SegelpraxisRichtig kreuzen – Tipps vom Segelprofi Tim Kröger

YACHT-Redaktion

 · 27.07.2023

Die Einstellung der beiden Segel muss optimal aufeinander abgestimmt werden
Foto: YACHT/N. Krauss
Möglichst effektiv Strecke nach Luv gutzumachen, wenn es an die Kreuz geht, das ist nicht nur auf Regatten entscheidend. Was Fahrtensegler vom Profi lernen können, verrät Tim Kröger in diesem Teil seiner Segelpraxis-Serie

Serie: Segelpraxis mit Tim Kröger

  • Riggtrimm Das Mastprofil mit Wanten und Stagen richtig einstellen
  • Segeltrimm Den Segeln auf allen Kursen das ideale Profil geben
  • Optimal kreuzen Mit der richtigen Taktik perfekt nach Luv segeln
  • Downwind-Segeln Schneller vor dem Wind kreuzen mit Gennaker & Co

Es gibt kaum etwas Mühseligeres, als gegen Wind und Welle anzubolzen. Auf Regatten ist es täglich Brot, es gehört einfach dazu, rund die Hälfte der Strecke kreuzend zurückzulegen. Der Fahrtensegler hingegen wird versuchen, genau das zu vermeiden – und an seiner Stelle würde ich das auch.

Doch das gelingt nicht immer. Regelmäßig ergibt sich die Notwendigkeit, einen Kurs nach Luv zu meistern. Einige Kniffe helfen, schnell und sicher aufzukreuzen.

Ist das Rigg so eingestellt, wie es in der ersten Folge beschrieben wurde, und sind die Trimmelemente auch mit Leichtigkeit zu bedienen, anzupassen und zu verstellen, wird es einfach sein, eine Kreuz bei allen Bedingungen zu absolvieren.

Auf Rennyachten sind die Trimmer dabei in permanenter Abstimmung miteinander und mit dem Steuermann, um auch schon auf die kleinste Veränderung reagieren zu können und sie in Geschwindigkeit und Höhe am Wind umzusetzen. Jede Bö, jede Veränderung will genutzt werden.

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Jedes Boot kreuzt anders

So unterschiedlich Boote sind, so unterschiedlich sind ihre Leistungsmerkmale. Auch die Amwind-Performance hat viel mit der Rumpfform und dem Unterwasserschiff sowie den Kiel- und Ruderprofilen zu tun. Ein klassischer Langkieler etwa hat eine völlig andere Leistungsfähigkeit am Wind als moderne Fahrtenyachten.

Gerade bei Fahrtenyachten werden oft große Kompromisse gemacht. Da wird etwa gewünscht, in kleine schnuckelige Häfen einlaufen oder in pittoresken Buchten ankern zu können, was geringen Tiefgang erfordert. Das steht einer optimalen Amwind-Leistung leider entgegen, und man wird sich dann beim Kreuzen schwertun.

Trotzdem geht es hier um Tipps, die auf jeder Yacht und auf jedem Boot Anwendung finden können. Jedes Schiff hat Stärken und Schwächen, die es einzuschätzen gilt, um in diesem gegebenen Rahmen das Maximum herauszuholen und sicher gegen den Wind den nächsten Hafen anzulaufen. Und das idealerweise über die komplette Bandbreite aller Windbedingungen.

Faustregeln für das Kreuzen

Beim Regattasegeln gibt es einige Faustregeln, die man am Wind beherzigen sollte. Wie zum Beispiel die, dass der lange Bug zuerst gesegelt wird, um sich schnellstmöglich dem Ziel zu nähern. Sind gut kalibrierte Instrumente an Bord, wird dabei die wahre Windrichtung ständig im Blick behalten, um zu kontrollieren, ob dieser Bug immer noch der lange ist, der die größte Annäherung zum Ziel bringt, oder ob der Wind gedreht hat beziehungsweise gerade dreht und somit der andere Bug der längere ist.

Fehlt dieses Vertrauen in die Instrumente, lässt sich natürlich auch durch den Kompasskurs herausfinden, ob die Windrichtung sich verändert, der Winkel zum Ziel sich verbessert, ich also weiterhin auf einem „Lift“ bin, oder ob der Wind abbackt und ich auf einem sogenannten Header bin, wie wir es international ansagen.

