Auf den Spuren der Antike2.000 km im Römerboot bis ans Schwarze Meer

David Ingelfinger

 · 24.11.2025

Das nachgebaute römische Patrouillenboot "Fridericiana Alexandrina Navis" fährt auf der Reise ins schwarze Meer vorbei an der Walhalla nahe Regensburg.
Foto: Prof. Dr. Boris Dreyer
​Ein Team aus Forschern, Studierenden und Freiwilligen der Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) rekonstruiert originalgetreue römische Boote und testet sie auf dem Wasser. So entsteht neues Wissen darüber, wie die Römer ihre Grenzen über Jahrhunderte sichern konnten.

​​Vor zwei Jahrtausenden ist das Land jenseits der Alpen nur schwer zu erschließen: endlose Wälder, Sümpfe und keine Spur von befestigten Wegen. Wer damals Truppen, Waren oder Nachrichten bewegen will, tut das nicht über Land, sondern über die Flüsse, denen dadurch eine ganz besondere Bedeutung zukommt. Ähnlich verhält es sich zu dieser Zeit mit der Nordgrenze des Reiches - der Donau. Hier patrouillieren die Römer mit Booten, und bringen Nachschub sowie Soldaten an die Außenposten. Ihre Boote nehmen bei der Sicherung des Römischen Reiches also eine äußerst wichtige Rolle ein.

Heute untersucht Prof. Dr. Boris Dreyer von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, wie die antiken Schiffe tatsächlich funktionierten. Er prüft, welche Geschwindigkeit sie erreichten, wie belastbar ihre Rümpfe waren und wie wirksam ihre Segel arbeiteten. Die Antworten auf seine Fragen sucht er aber nicht in alten Texten, sondern auf dem Wasser.

​​Die Römerflotte der Wissenschaftler

​Professor Dreyer stehen inzwischen drei Schiffe zur Verfügung, die aussehen, als wären sie gerade aus dem antiken Rom zurückgekehrt: “Fridericiana Alexandrina Navis” (F.A.N.), “Danuvina Alacris” und “Alchmona Rediviva”.

Das älteste Boot in der Flotte der Universität Erlangen ist die „F.A.N.“. Sie ist 16 Meter lang, 2,7 Meter breit und hat einen Tiefgang von 70 Zentimetern. Entstanden ist sie von 2016 bis 2018 zum 275. Jubiläum der Universität – als Geschenk der Studierenden und Forschenden an ihre Alma Mater. Der Nachbau basiert auf den Wrackfunden von Oberstimm bei Ingolstadt, einem antiken Patrouillenboot aus der Zeit um 100 n. Chr., das hervorragend erhalten war.

Wir wollten nun aber wissen, wie sich so ein Boot tatsächlich verhält, nicht im Museum, sondern auf dem Wasser“, sagt Dreyer.

​Expedition mit dem Römerboot zum Schwarzen Meer

Als die „F.A.N.“ im Jahr 2018 zu Wasser gelassen wird, beginnt für das Team um Boris Dreyer eine ungewöhnliche Reise. Über 2.000 Kilometer liegen vor ihnen, von Bayern über Rumänien bis an das Schwarze Meer. Entlang einer Route, die vor zwei Jahrtausenden die nördliche Grenze des Römischen Reiches markierte.

Gestartet wird in Kehlheim. Von dort folgt die „F.A.N.“ der Donau, durch Schleusen, Kanäle und immer breiter werdende Flussläufe. Das Boot ist voll besetzt. Insgesamt 18 Mannschaftsmitglieder in römischen Uniformen sitzen im Abstand von 89 Zentimetern in Reih und Glied, und rudern im Takt. Ihr Pensum ist beachtlich: bis zu zehn Stunden rudern sie täglich und schaffen dabei rund 40 bis 50 Kilometer am Tag.

Schon nach wenigen Tagen sind sie mit dem Boot vertraut. die Mannschaft hat ein gutes Gefühl für die “F.A.N.” bekommen, immer gleichmäßiger streichen die Riemen durch das Wasser.

Die Römischen Soldaten waren ihre eigenen Ruderer“, erklärt Dreyer. „Voran kamen sie nur mit Disziplin und Ausdauer. Das war Teil ihres Dienstes.“

Dabei zeigt die Donau, wie vielfältig sie ist. In Österreich träge und geordnet, die Ufer gepflegt und die Schleusen modern. In Ungarn wird sie wärmer, gelblicher und lebendiger.

In der Hitze von über 35 Grad verlieren die Ruderer schneller an Kraft. Doch Pausen gibt es kaum. „Das ist kein Abenteuerurlaub“, sagt Dreyer. „Das ist wirklich wissenschaftliche Arbeit.“ Erst hinter Budapest beginnt das, was der Professor später „die echte Donau“ nennt. Ein Fluss, der sich gegen jede Berechenbarkeit zu wehren weiß.

​​Stromabwärts in die Vergangenheit

​Je weiter die “F.A.N.” ostwärts fährt, desto stärker verschwimmen die Grenzen – geografisch und zeitlich. In Serbien ziehen Militärboote vorbei, in Rumänien winken Menschen vom Ufer. Manchmal legt das Team in kleinen Häfen an, manchmal zieht sie die “F.A.N.” abends einfach ins Schilf. Übernachtet wird im Zelt oder auf dem Boot.

Während des Sommers 2018, in dem der Wasserstand außergewöhnlich niedrig ist, wird jeder Tag zu einer logistischen Herausforderung. Die Strömung hilft nur noch wenig, der Fluss ist flach und unberechenbar. An manchen Stellen müssen die Ruderer es leichtern, indem sie aussteigen.

