Hafenmanöver10 Tipps zum sicheren Auslaufen mit dem Segelboot

Mike Peuker

 · 25.08.2023

Eine eingespielte Crew, die ihr Boot kennt, kann mit den meisten Manöversituationen umgehen
Foto: YACHT/N. Krauss
Keine Situation gleicht der anderen, doch mit ein paar grundsätzlichen Tricks lässt sich das erste Manöver des Segeltages problemlos meistern. Wir geben Tipps zum Auslaufen

“Wir müssen zurück in die Box, unser Landstromkabel ist noch nicht abgeschlagen!“ Der Ruf vom Vorschiff lässt dem Skipper am Ruder die Nackenhaare aufstellen. Die Vorleinen sind schon los, der Rückwärtsgang aber zum Glück noch nicht eingelegt – um ein Haar wäre es zum Malheur gekommen.

Im zweiten Anlauf scheint das Ablegen dann zu klappen, bis ein vergessener Fender zwischen Dalben und Bordwand klemmend das Boot aufstoppt. Der Bug dreht langsam, aber sicher in Richtung der frisch polierten Außenhaut des Nachbarschiffes, auf dem der Eigner angesichts des massiven Ankers, der ihm immer schneller näher rückt, hektisch und lautstark Tipps zum Besten gibt.

Selbst als das Problem mit vereinten Kräften und aufheulendem Motor gerade noch unter Kontrolle gebracht ist, kann von Ruhe und Gelassenheit an Bord der auslaufenden Yacht nun nicht mehr die Rede sein. Die lauter werdende Ansprache des genervten Skippers und die zuschauenden Experten an Land tun ihr Übriges. Als das Boot aufgrund der Windrichtung und des nicht beachteten Radeffektes auch noch falsch herum in die Boxengasse dreht, liegen die Nerven der Beteiligten unisono blank. Hafenkino vom Feinsten. Wie aber kann man es besser machen?

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Beim Auslaufen Ruhe bewahren

Zunächst: Die Skipperin oder der Skipper sollte stets der ruhende Pol der Mannschaft sein und sowohl Souveränität als auch Kompetenz ausstrahlen. Und: Es braucht immer einen Plan.

Wir setzen uns vor dem Ablegen generell mit der gesamten Crew ins Cockpit, besprechen das anstehende Manöver und verteilen die Aufgaben. Sind wir schon eine Weile unterwegs, lassen wir die Erfahrungen der letzten Tage mit einfließen und erarbeiten Verbesserungsvorschläge. Hier zeigt sich, dass eine Nachbesprechung des gestrigen Manövers genauso wichtig sein kein, wie die Besprechung des heutigen.

Erst wenn sich alle ausreichend informiert fühlen und das Ablegen durchdacht und verstanden ist, geht es los. Auf keinen Fall im Schnellstartverfahren.

Auch Grenzen gilt es zu akzeptieren. Es gibt Bedingungen, unter denen die Crew ihr Schiff selbst bei bester Leinenarbeit und stärkstem Bugstrahlruder nicht mehr in den Griff bekommt. Und neben diesen rein technischen Limits muss ein guter Skipper wissen, wo die Belastungsgrenze seiner Crew ist. Solche Situationen und die daraus folgenden Hafentage gehören zum Segeln dazu und sind zu akzeptieren.

Das Manöver Schritt für Schritt planen

Ist die Entscheidung zum Aufbruch allerdings gefallen, wird die Liegeplatzsituation analysiert und das Manöver Schritt für Schritt geplant. Es gilt, möglichst viel im Vorfeld zu klären.

Am Anfang stehen immer folgende Fragen: Woher weht der Wind? Sind zusätzliche Manöverleinen erforder­lich? Müssen Festmacher auf Slip gelegt werden? Welche Fender müssen eingeholt, respektive zusätzlich ausgebracht werden? Ist zusätzliche Hilfe auf dem Steg oder dem Nachbarboot erforderlich? Wer bedient welche Leine? Wie soll im Manöver kommuniziert werden?

Für den Fall, dass das Auslaufen nicht hundertprozentig nach Plan läuft, sollten alle Mitsegler wissen, was auf ihren Positionen zu tun ist. Wo kann man einfach wieder anlegen? Längsseits oder mit einer einzelnen Vorleine am Dalben? Was ist, wenn der Motor ausfällt? Auch in Häfen kann man ankern – aber ist der Anker auch klar?

