Es ist der 18. März 1969. Im Schatten des Tafelbergs, wenige Seemeilen südlich von Kapstadt, liegt ein Tanker auf Reede. Die Sonne scheint, das Wasser ist ruhig. Eine zwölf Meter lange Stahlketsch mit rotem Rumpf und dem Namen „Joshua“ auf dem weißen Deck nähert sich dem Schiff. Klack! Mit einer Schleuder schießt der Mann auf dem Segelboot etwas zur Brücke hinauf. Es ist eine Botschaft, die dort geflogen kommt und die Aufforderung enthält, sie an die britische "Sunday Times" zu übermitteln:
Lieber Robert, wir haben das Horn am 5. Februar gerundet. Heute ist der 18. März. Ich setze die Fahrt zu den Inseln des Pazifischen Ozeans ohne Zwischenaufenthalt fort, weil ich auf See glücklich bin und vielleicht auch, um meine Seele zu retten.“
Der Absender der Nachricht und der Mann auf dem roten Zweimaster ist der Franzose Bernard Moitessier. Er hat zu diesem Zeitpunkt bereits einmal die Welt umsegelt. Als Teilnehmer des Sunday Times Golden Globe Race, der ersten Nonstop-Einhandregatta um die Welt, hatte er Tage zuvor seine Kurslinie gekreuzt. Anstatt jedoch zurück ins englische Plymouth zu segeln und damit das Rennen zu gewinnen, setzte er seine Reise nach Polynesien fort, verzichtete auf den sicheren Sieg – und schrieb Segelgeschichte.
Moitessier, der die Freiheit auf dem Meer dem Sieg und dem „Zivilisationsdruck“ an Land vorzog, wird in den folgenden Jahrzehnten zur Inspiration für viele. Sein später veröffentlichtes Buch über die Reise wurde ein Klassiker der Segelliteratur und sein „verschenkter Sieg“ bleibt bis heute ein Symbol für eine Freiheit, die sich am Rhythmus des Meeres und der eigenen Intuition orientiert.
Um diesen Geist der Freiheit wieder aufleben zu lassen und das 50. Jubiläum der Reise zu zelebrieren, rief der Franko-Amerikaner Guy Bernardin die Longue Route ins Leben. Dabei handelt es sich nicht um eine Regatta im klassischen Sinne, sondern vielmehr um eine Abenteuerfahrt unter Gleichgesinnten. Ohne Unterstützung und Zwischenstopps segeln die Teilnehmenden auf den Spuren Moitessiers um die drei Kaps der Welt. Es gibt keine Zeitmessung, keine Preise und nur wenige Regeln. Vielmehr geht es darum, den Freiheitstraum auf See zu verwirklichen.
Und das schon zum zweiten Mal: Nach der Premiere 2018 haben sich Mitte August 2024 erneut sechs Segler auf den Weg um die Welt gemacht. Beim Start in Lorient war auch die „Joshua“, das legendäre Segelschiff von Moitessier, dabei. Unter den Teilnehmern ist auch die deutsche Ausnahmeseglerin Susanne Huber-Curphey. Sie startete im Juli mit ihrer „Nehaj“ auf den Azoren und führt das Feld an.
Bruno Tréca, Mitorganisator der Longue Route, steht regelmäßig mit den Seglern in Kontakt. Täglich um 12 Uhr senden sie ihre Position und manchmal eine Nachricht über eine Iridium-Bake. „Sie scheinen sich wohlzufühlen. Alle sind leidenschaftliche Segler. Natürlich gibt es auch schwierige Bedingungen – besonders nach dem Kap der Guten Hoffnung“, sagt Tréca.
