Teil 1 der Reportage mit dem Westen von Teneriffa lesen Sie hier.
Auf dem letzten Drittel der Passage nach Gomera bekommen wir es zum ersten Mal mit der Windbeschleunigungszone zwischen den Inseln zu tun. Unschwer an den Schaumkronen vor uns zu erkennen. Wohl dem, der da rechtzeitig refft. Kurz darauf rauschen wir selbst mit halbierter Segelfäche im zweistelligen Speedbereich auf die Südspitze Gomeras zu. Als hätte man den Turbo eingeschaltet.
Der Zauber endet so jäh, wie er begonnen hat. Plötzlich schlagen die Segel unentschlossen, und kurz darauf kommt der Wind von vorn, sodass wir es bei Tageslicht nicht mehr bis zu unserem Ziel Valle Gran Rey schaffen.
Wir suchen und finden die nächste Hippiebucht. Unschwer an den bewohnten Höhlen im Fels zu erkennen. Eingedenk des Tidenhubs gehen wir für maximalen Schutz so dicht unter Land wie möglich. Denn nicht mal die beiden Katamarane in der Bucht liegen richtig ruhig hinter der Felszunge. Irgendwie will die Wellenrichtung nicht zum Nordostpassat passen. Sobald sich abends ein ablandiger Wind einstellt, der nach Strandfeuer riecht, liegt das Schiff quer zur Welle. Und der Heckanker ist so massiv, dass man Angst hat, damit das Dingi zu versenken.
An Tag drei segeln wir mit moderaten Winden entlang Gomeras imposanter Südküste. Schon am frühen Nachmittag machen wir in Valle Gran Rey an der massiven Kaimauer fest, die gemessen an den Felswänden gegenüber eher schmächtig wirkt. Auch das mit dem Festmachen ist relativ: Der Tidenhub beträgt hier über zwei Meter. Wir brauchen viel Spiel in den Festmachern, sonst reißt man sich bei dem Schwell schnell die Klampen aus dem Deck. Sämtliche Fender werden ausgebracht und haben jede Menge zu tun.
Gerade in diesem Monat sei es besonders schlimm, erzählt ein deutscher Fahrtensegler. Das sagten selbst die Einheimischen und machten eine planetare Konstellation dafür verantwortlich: den Vollmond mit sechs Planeten in einer Reihe. Irgendwie sei alles noch unruhiger als sonst. Der Skipper deutet auf eine Stahlyacht zwischen unseren Booten und meint, erst neulich sei hier ein Sturm durchgezogen, mit 50 Knoten an der Pier. Das Schiff habe sich vom Anker losgerissen und sei stundenlang über die Steine gespült worden.
Abends dann Landgang. Valle Gran Rey ist das eigentliche Habitat der Althippies hier. Unschwer an einer deutschen Band zu erkennen, die Rockklassiker covert. Die Stones, Pink Floyd, Santana. Dazu gesellt sich eine Feuertänzerin, die mir irgendwie bekannt vorkommt. Es dauert eine Weile, bis der Groschen fällt. Die Dame ist Protagonistin in einer Arte-Dokumentation über Aussteiger, „Der Traum vom Paradies – Nur die Liebe zählt“. Die Stimmung am Strand ist entsprechend peacig. Good old Gomera …
Nicht so friedlich geht es am nächsten Tag auf dem Wasser zu. Wir wollen nach La Palma. Der Plan, Tazacorte im Westen der Insel anzusteuern, klappt aber leider nicht. Der Hafen sei bis Ende März ausgebucht, erfahren wir beim Anruf in der Marina dort. Und davor zu ankern, bei Wellen aus Westen, ist nach einem langen Ritt und ohne weitere Alternative keine verlockende Idee.
In der Hauptstadt Santa Cruz de La Palma hat man noch Platz für uns. Theoretisch. Ohne Schwell und Gerucke in den Leinen, was nach drei kabbeligen Nächten zwar äußerst reizvoll ist. Doch praktisch muss man die Passage erst einmal bewältigen: In Böen sind bis zu sieben Windstärken angesagt. Selbst mit halber Besegelung zu viel, um über Stunden hart an den Wind zu gehen. Schließlich sind wir nicht bei der Vendée Globe, sondern im Urlaub.
Wir versuchen es dennoch. Das Schiff geht wie beim Rodeo durch die Wellen und immer wieder fliegt die Gischt quer übers Deck. Von langer Atlantikdünung keine Spur. Teilen der Crew setzen die Bedingungen sichtlich und hörbar zu. Also Kommando: Klar zur Wende! Wenn das Segeln zum Kampf wird, hört der Spaß auf. Oder wie der Brite nonchalant sagt: „Only idiots and race men go windwards.“
Wir drehen bei, mit Wind und Welle plötzlich rasant im Rücken, die Sonne von vorn. Um uns ein funkelndes Inferno. Ein aufgewühlter Atlantik. Konzentriertes Steuern ist gefragt. Eine Halse wäre fatal. Während ich noch darüber nachdenke, einen Bullen zu setzen, erledigt sich der Gedanke von selbst. Im Windschatten der Insel muss sogar der Motor bemüht werden.