Für jede erdenkliche Ablegesituation gibt es die perfekte Anleitung in Zeitschriften­artikeln, Video-Tutorials oder Büchern. Sucht man nach dem geeigneten Manöver, hat man vielleicht Glück, wird fündig und kann probieren, es nachzumachen. Meist jedoch wird die angetroffene Wirklichkeit nicht mit der Theorie übereinstimmen.

Im Hafen aufklaren und Segel vorbereiten

Zum Ablegen gehört schließlich auch, noch im Hafen aufzuklaren und das eigentliche Segeln vorzubereiten. Wer allein an Bord ist, muss dafür das Ruder verlassen. Eine Möglichkeit ist es in dieser Situation, die Maschine rückwärts einzukuppeln und die Pinne mittschiffs festzusetzen. Das Boot schwenkt dann mit dem Heck in den Wind. Dort hält es seine Position, und wenn die Drehzahl richtig eingestellt wird, macht es keine oder sehr wenig Fahrt achteraus.

Geben Platz und Verkehrsverhältnisse es her, kann das Großsegel bereits im Hafen gesetzt werden. Hier hat man in der Regel Abdeckung und dementsprechend wenig Wind und keine Welle.

Prinzipiell gilt, je mehr schon im Hafen abgearbeitet wird, desto entspannter ist der Start, wenn er verlassen wird. Und dann ist es auch nicht tragisch, wenn draußen vor dem Hafen die Verhältnisse nicht so ruhig sind, wie vielleicht erhofft.

Das Zauberwort zum stressfreien Auslaufen

Grundsätzlich ist für stressfreies Auslaufen „antizipieren“ das Zauberwort, vorausschauen und vorwegnehmen. In Gedanken gehe ich mein Manöver daher viele Male durch. Ich stelle mir für jeden einzelnen Abschnitt vor, wohin der Wind mich treibt, wenn ich die eine Leine löse und die andere dichtnehme.

Hilfreich ist dabei, sein Schiff genau zu kennen. Ich weiß genau, um welchen Punkt es dreht, wenn der Wind von der Seite kommt. Und mehrfach habe ich getestet, wie lang eine Spring sein muss und an welchem Punkt sie zu befestigen ist, damit sie beim Eindampfen besonders wirkungsvoll ist. Mit diesen Erfahrungen aus sehr vielen – übrigens nicht nur gelungenen – Ablegemanövern kann man sich seine eigene Taktik zurechtlegen.

Habe ich Crew an Bord, sehe ich meine Rolle als Skipper darin, die anderen zum Fragen, Nachdenken und schließlich selbst zum Antizipieren zu bringen. Segeln mit Crew ist in erster Linie eine Kommunikations-Herausforderung. Eine Art Bring- und Holschuld. Ich versuche die Herangehensweise an unser Manöver möglichst exakt zu erklären. Auf der anderen Seite muss und soll die Crew Einwände, Verbesserungsvorschläge und Fragen einbringen.

Auch als Charterer ist es möglich, sich langsam, vorsichtig und gezielt an Manöver heranzutasten. Ein Antizipieren dessen, was kommt, ist auf einem komplett fremden Schiff natürlich ungleich schwieriger. Dennoch wird man etwa durch testweises Fieren von Leinen am Liegeplatz einen ersten Eindruck gewinnen, was passiert, wenn man sie vollends loswirft.

Das Manöver aufmalen

Ich bin häufig mit einem großen Klassiker unterwegs. In der Regel ist eine Stammcrew an Bord, oft aber auch mehrere unerfahrene Mitsegler. Bei komplizierten Anlege- oder Ablegesituationen nehmen wir gern Zettel und Bleistift heraus und malen unser Manöver schlicht auf. Das hilft sehr dabei, die Abläufe und die jeweiligen Rollen zu verdeutlichen.

Verständnis für das Geschehen wird schließlich auch durch Perspektivwechsel geschaffen. Bei moderaten Verhältnissen können Manöver etwa mit vertauschten Rollen gefahren werden. Dann ist besser nachzuvollziehen, warum jemand hier oder da anders agiert hat, als man das zuvor angenommen hätte. Das macht Spaß und bringt Sicherheit und Selbstvertrauen für anstehende Törns.

Je stärker der Wind, desto größer wird die Relevanz von Leinen und Fendern. Deren richtiger Einsatz ermöglicht kontrollierte, langsame Manöver, die ohne Hektik ablaufen und vor allem ohne Vollgas und röhrendes Bugstrahlruder.

