AnkernNeue App hilft beim Schutz von Seegraswiesen

YACHT-Redaktion

 · 28.05.2025

Leider kein seltenes Bild: Ein Anker bringt beim Aufholen jede Menge Seegras mit nach oben.
Foto: YACHT/K. Andrews
Viele Seegras-Lebensräume in den Weltmeeren sind zerstört worden, oder sie gehen rapide zurück. In Schweden hat man daher ein neues Projekt gestartet: Wer im Stockholmer Schärengarten segelt, kann über seine Karten-Apps Ankerplatz Informationen über besonders schützenswerte Buchten abrufen.

von Johanna Henriksson

An einem kühlen Morgen weht eine schwache Brise in einer geschützten Bucht auf Torö im südlichen Stockholmer Schärengarten. Eine kleine Fähre brummt unaufhörlich in Richtung Landsort, einer ganzjährig bewohnten Leuchtturminsel. Jenseits davon herrscht heitere Stille. Während die Schönheit des Stockholmer Schärengartens oberhalb der Wasserlinie das Auge erfreut, liegen unter der Meeresoberfläche empfindliche biologische Schätze. Einer davon ist eine Seegraswiese, die sich unter dem sanften Plätschern der Wellen in der Bucht von Torö verbirgt: eine schimmernde grüne Welt, in der sich Großer Pfeifenfisch und Breitnasenpfeifenfisch, Verwandte des Seepferdchens, zwischen den Seegrassträngen tummeln.

„Es ist unglaublich schön dort unten“, sagt Sofia Wikström, Meeresökologin am Baltic Sea Centre der Universität Stockholm. Sie kniet auf dem Steg, um an der Oberfläche treibende Seegrashalme einzusammeln, die sich vom Meeresboden gelöst haben.

Kinderstube Stockholmer Schärengarten

Der Stockholmer Schärengarten ist übersät mit flachen, empfindlichen Buchten und Küstenstreifen wie diesem. Sie werden oft als Kinderstube der Ostsee bezeichnet, da sie jene Vegetation beherbergen, die den Lebensraum bildet für laichende Fische wie Hecht und Barsch sowie für eine Vielzahl von Wirbellosen. Unvorsichtige Bootsfahrer können diese Ökosysteme unbeabsichtigt schädigen.

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„Studien aus anderen Teilen der Welt, zum Beispiel aus dem Mittelmeerraum oder von den Küsten der USA, zeigen, dass das Seegras durch Sportboote erheblich gefährdet ist. Ihre Anker und auch die Verwirbelungen, die von den Propellern hervorgerufen werden, hinterlassen bleibende Narben am Meeresgrund. Das hat uns dazu veranlasst, zu untersuchen, ob in der Ostsee die gleichen Probleme auftreten“, berichtet Wikström.

So wird das Seegras geschädigt

Die Forschung zeigt, dass Buchten, die von Natur aus wellengeschützt sind, besonders anfällig sind. Solche Ökosysteme sind für die von Booten verursachten Turbulenzen schlecht gerüstet, vor allem in flachen Bereichen mit einer Tiefe von weniger als zwei Metern. Die Tier und Pflanzenwelt ist dort weniger gut an starke Wasserbewegungen angepasst. Die von Booten erzeugten Wellen wirbeln das feine Sediment auf, sodass sich das Wasser trübt. Es dringt dann weniger Sonnenlicht bis zu den Pflanzen, sodass deren Fotosynthese eingeschränkt wird. Schiffspropeller und insbesondere Anker können Wasserpflanzen zudem entwurzeln. Oder sie werden unter dem zuvor aufgewühltes Sediment begraben, wenn sich dieses wieder am Boden absetzt.

Tipp: Hier finden Sie einen großen Anker-Guide mit allem, was es zum Fallenlassen des Grundeisens zu wissen gibt.

Seegras wächst langsam und verankert sich mit seinen Wurzeln im Sediment“, fügt Wikström hinzu. „Wenn eine Wiese beschädigt wird, kann der Meeresboden erodieren, was zu einer weiteren Schädigung führt. Hier in diesem Teil der Ostsee befindet sich das Seegras am Rande seines Verbreitungsgebiets und hat Schwierigkeiten, sich geschlechtlich fortzupflanzen; stattdessen ist es auf vegetatives Wachstum angewiesen. Wenn eine Wiese erst einmal verschwunden ist, kann es Jahrzehnte dauern, bis sie sich wieder erholt – wenn überhaupt“, erklärt die Wissenschaftlerin. Andere Arten, wie zum Beispiel langsam wachsende Steinkräuter und kleine Teichgräser, seien gleichfalls bedroht.

