Martin Finkbeiner
· 02.01.2019
Friederike und Martin Finkbeiner sind seit Juli mit Ihrer "Aracanga" unterwegs. Weihnachten und Silvester haben sie auf den Kapverden verbracht
Kapverdische Neujahrsgrüße von der "Aracanga"-Crew! Von Süddeutschland über die französischen Kanäle und Flüsse, durch das Mittelmeer und via Marokko und den Kanaren haben Riki und Martin mit ihrer kleinen Yacht mittlerweile den Inselarchipel der Kapverden erreicht. Die vom stetigen Passat umwehten Inseln bieten viel, von traumhaften Sandstränden auf der unbewohnten Insel Santa Luzia bis hin zum sattgrünen Wanderparadies Santo Antao. Wer hier her segelt und nur in Mindelo Wasser und Diesel bunkert, der hat die Kapverden nicht gesehen. Man sollte sich die Zeit nehmen, Inseln, Land und Leute kennenzulernen. Es lohnt sich.
Ein knappes halbes Jahr sind wir bereits unterwegs, und unsere "Aracanga", die bis voriges Jahr nichts als den Bodensee kannte, segelt nach über 3.000 geloggten Meilen mittlerweile zwischen den Kapverdischen Inseln vor der Westküste Afrikas. Die 800 Seemeilen lange Überfahrt von den kanarischen Inseln zu den Kapverden war segeltechnisch das bisherige Highlight der Reise: zuerst ruhig, dann ruppig und später einfach nur traumhaft schön.
Nach zwei entspannten Segeltagen legt der Wind etwas zu und schiebt uns kräftig nach Süden. Es ist relativ warm – um die 25 Grad –, auch wenn es sich durch den kräftigen Wind deutlich kühler anfühlt. Mit dem Wind hat auch die Welle auf zweieinhalb Meter zugenommen, und immer wieder sind große Brecher mit an die vier Meter Höhe dazwischen.
Unsere kleine "Aracanga" wird ganz schön durchgeschüttelt und legt sich weit von links nach rechts und wieder zurück. Wir haben nur einen Teil der Genua ausgerollt. Das reicht, um das Boot bei vier bis sechs Knoten Geschwindigkeit auf Kurs zu halten.
Konnte man vor ein paar Tagen noch komfortabel im Cockpit stehen, einen Fuß auf der linken und einen Fuß auf der rechten Sitzbank und mit einer Tasse Tee nach vorn auf die Sprayhood gelehnt, ist im Moment nicht mehr daran zu denken. Sitzen, einkeilen, abstützen und festhalten ist angesagt, um nicht durchs Cockpit oder durch die Kajüte zu purzeln. Wir haben noch 320 Seemeilen bis auf die nordöstlichste Kapverdeninsel Sal, und gut über die Hälfte der insgesamt 800 Seemeilen liegen in unserem Kielwasser.
Logbucheintrag vom 1. Dezember 2018:
In der Nacht war es windig und wellig, der Wind hat auf ca. 25 Knoten von achtern zugelegt, und wir sind immer wieder hohe, sich brechende Wellen heruntergesurft. Top-Speed: 10,7 Knoten. Die "Aracanga" und die Aries-Windfahnensteuerung machen ihren Job super, wir müssen kein einziges Mal eingreifen, um das Boot auf Kurs zu halten. Das Groß ist seit Anfang der Überfahrt unten, wir variieren lediglich die Größe der Genua. Im Schnitt machen wir ca. 4,5 Knoten und jeden Tag über 100 Meilen, was ein gutes Etmal für unsere Kleine ist.
5. Dezember 2018: Die letzten Tage ist die Überfahrt zu einem wahrhaftigen Traum geworden. Es ist warm, tagsüber sogar richtig heiß, Wind und Welle haben abgenommen, und auch das Wasser wird langsam wärmer. Die kurze Welle ist einer langen, angenehmen Atlantikdünung gewichen, und der Wind weht beständig mit 15 bis 20 Knoten von achtern.
Nachts haben wir einen sternenklaren Himmel, sichten in den Nachtwachen keine fremden Boote mehr, dafür vor uns das Kreuz des Südens und hinter uns gerade noch so den großen Wagen und den Polarstern. Haben wir bis vorgestern so gut wie keine Tiere gesehen, werden wir jetzt regelmäßig von Delphinen begleitet, die in unserer Bugwelle spielen und nachts im Meeresleuchten glitzernde Bahnen hinter sich her ziehen.
