NavigationEntfernungen ermitteln ohne elektronische Helfer

Hauke Schmidt

 · 09.02.2024

Navigation: Entfernungen ermitteln ohne elektronische HelferFoto: YACHT/P.Szamer
Die Yacht hält auf eine Huk zu. Wie weit ist es wohl noch? Und reicht der Abstand?
Bei der Orientierung auf See spielen Abstände zu Seezeichen, der Küste oder Schiffen eine entscheidende Rolle. Mit einfachen Tricks lassen sich die Distanzen verblüffend gut abschätzen

Wie weit ist es noch? Reicht der Abstand zur Küste? In welcher Entfernung befindet sich der Frachter? Im Zeitalter von GPS und Kartenplotter mit AIS sind diese Fragen leicht zu beantworten. Ein Blick auf das Display genügt, um die gängigen Probleme der Navigation zu lösen.

Das ist ohne Zweifel eine praktische und bequeme Sache, aber auch langweilig. Denn durch die allgegenwärtige Technik verliert die Seefahrt einen Teil ihres Abenteuercharakters und die Intensität des Erlebnisses. Alt­hergebrachte Praktiken geraten so in Vergessenheit. Selbst wenn man sie im Alltag nicht mehr unbedingt braucht – mit ein paar einfachen Tricks und Hilfsmitteln lassen sich Entfernungen und Peilungen auch ganz ohne Elektronik abschätzen. Ganz nebenbei ist die händische Navigation gut geeignet, um Nachwuchs und Crew zu beschäftigen.

Die geografische Sichtweite

Um den Abstand von Objekten auf dem Wasser abzuschätzen, stellt sich zuallererst die Frage: Wie weit kann man überhaupt sehen? Ohne Hindernisse wie Berge, Regenschauer, Dunst oder Nebel setzt die Erdkrümmung dem Blick ein Ende. Mit zunehmender Entfernung verschwinden die Objekte langsam, aber sicher hinter der Kimm. Wie weit der Horizont vom Beobachter weg ist, lässt sich mit Hilfe des Satzes von Pythagoras aus dem Erdradius und der Augenhöhe berechnen.

Geht man davon aus, dass die Augenhöhe im Cockpit sitzend etwa zwei Meter beträgt, ergibt sich ein sichtbarer Horizont von knapp drei Seemeilen. Damit hat man schon mal einen guten Anhaltspunkt, etwa um den Abstand zu anderen Schiffen einzuschätzen. Sieht man beispielsweise einen Frachter und kann dessen vollen Freibord bis herunter zur Bugwelle erkennen, so ist er höchstens drei Seemeilen entfernt. Ist der Freibord unten abgeschnitten, läuft der Frachter hinter der Kimm und ist weiter als drei Meilen weg.

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geografische SichtweiteFoto: YACHT

Mit dem Wissen um die geografische Sichtweite (siehe Tabelle) lässt sich auch der Abstand zur Küste schätzen. Dazu variiert man die Augenhöhe einfach, indem man sich auf den Cockpitboden setzt oder auf den Aufbau steigt. Dabei ändert sich die Augenhöhe von etwa einem Meter auf bis zu vier Meter. Beobachtet man nun, wann die Brandungszone (Objekthöhe null Meter) zu erkennen ist, lässt sich umgekehrt auf die Entfernung schließen.

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An heißen Sommertagen kann das System aber täuschen – durch die unterschiedlichen Lufttemperaturen im Grenzbereich zwischen Wasser und Land sind Luftspiegelungen ähnlich einer Fata Morgana möglich. Die Küsten werden dabei in der Höhe verzerrt und sind früher zu sehen als theoretisch berechnet.

Besonders hilfreich ist die geografische Sichtweite, um nachts den Abstand zu Leuchtfeuern mit bekannter Höhe (OH) zu ermitteln. Das Feuer blitzt an der Kimm auf, wenn sich der eigene Horizont mit dem des Turms schneidet.

geografische SichtweiteFoto: YACHT

Selbst gebastelter Jakobsstab

Bei bekannter Objekthöhe kann man den Abstand zu einem Objekt auf dem Wasser oder an Land auch mit Hilfe des Strahlensatzes bestimmen. Dabei wird der Winkel zwischen der Oberkante des Objekts und dem Horizont gemessen. Denn das Verhältnis aus tatsächlicher Höhe des Objekts und der in bekannter Entfernung bestimmten Bildgröße lässt sich in Beziehung zur Entfernung vom Objekt setzen.