„Es liegt auf der Hand, dass man sich vorsichtig verhalten sollte, wenn man weiß, dass man ansonsten der Natur schaden könnte. Wir würden ja auch nicht mit dem Auto quer über eine blühende Blumenwiese fahren. Wir sehen den Schaden, etwa tiefe Reifenspuren, und vermeiden ihn. Dieselbe Logik sollte auf dem Meer gelten. Das Problem ist, dass wir nicht sehen, was unter Wasser los ist. Wir merken nicht, welche Spuren wir auf dem Meeresboden hinterlassen“, so Wikström.

Es gibt jedoch Möglichkeiten, die Auswirkungen des Bootssports zu mildern: Bei der Einfahrt in flache Buchten sollte man mit Bedacht vorgehen. Segelboote mit ihren kleineren Motoren und ihrer geringeren Geschwindigkeit sind weniger problematisch als Motorboote. Segler sollten daher vor allem den Ankerplatz sorgfältig wählen.

Eine App zeigt, wo es Seegras gibt

Die Initiative in den Stockholmer Schären ist ein Beispiel dafür, wie wissenschaftliche Daten praktisch angewendet werden können, um das Umweltbewusstsein und die Erhaltung der Meeresökosysteme zu fördern. Sofia Wikström und ihre Kollegen von der Uni Stockholm haben in Zusammenarbeit mit der Bezirksverwaltung Hunderte Unterwassergebiete kartiert. Nachdem sie eine riesige Menge Standortdaten zusammengetragen hatten, nahmen sie Kontakt zum schwedischen Sportbootverband auf. Gemeinsam suchte man einen Weg, wie sich die Buchten schützen lassen. Die Gespräche ergaben, dass vielen Bootsfahrern Informationen über sensible Gebiete fehlen, was umweltbewusste Entscheidungen erschwert.

Sofia WikströmFoto: Johanna HenrikssonSofia Wikström

In Zusammenarbeit mit einem führenden schwedischen Entwickler von Seekarten-Apps wurden daher spezielle digitale Overlays erstellt. Schützenswerte Bereiche in einer Bucht lassen sich nun in die herkömmliche Navigationskarte einblenden. Segler, die sich einem markierten Gebiet nähern, erhalten in der Karte eine Aufforderung, auf Details zu klicken. Sie können dann sehen, welche Pflanzen den Meeresboden bedecken, die geschützt werden sollen. Zudem gibt es Anleitungen, wie man mit dem Boot in das entsprechende Gebiet einfahren sollte. Die Overlays enthalten Vorgaben, wie beispielsweise eine niedrige Geschwindigkeit einzuhalten oder einen möglichst geraden Kurs zu steuern, um das Aufwirbeln von Sedimenten zu vermeiden. Oder aber in bestimmten Tiefen zu ankern, in denen keine Pflanzen geschädigt werden.

Mittels dieser Integration von Biotop-Informationen in jene Instrumente, die Bootseigner per se nutzen, soll zum einen der Meeresboden an einem bestimmten Ort geschützt werden. Darüber hinaus werden die Crews über die Umgebungen aufgeklärt, in denen empfindliche Habitate vorkommen.

„Ein Verbot wäre nur schwer durchzusetzen. Wie kann man überwachen, dass niemand in eine abgelegene kleine Bucht fährt? Die Bereitstellung von Informationen ermöglicht es den Bootsfahrern hingegen, selbst fundierte Entscheidungen zu treffen. Außerdem wird das Bewusstsein der Segler geschärft, sodass sie ähnliche gefährdete Bereiche auch in nicht gekennzeichneten Gebieten erkennen können“, hofft Sofia Wikström.

Der Wissenschaftlerin zufolge gibt es in schwedischen Gewässern keine Ankerverbote aus Umweltschutzgründen. Die Aufnahme der sensiblen Lebensräume in die Seekarten sei daher ein bedeutender Schritt nach vorn für den Naturschutz. Vogel und Robbenschutzgebiete sind seit Langem auf Seekarten verzeichnet, nicht aber Meeresschutzgebiete.

