Ursula Meer
· 13.02.2022
Wohl kein anderes Seegebiet hat mehr Geschichten geschrieben als das berüchtigte rings um den Felsen vor Feuerland. Die längste dauerte 99 Tage!
Ungehindert können Wind, Wellen und Strom auf ihrem Weg um die Erde am südlichen Ende Amerikas passieren. Orkane, haushohe Wellen und eisige Niederschläge sind an der Tagesordnung in dem berüchtigten Seegebiet.
Von seiner bösesten Seite zeigt es sich der Mannschaft des Hamburger Vollschiffs „Susanna“ im Winter 1905. Drei Monate kämpft sie sich durch eine nicht enden wollendende Reihe von Stürmen um das Kap. Mal weht es aus Nordwest 10–11, dann aus Südwest 11–10. An 80 von 99 Tagen, die die Rundung dauert, herrscht Sturm, schwerer Sturm oder Orkan.
Das Weltuntergangsszenario liest sich im Tagebuch der „Susanna“ im Telegrammstil so: „Orkan. Hohe See, anhaltender Regen. Schneeböen. Wilde See... Gewaltige Wassermassen überkommend. Lufttemperatur -1,0 bis +4,0 Grad, Wassertemperatur 1,5 Grad, Wind West 12, Kurs SE.“
Schutz suchen auf den Falkland-Inseln oder der lange Umweg ostwärts in den Pazifik kommt für Kapitän Christian Simon Jürgens nicht infrage. Mehr als zwei Dutzend andere Schiffe tun das in diesem harten Winter 1905/06. Vor Kap Hoorn stranden oder sinken in jenem Jahr fünf Schiffe, wenigstens vier bleiben verschollen.
Die „Susanna“ kommt durch. Als nach drei Monaten des Stampfens auf der Stelle endlich der 50. Breitengrad erreicht und damit das Kap passiert ist, ist kein Land in Sicht; die Mannschaft glaubt, Südamerika sei im Meer versunken. In Wahrheit hat sie ein Fehler im Chronometer auf eine völlig verkehrte Länge geführt und ihr damit einen Umweg von 500 Seemeilen beschert. Die Mannschaft ist von Typhus und Skorbut gebeutelt, das Rigg ist zerzaust, an den oberen Rahen hängen Fetzen von Segeln, als die „Susanna“ kurz vor Weihnachten in der Bucht von Caleta Buena vor Anker geht.
Mitunter lauern die Stürme auch schon weit vor dem Kap. Nach einer ersten Weltumsegelung auf der Barfußroute hat der Australier Ron Llwellyn 2009, damals 58 Jahre alt, nur noch ein großes Ziel – einmal rund Kap Hoorn, und zwar in Gegenrichtung. Seine „Sula“, eine Bruce Roberts 35, bekommt vor der Reise eine gründliche Generalüberholung: neue Segel, neues stehendes und laufendes Gut und eine neue Selbststeueranlage sollen sie rüsten für den Törn im stürmischen Südatlantik. Vom neuseeländischen Opua segelt er los, etwa 5000 Meilen sind es bis Kap Hoorn.
Gerade einmal zwanzig Tage ist er auf See, als ihn ein lange anhaltendes Wetterinferno erwischt. Mehrmals wird seine „Sula“ flach auf die See gelegt. Am 48. Tag der Reise, 375 Meilen vor Kap Hoorn, notiert er in seinem Logbuch: „Ich empfange eine Schwerwettermeldung. Ein intensives Tiefdrucksystem mit 994 Hektopascal, knapp gefolgt von einem weiteren mit 995 Hektopascal, steuert auf mich zu.“
Er dreht bei und will warten, bis die beiden Systeme ihn und seine „Sula“ passiert haben. Doch sie erwischen ihn mit voller Wucht. Das Barometer fällt auf 889 Hektopascal. Llewelyn beschreibt: „49. Tag. Punkt Mitternacht wird „Sula“ von einer riesigen, massiven Welle flachgelegt. Dieses Geräusch und diese immense Kraft werde ich mein Leben lang nicht vergessen. Ich werde an die Bordwand gedrückt, und das Boot dreht sich weiter, bis ich mich an der Decke befinde, die ist mit einer groben, rauen Farbe fast scharfkantig gestrichen, das tut ganz schön weh. Durchgekentert! Das Schiff liegt nun kopfüber im Wasser, in der Decke steckt meine Machete, alles scheint stillzustehen. Ich habe Zweifel, dass es sich wieder aufrichten wird. Überall Wasser, sehr kaltes Wasser.“
„Sula“ richtet sich wieder auf. An Deck aber ein Bild der Verwüstung: Der Mast ist gebrochen, Schoten und Fallen sind verworren, die Segel gerissen. Einen Seenotfall möchte Ron Llwellyn dennoch nicht deklarieren, hat er doch schon die Berge Patagoniens in Sicht. Und immerhin geht die Maschine noch und bringt ihn sicher nach Bahia Cook.
