Lars Bolle
, Felix Keßler
, Jochen Rieker
, Michael Good
· 12.09.2018
Foils lassen mittlerweile auch Serienboote abheben und haben das Segeln grundlegend verändert. Wie es dazu kam und welche Modelle für jedermann zu haben sind
Man hört sie kaum, und man sieht sie nur kurz. Mit einem leisen Zischen flitzen sie vorbei und hinterlassen mit ihren filigranen Stelzen lediglich eine unscheinbare Spur auf der Wasseroberfläche. Wer die filigrane Kohlefaser-Jolle Moth beherrscht, kann satte 30 Knoten Top-Speed erreichen – und das mit einem gerade mal 3,30 Meter langen und lediglich 35 Kilogramm leichten Winzling. In keiner anderen Klasse hat das Thema Foiling so eindrucksvoll und nachhaltig eingeschlagen wie bei der International Moth. Innerhalb von wenigen Jahren hat die Einhand-Konstruktionsklasse die Metamorphose vom Gleiter zum Foiler fast vollständig vollzogen. Gegen 5000 Einheiten sind heute weltweit registriert, viele davon sind Foiler, unter anderem alle neuen Boote.
Für die Weltmeisterschaft im Juli 2017 am Gardasee hatten sich 200 Starter aus über 20 Nationen eingeschrieben, und alle segelten auf Booten mit Foils. Schon ab acht Knoten Wind kann ein Segler von 80 Kilogramm mit einer modernen Moth abheben, so lautet die Faustregel in der Klasse. Schwert und Ruder sind T-Foils mit waagerecht angebauten Tragflügeln. Die Profiltiefe ist bei beiden Foils einstellbar. Das Ruderfoil wird über die Drehung des Pinnenauslegers getrimmt, das Hauptfoil am Schwert über einen automatischen Widerstandsgeber.
Auch wenn es leicht und schwerelos aussieht: Foilen mit einer Moth erfordert viel Gefühl und Übung. Nur wer fleißig trainiert, ist "ready for take off" – und landet nicht nach jeder Bö gleich wieder im Nass. Neue Möglichkeiten, das "Fliegen" zu lernen, ergeben sich dadurch, dass auch renommierte Werften wie Beneteau Foiler im Yacht-Format in Serie bringen wollen. Die Figaro 3 (hier geht's zur Fotostrecke des Prototypen) der Franzosen mag eine Brücke bauen zwischen Profis und Amateuren, sie könnte ein Wegbereiter sein im Serienyachtbau. Doch zeigt sie auch die Grenzen der Physik auf. Nur in jeder Hinsicht aufs Nötigste reduzierte Regattaboote profitieren bisher wirklich von Foils – so wie Hochleistungs-Katamarane oder schnelle Jollen und Sportboote.
Dennoch werden Foils die Zukunft des Segelns mitbestimmen. Wir erklären auf den folgenden Seiten, woher der Trend kommt, wie das Fliegen funktioniert und welche Foiler-Modelle auch für Einsteiger erschwinglich sind.
Der Hype rund um Foils und "fliegende" Segelboote ist gerade erst richtig losgebrochen. Dabei hat die Tragflügel-Technologie, die den meisten Seglern heute noch fremd, wenn nicht sogar abgedreht erscheint, eine erstaunlich lange Entwicklungsgeschichte hinter sich. Bereits 1861, also vor mehr als 150 Jahren, baut der Engländer Thomas William Moy zwei fixe Tragflügel unter eine Schaluppe, die er von einem Pferdegespann entlang eines Kanals ziehen lässt. Überlieferungen zufolge wird der Rumpf dabei komplett aus dem Wasser gehoben.
