Weit nach Mitternacht landet die Maschine auf dem Amílcar Cabral Airport auf Sal, der nordöstlichen Insel der Kapverden. Die Taxifahrer bemühen sich um Fahrgäste in das südlich gelegene Ferienresort Santa Maria. Mein Hotel in Espargos, wenige Kilometer vom Flughafen entfernt, will niemand kennen. Ich fühle mich etwas verloren. Viele Monate ist es her, seitdem ich begonnen habe, für verschiedene Reiseanbieter Kojenchartertörns durchzuführen. In dieser Zeit habe ich unterschiedliche Reviere im Mittelmeer und in der Karibik kennengelernt. Die Kapverden sind eine neue Herausforderung für mich, war ich hier doch zuvor noch nie segeln.
Eine neue Herausforderung ist jedes Mal auch die Crew. Gegen Mittag trudelt sie nach und nach ein. Die Charteryacht liegt im Hafen Palmeira an einer Muringboje. Das macht das Hin- und Herpendeln etwas mühsam. Doch die Pier ist den örtlichen Fischern vorbehalten. Nach dem Verproviantieren ist Zeit, mehr über jedes Crewmitglied zu erfahren. Deren Segelkentnisse könnten unterschiedlicher kaum sein. Von einem Pärchen, das seinen ersten Törn unternimmt, bis hin zum Seebären mit vielen Meilen im Kielwasser ist alles auf diesem Törn vertreten.
Nach der Vorstellrunde machen wir uns ans Planen der Route. Gänzlich frei sind wir dabei nicht, denn zwei Mitsegler bleiben nur sechs Tage an Bord. Sie verlassen uns im 120 Seemeilen entfernten São Vincente. Im Gegenzug wird dort dann ein neues Crewmitglied an Bord kommen.
Diese Reise wird also anders sein als etwa ein Törn im Mittelmeer. Überwiegen dort doch häufig kurze Etappen samt Badestopps. Ist noch dazu eine Familie statt einer bunt gemischten Crew an Bord, steht nicht selten die Unterhaltung und Bespaßung der Kids im Vordergrund. Meilenmachen ist in so einem Fall nicht angesagt.
Auf der nun anstehenden Reise durch den Kapverden-Archipel wird dies mitunter anders sein. Die Inseln liegen teils weit auseinander. Und so viele geschützte Badebuchten in Schlagdistanz wie etwa in der Adria oder rund um Mallorca gibt es hier nicht. Dennoch sind nicht alle mit denselben Erwartungen angereist. Und so ist es Aufgabe des Skippers, dass wir trotz unterschiedlicher Vorstellungen zu einer Crew zusammenwachsen.
»Ob Kojencharterer beim Törn zueinanderfinden, hängt sowohl von ihnen selbst als auch vom Skipper ab.«
Das ist nicht immer einfach und erfordert bisweilen Fingerspitzengefühl. Vor allem aber müssen am Anfang alle Karten offen auf den Tisch. Sonst sind Enttäuschungen programmiert.
Ein Mitseglerpaar brachte es nach einem Kojenchartertörn rund Sardinien einmal auf den Punkt: „Als wir zu Beginn die anderen aus unserer Crew kennenlernten, dachten meine Frau und ich, oje, das kann ja was werden! Wir waren mit Mitte 30 nicht nur die Jüngsten, sondern auch das einzige Paar unter lauter allein reisenden Frauen über 50 an Bord. Als es darum ging, wie der Törn ablaufen solle, war einer der ersten Kommentare, in den Häfen zu shoppen. Wir aber wollten doch möglichst viel segeln und in entlegenen Buchten ankern.“ Am Ende des Törns waren die beiden dennoch zufrieden. Die Kunst lag darin, Kompromisse herbeizuführen, mit denen sich alle anfreunden konnten.
In Palmeira ist derweil die Übernahme der Yacht abgeschlossen. Am folgenden Tag nehmen wir Kurs auf Sal Rei auf der Insel Boa Vista. Der stetig aus Nordost wehende Passat beschert uns einen angenehmen raumen Kurs – perfekt zur Eingewöhnung für die Crew. Im Hafen angekommen, machen wir das Schiff auch hier an einer Muringboje fest. Dann folgt der bürokratische Teil. Jede der Kapverdischen Inseln verlangt das Ein- und Ausklarieren.
Wir suchen also zunächst die Policia Maritim und werden nach einer Stadtbesichtigung fündig. Die diensthabenden Beamten wissen allerdings nicht viel mit uns anzufangen, sodass sie uns schließlich fortschicken. Das soll uns recht sein, können wir dadurch doch den Abend früher einläuten und in einem der Restaurants gemütlich ausklingen lassen.
