Blauwasser-BlogSo nah und doch so fern

Martin Finkbeiner

 · 22.10.2018

Blauwasser-Blog: So nah und doch so fernFoto: M. Finkbeiner
Kurs Rabat

Friederike und Martin Finkbeiner sind seit Juli auf Langfahrt. Mittlerweile haben sie Marokko erreicht – und wähnen sich dort in einem Märchen aus 1001 Nacht

Zunächst ging es für die Finkbeiners vom Bodensee beziehungsweise dem Rhein über die französischen Kanäle bis Marseille und dann weiter übers Mittelmeer nach Gibraltar. Während die klassische Route weiter über Madeira auf die kanarischen Inseln führen würde, haben die beiden beschlossen, entlang der marokkanischen Küste nach Süden zu segeln. Hier ihr aktueller Bericht:

  Der Gibraltar Rock, von La Linea aus gesehenFoto: M. Finkbeiner
Der Gibraltar Rock, von La Linea aus gesehen

»La Linea auf der spanischen Seite Gibraltars ist unser letzter Stopp auf dem europäischen Festland. Ab hier beginnt ein neuer Abschnitt unserer Reise: der Atlantische Ozean. Die Säulen des Herkules, der 426 Meter hohe Gibraltar Rock auf der europäischen und der mit 852 Metern genau doppelt so hohe Jbel Musa auf der afrikanischen Seite, markieren die Einfahrt in die Straße von Gibraltar und somit das Tor zum Ozean.

In der Straße weht der Wind entweder von Ost oder von West – und das wegen des Düseneffekts meist relativ stark. Andere Windrichtungen sind hier rar. Hinzu kommen infolge der Tide und des Pegelunterschieds der beiden Meere starke Strömungen, meist aus dem 1,6 Meter höher liegenden Atlantik ins Mittelmeer. Drei Stunden nach Hochwasser Gibraltar findet man nahe den Ufern westsetzende Strömungen, die sogenannten Neerströme, die entgegen des nach Osten setzenden Hauptstroms fließen.
  Die Straße von Gibraltar, von Tanger aus gesehenFoto: M. Finkbeiner
Die Straße von Gibraltar, von Tanger aus gesehen

Der Abfahrtszeitpunkt will also gut gewählt sein. In unserem Fall sind mit 15 bis 20 Knoten Wind aus Ost ideale Segelbedingungen für unsere "Aracanga" vorhergesagt. Aus der Bucht von Gibraltar raus, halten wir uns bis Tarifa, der südlichsten und wahrscheinlich windigsten Stadt Europas, auf der nördlichen Seite der Straße. Wind und Strom schieben uns mit gut acht Knoten über Grund nach Westen.

Dann geht es quer über das Verkehrstrennungsgebiet auf die afrikanische Seite, wo die Neerströme etwas später einsetzen und uns über vier Knoten zusätzlich bescheren. Es ist, obwohl wir nur die Fock gesetzt haben, eine Rauschefahrt nach Westen.

Afrika statt Madeira

Während die meisten Segler nach der Straße von Gibraltar ein Ziel in Südspanien oder an der Algarve anlaufen oder aber die erste, lange Überfahrt mit Ziel Madeira oder kanarische Inseln angehen, haben wir uns dazu entschlossen, die afrikanische Westküste zu erkunden. In La Linea nutzen wir das gute Internet, um Recherchearbeit zu betreiben, denn über Nordwestafrika gibt es nur wenige Informationen für Segler.

  Sonnenaufgang über MarokkoFoto: M. Finkbeiner
Sonnenaufgang über Marokko

Nach und nach formt sich ein Plan: Zunächst soll es nach Marokko gehen, dort gibt es mehrere gute Anlaufstellen, und das Land hat in den letzten Jahren ordentlich aufgerüstet, was die Infrastruktur für Segler betrifft. So gibt es ein paar gute Marinas entlang der Küste, und seit neuestem ist auch die Tanja Bay Marina in Tanger auf der Westseite der Straße von Gibraltar geöffnet.

Tanger, Rabat und eventuell Agadir möchten wir ansteuern. Nach Marokko planen wir einen kurzen Stopp auf Lanzarote, bevor es dann weitergeht nach Dakar, der Hauptstadt des Senegal. Mauretanien südlich von Marokko werden wir auslassen, dort erscheint uns die Sicherheitslage etwas kritischer als in den Nachbarländern.

