Kristina Müller
· 23.09.2020
Sportboote unter 15 Meter sollen einen Küstenabschnitt bei A Coruña meiden – Walforscherin Andrea Steffen über das Verhalten der Orcas und was Segler tun können
Nachdem es weitere Angriffe von Schwertwalen auf der Biskaya und vor der europäischen Atlantikküste gegeben hat, hat das spanische Transportministerium reagiert und ein küstennahes Fahrverbot für Sportboote unter 15 Meter Länge erlassen.
Es gilt in der Region nördlich der spanischen Hafenstadt A Coruña, entlang des gut 40 Seemeilen langen Küstenabschnitts zwischen dem Kap Prioriño Grande und Punta de Estaca de Bares.
Es ist zunächst auf eine Woche beschränkt, könne aber verlängert werden. Aus Häfen auszulaufen und diese von See kommend im rechten Winkel zur Küste anzusteuern bleibt aber erlaubt.
Rätselhaftes Verhalten einer Walfamilie
Ursache für die Maßnahme ist die Häufung von Walangriffen auf Segelyachten seit Mitte August. Viele Crews haben seitdem von Vorfällen berichtet, bei denen Schwertwale gezielt auf ihr Schiff zugeschwommen sind, darunter getaucht sind und das Ruderblatt zum Teil so schwer beschädigt haben, dass die Schiffe abgeschleppt werden mussten. Zuletzt hatte die Crew einer deutschen Segelyacht den Vorfall in einem Video dokumentiert.
Nach Angaben der spanischen Behörden fanden die meisten Angriffe auf Yachten unter 15 Meter Länge statt, die etwa zwei bis acht Seemeilen von der Küste entfernt waren und zwischen fünf und neun Knoten schnell fuhren.
Meeresbiologen und Walforscher stellen bislang über das ungewöhnliche Verhalten der Tiere nur Vermutungen an. Klar scheint zu sein, dass es sich stets um ein und dieselbe Walfamilie handelt, die nun im Herbst in der Biskaya auf Thunfischjagd ist.
"Spielen wollen die nicht"
Walforscherin Andrea Steffen, die gemeinsam mit ihrem Mann seit 25 Jahren das Verhalten der hochintelligenten Meeressäuger untersucht, erläutert im Gespräch mit der YACHT mögliche Ursachen für die ungewöhnlichen Begegnungen zwischen Mensch und Wal.
"Wenn Wale aggressiv werden, hat das etwas mit ihrer Beute oder dem Schutz ihrer Jungtiere zu tun", sagt die Düsseldorferin, die mit ihrem Mann unter anderem eine Forschungsstation auf der Karibikinsel Dominica betreibt. "Spielen wollen die sicherlich nicht."
Vielmehr sei eine naheliegende Theorie, dass die Tiere Stress durch Hunger hätten, da ihre Beute immer geringer ausfalle. "Seit Jahren herrscht ein regelrechter Kampf in der Region zwischen Thunfisch-Fischern und Walen", erklärt Steffen. "Wale sind extrem lernfähig. Sie können aber nicht unterscheiden, ob es sich um ein Fischerboot oder ein Segelboot handelt." Eine mögliche Erklärung sei daher, dass sich die Schwertwale gestört fühlen und die Schiffe als Fressfeinde ansehen würden. "Das ist aber nur eine Theorie", betont Steffen. "Was genau dort passiert, wissen wir nicht."
Was Crews tun können
Dass die Tiere es gezielt auf die Ruderblätter der Yachten abgesehen haben, um diese manövrierunfähig zu machen, schließt sie aber aus. Vielmehr sei ein Ruderblatt das erste Schiffsteil, an das die Wale bei der Annäherung von achtern herankämen.
Die Walforscherin, die selbst viele Meilen auf Nord- und Ostsee und in der Karibik gesegelt ist, empfiehlt Crews, die von Orcas attackiert werden, Folgendes: Die Maschine stoppen, falls diese läuft, beidrehen, das Boot zum Stillstand bringen und abwarten. Außerdem unbedingt die Küstenwache informieren. Es sei keinesfalls ratsam, in Richtung der Tiere zu fahren oder versuchen zu fliehen. "Ich gehe eher davon aus, dass die Tiere das Interesse verlieren, wenn die Geräusche des Motors weg sind."
Betroffen sind vor allem Fahrtensegler und Überführungscrews, die zu dieser Jahreszeit ihre Schiffe über die Biskaya gen Süden segeln. Sie sollten sorgfältig Ausguck gehen und die Informationen der Küstenwachen verfolgen.
Das ganze Interview mit Walforscherin Andrea Steffen erscheint Anfang Oktober in YACHT 22/2020.