Angesichts der zuletzt gerne mal verregneten Saisons haben wohl schon viele hiesige Eigner mit dem Gedanken gespielt, mit der eigenen Yacht im warmen südeuropäischen Sommer zu segeln. So auch das Ehepaar Gerburgis und Jürgen Schmidt : „Wir wollten für ein, zwei Saisons ins Mittelmeer, und der Weg dorthin sollte möglichst schon ein Teil des Ziels sein. Belgien und Frankreich von der Fluss-Seite im Landesinneren kennenzulernen, das reizte uns.“ Außerdem erschienen ihnen die Küste der Bretagne und die Biskaya im Frühjahr als zu unsicher und anspruchsvoll. Schließlich sollte das Boot zum Saisonstart am neuen Bestimmungsort angekommen sein, um den folgenden Sommer schon voll ausnutzen zu können.
Das Skipperpaar geht schrittweise vor: „Wir haben unsere Bavaria 37 im Herbst vom Liegeplatz an der Ostsee über die Kanäle zu unserem Wohnort nach Münster überführt. Auf diese Weise hatten wir einen Winter lang Zeit für die Vorbereitung. Und es war auch schon ein Stück des Weges geschafft“, so Gerburgis Schmidt. Dann beginnt die ausführliche Planung: Revierführer und Kanalkarten werden gewälzt, Distanzen abgezirkelt, die Schleusungen abgeschätzt. „Am Ende waren es etwas über 2000 Kilometer Kanal- und Flussfahrt sowie insgesamt 256 Schleusungen. Rekord waren 25 Schleusen an einem Tag! Aber das war die Ausnahme. Zudem bekommt man schnell Routine.“
Die Überführung auf eigenem Kiel wurde zum vollen Erfolg: „Jeder Abschnitt hatte seine Reize. Am schönsten aber war der Norden Frankreichs und der Abschnitt bis nach Lyon. Der Vogesenkanal mit seinen Schleusentreppen und einfach irgendwo an Bäumen oder anderen Schiffen festzumachen, das war urig!“
Streckenweise bekommt das Paar eine Fernbedienung für die vorausliegenden Schleusen in die Hand gedrückt. Oder die beiden müssen sie selber öffnen und schließen. Auf anderen Abschnitten radelt ein Schleusenwärter kilometerlang mit dem Fahrrad am Kanalufer mit. Entlang des Wasserwegs liegen auch immer wieder kleine, beschauliche Dörfer. Die südlichen Abschnitte der Saône und der Rhône, die letztlich jeder nehmen muss, der die Binnenroute wählt, legen die Schmidts hingegen in eher größeren Etappen zurück. Die Flüsse sind doch sehr groß und die Einfahrten in die Häfen, die mehr für Berufsschiffe oder Motorboote konzipiert sind, versanden teils stark.
Überrascht ist das Paar aber auch, wie dünn besiedelt einige Regionen im Landesinneren Frankreichs sind. „Die Älteren dort erzählten, dass viele der jungen Leute in die großen Städte abwandern, dass eine regelrechte Landflucht stattfinde.“ Metropolen wie Lyon sind daher eine willkommene Abwechslung.
Unvergessen bleiben auch die Tunnelpassagen: „Teils waren die Röhren 800 Meter lang, und drinnen wurde es stockdunkel. Da lag ich dann mit Taschen- und Stirnlampe bäuchlings auf dem Vorschiff und habe die Tunnel ausgeleuchtet“, erzählt Gerburgis Schmidt.
Für die beiden war klar, dass sie mit ihrer 29-PS-Maschine den Rhein auf jeden Fall meiden wollen. Der strömt vier, fünf Knoten schnell, sodass eine Yacht mindestens sieben Knoten Marschfahrt machen sollte – und dann dennoch dahinkriecht. Sehr viel Berufsschiffsverkehr gibt es auf dem Rhein obendrein. Das ist vielen Sportbootcrews zu stressig. Auch die Schmidts entscheiden sich daher für die Alternative via Holland über die Maas und weiter über den französischen Canal de la Meuse. Auch wenn die einen Umweg von etwa 140 Kilometern und 40 zusätzlichen Schleusungen bedeutet.
Wichtig sind dabei die Maße des eigenen Schiffs. Über 1,80 Meter Tiefgang sollte es nicht haben. Und die Aufbauten sollten nicht mehr als etwa 3,50 Meter in die Höhe ragen, sonst wird es bei hohen Wasserständen unter einigen Brücken eng. „Unsere Bavaria geht nur 1,69 Meter tief, und trotzdem haben wir ein paarmal leichte Grundberührung gehabt“, berichten die Schmidts. Insbesondere an den Rändern kleinerer Kanäle kann es schon mal flacher werden als die Solltiefe. Dabei waren die beiden im März unterwegs, also sehr früh im Jahr, wenn die Wasserstände eher hoch sind. In trockenen Sommern können manche Kanäle durchaus auch niedrigere Wasserstände haben.