Ich hatte in den vorherigen Folgen schon beschrieben, dass wir beim Regattasegeln fixierte Jobs und Aufgaben an Bord haben. Als ich um 1995 Teil des französischen Corum Sailing Teams war, hatten wir auf Amwind-Kursen eine ganz besondere Aufgabenverteilung. In meiner Funktion als Pitman – der Mann an den Fallen – war es mein Job, auf Amwind-Kursen die wahre Windrichtung im Blick zu behalten und mir auf der Startkreuz einen mittleren Wert als Null zu nehmen. Von Null ausgehend, ist ein Lift dann Plus und ein Header Minus. Diese Informationen sagt man in Relation zur wahren Windrichtung oder zum Kompasskurs so an: +5, 0, +5, +10 und so fort. Diese Werte werden dem Taktiker in kurzer zeitlicher Abfolge kontinuierlich mitgeteilt. Der kann sich so orientieren, ob das Boot noch auf einem Lift ist, oder ob es auf Minus rumfährt und besser wenden sollte.

Trifft der Steuermann den Rhythmus von Pressen bis Höhe gewinnen und wieder Pressen, erreicht das Boot sein Optimum am Wind”

Auf einer Fahrtenyacht wird niemand alle 20 Sekunden aussingen, ob nun gerade Plus, Null oder Minus im Programm sind. Wenn es schnell nach Luv gehen soll, ist es aber auch hier wichtig, die wahre Windrichtung oder eben den Kompass daraufhin im Blick zu behalten.

Die Segel für das Kreuzen richtig trimmen

Einen großen Anteil am schnellen Amwind-Speed hat der Segeltrimm. Und da sich die Bedingungen nun einmal ständig ändern, sollen diese Trimmtabellen dabei helfen, die wichtigsten Komponenten in Einklang zu bringen.

Bild 1
Foto: YACHT

Um das Boot ideal am Wind steuern zu können, müssen die Segel für die herrschenden Bedingungen korrekt getrimmt sein. Dann kommt es noch auf die Konzentrationsfähigkeit des Steuermanns an, um das Schiff in der, wie wir sagen, Groove zu halten. Man möchte in der optimalen Spur sein, die in maximaler Höhe resultiert.

Auch hier gilt: Boote sind unterschiedlich. Gehen wir einmal vom Optimalfall aus. Kiel- und Ruderprofil müssen angeströmt werden, um ihren Lift zu entfalten. Ich versuche das ganz einfach zu erklären: Je kleiner die Fläche der Profile ist, desto mehr Fahrt durchs Wasser ist erforderlich, damit die Profile Lift erzeugen, der mich wiederum schneller nach Luv bewegt.

Deutlich wird dieser Effekt durch einen Vergleich mit Flugzeugen: Ein Dreidecker kann aufgrund seiner immensen Profilfläche langsam fliegen und hat dennoch genug Auftrieb, um am Himmel zu bleiben. Ein Düsenjet mit wenig Profilfläche muss hingegen schnell sein, um durch die Anströmung den Auftrieb zu erzeugen.

Speed gegen Höhe abwägen

Übertragen auf Yachten bedeutet das: Soll das Maximum aus den Profilen unter Wasser rausgeholt werden, müssen sie angeströmt werden. Darum ist es im wahrsten Wortsinn nicht zielführend, das Boot dauerhaft hochzustellen – gemeint ist das klassische Höhebolzen. Ich sollte im Gegenteil so am Wind steuern, dass ich immer wieder etwas presse, also leicht abfalle, bis die auf „Amwind“ getrimmten Segel optimal stehen, um Geschwindigkeit aufzubauen und dadurch wiederum Höhe zu gewinnen, bis zu dem Punkt, an dem ich erneut langsamer werde – aber eben nicht zu langsam.

Es ist ein sehr schmaler Grat, eine sehr feine Amplitude der Steuerbewegung, von der ich hier spreche. Wenn ich zum Beispiel einem Steuermann sage, dass er Gas geben muss, damit wir auf unsere Amwind-Target-Geschwindigkeit kommen, bedeutet das: ein wenig abfallen, etwas pressen, bis der Speed ein paar Zehntel übers Target kommt, um dann wieder ein wenig anzuluven und somit diese gewonnene Geschwindigkeit in Höhe umzusetzen, bis das Spiel von Neuem beginnt.

Ein aktiver Großschottrimmer ist wichtig

Trifft ein Steuermann diesen Rhythmus von Pressen bis Höhe gewinnen und dann wieder Pressen und wird er dabei vom Großsegeltrimmer optimal unterstützt, um in ebendiesen Fluss zu kommen, erreicht das Schiff sein Optimum am Wind.

Bei böigem Wind steuert im Prinzip der Großsegeltrimmer das Boot, damit der Steuermann die ausgleichende Steuerbewegung minimal halten kann. Denn zu viel Ruderbewegung schadet der Geschwindigkeit und somit der Höhe am Wind. Die Instrumente, insbesondere aber die Windfäden, sind der beste Indikator, um meine Groove auf Amwind-Kursen zu finden.

Da wir nicht auf einem begrenzten und immer gleichen Rasenplatz segeln, gilt: Je holpriger unser Spielfeld wird, desto höher steigt der Anspruch.