Im rumänischen Donaudelta verliert der Strom schließlich jede Form. Der Himmel liegt tief, das Wasser steht und die Sonne brennt auf die Crew herab. „Hier mussten wir das Segel einsetzen“, sagt Dreyer. „Das Lateinersegel war in dieser Situation die beste Lösung. Es gleicht den Winddruck gut aus und kann die Mannschaft entlasten.“ Das Segel reagiere zwar träger als moderne Tücher, doch bei achterlichem Wind schiebe es die “F.A.N.” verlässlich an. Wenn der Wind dreht, muss jedoch schnell reagiert werden. Jeder falsche Winkel kostet wertvolle Meter.

Nach einiger Zeit stoßen zur Erleichterung der erschöpften Mannschaft rumänische Ruderer dazu, ein paar erfahrene Männer aus dem Donaudelta, die mit dem Fluss aufgewachsen sind. Sie kennen jede Strömung, jeden Geruch, jede Veränderung der Farbe im Wasser. „Die haben uns gezeigt, wie man mit der Donau umgeht“, sagt Dreyer.

Nach Wochen auf dem Wasser, durch Regen, Hitze und Niedrigwasser, erreicht das Team schließlich die Mündung der Donau. Vor ihnen liegt das Schwarze Meer, grau und still. Das Boot ist, genauso wie die Crew, gezeichnet von der anstrengenden Reise: Algen am Rumpf, abgeschliffene Ruder und Risse im Holz. Doch es schwimmt. Die Konstruktion funktioniert und die Ruder leisten was die Quellen vermuten ließen. Der Versuch ist gelungen.

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​Forschung zum Anfassen

​In der Werft am Altmühlsee herrscht geschäftiges Treiben. Alle Boote, die unter der Leitung von Dreyer an der Universität Erlangen gebaut werden, entstehen in Handarbeit. Zum Einsatz kommen die selben Techniken, die auch vor 2.000 Jahren angewendet wurden.

Der Bau der „F.A.N.“ erfolgte zum Beispiel in mediterraner “Nut-und-Feder-Bauweise”, bei der jede Planke mit Eichenstiften und Nägeln verbunden ist. Moderne Kleber sind tabu. Stattdessen werden die Fugen mit Hanf gefüllt und geteert. Für die „Danuvina“ dagegen nutzte das Team die gallorömische Rahmenkonstruktion, bei der Planken mit Holznägeln auf Spanten befestigt werden.

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Auch das Wissen um die Riemen entsteht experimentell. Die Römer hinterließen keine exakten Maße. So baut das Team Riemen in drei Längen: 3,70 m, 4,10 m und 4,70 m. Jede Variante wird getestet, gemessen und protokolliert. „Die antiken Riemen sind doppelt so schwer wie moderne Skulls“, sagt Dreyer. „Aber sie funktionieren.“

Die Tests folgen wissenschaftlichen Standards: Strömungsanalysen, Windkanalmodelle, Materialtests. Dabei arbeiten die Historiker mit Ingenieuren, Strömungsphysikern und Digitaltechnikern zusammen. Hochentwickelte 3D-Druckmodelle der Boote dienen als Grundlage für Simulationen in Wasser- und Windkanälen. Im Frühjahr 2026 stehen neue Tests an. Gemeinsam mit ungarischen Strömungsforschern sollen hydrodynamische Vergleiche zwischen Booten, Wagen und Katapulten durchgeführt werden.

​​Zwischen Antike, Ausbildung und Abenteuer

​​Was als wissenschaftliches Projekt begann, ist heute ein interdisziplinäres Netzwerk. In der Werft arbeiten Archäologen neben Maschinenbauern, Bootsbauern, Sportwissenschaftlern und Pädagogen. Schülergruppen schlagen Nägel ein und Lehramtsstudierende entwickeln Unterrichtskonzepte. Im Sommer 2025 rudern Jugendliche aus den “Rummelsberger Wohngruppen” unter Anleitung des Professors die „F.A.N“ über den Altmühlsee. „Erfahrungslernen“, nennt das Dreyer. Für den Professor aus Erlangen wird Geschichte nur dann lebendig, wenn man sie spürt. Samt Muskelkater und nassen Händen.

Der Verein „Erlebnis Geschichte und experimentelle Archäologie e. V.“ koordiniert die Bürgerbeteiligung. Die Projekte sind öffentlich, jeder darf mitbauen, mitrudern und mitdenken. „Man muss nur mit anpacken“, sagt Dreyer. „Das gehört dazu, wenn man Antike auf diese Art erforschen möchte.“

​Neustart für das Römerboot im Winterlager

​Im Herbst 2025 kehrte die “Danuvina Alacris”, das zweite Schiff der Universitäts-Flotte, nach drei Jahren Donaufahrt zurück nach Gunzenhausen. In der Werft wird sie über den Winter kalfatert, neu geteert und mit enkaustischer Wachsfarbe bemalt. Im April 2026 soll sie wieder auf Reise gehen: von Osijek über Serbien bis nach Bulgarien. Parallel wird auch die neue Alchmona überholt, während das jüngste Projektteam an neuen Riemen, Riemenaufhängungen und Segelvarianten arbeitet.

Alle Ergebnisse fließen in Fachpublikationen und in Lehrveranstaltungen ein. Das Ziel ist, Studenten die Antike auf praktische Art und Weise näherzubringen. Dreyer fasst seine Arbeit folgendermaßen zusammen: „Wir rekonstruieren nicht Vergangenheit, wir prüfen Hypothesen. Jeder Schlag mit dem Riemen, jeder Windstoß liefert uns dabei neue Erkenntnisse.“


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