Die App hilft jetzt schon

Der Kartendienst, der im vergangenen Frühjahr eingeführt wurde, kann übrigens kostenlos genutzt werden. Die ersten Rückmeldungen waren sehr positiv, sagt Sofia Wikström. Auch wenn die langfristigen Ergebnisse noch ungewiss sind, finden nach Angaben des App Entwicklers Skippo 70 Prozent der befragten Nutzer die Informationen über sensible Unterwassergebiete wertvoll oder sehr wertvoll. „Niemand, mit dem ich gesprochen habe, hat die Zusatzinfos in der Karten App als störend empfunden. Viele Menschen wollen letztlich doch das Richtige tun“, sagt Sofia Wikström.

Einer dieser Nutzer ist der Segler Anton Kalland, der sich gerne an die Sommer seiner Kindheit erinnert, in denen er mit einem kleinen Holzboot die finnische Küste erkundete. Heute leben er und seine Familie in Stockholm und nutzen jede Gelegenheit, um mit ihrer Artekno H 35 in die Schären hinauszufahren. Kalland nutzt die Umweltinformationen regelmäßig, um verantwortungsbewusst zu navigieren.

Anton KallandFoto: privatAnton Kalland
Ich möchte ankern, ohne den Meeresboden zu beschädigen. Die Karten helfen mir, empfindliche Gebiete zu erkennen.” Anton Kalland

Sein neues Bewusstsein für die Unterwasserwelt hat die Wahl der Segelrouten der Familie beeinflusst. „Wenn eine Bucht den Umweltdaten zufolge interessant, aber sensibel aussieht, wählen wir den Ankerplatz mit besonderer Sorgfalt. Es ist schon mehrmals vorgekommen, dass wir an einem anderen Ort geankert haben, als wir ursprünglich geplant hatten. Vielleicht ist es immer noch dieselbe Bucht, aber am äußeren Rand und nicht weiter innen. Und wir lichten den Anker möglichst vertikal, um zu vermeiden, dass er beim Aufholen den Meeresboden umpflügt.”

Kalland stellt jedoch fest, dass die meisten Bootsfahrer nichts von den neuen Karteninformationen wissen. „Einige sind nicht daran interessiert, aber ich glaube, mehr Leute würden sie nutzen, wenn sie davon wüssten“, sagt er. Er stellt sich auch erweiterte Funktionen vor, etwa Echtzeitdaten über Algenblüten, Verschmutzungsgrade, mehr Angaben zu den lokalen Tier- und Pflanzenarten oder auch einfach nur Tipps, wo man etwa am ehesten Robben sehen kann. „Apps für Wälder zeigen dir lokale Pilzarten und historische Artefakte an. Warum nicht etwas Ähnliches für das Meer?“, schlägt er vor.

Die App-Daten sollen erweitert werden

Das Seekartenprojekt umfasst derzeit etwa hundert Orte im Stockholmer Schärengarten. Weitere sollen hinzukommen. Ziel sei es, die gesamte schwedische Küste zu erfassen. Dabei wollen die Forscher selektiv vorgehen und nur die wirklich wertvollsten Ökosysteme markieren. „Wir müssen uns auf Buchten konzentrieren, von denen wir sicher sind, dass sie wichtig und schutzbedürftig sind. Wir können nicht jede Bucht oder jeden Naturhafen im Stockholmer Schärengarten als besonders empfindlich ausweisen. Und wir brauchen keine Orte einzubeziehen, von denen die Bootsbesitzer selbst wissen, dass sie nicht besonders schützenswert sind. Eine solche Überkennzeichnung würde das Vertrauen in das Projekt untergraben und unsere Botschaft verwässern“, erklärt Sofia Wikström.

Zu den nächsten Schritten gehöre die Veröffentlichung der sogenannten GIS-Daten als Open-Source, um eine breitere Nutzung zu ermöglichen. Wikström kann sich vorstellen, dass die schwedische Schifffahrtsbehörde das Projekt irgendwann übernimmt und es ausweitet. „Die Behörde ist ja für die Erstellung von Seekartendaten für ganz Schweden zuständig. Wenn wir also einen nationalen Rahmen wollen, wäre es sinnvoll, dass die Verantwortung bei der nationalen Behörde liegt. Dafür wäre allerdings Unterstützung seitens der Politik erforderlich“, sagt sie.