Zeitpläne sind müßig, unserer war schon wenige Tage nach dem Start hinfällig. Am Ende waren wir sechs Wochen unterwegs”
„Uns war zudem wichtig, dass es nicht zu voll auf der Strecke ist. Im Sommer sind viele Charterboote auf den Kanälen unterwegs“, sagt die Skipperin. So früh aufzubrechen ist aber auch risikobehaftet : Manchmal werden infolge von Hochwasser-Ereignissen im Frühling einzelne Kanalabschnitte gesperrt. Oder es ist viel Treibgut im Wasser, das das Boot beschädigen kann.
Bei der Wahl der Route spielen regelmäßig Bauarbeiten und damit einhergehend Sperrungen von Kanalabschnitten, Brücken oder Schleusen eine Rolle. Um Überraschungen auszuschließen, kaufen die Schmidts für die gesamte Strecke im Winter aktuelles Kartenmaterial (shop.delius-klasing.de oder hansenautic.de) und studieren es sorgfältig. Für die französischen und deutschen Wasserwege sollte man zudem die Internetportale der jeweiligen Binnenschifffahrtsverwaltungen (elwis.de und vnf.fr) zurate ziehen. Die Franzosen haben darüber hinaus Broschüren über das Kanalnetz. Darin finden sich Informationen, Adressen und Telefonnummern. Sperrungen sind ebenfalls verzeichnet.
So unterschiedlich die Routen sind, abhängig vom Startpunkt der Binnentour muss man doch mit knapp 2000 Kilometern und etwa 200 Schleusen rechnen. Eine Ausnahme ist lediglich die eher seltener genutzte Südost-Alternative: über die Donau. Rund 2700 Kilometer sind es von deren Ursprung in Süddeutschland bis zur Mündung im Schwarzen Meer – und am Ende bis dicht an die Grenze zur Ukraine. Auch wegen des Krieges dort ist das für viele zurzeit nicht die erste Wahl. Danach folgen zudem weitere rund 360 Seemeilen durchs Schwarze Meer und über den Bosporus samt anschließendem Marmarameer, bevor die Nordägäis erreicht ist.
Schließlich steht noch die Route außen herum zur Wahl, via Nordsee, Atlantik, Biskaya und Gibraltar. Diese Strecke ist nicht nur um fast ein Drittel länger. Auch das Wetter stellt oft eine Herausforderung dar. Hartnäckige, starke Westwindlagen vor der französischen Nordküste, Belgien und Holland können das Vorhaben zur Tortur machen. Mitunter liegt man mehrere Tage eingeweht irgendwo in einem Hafen.
Das gilt besonders für die Vor- und Nachsaison, aber auch im Sommer ist man nicht davor gefeit. Die Biskaya verlangt der Crew darüber hinaus einen 300-Meilen-Schlag ab – oder noch mehr Strecke entlang der Küste. Und dann sind da neuerdings vor Portugal und bei Gibraltar auch noch die Orcas, die immer wieder die Ruder von Segelyachten attackieren – für die Crew eine Nervenprobe.
Hinterher ist man immer schlauer: „Wir haben uns sechs Wochen Zeit genommen. Wir wollten ja viel von Land und Leuten sehen“, so Gerburgis Schmidt. „Doch im Nachhinein hätten wir gerne noch mehr Zeit gehabt. Und natürlich hatten wir einen Zeitplan, aber der war schon nach einer Woche hinfällig“, so die Seglerin.
Die YACHT hat auch schon mit Crews gesprochen, die die Passage in dreieinhalb bis vier Wochen absolviert haben, doch alle waren sich hinterher einig, dass man sich so viel Zeit lassen sollte wie möglich. Andernfalls müsse man von früh bis spät Kilometer fressen. Das ist anstrengend, zumal in den schmalen Kanälen fast immer per Hand gesteuert werden muss.
Manche Crews teilen die Überführung auf. Sie lassen das Boot in einer Marina, kehren nach Hause zurück und setzen die Reise Wochen oder Monate später fort. Das dauert länger, ist aber weniger anstrengend.
Die Schmidts starten bereits im März. Nachts ist es dann noch kalt, die Bordheizung unentbehrlich. Einige Sportboothäfen sind zudem noch im Winterschlaf und die Infrastruktur vielerorts im Vorsaison-Modus. „Wir hatten vor, morgens stets früh zu starten. Doch um diese Jahreszeit öffnen viele Schleusen und Brücken erst um neun Uhr. Das hatten wir unterschätzt.“ Selbst im Sommer sind die Öffnungszeiten der Wasserbauwerke teils nicht so lang, wie man denken könnte, oft nur von acht Uhr morgens bis halb sechs abends.