Wahnsinn, dieser Kontrast! Zwischen Starkwind und Flaute liegen auf den Kanaren oft nur ein paar Schiffslängen. Vielleicht das Typischste an diesem aufregenden Revier.
Der Liegeplatz auf La Palma wird per E-Mail wieder abgesagt. Und El Hierro als Alternative kommt auch nicht infrage. Zumal der schönere der zwei Häfen im Süden der Insel, La Restinga, wegen der vielen Flüchtlingsboote aus Afrika gesperrt sei, wie uns vor Törnbeginn gesagt wurde.
Die Marina in San Sebastián de la Gomera kommt uns wie ein Paradies vor. Diese Ruhe nach dem gescheiterten Ritt, der bei manchen Crewmitgliedern noch lange nachwirkt. Alles ist friedlich. Endlich keine Bewegung im Schiff. In den Körpern aber schon. Als hätte sich der Atlantik im Gleichgewichtsorgan verewigt. Die Abstimmung über die etwas andere Berg- und-Talfahrt morgen mittels Mietwagen fällt extrem einstimmig aus.
Neuer Tag, alter, aber ganz anderer Ozean. Der zweite Versuch, nach La Palma überzusetzen, klappt. Feinstes Hochseesegeln in atlantischem Blau, unter und über uns. Voraus das grüne La Palma. Die Insel, die zuletzt 2021 wochenlang in die Schlagzeilen geriet, weil sie ihren folgenreichsten Vulkanausbruch erlebte.
Nahe Tazacorte zerstörte die Lava 1.676 Häuser, schuf zwei neue Halbinseln. Und einen neuen Nationalpark. Nur eine von mehreren Attraktionen der Insel, zu der man unbedingt auch die charmante Hauptstadt Santa Cruz zählen muß. Statt zwei Tage möchte man zwei Wochen bleiben. Aber leider muß das Schiff zurück.
Kleiner Trost: Die Windrichtung für die Rückreise ist deutlich angenehmer. Und die Wahrscheinlichkeit für Walsichtungen zwischen Gomera und Teneriffa sehr hoch. Ein schönes Highlight zum Ende des Törns, unschwer an den zufriedenen und versöhnten Gesichtern an Bord zu erkennen. Das Fazit an Bord fällt entsprechend aus: Als Chartersegler wird man durch ein anspruchsvolles, aber vielseitiges Revier mehr als reichlich belohnt. Und gefordert. Wer Atlantik bucht, bekommt auch Atlantik.
Teil 1 der Reportage mit dem Westen von Teneriffa lesen Sie hier.
Die Kanarischen Inseln sind unbestritten ein spektakuläres Segelrevier mit einer abwechslungsreichen Kulisse. Alle sieben Hauptinseln – Teneriffa, Fuerteventura, Gran Canaria, Lanzarote, La Palma, La Gomera und El Hierro – sind nur einen Tag voneinander entfernt, aber jede hat ihren eigenen Charakter. Die meisten Häfen verfügen über ausgezeichnete Einrichtungen. Man sollte sich aber vorher telefonisch erkundigen, ob ein Platz vorhanden ist. Besonders weil ruhige Buchten Mangelware sind. Wir haben auf unserem Törn keine einzige gefunden.
Wie schon im Text erwähnt, muss man wissen, worauf man sich einlässt. Die Kanaren sind sicher kein familientaugliches Revier, sofern man sich nicht nur in Teneriffas Westen, auf der Leeseite des Teides aufhalten will. Auf den Passagen zwischen den Inseln geht es mitunter eher sportlich zu. Die Kapund Windbeschleunigungseffekte sollten vorausschauend bedacht sein. Es empfiehlt sich, sich vorher schlauzumachen, wo genau sich die Windbeschleunigungszonen befinden.
Für den beständigen Nordostwind von 3–4 Beaufort auf den Kanaren ist das Azorenhoch zuständig. Im Sommer ist die Hochphase des Passatwindes, die Dünung entsprechend groß, der Wind besonders kräftig. Moderater geht es in den Wintermonaten zu, auch wenn das Azorenhoch dann hin und wieder durch ein Tief verdrängt werden kann, das den Kanarischen Inseln Saharawinde aus Südosten mit eingeschränkter Sicht beschert. Von Februar bis April gilt das Wetter als besonders launisch.
Zwischen Teneriffa und Gomera befindet sich im Süden, circa fünf Meilen vor der Küste, der sogenannte Wal-Kindergarten. Die Chance, auf eine der residenten Pilotwal- Familien zu treffen, ist extrem groß. Auf andere Ausflugsboote allerdings auch. Einfach nach beidem Ausschau halten.
Wir waren mit einer Sun Odyssey 469 aus dem Jahr 2013 unterwegs, die unter „Old but Gold“ läuft. Der Preis variiert je nach Saison zwischen 3.100 und 5.200 Euro. Zu buchen unter Tel. 0931/730 430 90 oder bei barbera-yachting.de
Leider nur auf Englisch: „Cruising Guide to the Canary Islands“ – ist an Bord oder nur noch gebraucht erhältlich. Oder „Atlantic Islands“ von Imray, für 61,20 Euro über Hanse Nautic zu beziehen. Seekarte Imray Chart E2 „Islas Canarias“, für 31,90 Euro ebenfalls bei hansenautic.de