Ein Teilnehmer, Alfonso Pascual, musste bereits zweimal anhalten, so Tréca. Einmal wegen eines defekten Wassermachers und einmal, weil eine Welle seine Windfahne und sein Solarpanel zerstörte. Ein anderer Segler, Eric Beauvilain, stieg in Brasilien aus, da er Zweifel an der Stabilität seines Bootes hatte. Abgesehen davon seien die fünf verbliebenen Teilnehmer in guter Verfassung und froh, auf See zu sein, sagt Tréca. Er erwartet die ersten Ankünfte im März oder April 2025 in Lorient, Frankreich – genau in dem Jahr, in dem Bernard Moitessier hundert Jahre alt geworden wäre.
Insgesamt fünf Seglerinnen und Segler sind bei der Longue Route 2024 noch dabei. Ihre aktuellen Positionen sowie kleine Updates von Bord finden Sie unter longue-route-2024. fr. Die Teilnehmenden haben unterschiedliche Motivationen, an der Longue Route teilzunehmen. Im Folgenden stellen wir sie vor:
Susanne Huber-Curphey hat ihr Leben dem Langstreckensegeln verschrieben. Zwischen 2007 und 2011 segelte sie alleine um die Welt, parallel zu ihrem Ehemann Tony Curphey. 2017 gelang ihr als erste Frau die Solo-Durchquerung der Nordwestpassage. Im Jahr 2018 nahm sie erstmals an der Longue Route teil und umrundete als zweite deutsche Frau nonstop die Welt. Statt zu beenden, setzte sie danach – im Sinne Moitessiers – ihren Kurs gen Osten fort (die YACHT berichtete). 2019 strandete sie unglücklich vor La Réunion. Nun ist sie erneut dabei.
Auf einer eigenen Internetseite schreibt Huber-Curphey ein digitales Logbuch. Dort ist auch ihr aktueller Standort einzusehen.
Pierre-André Huglo, 64, und sein GfK-Klassiker „Fresh Herring“ sind ein gut eingespieltes Team. Bereits 2018 nahmen sie an der Longue Route teil. Besonders das Einhandsegeln fasziniert den Nordfranzosen. Mehr als 100.000 Seemeilen hat er schon allein zurückgelegt. Im Alter von 14 Jahren segelte er wochenlang allein im Ärmelkanal. Später, mit eigenem Boot, wurden die Distanzen länger. Bei einer Atlantiküberquerung erlitt er Schiffbruch. Doch das hielt ihn nicht vom Segeln im Südmeer ab.
Frédéric Switala, 55, ist nicht nur ein begeisterter Segler, sondern verdient zugleich seinen Lebensunterhalt damit. Der Franzose verkauft Segelboote, die speziell für Weltumseglungen ausgerüstet sind. Er selbst hat bereits mehrfach den Atlantik überquert und ist bis nach Polynesien gesegelt. Allerdings war er noch nie auf eigenem Kiel im Südmeer, wie er in einem Interview erklärt. Das soll sich mit seiner Teilnahme an der Longue Route ändern.
Auch Alfonso Pascual, 60, gehört zu den erfahrenen Langstreckenseglern. Drei Jahre lang war er allein mit einer Fantasia unterwegs. 2017 segelte er mit seiner Familie von Frankreich nach Argentinien. Der Franzose hat rund 60.000 Seemeilen im Kielwasser und ist dabei oft den Routen großer Seefahrer gefolgt. So segelte er mit einem Mini 6.50 auf der Route des Odysseus durchs Mittelmeer. Aktuell orientiert er sich an den Wegen Moitessiers.
Eymeric Maiffredy, 46, ist der Einzige, der nicht allein aufgebrochen ist. Er wird von seiner Katze „Maus“ begleitet. Darüber hinaus verfügt er über umfassende Ozeanerfahrungen: Insgesamt hat er an sechs Transatlantik-Rennen teilgenommen, an einigen davon solo. In seiner Jugend war er zudem Mitglied des technischen Teams von Yves Parlier – einem französischen Segler, mehrfacher Vendée-Teilnehmer und Gewinner des Rennens Transat Jacques Vabre.