Er ist Austragungsort der wohl bedeutendsten Binnenseeregatta Europas und Kaderschmiede für Schweizer Hochseeskipper wie Alan Roura und Justine Mettraux. Der Genfer See sei das beste Versuchslabor, quasi ein Miniaturmeer, schreibt der Schweizer Segeljournalist und Fotograf Jean-Guy Python, Autor des Buchs „Suisses en mer“. Es ist schon bemerkenswert, dass ausgerechnet ein Binnen-Bergland wie die Schweiz einige der erfolgreichsten Segeltalente der Welt hervorgebracht hat. Viele von ihnen lernten hier das Spiel mit dem Wind: auf dem Lac Léman.
„Die Bedingungen auf dem Genfer See sind ähnlich wie auf dem Meer. Man muss bei leichter Brise stark sein und mit Windwechseln umgehen können“, schreibt Python. Wind ist Glücksache, es gibt tückische Fallwinde und das Wetter kann schnell umschlagen. Beste Trainingsvoraussetzungen für junge Segeltalente.
Jedes Jahr im Juni wird der sichelförmige Alpensee zum Schaufenster des Schweizer Segelsports. Denn seit 1939 organisiert die Société Nautique de Genève (SNG) hier den Bol d’Or. Tausenden Zuschauern bot sich am zweiten Juniwochenende wieder ein beeindruckender Anblick: Mehr als 500 Segelboote, vom einfachen Kajütboot bis zum Hightech-Trimaran, versammelten sich auf der Startlinie vor der Kulisse der Genfer Altstadt und dem Mont-Blanc, um die 86. Ausgabe der traditionsreichen Regatta auszutragen. Der Bol d’Or du Léman bringt jährlich etwa 2.500 Profi- und Amateursegler zusammen. Die Strecke über 66 Seemeilen führt vom Westende des Sees bei Genf bis an das Ostende nach Le Bouveret und wieder zurück. Die Herausforderung der Regatta liegt aber nicht nur in der Länge der Strecke, sondern auch in den oft unberechenbaren Wetterbedingungen, weshalb er auch „See der tausend Winde“ genannt wird.
In diesem Jahr endete die Regatta mit einem überraschenden Triumph für das Team Realteam Spirit unter Skipper Jérôme Clerc. Nach 15 Stunden, 26 Minuten und 5 Sekunden überquerte die Crew als erste die Ziellinie und sicherte sich damit den Gesamtsieg. Das für Leichtwindbedingungen optimierte Boot setzte sich knapp gegen die Konkurrenz durch.
Sails of Change 8 mit Skipper Yann Guichard folgte mit einem Rückstand von 4 Minuten und 2 Sekunden auf dem zweiten Platz, während Zen Too unter Guy de Picciotto mit 12 Minuten und 7 Sekunden Rückstand den dritten Platz belegte.
Christian Wahl, der mit neun Siegen Rekordhalter des Rennens ist, verpasste mit seinem Team, zu dem auch die diesjährige Event-Botschafterin Justine Mettraux gehörte, knapp das Podium und landete auf dem vierten Platz.
Nach einem Leichtwindauftakt sorgte ein unerwarteter Wetterumschwung am Sonntagnachmittag für ein dramatisches Ende der Regatta. Das Eintreffen einer Gewitterfront veranlasste die Organisatoren, die Schließung der Ziellinie vorzuziehen. Nur 20 Minuten vor Ende fegte ein Sturm über den See und zwang einige der letzten Teilnehmer zur Aufgabe. Nach 27 Stunden auf dem Wasser mussten die Crews nur wenige Hundert Meter vor dem Ziel aufgeben – ein bitteres Ende für die betroffenen Segler, die so lange durchgehalten hatten. Erinnerungen wurden wach an die 81. Ausgabe des Bol d’Or 2019, als ein heftiger Sturm über das Regattafeld hinwegfegte. Sturmböen mit 50 Knoten und mehr fielen damals über die Flotte her.
