Die nicht sterblichen Überreste von Segel- und Motorbooten aus dem GFK-Zeitalter finden sich nicht nur in Hinterhöfen, Gärten und Scheunen auf dem Land, sondern mittlerweile auch auf jedem Hafengelände. Für Touristen mag die Patina der ausgedienten Schiffe ein attraktives Fotomotiv hergeben, für die Hafenbetreiber sind die sogenannten Leichen ein ebenso lästiges wie teures Übel.
Die Gründe für die Aufgabe eines einst geliebten Schiffes können unterschiedlichster Natur sein. Der Eigner verstorben, langzeitkrank oder ausgewandert. Aufgabe des Hobbys aus Alters-, Kosten- oder Zeitgründen. Aus den Augen, aus dem Sinn.
Was mit den unzähligen Kunststoffbooten geschehen soll, die das Zeitliche gesegnet haben, aber trotzdem nicht verschwinden wollen, ist eine viel diskutierte Frage. Und angesichts moderner Großserienproduktionen in hohen Stückzahlen und der dadurch unaufhörlich anwachsenden Armada von GFK-Yachten ist die Dringlichkeit einer Lösung unbestritten.
Obwohl der Werkstoff seit den Siebzigern umfangreich eingesetzt wird, gibt es bisher keine wirtschaftlich sinnvolle Lösung, die ein echtes Recycling von GFK ermöglicht. Heute schon umsetzbar und finanzierbar sind die thermische Verwertung und die Verwendung von aufbereitetem Glasfaserabfall bei der Zementproduktion. Klassisches Recycling, also eine Kreislaufwirtschaft vom Ursprung zum Ursprung, wie es etwa beim Altglas praktiziert wird, ist das jedoch nicht.
Technisch ist es zwar möglich, Harze und Glasfasern zu trennen. Doch es ist unwirtschaftlich: Ein Kilogramm neue Glasfaser kostet ein Euro, ein Kilo recycelte Glasfaser dagegen ein Fünffaches. Der Branchenverband European Boating Industry (EBI) hat unlängst einen Fahrplan zur Umsetzung der Kreislaufwirtschaft für Altboote veröffentlicht, der die Voraussetzungen für eine Lösung des ewigen Problems schaffen soll. Er orientiert sich an bereits existierenden Demontage- und Recycling-Programmen in Europa.
Die Zahl der Boote, die bis 2030 das Ende ihrer Lebensdauer erreichen, wird in der EU derzeit auf mehr als 30.000 pro Jahr geschätzt. Das würde durchschnittlich über 231.000 Tonnen Verbundstoffabfälle pro Jahr bedeuten. Und der maritime Sektor macht dabei nur zwei bis drei Prozent des gesamten Verbundstoffverbrauchs in Europa aus.
Der Branchenverband hat sich verpflichtet, die Deponierung und Verbrennung bis 2030 auslaufen zu lassen, um in Abstimmung mit anderen Verbundstoffindustrien wie der Windenergie nachhaltigere Recycling-Lösungen anzubieten. Das ambitionierte Ziel ist eine Kreislaufwirtschaft, in der alle Materialien vollständig recycelt und für den gleichen Zweck wiederverwendet werden können.
Weniger optimistisch sieht das der Geschäftsführer des Deutschen Boots- und Schiffbauerverbands (DBSV), Claus-Ehlert Meyer: „Was viele leider nicht verstehen, ist, dass beim modernen Bootsbau nicht einfach verschiedene Werkstoffe aneinandergefügt werden, sondern dass mit dem GFK ein neues Ganzes entsteht, welches nicht reversibel ist.“
Wir zergrübeln uns seit 30 Jahren den Kopf, wie GFK wirtschaftlich vernünftig recycelt werden könnte”
Des Weiteren führt Meyer aus: „Wir zergrübeln uns seit 30 Jahren den Kopf, wie GFK wirtschaftlich vernünftig recycelt werden könnte. Dabei wurden unterschiedlichste Ansätze verfolgt, die sich aber alle in der Praxis nicht bewähren konnten, da sie entweder zu aufwändig waren, zu teuer oder zu wenig effektiv. Für die aktuellen GFK-Bootsbestände sehe ich daher keine funktionierende Lösung. Vielmehr geht es darum, künftig Schiffe so zu produzieren, dass sie einfach zu recyceln sind.“
Vor einigen Jahren machte das Hamburger Start-up-Unternehmen ReBoat von sich reden, als es ankündigte, Boote nicht nur fachgerecht zerlegen, sondern auch alle im Bootsbau anfallenden Werkstoffe recyceln zu können – inklusive der harzgetränkten Glasfaserlaminate.