Über den Senegal haben wir verschiedene, teils widersprüchliche Berichte gelesen, vor allem hinsichtlich der Sicherheitslage. Daher haben wir erst einmal nur einen Stopp in Dakar eingeplant und sehen dann vor Ort weiter. Das nächste Ziel und der eigentliche Grund für die Reise entlang der afrikanischen Küste ist Gambia. Gambia ist zu drei Seiten vom Senegal umschlossen und grenzt nach Westen an den Atlantik. Das Land zieht sich entlang des gleichnamigen Flusses und ist in erster Linie für sein vielfältiges Ökosystem bekannt.

  Die Altstadt von RabatFoto: M. Finkbeiner
Die Altstadt von Rabat

Von Gambia aus möchten wir dann auf die Kapverden und weiter über den Atlantik segeln, aber bis dahin liegen noch viele Meilen vor uns.

Unser erster Stopp in Afrika ist Tanger, und nach einer Tagesetappe von 30 Meilen machen wir in der gerade erst eröffneten, riesigen Tanja Bay Marina am Zollsteg fest. Das Einklarieren geht schnell und unkompliziert vonstatten. Nur unsere Drohne sorgt für etwas Aufsehen, diese wird für die Zeit unseres Aufenthaltes vom Zoll konfisziert und vom Chef höchstpersönlich registriert und weggesperrt.

Viel Platz im neuen Hafen

Die Suche nach einem Liegeplatz in der riesigen Marina gestaltet sich aus uns unerfindlichen Gründen sehr kompliziert, obwohl nur 15 der 400 Plätze belegt sind. Nach etwa einer Stunde verkündet der Hafenmeister feierlich, dass er nun einen geeigneten Liegeplatz für unser Boot gefunden hat und ob wir ihn uns zuerst ansehen möchten, bevor wir dort anlegen.

  Einfahrt in den Fluss Bou RegregFoto: M. Finkbeiner
Einfahrt in den Fluss Bou Regreg
Nach der Besichtigung und unserer Zufriedenheitsbekundung mit seiner Wahl herrscht kurz Verwirrung, wer denn der Captain sei, sprich, warum die Frau am Steuer stehe – die spinnen, die Europäer!

Marokko ist nur einen Tagesschlag von Europa entfernt, die Einreise ist unkompliziert, und es werden keine Visa verlangt. Mit der neuen Marina in Tanger, die zu allen Seiten geschützt ist und mehr Wachpersonal beschäftigt als aktuell Boote in der Marina liegen, eröffnet sich für viele Segler ein komplett neues Revier, entweder als kurzer Stopp auf der "Durchreise" nach Madeira, als Alternative zum Überwintern, als erster Stopp eines Marokkotörns oder, um das Boot an einem sicheren Platz zu wissen, während man das Land mit Bus, Bahn oder Leihwagen erkundet.

  Fischerboote in RabatFoto: M. Finkbeiner
Fischerboote in Rabat

Tanger ist die Provinzhauptstadt mit etwa 750.000 Einwohnern und gehört zu den wichtigsten Handels- und Hafenstädten Marokkos. Sie ist der älteste ununterbrochen besiedelte Ort Marokkos und immer noch eine Hochburg des Drogenhandels und Schmuggels. Tanger ist seit jeher von einem Mythos belegt – einst soll die Arche Noah nach der Sintflut hier angelandet sein. Lange Zeit hatte die Stadt den Status einer Freihandelszone und zog Spekulanten, Glücksritter, Waffen- und Drogenschieber, Prostitution, Künstler, Freigeister sowie den internationalen Jetset an.

Zwischen Orient und Okzident

Die Stadt ist die Grenze zwischen dem europäischen Abendland und der arabischen Kultur, und noch oder gerade heute ist das an jeder Straßenecke sichtbar. Die Medina (die Altstadt) und die Kasbah (die Burg), der alte Teil der Stadt, gehen fast nahtlos in die moderne Neustadt mit Hochhäusern, Bankenviertel und Flaniermeile über, wie zwei Welten prallen die beiden Stadtteile aufeinander.