Auch die "Aracanga" malt eine Glitzerspur ins Meer, die sich einige Meter hinter dem Boot in den Wellen wieder verliert. Es sind einige Vögel unterwegs, hauptsächlich Wasserläufer und braune Tölpel, und wir haben auch schon ein paar Meeresschildkröten von stattlicher Größe gesichtet. Wenn wir an ihnen vorbeisegeln, heben sie neugierig den Kopf aus dem Wasser und schauen uns nach, genau wie wir dann neugierig an der Reling stehen, bis das Tier seine Reise fortsetzt und in einer der nächsten Wellen wieder verschwindet.
In dem täglich wärmer werdenden Wasser sehen wir auch wieder fliegende Fische. "Fliegen" die Fische auf der Flucht vor einem Fressfeind bei Tageslicht knapp über der Wasseroberfläche für teilweise mehrere hundert Meter, schießen sie nachts senkrecht aus dem Wasser nach oben, was hin und wieder mit einer Bruchlandung bei uns an Deck endet. Gestern Nacht hat ein Exemplar von ca. zehn Zentimeter Länge eine besonders saubere Notlandung hingelegt, nämlich genau in einer der Taschen neben dem Niedergang und dort kopfüber in Rikis leere Kaffeetasse, wo er mit viel Getöse auf sich aufmerksam gemacht hat, bis wir ihn aus seiner misslichen Lage befreit haben.
Manche nicht ganz so glücklichen Kollegen finden wir erst am nächsten Morgen vertrocknet an Deck. Ebenso kleine Tintenfische, die, man würde es ihnen nicht zutrauen, anscheinend auch ziemlich hoch aus dem Wasser springen können. Aber die mit Abstand beeindruckendste Begegnung war ein mächtiger Pottwal, deutlich größer als die "Aracanga". Der Wal ist in aller Seelenruhe nur einen Meter neben uns vorbeigeschwommen und hat uns neugierig begutachtet. Ein Stück hinter unserem Boot hat er seine Fluke in die Luft gestreckt und ist abgetaucht.
Am Nikolaustag fällt unser Anker pünktlich zu Sonnenaufgang auf sechs Meter Wassertiefe in der Bucht von Palmeira. Wir sind auf den Kapverden angekommen. Während es für Riki der erste Besuch der Inseln ist, bin ich bereits zum dritten Mal hier und auch dieses Mal wieder begeistert von der Inselgruppe.
Neben Sal besuchen wir den nördlichen Teil der Kapverden, die Inseln São Nicolau, Santa Luzia, São Vicente und Santo Antão, wobei wir letztere aufgrund der schlechten Ankerbuchten mit der Fähre anfahren. Die Inseln könnten unterschiedlicher nicht sein. Während Sal ein Stück Sahara im Atlantik ist, das nur kaum Sehenswürdigkeiten, aber dafür eine tolle Atmosphäre in der kleinen, verschlafenen Ortschaft Palmeira bietet, sind São Nicolau und Santo Antão sattgrün und ein Traum für jeden Wanderfreund.
Die Kapverden sind unser zweites Ziel außerhalb Europas, und schon bei der Einfahrt in den Hafen von Sal haben wir das Gefühl, ganz weit weg zu sein. Der farbenfrohe Ort Palmeira zieht einen mit seinem lebensfrohen Spirit und der typisch kapverdischen No-Stress-Mentalität schnell in seinen Bann. Der Dock ist gleichzeitig Spielplatz, Fischerhafen, Fischmarkt, Werft und allgemeiner Treffpunkt. Hier werden wir schon von einer Handvoll Jungs erwartet, die sich alle ein paar Cent verdienen und auf unser Beiboot aufpassen möchten. "Me Alessandro, me watch your Dinghy" – "Okay."
Das Einklarieren geht schnell und unkompliziert vonstatten. Palmeira ist neben den beiden größeren Städten Mindelo und Praia der dritte offizielle Port of Entry der Kapverden und eigentlich bekannt dafür, dass die Einreiseformalitäten hier auch mal ein paar Stunden länger dauern können. Wir haben Glück und nach einer Viertelstunde die Stempel in unseren Pässen.