Dieser bahnbrechenden Erfindung folgt anschließend eine ganze Reihe von motorisierten Experimentalfahrzeugen, nicht selten mit militärischem Hintergrund. Auf dem Kontinent gilt Enrico Forlani als einer der Pioniere. Der italienische Konstrukteur entwickelt 1906 das erste autonom fahrende Tragflügelboot. Auf dem Lago Maggiore erreicht es, von einem Motor angetrieben, eine Höchstgeschwindigkeit von 38 Knoten. Das Gefährt inspiriert in der Folge den US-Erfinder Alexander Graham Bell zum Bau seiner "HD-4", die 1919 einen neuen Weltrekord aufstellt, der mehr als ein Jahrzehnt Bestand haben sollte: 61,6 Knoten.
Der erste bekannte Einsatz von Hydrofoils auf Segelbooten geht auf das Jahr 1938 zurück. Die Amerikaner Robert Gilruth und Bill Carl bauen sich einen kleinen, 3,65 Meter langen Katamaran mit einer großen V-förmigen Tragfläche an einer Konstruktion unter Wasser. Das Boot kann bereits bei nur fünf Knoten Wind abheben und erreicht eine Geschwindigkeit von immerhin zwölf Knoten – damals eine Sensation. Mit dem Versuchsträger "Monitor" geht Gordon Baker noch einen Schritt weiter. An der Entwicklung der Konstruktion beteiligt sich sogar die US-Navy. Der Einrumpfer verfügt über seitlich angebaute Leiter-Foils. Später, vom herkömmlichen Rigg auf zwei starre Flügelsegel umgerüstet, setzt die "Monitor" mit 30,4 Knoten eine Rekordmarke für segelgetriebene Wasserfahrzeuge, die selbst heute noch achtbar erscheint.
Eine bedeutende Rolle in der Entwicklung von Foils für Segelboote nimmt der Franzose Éric Tabarly ein. Er baut 1976 einen Tornado-Rumpf zu einem kleinen Trimaran um und konstruiert Tragflächen für die Seitenschwimmer sowie für das Ruder. Tabarly experimentiert akribisch mit verschiedenen Foils, Profiltiefen und Einstellungen und überträgt seine Erfahrungen danach auf die Konstruktion des ersten wirklichen Hochsee-Foilers, den Trimaran "Paul Ricard". 1980 pulverisiert Tabarly damit den Transatlantik-Rekord des Schoners "Atlantic" aus dem Jahr 1905. Die "Paul Ricard" benötigt für die Strecke nur zehn Tage und fünf Stunden.
Einen ähnlichen Anteil an der Weiterentwicklung wie Tabarly hat sein Landsmann Alain Thébault mit dem Tri-Foiler "Hydroptère". Basierend auf dem Konzept von "Paul Ricard", wird der 2005 gebaute Trimaran mehrmals stark modifiziert und die Technologie weiter verfeinert. "Hydroptère" setzt 2009 zwei Bestmarken: 51,36 Knoten im Schnitt über 500 Meter und 50,17 Knoten über die Seemeile. Dazu knacken die Speed-Freaks aus Frankreich erstmals überhaupt auch die schier unglaubliche Marke von 100 Kilometern pro Stunde. Damit ist "Hydroptère" das schnellste Segelboot der Welt überhaupt.
Allerdings haben die Bestmarken der Franzosen nicht lange Bestand. Nach einem Jahrzehnt unermüdlicher Forschungs- und Entwicklungsarbeit gelingt dem Australier Paul Larson mit der "Sailrocket 2" im November 2011 ein neuer Weltrekord, der bis heute ungebrochen ist. Das ausschließlich für Speed-Rekorde konstruierte asymmetrische angelegte Segelgerät erreicht in Namibia über die 500-Meter-Strecke eine halsbrecherische Geschwindigkeit von 65,45 Knoten; in der Spitze sind es sogar 68,01 Knoten. Unter Idealbedingungen hält Larson auch mehr als 70 Knoten für möglich. Bedenkt man, wie früh und wie stürmisch sich das Potenzial der Rekordjäger auf Tragflügeln entfaltete, so dauerte der Transfer der Technik in den Serienbau vergleichsweise lange. Vorreiter war die International-Moth-Klasse. Nach einigen Prototypen, die Ende der Neunziger in Australien entstanden, offerierten Fastacraft und später Bladerider die ersten Motten auf Foils. Sie waren zunächst umstritten, lösten aber schon bald nach ihrer Markteinführung einen regelrechten Boom aus – und gelten als Wegbereiter des aktuellen Foil-Trends.