  Auf dem Weg nach SüdenFoto: M. Finkbeiner
Auf dem Weg nach Süden

Für uns ist natürlich in erster Linie die Altstadt mit ihren Souks (Märkten) interessant. Auf den Märkten in den engen Gassen findet man so gut wie alles: frische Lebensmittel, Berge von Gewürzen, Töpferwaren, Klamotten von der Burka bis zur Reizwäsche, modernste und antiquierte Elektronik bis hin zu billigem und überteuertem Kitsch.

Dazwischen gibt es kleine Essensbuden und Kioske, wo man für günstiges Geld leckere, einheimische Speisen wie Tajine oder Couscous in allen Variationen bekommt. Zu trinken gibt es traditionellerweise süßen, grünen Tee mit frischer Minze oder frisch gepresste Säfte.

Für uns ist Marokko eine neue und aufregende Welt, wunderschön, faszinierend, aber auch anstrengend. Man kann sich kaum sattsehen an dem quirligen Markttreiben, darf aber auch nicht zu lange ausharren, sonst hat man, ob man möchte oder nicht, einen Teppichhändler, Drogenverkäufer oder selbsternannten Stadtführer an seiner Seite.
  Die Marina RabatFoto: M. Finkbeiner
Die Marina Rabat

Die belebte Altstadt fesselt uns, trotzdem sind wir froh, unser Boot als Gegenpol zum hektischen Stadtleben zu haben.

Nach drei Tagen in Tanger sieht das Wetter gut aus für die Etappe nach Rabat, der Hauptstadt Marokkos, ca. 130 Meilen im Süden an der atlantischen Westküste. Für die ersten Stunden bis zum Kap Spartel, der nordwestlichsten Spitze Afrikas, beschert uns Neptun sehr viel Wind und Welle.

Das Kap markiert offiziell die Grenze zwischen Mittelmeer und Atlantik, was mit einem Schluck Rum für die Crew und für Neptun gefeiert wird. Kurz darauf ändern wir unseren Kurs auf Süd und verlassen somit die Düse von Gibraltar. Wind und Welle lassen nach, und wir werden von sanften 15 Knoten entlang der afrikanischen Westküste und entlang ewiger Sandstrände nach Süden geschoben.

Am zweiten Abend der Überfahrt, ca. 50 Meilen vor Rabat, lässt der Wind dann so stark nach, dass wir mehr dümpeln als segeln. Da wir aber sowieso erst am kommenden Mittag zum Hochwasser durch den Fluss Bou Regreg in die Marina einlaufen können, stört uns die Flaute wenig. Trotzdem entscheiden wir uns in der Nacht irgendwann dazu, die Maschine zu starten, denn ab der 100-Meter-Tiefenlinie herrscht ein reges Treiben an kleinen Fischerbooten, die, wenn überhaupt, nur sehr spärlich beleuchtet sind.

Da zu jedem Boot mindestens ein Fischernetz gehört, mal besser, mal schlechter, mal gar nicht gekennzeichnet, gerät die Nacht zur spannenden Zick-Zack-Fahrt.

Zum Sonnenaufgang sind wir wenige Meilen nördlich von Rabat und rufen über Funk die Marina an, um zum Mittagshochwasser den Lotsen zu bestellen, der uns durch die Untiefen im Fluss leitet. Um in die Marina von Rabat einlaufen zu können, benötigt man Glück mit dem Wetter, denn ab zwei Meter Welle ist die Einfahrt zu gefährlich und der Hafen geschlossen. Die Marina von Rabat liegt ca. eine Meile flussaufwärts; einmal im Hafen drin, liegt man rundum und vor jedem Wetter geschützt.

Gegensätzliche Nachbarn

  Markt in FesFoto: M. Finkbeiner
Markt in Fes

Die Einfahrt in den Fluss ist wunderschön, hinter dem Lotsenboot her geht es zwischen den beiden Altstädten von Sale und Rabat hindurch, an besagten, in der Helligkeit allerdings freundlich- farbenfrohen Fischer- und Ruderbooten vorbei und an den Zoll- und Polizeisteg zum Einklarieren, was hier in Marokko in jedem Hafen von neuem gemacht werden muss.

Genau genommen liegen wir nicht in Rabat, sondern in der Nachbarstadt Sale auf der Nordseite des Flusses. Rabat und Sale bilden eine Millionenmetropole, wobei Sale die Rolle der Wohnstadt der Fabrikarbeiter im Schatten der Hauptstadt einnimmt. Die Medinas der beiden Städte liegen nur wenige hundert Meter entfernt voneinander am Süd- und Nordufer des Bou Regreg.