Nach getaner Arbeit ist für den Immigrationbeamten Kaffeepause mit ausgiebigem Plausch an der Hafenbar angesagt, und der französische Einhandsegler, der kurz nach uns angekommen ist, muss am Nachmittag wieder kommen, um die Einreiseformalitäten zu erledigen. "No Stress, it's Cabo Verde."
Palmeira ist toll, die Lebensfreude und die Gastfreundschaft der Kapverder sowie die viele Musik und die farbenfrohen Häuser sind einzigartig, und allein schon deswegen ist die Insel einen Besuch wert. Jay, ein Einheimischer, ist selbsternannter Hafenmeister und hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Segler zu betreuen und wo nötig für einen kleinen Obolus Wasser und Diesel mit seinem kleinen Fischerboot zu liefern, Wäsche und Müll mitzunehmen oder einfach mal auf einen Kaffee, ein Bier oder einen Schwatz vorbeizukommen. Außerdem weiß er jeden Tag, wo es lokales Essen und Livemusik gibt.
Palmeira ist, abgesehen von den wenigen Fahrtenseglern, die hier vor Anker liegen, und ein paar Pick-up-Trucks mit Besuchern jeden Vormittag kein Touristenort. Die abendlichen Musiksessions sind nicht für Urlauber inszeniert, sondern einfach und unverfälscht, und niemand stört sich an defekten Boxen oder grellem Neonlicht. Man findet sich schnell zurecht und weiß schon bald, an welchem Tag in welchem Haus gekocht wird und wann und wo es Cachupa, Reis mit Fisch oder Reis mit Hähnchen für 250 Escudos (ca. 2,50 Euro) gibt.
Wir haben uns hier in Palmeira mehr als nur willkommen und jederzeit sicher gefühlt. Es gehört zwar dazu, einem der Jungs am Hafen ein paar Escudos fürs Aufs-Beiboot-Aufpassen in die Hand zu drücken, aber das ist mehr eine nette Geste als ein Sicherheitsbedürfnis, denn oft trifft man dasselbe Kind eine halbe Stunde später beim Kicken in den Straßen wieder.
Aus ein paar geplanten Tagen auf Sal sind zehn Tage vor Anker geworden, und wir schieben es mal wieder aufs Wetter, denn vier Tage lang hat es ordentlich geweht, draußen hat sich ein fünf Meter hoher Schwell aufgebaut und der Wind hat unser komplettes Boot mit einer feinen Schicht rotbraunem Sand überzogen. Aber irgendwann ist dann doch Anker auf und Kurs West angesagt.
90 Seemeilen westlich von Sal liegt die Insel São Nicolau, wo nach 20 Stunden segeln mit beständigem Schiebewind der Anker vor der Ortschaft Tarafal fällt. São Nicolau ist eine gebirgige Insel mit kargen, vulkanischen Felsen an der Küste und einem grünen Inselinneren. Die Insel wird wenig von Touristen besucht und hat ihren ursprünglichen Charakter bewahrt, was man schon merkt, wenn man mit dem Beiboot an dem Landeplatz am Fischereihafen der kleinen Ortschaft Tarrafal anlegt. Hier werden große Thunfische und Mahi Mahis von kleinen, zum Teil nicht motorisierten Fischerbooten angeliefert, direkt am Kai zerlegt und verkauft. Nebenan ist der Obst- und Gemüsemarkt, wo Bananen, Papayas und sämtliches Obst, das auf der Insel wächst, angeboten werden.
Auf São Nicolau bleiben wir allerdings nur drei Nächte, denn wir haben ein Date mit unseren Freunden vom "Streuner" auf der Nachbarinsel Santa Luzia ausgemacht. Also geht es am nächsten Tag rüber auf die unbewohnte Insel. Die kurze Überfahrt ist windig mit einer kurzen, steilen Welle von der Seite, dafür nur 25 Seemeilen lang. Nach gut fünf Stunden Segeln und einem prächtigen Mahi Mahi an der Angel ankern wir vor dem langen Sandstrand auf sechs Meter Wassertiefe.
Die Insel bietet uns zwar einen guten Schutz vor der Welle, aber die zerklüfteten Felsen und Täler verstärken den Wind, der mit Fallböen von bis zu 45 Knoten die Hänge hinunterbläst. Wir geben ordentlich Ankerkette, und unser neuer Bügelanker bewährt sich auch hier wieder bestens. Gegen Abend schlagen unsere Freunde auf, und nach drei Wochen gibt es ein großes Wiedersehen mit frisch gefangenem Fisch und kühlem Bier.
