen Segler verstehen lernen

Um sich andererseits besser in die Segler hineinversetzen zu können, müssen die Beamten den Seemannschaftslehrgang II absolvieren, entsprechend dem Kurs zum Sport­küstenschifferschein. Die Polizisten sollen etwa erkennen, wann eine Yacht auch mal durch äußere Umstände gezwungen ist, auf der falschen Fahrwasser­seite zu kreuzen. Für einen wie Loof durchaus sinnvoll. Früher war er Wachoffizier auf einem Schnellboot der Marine. Und im Vergleich dazu sind Yachten fragile Spielzeugschiffchen.

Weiter draußen auf der Außenförde gibt Polizeimeister Stüben jetzt Gas, legt langsam den Hebel auf den Tisch. Das Boot rast davon, presst eine gewaltige Hecksee ins Wasser. Stüben hält das Steuer beidhändig, er zieht das Boot in eine weite Kurve.

Dann drosselt er die Maschinen. Eine Grand Soleil 40 fährt, wie zur Bestätigung von Loofs Worten, wo sie nicht fahren sollte: von See kommend auf der Backbordseite des Fahrwassers. Der Skipper steht stramm, als sich die „Brunswik“ nähert. Für die Übergabe von Bootspapieren und Führerscheinen haben die Beamten einen Teleskop-Kescher an Bord, bei zu hohen Wellen wird die Yacht zur Kontrolle in einen Hafen be­ordert. Aber diesmal erfolgt wieder nur eine mündliche Belehrung von Reling zu Reling. Loof steht breitbeinig am Bug, der Skipper dreht nach dem Tadel artig ab.

„Es ist Ermessenssache des Beamten, wann wir ein Verwarnungsgeld oder ein Buß­geld verhängen“, sagt Loof. „Wer nicht weiter auffällig ist und Einsicht zeigt, kommt oft nur mit einer solchen Belehrung davon.“ Das Was­ser sei schließlich so eine Art letztes Refugium. Natürlich müssten Regeln gelten, aber man wolle die Stimmung auf See auch nicht zerstören.

Kein Pardon beim Thema Alkohol

Kein Pardon gibt’s allerdings beim Thema Alkohol. Wie für jenen Skipper, der mit einer 16-Meter-Yacht in verkehrter Richtung im Verkehrstrennungsgebiet unterwegs war, Probleme beim Festmachen in Strande hatte und bei dem 2,67 Promille gemessen wurden. „Der war zwei Jahre seinen Sportbootführerschein los“, hatte Polizeiobermeisterin Raschke am Morgen noch erzählt.

Einen Alkomaten hat das Polizeiboot stets an Bord. Wer verdächtig ist, muss pusten, Führer von Sportbooten dürfen nicht mehr als 0,5 Promille haben. Es gelten die gleichen Regeln wie im Straßenverkehr.

Eine Trunkenheitsfahrt ohne Ausfall­erscheinungen, bei der 0,5 bis 1,1 Promille festgestellt werden, gilt als Ordnungs­widrig­keit. Es geht eine Anzeige an die Wasser- und Schifffahrtsdirektion (WSD), die dann entscheidet, wie verfahren wird. Wer mehr als 1,1 Promille aufweist, bekommt es mit der Staatsanwaltschaft zu tun.

Im Wiederholungsfall oder beim Verdacht auf Gewohnheitstrinken kann die Staats­anwaltschaft eine medizinisch-psychologische Untersuchung, vulgo „Idiotentest“, anordnen. Wer den nicht besteht, gilt als untauglich, jegliche Art von Kraftfahrzeug zu führen und verliert dann auch seine Lizenz fürs Auto.

Routinekontrollen in der Schleuse

Um kurz vor zwei macht das Polizeiboot in Kiel-Holtenau bei der Kanalschleuse fest, hier finden öfter Routinekontrollen statt – aber fast immer, ohne dass Sportboote auffällig werden. In der Kammer müssen die Skipper ihre Führerscheine vorzeigen. Überprüft werden bei entsprechenden Geräten an Bord auch Frequenzzuteilungsurkunden und Funkzeugnisse. Und ob verbotene Halonlöscher an Bord sind, interessiert die Polizisten ebenfalls. Bei Verdacht auf Alkohol das Übliche: pusten.

Loof und Stüben steigen die Metall­spros­sen zu den Schwimmstegen hinab, neun Segelboote sind in die Schleuse eingelaufen und machen gerade fest. Einige der Segler schauen skeptisch, durch die Kammer weht plötzlich der Wind der Obrigkeit. Loof und Stüben teilen sich auf. Ein älterer Skipper flachst aus seinem Cockpit: „So einen Führerschein wie meinen kennen Sie gar nicht mehr, der ist schon ein paar Jährchen älter als Sie.“ Loof nimmt’s gelassen, scherzt zurück: „Dazu gehört ja auch nicht viel.“ Sehen will er den Schein natürlich trotzdem.

Auf der nächsten Yacht echauf­fiert sich eine Frau. Sie ist Juristin und sagt, die Be­amten sollten die Urlaubsfahrer in Ruhe lassen und sich lieber um die kryptische Sprache und wirren Kürzel in der See­schiff­fahrts­straßen-Ordnung kümmern. Manche Verbote und Gebote könne kein Mensch deuten. Loof und Stüben kennen das. Gelassen gehen sie weiter, hier und da bieten sie Hilfe beim Fest­machen an.

Auch der nackte Wakeboarder taucht auf

Beim letzten Boot bleibt Loof etwas länger stehen, sein Blick wird schärfer und wandert aufmerksam über die rund zehn Meter lange GFK-Yacht, drei junge Männer an Bord, gerade mal 18, 19 Jahre alt, Shorts, freie Ober­körper, sehnig. An Deck liegt ein Wakeboard, auf dem man sich normalerweise von Motorbooten ziehen lässt. Einer der Jungs trägt fleischfarbene Surfshorts und ein großes grünes Käppi auf dem Kopf, den Schirm cool nach hinten gedreht.

Loof dämmert es: der nackte Wasserskifahrer mit der grünen Perücke! Die drei gestehen sofort. Sie hätten sich tatsächlich mit dem breiten Wakeboard von der Yacht schlep­pen lassen und dabei wegen der geringen Fahrt knietief im gurgelnden Wasser gestanden. Loof nimmt lächelnd die Personalien auf, für die Akten, für die Ordnung.

Und damit geht sein Arbeitstag zu Ende. Trotz nackter Wakeboarder mit grünen Haaren: keine besonderen Vorkommnisse.

Dieser Artikel erschien erstmals in YACHT 8/2010 und wurde geringfügig gekürzt


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