Orca-InteraktionenMehr Wale sind aktiv, aber weniger Ruderschäden

Thomas Käsbohrer

 · 21.07.2023

Orca-Interaktionen: Mehr Wale sind aktiv, aber weniger RuderschädenFoto: National Oceanic and Atmospheric Administration/Unsplash
Jetzt auch Orca-Attacken vor der südfranzösischen Atlantikküste. Doch insgesamt werden weniger Ruderschäden seit April 2023 verzeichnet

Seit Januar 2023 sucht der frankospanische Meeresbiologe Renaud De Stephanis mit Unterstützung der spanischen Behörden das Rätsel der Orcas und die Ursachen der mysteriösen Attacken auf Yachtruder zu ergründen. Renaud De Stephanis erforscht seit den neunziger Jahren das Verhalten von Delphinen und Walen und hat über 100 wissenschaftliche Artikel veröffentlicht. Er ist Gründer und Direktor der Forschungsgruppe Circe (Erhaltung, Information und Studie über Wale), die sich dem Schutz und der Erforschung der Cetaceen (Wale und Delphine) in der Straße von Gibraltar widmet.

Ausgestattet mit zwei Segelyachten sowie Schlauchbooten, fährt er vor der südspanischen Küste jeden Tag hinaus zur Hot Zone, wo verhaltensauffällige Orcas mit Rudern interagieren. Sein Ziel: Orca-Daten im Zusammenhang ihrer Interaktionen mit Booten zu sammeln. Im Interview spricht Renaud De Stephanis über den augenblicklichen Stand seiner Forschung, bisherige Ergebnisse und die aktuell optimalen Verhaltensregeln für Segler.

YACHT: Durch Ihre Arbeit ist in die bestehende Orca-Forschung seit Januar Bewegung gekommen. Man ging bislang davon aus, dass es nur einzelne Tiere aus der semiresidenten Gruppe der Orca Iberica sind, die mit Yachten interagieren. Die Orcaschützer der Grupo Trabajo Orca Iberica identifizierten noch im Herbst 2022 16 Tiere der vor Gibraltar beheimateten 50 Orcas, die Boote rempeln. Ist das noch so? Oder gibt es neuere Erkenntnisse?

Renaud De Stephanis: Wir gehen heute nicht nur von einer Gruppe, sondern von zwei Gruppen aus. Das ist bislang eine Hypothese, aber unsere Beobachtungen weisen stark in diese Richtung. Eine Gruppe ist vor dem Fischerort Barbate nordwestlich der Straße von Gibraltar aktiv an Ruderblättern dran, die andere Gruppe ist zurzeit vor Frankreich aktiv.

Meistgelesene Artikel

1

2

3

Wo genau vor Frankreich?

Vor der Gascogne nördlich der Pyrenäen gab es in den letzten Tagen zwei Interaktionen, die mit beschädigten Ruderblättern endeten. Was das Rudel vor Barbate angeht, gehen diese Tiere mittlerweile auch bis ans östliche Ende der Straße von Gibraltar. Wir haben mittlerweile auch Interaktionen vor La Linea nördlich Gibraltar.

Was ist das Ziel Ihrer Forschungen?

Wir wollen drei Themen klären: Wir wollen die Anzahl der Interaktionen reduzieren. Und dann die Anzahl beschädigter Ruder verringern. Es soll weniger Schäden geben. Drittens arbeiten wir an Erklärungen, wie es den Orcas gelingen konnte, bislang drei Yachten zu versenken, um weitere Verluste an Booten zu vermeiden.

Die Besatzung einer der gesunkenen Yachten, der „Smousse“, gab an, dass der Skipper für eine bevorstehende Atlantiküberquerung sein Ruder verstärkt hätte. Als das Ruderblatt nicht nachgab, sei der Rumpf aufgrund der kraftvollen Orca-Einwirkung auf 80 Zentimeter Länge eingerissen ...

Wir denken in dieselbe Richtung. Ein beschädigtes Ruderblatt führt niemals zum Sinken einer Yacht. Ein beschädigter Rumpf schon. Wir raten deshalb dringendst von einer Verstärkung des Ruderblattes ab, das würde eine Yacht definitiv in ernsthafte Gefahr bringen. Wir arbeiten auch an technischen Lösungen, um die Zerstörung von Ruderblättern zu vermeiden. Pinger, also Lärm-emittierende Sender, sind nach allem, was wir bis jetzt ausprobiert haben, meist wirkungslos. Unsere Idee ist, eine technische Lösung zu finden.

Was gibt es bislang für Lösungen? Die Diskussion über die richtigen Strategien hat sich 2023 doch sichtbar verändert, nicht zuletzt dank Ihrer Arbeit seit Januar.

Da ist zum einen die Initiative vieler Webseiten und WhatsApp-Gruppen, den Aufenthaltsort interagierender Orcas zeitnah für alle Skipper zu veröffentlichen. Wir arbeiten daran, noch schneller den augenblicklichen Standort von Orcas in Apps, auf Webseiten und elektronischen Seekarten sichtbar zu machen. Anders als in den letzten zwei Jahren wissen wir heute, dass “Maschine aus” und “Stillliegen” genau die falschen Reaktionen sind. Mit dem Stillliegen signalisiert man den Orcas ja: “Hier hast du dein Spielzeug. Nimm es!” Wir empfehlen stattdessen, sofort unter Motor von der Herde wegzulaufen und die 20-Meter-Linie aufzusuchen. Wir haben das jetzt etwa 70-mal ausprobiert – nur einmal endete diese Taktik mit einem zerstörten Ruder. Das spricht für sich.

Das bringt uns zu der interessanten Frage, wie sich denn die aktuellen Zahlen in diesem Sommer entwickeln. Steigt die Zahl zerstörter Yachtruder? Oder geht sie nach unten?

Bis April stiegen die Zahlen. Seit April bewegen sie sich signifikant nach unten.

Womit erklären Sie sich das?

Bis auf wenige Ausnahmen bewegen sich fast alle Yachten auf der 20-Meter-Linie eng an der Küste. Selbst vor Barbate. Das hat die Zahl beschädigter Ruder deutlich nach unten gebracht.

Der Ausschnitt aus marinetraffic.com zeigt, dass sich die allermeisten Freizeitboote dicht an der Küste bewegenFoto: marinetraffic.comDer Ausschnitt aus marinetraffic.com zeigt, dass sich die allermeisten Freizeitboote dicht an der Küste bewegen

Was ist also die beste Taktik im Augenblick?

Kurz gesagt: jederzeit wissen, wo die Orcas sind. Und dann ganz nah an der Küste entlang segeln auf der 20-Meter-Tiefenlinie. Dort ist man sicher.

Wie werden sich die Zahlen im Lauf des Jahres weiter entwickeln?

Da habe ich ehrlich gesagt nicht die leiseste Ahnung. Wenn die Segelyachten weiter nah an der Küste bleiben, werden die Zahlen in diesem Jahr weiter fallen.

Diese Apps liefern die Standorte der Orcas:

yacht/gtorcas_c88e9a8c071c27d271cef3c0d550dacd

yacht/orcinus_214781b26c703a287c7e779483dbb427

Weitere Artikel zum Thema Orca-Interaktionen:


Das Buch des Autors:

yacht/07-21-12-16-38-das-ratsel-der-orcas-millemari-und-6-weitere-seiten-geschaftlich-microsof_2c1fe0c638f48a1f5ada5baec1263278Foto: millemari

Meistgelesen in der Rubrik Reisen