Der America's Cup 2017 hat gezeigt: Rennen mit 100 Prozent Flugzeit sind längst Realität. Die Kats können ohne Zweifel als die am höchsten entwickelten Segelboote aller Zeiten gelten. Doch der Technologietransfer von den Cuppern in die Serienfertigung wird gering sein, zu groß ist ihr Abstand von allem Herkömmlichen, das schwimmt – und zu spezialisiert die Lösungen, die den Umgang mit den Boliden überhaupt ermöglichen.
Während im Bootsbau moderne Errungenschaften des Segelsports sonst gern, rasch und nicht selten auch sinnfrei übernommen werden – erinnert sei an Flügelkiele oder Kimmkanten –, lassen sich Foils nicht so ohne weiteres adaptieren.
Selbst Konstrukteur Hugh Welbourn, der als Erfinder des Dynamic Stability System (DSS) zu den vehementesten Fürsprechern der Tragflächentechnik zählt, benennt unumwunden die Grenzen der Realisierbarkeit: "Ein Foil erzeugt mehr aufrichtendes Moment und damit deutlich höhere Lasten in Rumpf und Rigg", sagt der Brite. Um diese zu kompensieren, müssten aufwändige Strukturversteifungen ins Boot eingebaut werden. Dadurch und durch das in den Rumpf eingezogene Profil ginge unter Deck eine Menge Platz verloren. Außerdem lägen die Kosten deutlich höher als bei einem Boot ohne Foils. "Schon allein deshalb ist der Einsatz auf normalen Yachten sehr fragwürdig."
Gewaltiger Kraftakt: Bei einem Open 60 neuester Generation wirken viele Kräfte zusammen. Das Foil in Lee und der ausgeschwenkte Kiel generieren beide dynamischen Auftrieb (grüne Pfeile).
Bei einer Geschwindigkeit von 20 Knoten erzeugen die Rumpfanhänge zusammen bis zu sechs Tonnen Lift – das sind rund 75 Prozent des Gesamtgewichts der Yacht.
Für moderne Einrumpfboote kommen verschiedene Arten von Foils in Frage. Schiffe mit Canting Keel, wie zum Beispiel die Imoca Open 60 der Vendée Globe, benötigen ein Foil, das nicht nur Auftrieb produziert, sondern auch die seitliche Abdrift verhindert, weil der ausgeschwenkte Kiel diese Aufgabe nicht übernehmen kann. An der Spitze abgewinkelte Flügel produzieren beides, Lift und Seitenführung.
Hat das Boot jedoch einen fest angebauten gut profilierten Kiel oder ein zusätzliches Schwert, wird die Abdrift bereits ausreichend darüber minimiert. Dann reicht ein gerades DSS-Foil. Es produziert eine Menge Auftrieb und dazu weniger Widerstand, weil die Oberfläche insgesamt kleiner ist als bei L-Foils.
Einen Kompromiss bieten die Tip-Down- oder Chistera-Foils, wie sie jetzt bei der neuen Figaro 3 zur Anwendung kommen. Die nach unten und einwärts gebogenen Tragflächen erzeugen wie die L-Foils vertikalen Auftrieb und gleichzeitig eine Kraft gegen die Abdrift. Im Fall der Figaro kann die Finne des Festkiels deshalb sehr schlank sein. Der Vorteil der Chistera-Foils: Segelt das Boot bei wenig Wind aufrecht, bleibt die benetzte Fläche am Foil klein und der Widerstand im Wasser geringer als bei DSS- oder L-Foils.