Der Einfluss von Wellen auf das Kreuzen

Das Segeln am Wind erfordert bei Welle noch zusätzliche Aufmerksamkeit zu den oben genannten Faktoren.

Die Welle folgt in den meisten Fällen der konstantesten Windrichtung – Strömungs- oder Tideneinflüsse außen vor gelassen.

Bei konstanten Winden sollten wir auf Backbord- wie auf Steuerbordbug daher annähernd die gleiche Wellenformation vorfinden. Ab einer Drehung von 15 Grad über einen längeren Zeitraum kommt die Welle auf dem einen Bug aber eher seitlich und auf dem anderen eher stumpf von vorn. Beide Buge erfordern dann einen unterschiedlichen Segeltrimm und ein etwas anderes Steuergeschick.

Bei drehendem Wind ändert sich der Winkel, in dem die Wellen auf das Boot treffenFoto: YACHT/D. HofgärtnerBei drehendem Wind ändert sich der Winkel, in dem die Wellen auf das Boot treffen

Der Bug gegen die Welle wird per se der langsamere sein, und das Boot wird die Tendenz haben, in die Wellen zu stampfen und deswegen abgebremst zu werden. Dann benötige ich mehr Twist, mehr Power in den Segeln, um mit höherer Geschwindigkeit durch die Welle zu kommen. Ich muss beim Steuern etwas mehr pressen, um mehr Speed zu generieren und meine Yacht am Laufen zu halten. Der andere Bug mit der seitlichen Welle ist der etwas geschmeidigere, auf dem ich mir etwas mehr Höhe erarbeiten kann, da die Gefahr des abrupten Einbremsens durch einen Sturz ins Wellental weniger präsent ist.

Wellen oder auch schwere See haben einen großen Einfluss auf unsere Performance am Wind. Sie schaukeln das Boot auf und machen uns das Leben schwer. Deshalb entscheiden die zu erwartenden Wellenbilder noch zusätzlich zur Windrichtung über unseren optimalen Weg nach Luv.

Unter Land oder hinter einer Landzunge wird weniger Welle auftreten. Auf See, fernab der Küste, ist mit mehr Welle und auch mit hoher Dünung bei viel Wind zu rechnen. Bei ablandigem Wind ist unter Land auch weniger Welle zu erwarten. Das sind die Regionen, in denen ich segeln möchte.

Gibt es aber keinen Ausweg und ich befinde mich auf See in starkem Wellengang, muss ich mich der Herausforderung stellen und sie meistern. Je besser ich Wellen ansteure, je besser ich sie meistere, desto sanfter komme ich an mein Ziel.

Wellen beim Kreuzen richtig aussteuern

Im Idealfall luve ich auf der Vorderseite der Welle beim Hochfahren leicht an, ohne zu viel Speed zu verlieren. Auf dem Kamm falle ich dann ab und öffne die Großschot, um an der Rückseite der Welle runterzukommen und den Speed für die nächste Welle wieder aufzubauen.

Der Kurs durch Wellen gleicht einer SchlangenlinieFoto: YACHT/D. HofgärtnerDer Kurs durch Wellen gleicht einer Schlangenlinie

Auf dem Wellenkamm muss das Großsegel unbedingt geöffnet werden, um abfallen zu können und Luvdruck, also Ruderdruck zu vermeiden. Ein aufmerksamer Großsegeltrimmer hilft in diesem Moment ungemein, die Kämme zu meistern.

Die größere Gefahr liegt jedoch im Anfahren der Welle. Sollte man das Boot dabei nach Luv überreißen und auf dem Kamm zu hoch am Wind sein, kann die Welle unter den Leebug kommen und man schmiert mit backstehendem Vorsegel nach Luv ab.

Das habe ich 1985 beim Admiral’s Cup im Solent erlebt, als das Boot auf dem Wellenkamm nach Luv kenterte. Gleich zu Beginn des Fastnet Race bei viel Wind komplett nass zu sein war eine unangenehme Erfahrung.

Das Steuern bei viel Wind und Welle am Wind hat etwas von Skifahren über eine Buckelpiste. Ich versuche, den rauen Zonen auszuweichen und mir Höhe und Geschwindigkeit in den sanfteren Bereichen zurückzuholen.

Auf Rennyachten fällt der Crew auf der Kante die Rolle zu, Wind und Wellen anzusagen. Wissen Steuermann und Großsegeltrimmer, was kommt, können sie reagieren. Abfallen, Segel twisten im richtigen Moment, das sind die Aktionen, die Sekunden nach der Ansage von vorn ablaufen.