Das geschredderte GFK wurde beim Bremer Entsorgungsspezialisten Neocomp aufbereitet und zu hochwertigen Ersatzbrennstoffen verarbeitet, die in der Zementindustrie fossile Brennstoffe ersetzen können. Nicht nur ausgediente Plastikboote, sondern auch Rotorblätter aus Windkraftanlagen konnten so sinnvoll weiterverwertet werden. Endlich ein Lichtblick auf der dunklen Seite der Bootsindustrie?
Leider nicht, denn Neocomp stellte im letzten Jahr den Betrieb wieder ein – die stark gestiegenen Energiepreise und eine zu geringe Auslastung werden für das Aus der europaweit einzigartigen Anlage genannt. Abnehmer des alternativen Brennstoffs, wie das Zementwerk Lägerdorf in Schleswig-Holstein, finden seitdem keine Ersatzlieferanten und verfeuern wieder ausnahmslos fossile Brennstoffe.
Trotz des Rückschlags arbeiten die Hamburger Recycling-Pioniere zusammen mit dem Umweltministerium an verschiedenen Projekten, und mit einem US-amerikanischen Unternehmen wird sogar die Möglichkeit erforscht, Wasserstoff aus GFK zu generieren. Das ist aber Zukunftsmusik und noch lange nicht marktfähig.
Das Umweltbundesamt (UBA) interessiert sich mittlerweile brennend für das Thema und hat dazu eine eigene Studie mit interessanten Zahlen veröffentlicht – auch wenn diese geschätzt sind und auf Statistiken von 2016 beruhen.
Auf europäischen Gewässern befinden sich demnach mutmaßlich sechs Millionen Sportboote unter Segel und Motor. Während auf Deutschland rund 480.000 davon entfallen, mithin jeder 175. Einwohner eines davon besitzt, sind es in Finnland mehr als doppelt so viele Schiffe. Jeder fünfte Finne besitzt demnach ein Boot.
Laut UBA gibt es hierzulande knapp 35.000 Segeljollen und offene Kielboote sowie rund 160.000 Segelyachten und Motorsegler. Mit Baujahren zwischen 1970 und 1989 ist die größte Gruppe der aktuell aktiven Segelyachten seit 30 bis 50 Jahren in Nutzung, und es ist davon auszugehen, dass einige davon in der nächsten Zeit entsorgt werden müssen.
Beklagt wird in der Studie, dass es im Unterschied zu anderen europäischen Ländern keine Registrierungs- und Abmeldepflicht für alle Sportboote gibt, wodurch auch eine Abschätzung zukünftiger Abfallmengen erschwert wird. Das könne sich nachteilig auf eine fachgerechte Entsorgung von Sportbooten auswirken, da ohne klare Mengenvorstellungen keine Investitionen in dem Bereich getätigt würden.
Es gibt hingegen keine Statistik darüber, wie viele Schrottboote exportiert, illegal entsorgt oder auf Privatgrundstücken gelagert werden. Bei mindestens 50 Prozent der ungenutzten Schiffe, die beispielsweise in Marinas liegen, können die Eigentümer nicht herausgefunden werden, sofern sie überhaupt noch einen haben.