Klingt kompliziert, ist es aber nicht. Um die Höhe des Bildes zu bestimmen, bastelt man sich zunächst einen rudimentären Jakobsstab als Hilfsmittel. Benötigt werden ein 30 Zentimeter langes Lineal und ein Bändsel. Die Leine wird etwa in der Mitte um das Lineal gelegt und mit etwas Tape fixiert. Anschließend misst man auf der Schnur 60 Zentimeter ab und macht einen Knoten. Zur Messung hält man das Lineal am ausgestreckten Arm auf Kopfhöhe so vor sich, dass der Knoten der Leine genau bis zur Nasenspitze reicht. Damit ist die Skala des Lineals in etwa 62 Zentimeter vom Auge entfernt. Nun peilt man das Objekt an und liest die Höhe des Bildes am Lineal ab. Näherungsweise ergibt sich die Entfernung vom Objekt in Seemeilen aus der tatsächlichen Höhe in Metern, geteilt durch den dreifachen Wert der gemessenen Höhe in Millimetern.

Entfernungen schätzenFoto: YACHT/N. Günter

Peilt man mit diesem Verfahren beispielsweise den rund um die Neustädter Bucht gut zu sehenden ehemaligen Horchturm bei Pelzerhaken an, ergeben sich möglicherweise folgende Messungen, wie wir sie im Versuch erhoben haben:

Am Lineal wird eine Höhe von 26 Millimetern abgelesen, aus der Seekarte lässt sich entnehmen, dass die Turmhöhe 86 Meter über dem Kartennull beträgt. Somit sollte der Horchturm etwa 1,1 Seemeilen entfernt sein. Der Blick auf dem Plotter offenbart eine tatsächliche Distanz von 1,2 Seemeilen. Die Messmethode ist also erstaunlich genau.

Nach dem gleichen Prinzip funktioniert auch die Entfernungsmessung per Strichplatte im Fernglas. Aufgrund des anderen Abstands zum Auge und der abweichenden Teilung der Strichplatte ändern sich ebenfalls der Multiplikator und die Einheiten in der Formel.

Der Teufel steckt jedoch im Detail, denn das korrekte Ablesen der Höhe wird bei Seegang sowohl am Lineal als auch im Fernglas sehr viel schwieriger. Hinzu kommen bei weiter entfernten Objekten Fehler durch die Erdkrümmung. Liegt die Landmarke für den Betrachter hinter dem Horizont, erscheint sie zu niedrig, da der untere Teil abgeschnitten ist. Dieses Problem lässt sich zwar mit der sogenannten Kimmtiefe korrigieren, die Gesamtberechnung wird aber komplizierter. Vorsicht ist auch bei der Höhenangabe nötig. Während beispielsweise bei Berggipfeln die Höhe über dem Kartennull angegeben wird, ist es für Leuchtfeuer die Höhe der Laterne über Null oder die Gebäudehöhe über dem Erdboden.

Daumensprung

Ebenfalls auf dem Strahlensatz beruht der sogenannte Daumensprung. Dabei wird ein Auge zugekniffen und mit dem anderen bei gestrecktem Arm ein Objekt an Land über den Daumen angepeilt. Nun wechselt man das Auge, wodurch das Objekt im Verhältnis zum Daumen springt. Kann man die Strecke des Sprungs an Land abschätzen, weiß man auch, wie weit man vom Objekt entfernt ist, denn die Strecke des Sprungs – mit 10 multipliziert – ergibt den Abstand. Das Problem dabei ist aber: Ohne die Sprungstrecke zu kennen, lässt sich auch die Entfernung nicht beurteilen.

Entfernungen schätzenFoto: YACHT/N. Günter

Peilen und loggen

Wer eine kalibrierte Logge an Bord hat, vermag auch damit die Entfernung zu anderen Objekten zu bestimmen, vorausgesetzt, der Schiffskurs läuft an ihnen vorbei. Die Methode nennt sich Vierstich- oder Versegelungspeilung: Wenn das Objekt in 45 Grad zum Kurs gepeilt wird, notiert man den Loggenstand oder setzt den Tageszähler auf Null und segelt ohne Kursänderung weiter, bis das Objekt querab liegt. Da die beiden Peilungen und die Kurslinie ein rechtwinkliges und gleichschenkliges Dreieck bilden, entspricht die zwischen den Peilungen gesegelte Strecke dem Abstand zum Objekt. Dieses darf sich in der Zwischenzeit natürlich nicht bewegen.

Entfernungen schätzenFoto: YACHT

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