Die richtige Ruderlage

Wichtig ist aber auch zu erkennen, mit wie viel Ruderwirkung, also wie hart ich eigentlich bei Wellen steuern muss, damit mein Boot durch das intensivere Steuern nicht übermäßig langsam wird. Zwei Dinge gibt es dabei zu bedenken: Zum einen die Größe und Form der Wellen. Sind sie groß oder klein, lang oder steil, und wie eng folgen sie aufeinander? Bei kleinen Wellen braucht man nicht so viel Ruderanstellung und auch nicht in großer Dünung. Die mittleren aber können eine hässliche Herausforderung sein, besonders wenn sie steil sind und schnell aufeinander folgen.

Zum anderen haben die Dimension und das Gewicht des eigenen Bootes Einfluss, wie hart man bei Welle Ruder geben muss. Auch die Rumpfform wirkt sich aus. Habe ich einen feinen, schmalen Bug oder ein volumiges breites Vorschiff?

Diese Faktoren bestimmen, ob wir Wellen vermeiden, weil sie uns einbremsen, oder ob wir durchpowern, weil das Schiff es kann. Eines eint dabei alle Boote: Je weniger Ruderbewegung ich geben muss, desto schneller bin ich.

In einer kleinen Crew ohne Regattaerfahrung gilt es, diese Aufgaben sinnvoll untereinander aufzuteilen. Derjenige, der steuert, sollte einen unverbauten Blick nach vorn zu den Wellen haben und ohnehin bei Wind von Luv steuern. Nach meinem Empfinden kann nur bei ganz leichtem Wind gut von Lee gesteuert werden. Oder unter Gennaker, um das Vorliek besser zu sehen und reagieren zu können. Bei Wind und holpriger See ist das Steuern von Lee ein absolutes No-Go für mich.

Wind und Welle

Muss bei Welle gewendet werden, weil der Wind gedreht hat oder der Wegpunkt auf dem anderen Bug mittlerweile anliegt, wird eine Stelle mit relativ glattem Wasser gesucht. Das hört sich einfacher an, als es ist. Es ist aber der richtige Ansatz. Nach der Wende habe ich in dem Bereich dann die Möglichkeit, wieder besser zu beschleunigen, um die nächste Welle zu meistern.

Die Wende bei viel Welle sollte gut vorausgeplant werden. Bei glattem Wasser kann eine schnelle Wende ohne Problem umgesetzt werden, bei Welle wird es anspruchsvoller.

Zunächst ist eine ruhigere Stelle in Luv voraus zu suchen – so um die 30 Grad vom Bug, wo sich ein kurzes Wegstück ergibt, um auf dem neuen Bug zu beschleunigen, bevor die nächste Welle bremst.

Jetzt ist Konzentration vom Steuermann gefordert, ebenso wie zu beschleunigen, bevor er das Boot andreht. Bei Welle ist es wichtiger als sonst, das Schiff schnell durch den Wind zu drehen, denn die Gefahr ist groß, mitten in der Wende von einer Welle erwischt zu werden. Man sollte auch etwas tiefer als normal auf dem neuen Bug rauskommen, mit einem größerem Amwind-Winkel, als die Performance-Daten vorschreiben, damit das Boot schneller wieder auf Geschwindigkeit kommt.

Ich komme also tiefer aus der Wende, baue den Speed auf und arbeite mich wieder an meinen für die Bedingungen optimalen Speed am Wind heran.

Dass die Segel bei diesem Manöver immer korrekt mitgetrimmt werden müssen, versteht sich von selbst. Bei Welle werden sich auch meine Wendewinkel verändern. Sie werden größer, und die Abdrift – also der Leeversatz – wird zunehmen.

Im strategischen Ansatz, also bei meiner Navigation von A nach B, muss ich das mit ins Kalkül ziehen. Und wer taktisch gut nach Luv kommen will, hat zudem permanent den Wind und seine Drehung im Blick sowie die lokalen Begebenheiten des Seegebiets, in dem er unterwegs ist, um einen Nutzen aus allen Faktoren zu ziehen.

Und auch um das hoffentlich nicht so leidige Kreuzen nicht zum Kreuz zu machen und schnell hinter sich zu bringen.

Im November geht Tim Kröger in einem zweiteiligen YACHT-Webinar auf die Themen „Richtig kreuzen“ und „Richtig halsen“ ein. Bei Interesse können Sie Ihre Kontaktdaten an timm@yacht.de mailen. Sie werden dann in den nächsten Wochen über Termine und Teilnahmemöglichkeiten informiert.

Tim Kröger

Der 58-Jährige machte 1993 als erster Deutscher das Segeln zum Hauptberuf. Er nahm zweimal am Whitbread und zweimal am America’s Cup teil. Kröger segelt heute unter anderem in der J-Class und ist Autor, Referent und Coach.

Tim KrögerFoto: tatiTim Kröger

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