Das habe ich schon ganz anders erlebt. Viel Wartezeit wegen leidiger Behördengänge kann die Stimmung an Bord enorm drücken. Vor allem, wenn die Mitsegler nicht darauf vorbereitet sind. Diesen Fehler hatte ich einmal bei einem Törn in den Windward Islands in der Karibik gemacht. Auf St. Lucia zogen sich die Zollformalitäten derart in die Länge, dass die Urlaubsstimmung der Crew mehr und mehr in Ärger umschlug. Ich konnte es ihnen nicht verübeln, bei der Törnbuchung hatte ihnen niemand gesagt, dass so etwas passieren kann. Und auch ich hatte im Vorhinein die lästigen und manchmal eben auch zeitraubenden Klarierungsprozeduren auf den Inseln nicht thematisiert. Als die Crew nach Stunden noch nicht an Land durfte, erreichte die Stimmung ihren Tiefpunkt. Ich konnte mich nur noch in Besänftigen üben. Und auch auf den Kapverden sollen wir bald unser Klarierungs-Waterloo erleben.
Zunächst aber fällt pünktlich bei Sonnenaufgang die Muringleine der Boje zurück in die Tiefe. Wir setzen Groß und Genua. Die anstehende Überfahrt nach São Nicolau wird uns mit über 80 Seemeilen Distanz einen langen Segeltag bescheren. Anfangs sieht alles nach einem angenehmen Halbwindkurs aus, und der Passat, der mit 20 Knoten weht, verspricht ein zügiges Vorankommen. Allerdings versetzt uns die Strömung noch weiter als berechnet. Wir müssen stärker vorhalten, sprich, höher an den Wind. Aus der entspannten Fahrt wird unversehens recht sportliches Segeln. Der Crew macht das zum Glück nichts aus.
Nach einem perfekten Segeltag kommt schließlich São Nicolau in Sicht. Die Schleppleinen der Angeln haben uns nach Stunden zudem einen Bonito beschert, bevor die Dunkelheit anbricht. Die Idee, vor der Hafenmauer von Preguiça zu ankern, verwerfen wir, da der Ankergrund anspruchsvoll sein soll und die Windrichtung nicht ideal ist. Wir verholen uns etwas nördlicher und lassen den Anker dort fallen.
Zwei Tage noch bis Mindelo. Die größte Etappe haben wir bereits hinter uns gebracht, sodass im leichten Übermut die Entscheidung fällt, São Nicolau zu umrunden. Das bedeutet, einige Seemeilen zurück Richtung Osten zu segeln, danach weiter auf der Kreuz in nördliche Richtung, bevor wir schließlich wieder auf Halbwindkurs abfallen können. Gesagt, getan. Allerdings schläft unterwegs der Wind ein, wir brauchen deutlich länger als kalkuliert.
Sportliche oder auch nur lange Tagesetappen sind nicht jedermanns Sache. Vor allem, wenn anderes in Aussicht gestellt wurde, sich dann aber die Wetterbedingungen ändern. Auch solche außerplanmäßigen Änderungen können stillen oder gar laut geäußerten Unmut bei Mitseglern hervorrufen. Das Zauberwort lautet daher einmal mehr: Kommunikation. Als Skipper sollte man keine Versprechungen machen, sondern vielmehr frühzeitig auf Unwägbarkeiten hinweisen.
Es dämmert bereits, als wir das Dorf Ribeira Prata passieren. Der Wind, der uns tagsüber verlassen hatte, kehrt nun umso stärker zurück. Hinter der kleinen unbewohnten Ilhéu Branco erwarten wir einen Ankerplatz in Windabdeckung, ragt die Insel doch weit über 300 Meter hoch aus dem Wasser. Auf dem Weg dorthin müssen wir mit achterlichem Wind eine Passage meistern, in der die Wassertiefe von 2.000 Meter auf 50 Meter ansteigt. Die Wellen, die sich plötzlich hinter uns auftürmen, erfordern konzentriertes Steuern. Kurz richte ich die Taschenlampe nach achtern, schalte sie aber schnell wieder aus, damit die Crew nicht in Unruhe verfällt. Zu allem Überfluss entpuppt sich der Ankerplatz dann auch noch als weit weniger geschützt als erhofft. Wir bekommen wenig Schlaf in dieser Nacht.
Letztlich können es sogar solch anstrengende Erlebnisse im Verlauf eines Törns sein, die eine Crew zusammenwachsen lassen. Idealerweise wechseln sie sich mit schönen Erlebnissen ab.
»Nicht Wind und Wetter oder tolle Ziele sind entscheidend für das Gelingen eines Törns. Ausschlaggebend ist die Stimmung an Bord.«
Übermüdet starten wir anderntags die letzte Etappe nach Mindelo. Als wir den Hafen erreicht und das Schiff festgemacht haben, melden wir uns regelkonform an. So weit, so gut. Doch es ist Wochenende. Ein Ausklarieren ist angeblich erst montags wieder möglich. Mein T-Shirt mit dem Aufdruck von einer Segelregatta, das ich mit Stolz trage, gefällt allerdings dem Beamten ganz offensichtlich sehr gut. Ich lasse mich jedoch nicht darauf ein, und am Ende behalte ich mein Shirt und er die Bootspapiere.