Der Fluss mit seinem natürlichen geschützten Hafen hat beiden Städten seit jeher eine wichtige Bedeutung verliehen, geschützte Naturhäfen sind rar gesät an der nordwestafrikanischen Küste. Rabat und Sale könnten dennoch unterschiedlicher nicht sein.

  Gewürzverkäufer am MarktFoto: M. Finkbeiner
Gewürzverkäufer am Markt
Rabat als Hauptstadt ist sauber, rausgeputzt und auf Tourismus ausgelegt. Die Kasbah ist verhältnismäßig klein, aber schön und mit viel Liebe zum Detail hergerichtet. Sale hingegen ist ärmlich, eng, dreckig und doch auch faszinierend.

Touristen verlaufen sich kaum nach Sale, hier liegen das Fleisch und der Fisch ungekühlt auf groben Holzplanken zum Verkauf, und eine Tajine kostet an der Straßenecke umgerechnet zwei Euro. Sale ist eine Stadt, in der man ein schlechtes Gewissen hat, seine teure Kamera auszupacken und zu fotografieren, während man in Rabat gar nicht darüber nachdenkt, ob das unangebracht sei.

Rabat-Sale liegt ferner praktisch, um das Binnenland von Marokko zu erkunden. Und man kann das Boot hier problemlos und sicher ein paar Tage allein in der Marina liegen lassen. Also holen wir uns einen Leihwagen und machen uns auf den Weg nach Fes. Das ist angeblich die schönste der vier Königsstädte Marokkos.

Die Medina von Fes ist mit 2,8 Quadratkilometern die größte Nordafrikas, dort leben über 400.000 Menschen. Für jemanden, der nicht hier aufgewachsen ist, macht die Stadt den Eindruck eines schier unüberschaubaren Labyrinths.

  MarkttreibenFoto: M. Finkbeiner
Markttreiben
Die Gassen sind so eng, dass sich als Transportmittel nur Maultiere eignen, und wäre da nicht die Liebe der Araber zum Mofa und Smartphone, könnte man sich leicht ins Mittelalter zurückversetzt fühlen.

Berge von frischem Obst und Gemüse, Säcke voller orientalischer Gewürze, das jahrhundertealte Gerberviertel und die vielen kleinen Nähereien machen die Stadt zu einem unvergesslichen Erlebnis. An allen Ecken und Enden wird gefeilscht und gehandelt. Was sich für uns schnell wie ein heftiger Streit anhört, ist meist nur ein lebhaftes Verkaufsgespräch.

Ausflug in die Königsstadt

  Der Hurrikan Leslie hält uns gefangenFoto: M. Finkbeiner
Der Hurrikan Leslie hält uns gefangen

Fes ist ein ganz spezielles Erlebnis. Allerdings vergisst man schnell, dass die Medina auch der Ort der armen Leute ist, die sich keine Bleibe in den schicken neuen Wohnvierteln leisen können, dass hier Kinderarbeit an der Tagesordnung ist und viele Menschen nicht lesen und schreiben können.

Zurück auf der "Aracanga", warten wir auf ein passendes Wetterfenster, um die knapp 500 Meilen auf die Kanaren zu segeln, welches allerdings auf sich warten lässt. Der Hurrikan Leslie und seine Nachwirkungen halten uns erst einmal in Rabat gefangen. Wegen des hohen Schwells ist die Marina geschlossen.

Die nächsten Tage werden sowohl Wind als auch Welle abnehmen, und so wie es aussieht, wird es eine Leichtwindüberfahrt nach Lanzarote werden. Aber das macht nichts, wir sind so voll mit Eindrücken aus einem wunderbaren Land, da tun ein paar Tage Ruhe gut, um alles zu verarbeiten.

Revier-Tipps:

Sichere Marinas für Yachten in Marokko (Atlantikseite, von Nord nach Süd) sind Tanger und Rabat, Mohammedia, Agadir. Weitere Häfen / Anlegemöglichkeiten / Ankerplätze an Marokkos Atlantikseite sind Asilah, Larache, El Jadida, Safi und Essaouira. Die meisten und besten Infos zu Marokko findet man unter www.noonsite.com.

Weitere Infos, Bilder und Artikel zur Reise der „Aracanga“ unter Ahoi.blog.