Dazu prasselte bei extrem eingeschränkter Sicht Hagel auf die Decks. Météo Suisse zeichnete Windspitzen von über 60 Knoten auf – mehr als 110 Stundenkilometer. In der Folge gingen in einem Feuerwerk von Notsignalen Segler über Bord, 40 Masten brachen, 212 Crews brachen das Rennen ab und mehrere Boote sanken. Solch apokalyptische Verhältnisse sind auf dem Genfer See aber die Ausnahme. In der Regel haben die Segler hier eher mit schwachen Winden zu kämpfen.
Yann Petremand, Präsident des Organisationskomitees, zog ein positives Fazit der 86. Ausgabe des Bol d’Or du Léman. Er betonte die Rückkehr zu den Wurzeln der Veranstaltung als großes Seefest und Feier der besten Segler und schönsten Boote des Genfer Sees. Trotz der leichten Winde sei die Regatta sportlich sehr anspruchsvoll und für Teilnehmer wie Zuschauer gleichermaßen spannend gewesen. Die Société Nautique de Genève wurde 1872 von reichen Genfer Bürgern und ausländischen Aristokraten gegründet, die den Sommer hier verbringen wollten. Heute zählt der größte Sportverein der Schweiz mehr als 4.200 Mitglieder.
Die vermutlich bekanntesten darunter sind die Bertarellis. Während der Milliardär Ernesto Bertarelli ein multinationales Segelunternehmen aufbaute und 2003 den America’s Cup erstmals in die Schweiz holte, ist seine Schwester Dona eine wahre Pionierin des Frauen-Segelsports. 2010 gewann sie den Bol d’Or mit ihrer Ladycat und einer mehrheitlich weiblichen Crew. Mit an Bord: Justine Mettraux, ebenfalls Genferin und spätestens seit ihrer Teilnahme bei der Vendée Globe 2025 weit über die Branche hinaus bekannt. In Versoix aufgewachsen, verbrachte Mettraux ihre Kindheit an den Ufern des Sees und auf dem Boot ihrer Eltern. „Auf dem Genfer See habe ich Segeln gelernt. Hier wurde die Sehnsucht nach dem Meer geweckt“, so die Profi-Seglerin gegenüber Schweizer Medien.
Bis heute zieht es sie oft an die Ufer ihrer Kindheit. „Der See hat den Ruf, ziemlich wechselhaft zu sein, die Winde verändern sich oft“, schwärmt Mettraux. „Man muss reaktiv sein und beobachten, was um einen herum passiert. Es berührt mich immer und macht mich glücklich, wenn ich wieder hier bin.“ Sie reiht sich ein in eine beeindruckende Liste von Namen, denen der Schweizer Segelsport seine Popularität in weiten Teilen der Bevölkerung zu verdanken hat. Nachdem das Schweizer Alinghi-Team 2003 die Neuseeländer im Finale des America’s Cup vor Auckland besiegte, gab es in der Schweiz einen regelrechten Segelhype: Bei ihrer Rückkehr in den Genfer Hafen jubelten der Crew 40.000 Zuschauerinnen und Zuschauer zu. Vier Jahre später konnte Bertarelli den Pokal in Valencia verteidigen.
Damit ist die Société der einzige europäische Verein, der den America’s Cup zwei Mal gewonnen hat. Kurz gesagt: Der Genfer See ist ein See der Segler. Und nicht nur Regattafans kommen hier auf ihre Kosten. Das Revier hat neben guten Segelbedingungen alles zu bieten, was man sich für einen Törn wünscht: eine grandiose Kulisse, gute Infrastruktur, sehenswerte Städte. Einige Fakten: Zwischen seinem westlichsten und dem östlichsten Punkt liegen 72 Kilometer (39 Seemeilen), an seiner breitesten Stelle sind es hingegen nur 14 Kilometer (7,5 Seemeilen). Mit 582 Quadratkilometern ist der Genfer See der zweitgrößte Binnensee und wasserreichste See in Mitteleuropa. An seiner tiefsten Stelle kommt er auf 310 Meter. Doch neben all den Superlativen ist der halbmondförmige Bergsee vor allem eins: ein landschaftlich unschlagbares Erholungsgebiet. Die Ufer sind gesäumt von Weinbergen und mediterran anmutenden Sandstränden und im Hintergrund erhebt sich das fantastische Bergpanorama mit dem schneebedeckten Gipfel des Mont-Blanc.