Wikström glaubt, dass dieser Ansatz sogar eine internationale Zusammenarbeit fördern könnte. „Es gibt längst paneuropäische Kartierungsprojekte, die Kartendaten aus allen europäischen Meeren zusammenstellen. Wenn die EU-Kommission dies für wichtig genug hält, könnte sie Umweltdaten in diese Werke aufnehmen lassen. Bisher wird das aber noch nicht diskutiert“, sagt sie.

Vorbild für Deutschland

Martin Wahl, Meeresökologe am Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel, stimmt zu, dass Seegraswiesen ein wichtiges Anliegen sind. Er kennt den Stockholmer Schärengarten und lobt seine Schönheit. Und er hält es für vielversprechend, ähnliche Initiativen in Deutschland zu ergreifen. Zwar gibt es an der deutschen Küste umfangreiche und detaillierte Karten, die die Verbreitung von Seegraswiesen zeigen. Doch sind sie nicht in die vorhandenen Seekarten integriert, die Segler zur Navigation nutzen.

Martin WahlFoto: privatMartin Wahl
Wir müssen mehr miteinander reden.” Martin Wahl

„Die Interaktion zwischen Wissenschaftlern und der breiten Gesellschaft könnte in Deutschland sehr verbessert werden. Unsere Forschung konzentriert sich auf Veröffentlichungen und nicht auf praktische Anwendungen“, kritisiert er. „Aber ich wäre zuversichtlich, dass die Segler die Umweltdaten nutzen würden, wenn wir sie ihnen zur Verfügung stellen würden. Der meiste Schaden entsteht durch Unwissenheit, nicht durch bösen Willen“, sagt Martin Wahl.

Er räumt ein, dass es eine Herausforderung ist, die Interessen des Naturschutzes und der Freizeitschifffahrt in Einklang zu bringen. Manchmal kollidieren sie. „In Deutschland stieß der geplante Ostseenationalpark auf den erbitterten Widerstand von Motorbootfahrern, Seglern und Fischern, was zu seiner Absage führte. Das ist ein komplexes Thema“, stellt Wahl fest. Und dass Segler oft umweltbewusster sind als Motorbootfahrer, da sie von natürlichen Elementen wie Wind und Gezeiten abhängig sind. „Ich würde sagen, dass alle Segler die Erfahrung machen, dass es etwas gibt, das stärker ist als sie selbst. Deshalb respektieren sie die Umwelt über Wasser“, so Wahl. „Nur wenige wissen, was unter Wasser ist, aber sie sind offen dafür, es zu lernen.”

Sowohl Sofia Wikström als auch Martin Wahl betonen, dass die Freizeitschifffahrt nicht die größte Bedrohung für die Ostsee darstellt. Probleme wie die Überdüngung seitens der Landwirtschaft und die industrielle Fischerei sind gravierender.

Wikström unterstreicht jedoch die Bedeutung individueller Maßnahmen: „Wir müssen die industrielle Fischerei bekämpfen und die Nährstoffeinträge aus der Landwirtschaft noch weiter reduzieren. Das sind groß angelegte Maßnahmen, die weit weg, zum Beispiel in Brüssel, entschieden werden müssen. Hingegen kann hier vor Ort jeder Einzelne etwas tun, indem er beispielsweise unsere Umweltkarten nutzt und sich in empfindlichen Buchten mit entsprechender Vorsicht bewegt. Das ist eine Chance, unseren Lebensraum selbst zu schützen.

6 Verhaltens-Tipps

Empfindliche Buchten sind von Natur aus oft wellengeschützt, mit schmalen oder mehreren Zugängen, manchmal mit einer Insel, die die Wellen abhält. Falls es außerhalb der Bucht wellig, aber innerhalb spiegelglatt ist, handelt es sich wahrscheinlich um ein empfindliches Gebiet.

  1. Fahren Sie langsam hinein und vermeiden Sie zu starke Manöver mit Ihrem Boot.
  2. Vermeiden Sie das Ankern in Seegraswiesen.
  3. Benutzen Sie eine Anlegeboje, wenn eine vorhanden ist.
  4. Wenn Sie ankern, wählen Sie tiefe Bereiche. Das Seegras in den Stockholmer Schären wächst in Tiefen von maximal neun Meter.
  5. Ziehen Sie den Anker beim Lichten nicht über den Meeresboden. Holen Sie ihn möglichst senkrecht auf.
  6. Leiten Sie keinerlei Abwässer in die Gewässer. Das schadet der Umwelt und ist zudem verboten.

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