Die Katamarane beim Cup sind sogenannte Dreipunkt-Foiler. Sie "stehen" quasi auf drei Beinen, auf der L- oder Z-förmigen Tragfläche in Lee und auf den beiden kleineren Foils an den Ruderblättern. Der Tragflügel in Luv wird jeweils aufgeholt, nicht nur, weil dies hydrodynamisch vorteilhaft ist, sondern weil es die Regeln des Cups so vorschreiben. Nur während der Manöver und maximal für 15 Sekunden dürfen beide Foils unten sein. Dieser Umstand verlangt den Teams eine bestens koordinierte Mannschaftsleistung sowie exaktes Timing ab.
Alltags- und massentauglich ist diese Funktionsweise nicht. Deswegen tendieren Hersteller von Katamaranen und Trimaranen für eine breitere Käuferschicht jetzt auch eher in die Richtung von Vierpunkt-Foilern; bei ihnen bleiben alle vier Rumpfanhänge dauerhaft abgesenkt. Natürlich produzieren vier Tragflächen im Wasser mehr Widerstand als nur deren drei, dafür wird die Fluglage stabiler und das Durchfoilen im Manöver einfacher. Verglichen mit den Mehrrumpfbooten ist die Entwicklung von Einrumpfern mit Foils um eine Komponente erschwert: der Krängung. Anders als Kats und Tris, die schon ihrer schieren Breite wegen ausreichend Formstabilität aufweisen, ist beim Einrumpfboot deutlich mehr aufrichtendes Moment nötig, damit das Boot nicht kentert. Gegen die seitliche Kraft wirken Kielballast, Wasserballast oder das Mannschaftsgewicht auf der hohen Kante. Pfunde also, die im Grunde das Allerletzte sind, was man fürs Fliegen brauchen kann.
Mit den Foils als Hebel in Lee lässt sich das aufrichtende Moment zwar zusätzlich unterstützen, die Schwerkraft aber dennoch nicht komplett neutralisieren. Deswegen werden größere Einrumpfboote wohl nicht so schnell komplett abheben können. Für Monos gilt zumindest für die nahe Zukunft: Foilen ja, Fliegen nein.
Ein-Mann-Hightech-Foiler gibt es ab rund 10 000 Euro. Wir haben drei Foiler für jedermann getestet. Hier sind die technischen Daten und ersten Testeindrücke. Den vollständigen Testbericht gibt es hier zum Download.
Technische Daten "White Formula Whisper"
Rumpflänge: 5,40 m
Breite: 2,30 m
Gewicht: 110 kg
Großsegel: 12,6 qm
Fock: 3,0 qm
Gennaker: 16,0 qm
Stückzahl: 50
Preis segelfertig: 25 500 €
Der von den Windsurfern entlehnte Gabelbaum erleichtert den Seitenwechsel in Manövern. Der Pilot hat mehr Platz und kann sich unter dem Unterliek hindurchzwängen
Technische Daten "Waszp"
Rumpflänge: 3,35 m
Breite: 2,25 m
Gewicht: 48 kg
Großsegel: 6,9 oder 8,2 qm
Stückzahl: ca. 360
Preis segelfertig: 10 350 €
Technische Daten "iFly 15"
Rumpflänge: 3,35 m x 4,63 m
Breite: 2,55 m
Gewicht: 90 kg
Großsegel: 12,5 oder 14,9 qm
Stückzahl: 14
Preis segelfertig: 26 980 €
Zukunft oder Zeitgeist? Was dafür und was dagegen spricht, Foiler in Serie zu bauen
Wenn Foiler sich aus dem Wasser erheben, werden die Bilder spektakulär. Auf Kats reicht meist eine falsche Steuerbewegung und die Rennboliden bohren sich bei voller Geschwindigkeit wieder ins Wasser – was für die Crews der großen Regatta-Kats lebensgefährlich enden kann. Wir haben einige spektakuläre Foil-Szenen in einer Galerie versammelt.