Anderntags wollen wir trotzdem einen Abstecher zu einem benachbarten Eiland unternehmen. Dort verbringen wir zwar eine wunderschöne Nacht an einem entlegenen Ankerplatz, doch der Ausflug soll sich rächen. Zurück in Mindelo gibt man uns unmissverständlich zu verstehen, dass man sehr wohl bemerkt habe, dass wir São Vincente für eineinhalb Tage verlassen hatten. Ich mache mich auf Ärger gefasst. Nach einer halben Stunde bangen Wartens lösen sich die Probleme zum Glück aber dank meiner reuigen Blicke auf. Mit den Bootspapieren zurück an Bord, können wir alle bald schon über den Vorfall lachen. Nicht zuletzt auch, weil ich die Crew vor dem unerlaubten Ausflug auf das Risiko hingewiesen hatte.
Solche oder auch andere Erlebnisse, wie etwa eine gemeinsam überstandene stürmische Passage, sind im Grunde für das Miteinander an Bord Gold wert. Das kann im Idealfall so weit gehen, dass sich echte Freundschaften entwickeln. Am Ende eines früheren Törns sagte mir eine Mitseglerin: „Ich habe dich gar nicht als Gastgeber empfunden, sondern als Teil unserer Crew.“ Ein schöneres Kompliment kann man als Skipper nicht bekommen.
Und immer kann man auch gar nicht allen Erwartungen gerecht werden. Bei dem schon erwähnten Karibiktörn beispielsweise hatten sich einige Mitsegler erhofft, jeden Tag vor weißen, palmenbestandenen, einsamen Inseln zu ankern. So oder ähnlich war ihnen der Urlaub verkauft worden. Wer die Karibikinseln kennt, weiß, dass es solch eine Szenerie aber keineswegs überall gibt. Von Martinique startend sind es gut und gerne 100 Seemeilen bis zu den ersten weißen karibischen Stränden. Dazwischen liegen felsige Vulkaninseln. Wer darauf nicht gleich zu Beginn hinweist, darf sich später nicht wundern, wenn Teile der Crew meutern.
Auch auf unserem Kapverdentörn stehen wir schließlich an einem Scheideweg. Ein Teil der Leute möchte unbedingt auch die südlichen Inseln besuchen. Die anderen halten die weite Strecke für nicht machbar und wollen sogar nötigenfalls das Boot verlassen. Am Ende finden wir einen Konsens: Die Etappen zurück zum Starthafen werden sportlich genug. Zwischendurch reicht aber die Zeit, um noch ein paar schöne Ziele in Ruhe anzusteuern.
Am Ende haben unterschiedliche Menschen mit ihren verschiedenen Vorstellungen von der Reise prima zueinandergefunden. Wir haben gemeinsam einen interessanten Törn erlebt –und auch teils abenteuerliche Erfahrungen gesammelt.
In der Familie ist die Hierarchie vorgegeben: hier die Eltern, da die Kinder. An Bord kommt der Skipper als dritte Instanz hinzu. Er hat das Sagen, was das Segeln angeht und die Bootsführung. Das muss allen klargemacht werden, auch einem vielleicht im Alltag dominanten Vater oder einer dominanten Mutter. Davon abgesehen ist es eine große Freude, Kinder und Jugendliche vom Segelsport zu begeistern. Das gelingt am besten, indem man sie in die Abläufe an Bord einbindet, ihnen Verantwortung überträgt. Sei es beim Hafenmanöver – „Du bist zuständig für die Muring!“ –, beim Segelmanöver – „Du bedienst die Schot!“ – oder bei der Navigation – „Du behältst unseren Kurs auf dem Plotter im Auge!“ In der Regel werden solche Aufgaben mit großer Ernsthaftigkeit erledigt.
Auch bekannt als Kojenchartertörn. Die Crewmitglieder kennen sich untereinander nicht. Meist läuft der Gruppenbildungsprozess harmonisch ab. Sollten aber unterschiedliche Interessen aufeinanderprallen, ist Moderation seitens des Skippers gefragt. Dies bedeutet auch das Herbeiführen von Kompromissen, sollte die Diskrepanz zwischen den Wünschen einzelner Mitsegler groß sein. Möchten die einen lieber segeln, können andere vom Schwimmen und Schnorcheln nicht genug bekommen. Die einen möchten an Bord kochen, die anderen abends Restaurants besuchen. Am Ende des Törns sollten alle das Gefühl haben, auf ihre Kosten gekommen zu sein.