Die elegante, teils von Palmen gesäumte Schweizer Riviera an der Nordseite des Sees dehnt sich von Lausanne bis nach Montreux. Weltbekannt ist die Stadt Évian mit dem Casino, der Seilbahn und der berühmten Mineralwasser-Quelle. Genf am südwestlichsten Zipfel des Sees steht vor allem für Weltoffenheit und hat etliche Sehenswürdigkeiten und Aktivitäten zu bieten. Die Stadt ist ein internationales Zentrum der Diplomatie und beherbergt über 100 internationale Organisationen. Unter anderem den europäischen Hauptsitz der Vereinten Nationen (UNO), die WHO und die Europäische Organisation für Kernforschung CERN. Einige Bereiche des Palais des Nations sind öffentlich zugänglich. Vor dem UN-Gebäude auf dem Place des Nations steht das beeindruckende Holzdenkmal „Broken Chair“ – ein zwölf Meter hoher dreibeiniger Stuhl, der den Kampf gegen Personenminen symbolisiert.
An jeder Ecke verströmt Genf die Atmosphäre einer kosmopolitischen und jungen Stadt. In den Gassen und Cafés der historischen Altstadt – übrigens der größten der Schweiz – hört man alle Sprachen der Welt. Den besten Blick auf die Stadt, den See und die umliegenden Berge hat man von der alles überragenden Cathédrale Saint-Pierre. Wer die 157 Stufen bis zur Spitze des Kirchturms erklimmt, wird mit einem spektakulären Panoramablick belohnt.
Die kopfsteingepflasterten Straßen und Gassen Genfs sind gesäumt von prachtvollen Luxuskaufhäusern, aber auch von kleinen Cafés und Restaurants. So wie auf dem Place du Bourg-de-Four, dem ältesten Platz in Genf. Von hier aus geht es bergab, über die Rue de Rhône, eine der teuersten Einkaufsstraßen der Welt mit luxuriösem Schmuck und – natürlich – Uhren in den Schaufenstern, weiter bis ans Seeufer. Genf ist ums Wasser herum gebaut. Kein Wunder, dass sich ein Großteil des Lebens am und auf dem Wasser abspielt. Eines der meistgenutzten öffentlichen Verkehrsmittel sind die Mouettes, die gelben Fähren, die zwischen dem Nord- und Südufer pendeln.
Alle Jahre wieder gibt es Diskussionen und Abstimmungen zu einer Brückenüberquerung. Doch viele Genfer sind der Meinung, dass ein solches Bauwerk den freien Blick auf den See zerstören würde. Dieser ist geprägt von dem Jet d’Eau, einem 140 Meter hohen Springbrunnen. Mit 200 Stundenkilometern schießt die berühmte Wasserfontäne 500 Liter Wasser pro Sekunde in die Luft. Ein atemberaubender Anblick. Was die wenigsten wissen: Das Wahrzeichen der Stadt war ursprünglich gar nicht als Springbrunnen gedacht. 1886 sah sich das Wasserwerk, das die Genfer Handwerker und Uhrmacher mit Wasserkraft aus der Rhône versorgte, gezwungen, ein Ventil unter freiem Himmel zu schaffen, da das Wasser unter Überdruck stand, wenn die Maschinen nachts stillstanden.
Nur einige Meter vom Wasserstrahl entfernt ziehen die Bains des Pâquis Sonnenanbeter und Erholungssuchende an. Hier kann man baden, Tretboote und SUPs leihen oder einen Sundowner in der Beachbar genießen. Ein weiteres Wassersport-Highlight in der Stadt ist die Rhône. Über zehn Jahre braucht das Wasser durchschnittlich, um den See zu durchqueren und bei Genf abzufließen. Wenn wegen starker Regenfälle die Schleusen geöffnet sind, ist die Strömung beim Abfluss teilweise sehr stark. Im Jahresmittel beträgt der Ablauf etwa 270 Kubikmeter pro Sekunde.
An der Pointe de la Jonction trifft das klare, blaugrüne Wasser der Rhône auf das trüb-braune Wasser der Arve. Ein spektakuläres Naturschauspiel, das man am besten von der Brücke über dem Zusammenfluss beobachten kann. Auf der Landzunge befindet sich neben der Anlegestelle für Kajakfahrer und Raftingtouren eine Art Kulturzentrum mit Bar und Liegestühlen. Außerdem kann man hier eine Schweizer Tradition beobachten: das Flussschwimmen.