Kap Hoorn liegt noch vor ihm. Llwellyn kann in Chile nicht einklarieren, denn dann dürfte er seine Fahrt nicht fortsetzen. Das dürfen nur Schiffe, die nach chilenischem Marinegesetz seetauglich sind. Für ein Segelboot heißt das: Es muss einen Mast haben, der geriggt ist und nicht in zwei Teilen auf Deck liegt. Der Abenteurer beschließt, unterm Radar zu bleiben und sein marodes Schiff nach Argentinien zu fahren. Um das Kap herum. Wetter und Maschine sind ihm gnädig, schon drei Tage nach der Kenterung notiert er in seinem Logbuch nur einen Satz zur Passage des berüchtigten Seegebiets: „Um 5.25 Uhr runde ich das Kap.“
Ähnlich gelassen nimmt Ellen MacArthur das Kap. Oder schlicht erschöpft? Nie zuvor segelte ein Mensch schneller vom Englischen Kanal zum Kap Hoorn als die "kleine Engländerin" 2005 bei ihrer Einhand-Weltumrundung. Sie hat zu diesem Zeitpunkt schon zwei Drittel ihrer Reise hinter sich, die harschen Bedingungen des Southern Ocean haben ihr viel abverlangt.
Als Ihr Team sie via Satellitentelefon anruft, kann sie kaum sprechen. Die Skipperin ist Meisterin im Kurzschlaf und regeneriert in 15 Minuten besser als andere Menschen nach mehreren Stunden Schlaf. Aber am Kap Hoorn ist sie schlicht müde. Aus den wenigen Worten, die bei ihrer Crew an Land ankommen, geht hervor, dass sie in der Koje lag, als ihr Trimaran "B&Q" den Meridian von Kap Hoorn übersegelte. Spektakuläres ist relativ.
Einmal unbeschadet am berüchtigten Kap vorbei – das reicht den meisten Weltumseglern vollkommen aus. Erst recht, wenn sie einhand und nonstop unterwegs sind. Wer aber die magische Acht um die Welt segelt, kommt nicht an einem zweiten Besuch vorbei. Die „Doppelrunde“ um die Welt führt einmal um die Antarktis und anschließend um den amerikanischen Kontinent. Das Schiff kreuzt auf dieser Route seinen eigenen Kurs südlich des Kaps. 2019 ist der US-Amerikaner Randall Reeves auf der magischen Route unterwegs. Er braucht nur 110 Tage, um das Kap gleich zwei Mal zu runden.
Was Reeves zwei Mal in kurzer Zeit schafft, will anderen auch nach mehreren Anläufen nicht gelingen. Der Amerikaner Timm Corogan hat lange Einhandtörns, unter anderem über den Atlantik nach Europa oder zu den Galapagos-Inseln, anstandslos absolviert. Wann immer aber Kap Hoorn auf seiner Route ist, wird es schwierig – als liege ein Fluch über seinem Wunsch, Südamerika zu runden. Fünf Versuche sind schon wegen Maschinenschäden, Knie- und anderen Problemen gescheitert, als er es 2012 weiteres Mal versucht – mit immerhin 84 Jahren. Doch schon 500 Seemeilen südlich der Osterinseln bricht der Mast seiner 36 Jahren alten Westsail 32. „TLC“ heißt sie, das steht für „tender loving care“, für das, was alte Schiffe brauchen. Sie zeigen es ihren Eignern mitunter auf die raue Art. Corogan löst die Epirb und wird in fünf Meter hohen Wellen von einem japanischen Frachter von seinem Schiff abgeborgen.
Mehrere Anläufe braucht auch die Britin Jeanne Socrates. Im Januar 2011 kentert ihre Najad 380 "Nereida" rund 180 Seemeilen westlich vor Kap Hoorn. Sie richtet sich rasch wieder auf, die Skipperin bleibt unverletzt. Die Schäden an Bord sind jedoch so immens, dass an eine Fortführung der Fahrt zunächst nicht zu denken ist. Einzig die Maschine bleibt ihr zum Antrieb, doch bei der Kenterung hat sich eine Leine um ihren Propeller gewickelt. Chilenische Fischer kommen ihr schließlich zur Hilfe und entfernen die Leine.
Jeanne Socrates kann nach Ushuaia fahren. Mit der Kenterung endet ihr Versuch, als älteste Frau einhand und nonstop die Erde zu umrunden. Doch sie lässt sich nicht entmutigen: Nach weiteren gescheiterten Versuchen, davon zwei allein 2016, gelingt ihr 2019 schließlich der Rekord – mit 77 Jahren.