In diesem Fall kennt sich die Crew meist untereinander. Sie ist lediglich selbst nicht in der Lage, den Törn ohne Skipperhilfe durchzuführen. Oder aber man möchte im Urlaub ganz bewusst die Verantwortung für die Schiffsführung abgeben. In beiden Fällen bleibt es dann nur noch Aufgabe des Skippers, sich selbst in die Gruppe zu integrieren. Mitunter muss er aber auch Konflikte lösen. Einander fremde Menschen an Bord, wie sie beim klassischen Individualtörn zusammenfinden, gehen in der Regel zurückhaltender und nachsichtiger miteinander um. Wer sich hingegen schon länger kennt, sagt dem Gegenüber auch schneller mal seine Meinung. Dann ist behutsames, rasches Eingreifen des Skippers nötig, um eine Missstimmung nicht eskalieren zu lassen.
Ob Transatlantik-, Schwerwetter- oder Ausbildungstörn: Das gemeinsame Ziel eint in der Regel jede Crew. Dennoch hat der Skipper bei solchen Reisen gut zu tun, ist die Schiffsführung doch ungleich anspruchsvoller als bei einer entspannten Urlaubsreise. Feierabend gibt es für ihn oft keinen. Im Gegenteil – nicht selten wird bis spät abends ausführlich über das Erlebte diskutiert. Der Rat des Skippers wird dabei gern und oft in Anspruch genommen. Das ist verständlich, mitunter aber arg anstrengend. Hier gilt es, eine Balance zu finden zwischen Privatleben und Job, vor allem auf Törns, die länger als ein paar Tage dauern. Mitsegler haben dafür übrigens meist volles Verständnis.
Reden, reden, reden! Und das möglichst schon vor dem Törnstart, spätestens aber beim ersten persönlichen Kennenlernen an Bord. Dann sollten die Erwartungen an den gemeinsamen Törn aufeinander abgestimmt werden. Nur so lassen sich spätere Enttäuschungen vermeiden. Dazu zählt auch, als Skipper Unerfahrenheit oder Unkenntnis einzuräumen. „Ihr erfahrener Skipper kennt die besten Restaurants und die schönsten Ankerbuchten“, heißt es oft in den Törnbeschreibungen. Mitunter ist man als Schiffsführer aber genau wie die Crew zum ersten Mal in einem Revier unterwegs. In solchen Fällen heißt es umso mehr, mit offenen Karten zu spielen. Und geschickt zu formulieren. Statt: „Sorry, ich kenne mich hier auch noch nicht aus“ besser: „Das Revier ist für mich selbst zwar auch neu, ich habe mich aber bei Kollegen gründlich informiert und freue mich darauf, mit euch die Topspots zu erkunden.“
In vielen Fällen gibt es Wortführer, die ihre Bedürfnisse und Wünsche offen ansprechen, die aber auch maßgeblich auf die Stimmung innerhalb der Gruppe wirken. Sollten zwei oder mehr Personen diese Rolle ausfüllen, können sich Grüppchen bilden, deren Vorstellungen in Einklang mit der gesamten Crew zu bringen sind. Aber auch zurückhaltenderen Personen ist Aufmerksamkeit und die gleiche Wertschätzung entgegenzubringen.
Die Hierarchie verflacht nicht nur in Unternehmen, auch in privaten Bereichen nimmt die Selbstbestimmung einen größeren Raum ein. Ein freundschaftliches Miteinander an Bord trägt wesentlich zu guter Stimmung und Zufriedenheit bei. Dass die letztendliche Verantwortung beim Skipper liegt, lässt sich auch sozialverträglich vermitteln und wird insbesondere dann akzeptiert, wenn die Ausstrahlung und das Wissen diese Autorität begründen. Hilfreich sind in jedem Fall klare An- und Aussagen, ob hinsichtlich der Törnplaung oder während eines Manövers.
Beschäftigt man sich mit Organisationspsychologie und Systemtheorie, trifft man schnell auf verschiedene Ansätze, die teilweise widersprüchlich erscheinen. Ein Studium der Sozialpsychologie kann bei einem Skipper nicht vorausgesetzt werden. Grundlegende Kenntnisse helfen aber, auch in schwierigen Situationen Konsens herzustellen und einen Törn trotz eventueller Widrigkeiten für alle Teilnehmer zu einer großartigen Erfahrung werden zu lassen.
Marco Sasse aus Teltow segelt seit 20 Jahren. Vor gut drei Jahren begann er, als Skipper für Chartertörnanbieter zu arbeiten. Dabei trifft er auf unterschiedlichste Menschen. Deren Erwartungen unter einen Hut zu bringen, sei für einen Skipper oftmals kniffliger als die Schiffsführung selbst. Mehr Informationen: www.segelfreu.de