Wie in Zürich, Bern, Basel und Thun lassen sich die Genfer über lange Strecken von der Strömung tragen. In Badehose spazieren sie am Ufer flussaufwärts, um von einer Brücke oder über eine Einstiegsleiter ins kühle Nass zu springen. Oder sie lassen sich auf
Gummitieren die Rhône runter treiben – die trockenen Kleider für den Heimweg im wasserdichten Beutel dabei.
Ob Tretbootfahren, Raften, Kajakfahren oder Segeln – Genf ist wie geschaffen für jegliche Art von Wassersport. Entsprechend viele Bootsverleih-Anbieter buhlen um die Touristen. Günstig ist es trotz des großen Angebots dennoch nicht. Grundsätzlich kann man auch mit dem eigenen Boot anreisen. Allerdings ist dies relativ aufwendig und natürlich auch nicht umsonst.
Die Bewilligungen zum temporären Befahren eines Gewässers in der Schweiz und ein Schweizer Kennzeichen erhält man in der Regel beim Schifffahrtsamt des jeweiligen Kantons. In Genf kostet die Registrierung 95 Schweizer Franken, umgerechnet knapp über 100 Euro, und ist vom Ausstellungsdatum bis zum Ende des Folgemonats gültig. Aber: Für die Registrierung müssen einige Nachweise vorgelegt werden, wie eine EG-Konformitätserklärung und eine Versicherungspolice mit entsprechender Deckung.
Außerdem kommen weitere Kosten für eine technische Inspektion und Geräuschmessung sowie für das Kurzzeitkennzeichen und Steuern hinzu, die sich nach der Motorleistung des Motorboots oder der Länge des Segelboots richten. Eine weitaus unkompliziertere Möglichkeit gibt es jedoch, mit dem eigenen Boot auf dem Genfer See zu touren: Um am Bol d’Or teilzunehmen, ist eine Registrierung des Bootes nicht notwendig. Mit der Anmeldung bei der Société Nautique de Genève erhält man das Recht, eine Woche vor der Regatta Genf – Rolle – Genf und bis eine Woche nach dem Bol d’Or auf dem See zu fahren. Und wenn man schon mit dem eigenen Boot nach Genf fährt, sollte man sich das ja ohnehin nicht entgehen lassen.
In der Regel ist es auf dem „See der tausend Winde“ eher windarm, doch das Wetter kann schnell umschlagen. Die orangen Warnlichter sind unbedingt zu beachten. Typischerweise herrschen die Winde Bise und Föhn. Die Bise ist ein kalter, trockener Nordostwind, der durch die Kanalisierung zwischen Jura und Alpen auftritt. Der Föhn ist ein warmer Fallwind, der auf der Leeseite der Alpen entsteht, wenn feuchte Luftmassen aufsteigen und abkühlen. Der Vaudaire ist ein kräftiger bis stürmischer Wind, der gelegentlich aus südlicher Richtung durch das Rhônetal und das Chablais über den See fließt und teils erhebliche Schäden anrichtet.
Gefahren auf dem Genfer See sind durch Spieren gekennzeichnet. Sie tragen ein schwarzes, kegelförmiges, mit der Spitze nach oben gerichtetes Toppzeichen, wenn sie landseitig der Gefahr aufgestellt sind. Wenn sie seeseitig aufgestellt sind, tragen sie ein rotes, zylindrisches, nach oben gerichtetes Toppzeichen.
In den Häfen gibt es Muring-Bojen. Besucherplätze sind für bis zu drei aufeinanderfolgende Nächte pro Monat und Hafen kostenlos und in der Regel durch eine orangefarbene Boje und ein Schild am Pier gekennzeichnet. Eine Reservierung ist nicht möglich.
„Carte marine du Lac Léman“, Jean de Bosset/Bosco CH, EAN: 9995000016827, 36,90 Euro
„Guide des ports du Lac Léman“, Bosco Yachting, EAN: 9782839941990, 34,90 Euro, z. B. auf freytagberndt.com