Manöverleinen, auf Slip gelegte Leinen, Eindampfen in Leinen, Verwendung von Springs, Ausnutzen des Radeffektes, richtiges Positionieren von Fendern sind alles Dinge, die dabei relevant sein könnten. Unzählige Kombinationen aus Liegeplatz, Wind und Wellen machen aus jedem Manöver eine einzigartige Situation. Einige Grundsätze sind dabei immer gleichermaßen zu beachten.

Leinen lösen

Wichtig ist etwa, dass alle gelösten Leinen, vor allem, wenn sie nicht schwimmfähig sind, so schnell wie möglich an Bord genommen werden. Ansonsten besteht die Gefahr, dass sie in den Propeller geraten.

Stets ist zu überlegen, ob während des Ablegens noch Fender gebraucht werden und wenn ja, wo. An der falschen Stelle außerbords hängend, können sie jedes Manöver vereiteln, wenn sie im ungünstigsten Moment zwischen Pfahl und Rumpf festkommen. Das Boot stoppt auf und wird mög­licherweise außerdem in eine ungewollte Drehung versetzt.

Der Nachbarlieger kann immer um Hilfe gebeten werden, das empfiehlt sich insbesondere, wenn bei starkem Seitenwind eine Box verlassen werden soll. In einem solchen Fall wird man stets versuchen, die Luv­leine in einem möglichst guten Haltewinkel auszubringen und langsam zu fieren. Der Nachbar in Luv kann eine Leine aber mit perfektem 90°-Winkel führen, bis das Boot aus der Box ist. Ein Vorteil, den man unbedingt nutzen sollte.

Kommandos kommen vom Skipper

Wichtig ist in solchen Situationen mit fremder Hilfe jedoch, dass es auch lediglich eine Hilfe bleibt. Dass die Kommandos weiterhin vom Skipper kommen und nicht von Helfern auf dem Steg oder anderen Schiffen, die bei der Manöverbesprechung ja gar nicht zugegen waren.

Zwei typische Ablegesituationen, die immer wieder ähnlich vorkommen und ablaufen, seien hier beispielhaft geschildert: das Eindampfen in die Achterspring und das Verlassen einer Box in Rückwärtsfahrt.

Das Eindampfen ist bei Klassikern und in der Berufsschifffahrt an der Tagesordnung, wird auf den meisten Sportbooten aber wenig angewendet. Dabei gibt es Konstellationen, in denen es die beste Alternative ist. Liegt man beispielsweise bei auflandigem Wind längsseits an einem Steg und die Verhältnisse lassen ein paralleles Ablegen nach vorn oder achtern nicht zu, muss mit Leinen gearbeitet werden, wenn kein potentes Bug­strahlruder zur Verfügung steht.

Angenommen, der Wind weht mit einer Stärke, die ein Absetzen von Bug oder Heck nicht mehr zulässt. Wer nun weiß, was eine Spring ist, wo man sie am besten belegt und wie man in sie eindampft, kann sich jetzt wirksam helfen.

Möglich ist es nämlich, sowohl das Heck mit der Vorspring als auch den Bug mit der Achterspring vom Steg frei zu bringen und anschließend entweder vorwärts oder rückwärts abzulegen.

Auslaufen mit dem eigenen Schiff

Bei meinem Schiff bevorzuge ich, vorwärts abzulegen. Das bedeutet, dass ich in die Achterspring eindampfe und das Boot dazu bringe, seinen Bug langsam gegen den Wind vom Steg weg zu schwenken. Bin ich frei von allen Hindernissen und mit dem Bug weit genug vom Steg entfernt, löse ich die auf Slip gelegte Achterspring. Da alle anderen Leinen zu diesem Zeitpunkt bereits gelöst und wieder an Bord sind, kann ich nun zügig nach vorn einkuppeln und Fahrt aufnehmen.

Dies ist aber nur eine von mehreren gebräuchlichen Varianten. Man kann zum Thema Ablegen bei auflandigem Wind unzählige Videos finden und die Hafenmanöverfachliteratur wälzen.

Viel wichtiger als die Theorie ist es, in der Praxis bei einfachen Verhältnissen zu üben und herauszufinden, welches der Manöver auf dem eigenen Schiff gut funktioniert. Denn obwohl sie sich vom Grundprinzip her auf allen Booten ähneln, sind sie im Detail oft sehr unterschiedlich wirksam. Es sollte daher ausprobiert werden, ob es mit dem jeweiligen Boot besser vorwärts oder rückwärts geht, wo die idealen Angriffspunkte für die relevante Spring sind, wie lang sie sein soll, wo die Fender hängen müssen und dergleichen mehr. Denn komplizierte Manöver sollten nicht das allererste Mal gefahren werden, wenn das Wetter keine Alternativen bietet.