Bei 50 Prozent der ungenutzten Schiffe in Marinas können die Eigentümer nicht herausgefunden werden”
Die Anzahl der abgestellten Boote ohne klares Eigentumsverhältnis wird auf durchschnittlich zwei bis fünf pro Marina geschätzt. Bei zirka 2.000 Marinas in Deutschland ergibt das bis zu 10.000 herrenlose Schiffe, die vermutlich auch nicht mehr im besten Zustand sind. Die ungeklärten Besitzverhältnisse – besonders im Fall von Schrottbooten – beeinflussen auch die Entsorgung, da es juristisch kompliziert ist, fremdes Eigentum zu beseitigen.
Das bestätigt auch Philipp Mühlenhardt, Geschäftsführer der Sporthafen Kiel GmbH: „Vom Ruderboot bis zur Segelyacht haben wir regelmäßig mit dieser Problematik zu tun. Erst nach Feststellung einer Besitzaufgabe durch ein Gericht darf solch ein Boot verkauft oder entsorgt werden. Um diesen Titel zu erwirken, muss über alle Kanäle versucht werden, den Eigner ausfindig zu machen, was sich über Jahre hinziehen kann. Wir führen regelrecht Akten über diese Altlasten.“
Komme es dann tatsächlich zu einem Verkauf, decke der in der Regel nicht mal die vorherigen Kosten. Bei Schiffen, die entsorgt werden müssen, bleiben die Marinas sogar komplett auf den Ausgaben sitzen.
Da ein Boot in der Regel mehrere Besitzer hatte, bevor es schrottreif ist, würde sich das UBA daher eine fortlaufende Übersicht über alle Inhaber wünschen, um sicherzustellen, dass die Entsorgung über den letzten Eigner abgewickelt werden kann.
Den Letzten beißen also die Hunde? So sieht es zumindest Geschäftsführer Mark Walberg von ReBoat und fordert vielmehr ein wirtschaftlich machbares Konzept für die Eigner: „Es kann ja nicht sein, dass ein 50 Jahre altes Boot, an dem die ganze Zeit über die maritime Industrie in unterschiedlichster Form verdient hat, vom letzten Eigner mit einem hohen Kostenaufwand entsorgt werden muss. Je nach der Größe eines Bootes kommen da sehr schnell sehr hohe Summen zusammen, welche die wenigsten Eigner bereit sind zu zahlen.“
Die Entsorgung kostet im Durchschnitt etwa 350 Euro pro Tonne Gewicht. Ein aufwändiger Transport treibt diese Kosten jedoch noch weiter in die Höhe, da die Schiffe bis auf wenige Ausnahmen nicht vor Ort zersägt werden dürfen, wenn dort nicht die strengen Auflagen des Bundes-Immissionsschutzgesetzes erfüllt werden.
In Frankreich werden seit 2019 Produzenten von zulassungspflichtigen Booten ab einer Länge von 2,5 bis 24 Metern verpflichtet, schrottreife Schiffe wiederzuverwerten. Finanziert wird das Recycling von der Association pour la Plaisance Eco-Responsable, einer Non-Profit-Organisation, die von den Bootsherstellern das Geld vorher einsammelt.
Die Bandbreite reicht von 5 Euro für ein kleines Schlauchboot bis hin zu 6.500 Euro für ein großes Segelboot. Hersteller, die bereits bei der Produktion ihrer Schiffe auf recycelbare und umweltfreundliche Materialien setzen, zahlen eine niedrigere Ökoabgabe, alternativ dürfen Werften auch ein eigenes Rücknahmesystem anbieten.
Für die Eigner ist die Entsorgung in einem der zahlreichen Rücknahmezentren kostenlos – bis auf den Transport. Der einzige Kinken in dem vorbildlichen Konzept, weil das einige Besitzer davon abhält, ihr Schiff fachgerecht abwracken zu lassen.
2.000 Altboote konnten aber schon entsorgt werden – eine Zahl, von der man in Deutschland noch weit entfernt ist. Bleibt zu hoffen, dass es auch hierzulande in absehbarer Zeit ein durchdachtes und für Eigner finanzierbares Entsorgungskonzept gibt.