Etwa eine Stunde vor Hochwasser verlassen wir die Victoria Marina über das Sill und damit Guernsey. Damit geht die Reise schon gefühlt ihrem Ende entgegen, denn Alderney ist die letzte der englischen Kanalinseln. Dann steht der Sprung über den Ärmelkanal selbst an. Schon morgen werden wir die Needles und den Solent anpeilen, zwei Tage später wollen wir in Portsmouth sein. Und so hart das Wetter auf diesem Törn, endlich soll es besser werden.
Womit wir aber durchweg Glück hatten, waren die Zeiten der Gezeiten. Immer lief die Tide so, dass wir die Seetage entspannt starten konnten, statt zu nachtschlafener Zeit oder so spät am Nachmittag, dass wir nichts mehr vom Ankunftsort gehabt hätten. Meistens ging es gegen 9 Uhr los, manchmal sogar später. Heute ist es Viertel nach neun, da kann man nicht meckern. Die erste halbe Stunde ist dennoch unruhig, denn der Wind aus Südwest steht gegen den Strom. Bald beruhigt sich das Meer jedoch und wir haben zum ersten Mal überhaupt so etwas wie eine entspannte Passage.
Alderney ist die ganze Fahrt über schon in Sicht, die Entfernung misst kaum 15 Seemeilen vom Verlassen des Little Russel, der Durchfahrt zwischen Guernsey und Herm, bis zur Einfahrt in The Swinge, der Alderney von der kleinen Insel Barhou trennt. Bis hier sind wir schnurgeraden NE-Kurs gesteuert, jetzt verläuft er parallel zur Nordküste Alderneys, dafür aber erneut durch selbst bei diesen Verhältnissen imposante stehende Wellen.
Die lange Mole von Braye Harbour beginnt und an ihrem Ende runden wir den Kopf der mächtigen Mauer und laufen die deutlich ruhigere Bucht ein. Dem Rat eines Amerikaners in Saint Peter Port folgend, suchen wir uns eine Boje im Schutz des breakwaters (es wird die Nummer 17) zwischen einer norwegischen und einer belgischen Yacht und warten auf den Harbour Master, der auch bald in seinem Boot zum Kassieren kommt.
Dann wird das Dingi gewassert, denn die erste größere Wolkenlücke zieht heran. Zum Glück gibt es hier ein richtiges Dingi Dock am Schwimmsteg. Oben die Frachtpier, ein paar sonnengebleichte Container, Jungs auf Fahrrädern, Palmen, die sich dem Wind beugen, auch wenn es kleine Exemplare sind. Der Briefkasten der customs. Einklarieren nach dem Vertrauensprinzip, das für uns aber ohnehin entfällt, da Alderney verwaltungsmäßig zu Guernsey gehört – und dort kommen wir ja gerade her. Dennoch pflegt man seine Eigenständigkeit auch hier, bei gerade einmal 2000 Einwohnern.
Unsere kleine Dreiercrew zerstreut sich. Ich wandere am Fort und inneren Hafen vorbei, wo ein Kutter in Bienenfarben an der hohen Wand trockenfällt, dann zurück und durch die bunte Braye Street, in die Dünen und zum Strand. Endlich Sand zwischen den Zehen! Die wenigen Urlauber verlieren sich im Verlauf der weiten Sichel, das Wasser in der Bucht leuchtet türkis. Alderney fühlt sich schon deutlich karibischer – oder zumindest südlicher – an als die Inseln bisher. Was so ein bisschen Sonne ausmacht!
Dass es hier ohnehin entspannter zugeht, liegt natürlich nicht nur an der Randlage direkt am Kanal, sondern auch an der überschaubaren Größe: Bei einer Fläche von etwa acht Quadratkilometern ist Alderney ungefähr fünf Kilometer lang etwa halb so breit. Den meisten Raum nimmt die Natur ein, die landschaftliche Vielfalt ist enorm und reicht von steilen Klippen bis hin zu sanften Stränden. Diese kompakte Größe ermöglicht es Gästen auf eigenem Kiel, die Insel leicht zu Fuß oder mit dem Bordfahrrad zu erkunden und dabei die Umgebung zu entdecken. Dabei stößt man immer wieder auf Festungsanlagen, vom viktorianischen Fort bis zum Atlantikwall-Bunker, kleine Wälder und verlorene weiße Häuser – und auf die Schienen der Inselbahn.
Nach einer herrlichen Stunde meldet sich mein Handy: Der Skipper sitzt nicht weit entfernt auf der Terrasse von The Moorings, eine Beachbar mit Blick auf den Strand und hat mich ausgemacht. Eine Viertelstunde später ist die Crew wieder vereint, der Laden ist sehr entspannt: Lounge music, helle Möbel, dunkles Bier – Guinness. Unser dritter Mann fragt den Barkeeper nach dem city centre. Der lacht nur. City? „Besser als hier könnt ihr es nicht treffen“, sagt er. Ziemlich überzeugendes Marketing, finden wir. Und so steht der Plan für unseren letzten Abend auf den englischen Kanalinseln, Jersey, Guernsey, Herm und Alderney, einmal mehr mit Blick aufs Meer. Ein außergewöhnliches Revier.