Santa Luzia hat nicht nur einen super Strand mit glasklarem Wasser und tollen Felsen zum Schnorcheln, sondern ist wegen seines Fischreichtums auch bei den einheimischen Fischern beliebt. Während wir nach dem Schnorcheln wieder in unser Beiboot klettern und zurück zu unseren Booten rudern, taucht neben uns einer der freundlichen Fischer auf und wirft uns grinsend zwei frisch harpunierte, noch zappelnde Barsche ins Boot. Noch bevor wir uns bedanken können, ist er wieder abgetaucht.
Von Santa Luzia nach São Vicente haben wir perfekte Segelbedingungen für unsere Kleine. Mit einem Reff im Groß und der leicht gerefften Genua geht es am Wind mit teilweise drei Knoten Gegenstrom zwischen den beiden Inseln durch, dann mit einem kräftigen Schiebestrom entlang der Nordküste der Insel und in die große Bucht von Porto Grande, Mindelo.
Hierher zu segeln ist ein ganz klein bisschen wie heimkommen. 2010 war ich in Mindelo, bevor wir mit der "Ivalu" von hier aus über den Atlantik gestartet sind, und 2013 hat sich hier unser Kurs zum ersten Mal gekreuzt und somit die Weltumsegelung vollbracht.
Auf den Kapverden muss man auf jeder Insel ein- und ausklarieren, und nach einem erfolglosen Versuch, in Mindelo zu klarieren – "That's not possible, it's friday afternoon, then it's weekend and afterwards it's christmas. Come back next week..." – haben wir uns in das Stadtleben gestürzt, alte Freunde nach vielen Jahren wiedergetroffen und Mindelo mit seinen vielen Bars, den bunten Märkten und der allgegenwärtigen Livemusik unsicher gemacht.
Es ist schön, wieder hier zu sein. In Mindelo feiern wir Weihnachten und Silvester zusammen mit Tausenden Menschen und lauter Livemusik in ausgelassener Stimmung auf der Straße und saugen das Lebensgefühl in vollen Zügen auf.
Die Stadt Mindelo und seine Ankerbucht sind einigermaßen sicher, trotzdem kommt es hin und wieder zu Einbrüchen und Diebstählen, und es ist die übliche Vorsicht geboten, genau wie in jeder anderen Großstadt der Welt. Das Beiboot gehört angeschlossen oder noch besser nachts an Deck, der Außenborder abgesperrt, und Goldkettchen und Armbanduhr bleiben an Bord. Für Praia im Süden der Kapverden gilt das selbe. Alternativ zur Ankerbucht gibt es hier in Mindelo die einzige Marina der Kapverden, wo man sein Boot sicher liegen lassen kann.
Von Mindelo aus ist die Insel Santo Antão nur einen Katzensprung entfernt. Aufgrund der schlechten Ankerplätze lassen wir allerdings die "Aracanga" in Mindelo und machen einen Ausflug mit der Fähre zur Nachbarinsel. Santo Antão ist sattgrün, gebirgig und gilt als Geheimtipp unter Wanderern. Hier werden Zuckerrohr, Papaya, Mango, Brotfrucht, Mais, Yams, Agave, Bananen, Kohl, Karotten, Äpfel und noch unzählige weitere Pflanzen terrassenförmig angebaut. Selbst kaum zugängliche, nur wenige Quadratmeter große Flächen werden für den Anbau von Obst und Gemüse genutzt.
Zwei Tage bleiben wir auf der spektakulären, grünen Insel, und zwei ausgiebige Wanderungen und viele Höhenmeter später heißt es dann nur noch Füße hochlegen – nach so langer Zeit an Bord merkt man doch, dass die Wadeln etwas mehr Training vertragen könnten.
Für uns ist die Tage "Anker auf" und zur Abwechslung "Kurs Ost" angesagt: Anstatt von hier nach Westen in die Karibik zu segeln, lauten unsere nächsten Ziele Senegal und Gambia. Wir sind schon sehr gespannt, was uns dort erwartet. Über den Atlantik geht es dann gegen Februar oder März mit Ziel Südamerika.
Einen guten Start in ein tolles neues Jahr und allzeit "fair winds and following waves" wünscht die "Aracanga"-Crew Riki und Martin.
Weitere Infos, Bilder und Artikel zur Reise der „Aracanga“ unter Ahoi.blog.