Verlassen des Liegeplatzes aus der Box in Rückwärtsfahrt

Eine andere Situation, die zunächst ganz einfach aussieht, ist das Verlassen eines Liegeplatzes aus der Box in Rückwärtsfahrt. Ist die Boxengasse nur unwesentlich breiter, als das Schiff lang ist, wird es kompliziert. Selbst unter günstigen Bedingungen mit Wind genau von vorn oder hinten ist es nicht einfach, den Schwenk aus der Box in die Gasse zu fahren. Beginnt man zu früh, berührt der Bug den vorherigen Heckpfahl der soeben verlassenen Box. Beginnt man zu spät, dann wird es, gerade bei Wind von vorn, hinter dem Heck sehr schnell eng.

Dabei ist dieses Problem wirklich ganz einfach zu lösen, und es ist erstaunlich, dass man das in den Häfen selten so sieht: Soll das Heck nach backbord, muss nur die Backbord-Achterleine vor dem Manöver auf Slip gelegt werden. Jetzt kann man zentimetergenau an die auf der anderen Seite der Boxengasse stehenden Dalben fahren und hier besagte Heckleine dichtnehmen. Mein Boot dreht dann wie auf dem Teller in die gewünschte Richtung. Anschließend wird vorwärts losgefahren und die Leine, idealerweise eine Schwimmleine, losgeworfen und eingeholt. Ein Trick, der das Manöver absolut stressfrei macht.

Das Wetter im Blick behalten

Mit Blick auf die Wetterentwicklung ist es sinnvoll, beim Anlegen schon die Ablegesituation am nächsten Tag im Kopf zu haben. Vielleicht gibt der Hafen es her, dass ich irgendwo längsseits liege, wo am nächsten Tag der Wind ablandig weht. Dann sind bereits im Vorfeld alle Probleme gelöst, und es heißt nur noch: „Leinen los und los!“ – die Arbeit erledigt in diesem Fall der Wind.

Sinnvoll ist es auch, Festmacher mit großen Palstekaugen am Ende zu verwenden satt solche mit eingespleißten Augen. Der Vorteil liegt auf der Hand: Sollte der Bootsnachbar seine Leinen über meine geworfen haben, lässt sich der Knoten einfach lösen.

Was das Ablegen außerdem erleichtert, ist, wenn alle an Bord, selbst Kinder, Tiere, Neulinge, wissen, was sie während des Manövers tun sollen und auch, was sie auf keinen Fall tun dürfen. Als unser Sohn noch klein war, hat er während des Ablegens angeschnallt in einem Autokindersitz unter Deck gewartet. Das ist ihm nicht sonderlich schwergefallen, lag vielleicht aber auch an den Keksen, die er in derlei Situationen ausnahmsweise bereits morgens essen durfte. Auch Luk, unser Hund, verschwindet bei komplizierten Manövern schon mal für ein paar Minuten unter Deck, das ist für alle Beteiligten entspannter.


10 Tipps im Überblick

  1. Bei wenig Wind üben und das Schiff genau kennenlernen
  2. Liegesituation analysieren, dann Reaktionen antizipieren
  3. Manöver vorher, aber auch hinterher ausführlich besprechen
  4. Unterschiedliche Fehler-Szenarien vorbesprechen
  5. Notfallplan parat haben
  6. Aufgaben verteilen
  7. Kleinkinder, Haustiere für die Zeit des Manövers sicher unter Deck bringen
  8. Signale, Handzeichen, Kommandos vereinbaren
  9. Manöver so anlegen, dass es möglichst langsam und kontrolliert zu fahren ist
  10. Fremde Hilfe, wenn nötig, in Anspruch nehmen

Über den Autor: Mike Peuker

Der ehemalige Pilot segelt mit Familie und einhand sportliche Törns auf seiner Comfortina 32 „Nubia“ und führte jahrelang Skipper-Trainings auf klassischen Holz-Folkebooten durch. Für die YACHT schrieb er seine besten Tipps für die Bordpraxis aufFoto: privatDer ehemalige Pilot segelt mit Familie und einhand sportliche Törns auf seiner Comfortina 32 „Nubia“ und führte jahrelang Skipper-Trainings auf klassischen Holz-Folkebooten durch. Für die YACHT schrieb er seine besten Tipps für die Bordpraxis auf

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