Im schönen, aber abschüssigen und dadurch schleusenreichen Vogesenkanal kommen dann bis zu 93 Schleusen auf 123 Kilometer Strecke. Hier ist es gern gesehen, wenn Crewmitglieder bei der teils schweißtreibenden Handbedienung der Schleusen helfen.
Keine der Crews, die uns von ihrer Kanalfahrt berichteten, hat den gelegten Mast an Bord mitgenommen. Er ist schlicht ein enormes Hindernis, vor allem beim Schleusen. „Hätten wir den Mast mitgenommen, wäre er unterwegs garantiert beschädigt worden. Wir haben ihn lieber per Spedition vorab nach Port Napoléon in Frankreich liefern lassen“, so die Schmidts.
Wichtig ist selbstverständlich eine funktionierende Maschine. Am besten vorm Start vom Fachmann sorgfältig warten lassen, inklusive des Kühlkreislaufs und des Abgas-Systems. Typische Verschleißteile wie Impeller oder Keilriemen gehören ebenso in die Backskiste wie ausreichend Kanister mit Diesel. „Wir hatten sechs Stück dabei. Die Distanz zur nächsten Tankstelle ist oft groß. Manchmal muss man an der nächsten Straßentankstelle Nachschub holen“, so Gerburgis Schmidt.
Bordfahrräder leisten beim Bunkern von Treibstoff und Proviant gute Dienste. Sie sind auch für Landausflüge eine sehr empfehlenswerte Investition. Fürs Schleusen sollte man Fenderbretter und zwei große Kugelfender mitnehmen. „Wichtig ist auch, dass man eine alternative Funkantenne installiert. Ohne Funk geht oft nichts in der Kommunikation mit Schleusen-und Brückenwärtern. Und die Antenne am Mast ist ja demontiert.“
Internationaler Bootsschein oder Flaggenzertifikat, Funkschein und ein Sportbootführerschein Binnen sind Pflicht. Für die französischen Wasserstraßen ist eine Vignette vorgeschrieben, die tage-, wochen- oder monatsweise oder fürs ganze Jahr online gekauft werden kann (vnf.fr). Für ein Acht- bis Elf-Meter-Schiff kostet sie etwa 130 Euro im Monat. Diesel schlägt mit rund 1000 Euro zu Buche, der Masttransport mit weiteren etwa 1000 Euro. Hafengelder sind im Binnenland relativ günstig, oft wird auch einfach am Kanalufer festgemacht. Mehr als 3000 Euro Fixkosten fallen für die Strecke kaum an.
Wichtiger als das Geld ist fast noch die Zeit. Davon sollte man unbedingt reichlich investieren. Dann ist tatsächlich schon der Weg Teil des Ziels.
Der Binnenweg lässt sich grob in einzelne Abschnitte unterteilen. Wo welche Herausforderungen auf die Crew warten und welche Orte besonders reizvoll sind.
Wer in der Ostsee startet, geht über Elbe-Lübeck-, Elbe-Seiten- und Mittelandkanal und erreicht dann den Rhein (740 km). Die Kanäle bis dorthin sind eher monoton. Alternative: via Nordsee und/oder über die Staande Mastroute und weiter über die Kanäle südlich von Amsterdam in die Maas.
Wer den kürzesten Weg will, fährt ab Duisburg über den schnell fließenden, stark befahrenen Rhein weiter bis Koblenz (188 km). Die Maas via Waal-Maas-Kanal ist die deutlich angenehmere, wenn auch längere Route, die vor allem Crews kleinerer Boote bevorzugen. Sie endet nach Passieren des Canal de la Meuse in der Mosel.
Zu Füßen eines der größten Weinbaugebiete Europas geht es in vielen Kurven und Windungen über den deutschen und französischen Teil des Flusses. Die Häfen befinden sich nicht immer in der Nähe von Orten. Die Strecke ist rund 390 Kilometer lang, und die Schleusen für kleine Sportboote sind teils recht eng bemessen.
Bei Nancy beginnt der beschauliche schmale Canal des Vosges, zu Deutsch Vogesenkanal. Ringsum oft stille, einsame Natur. Der Abschnitt ist 123 Kilometer lang. Wegen der vielen Schleusen sollte man dafür bis zu sechs Tage einplanen.
Nun geht es erst auf die Saône, danach auf die Rhône. An den Ufern der Saône sieht man Weinberge und hübsche Dörfer. Nahe Savoyeaux geht es in die Tunnel. Bei Épinal ist mit 360 Meter über NN der höchste Punkt der Route erreicht. Fortan geht es abwärts. Portsur-Saône und Lyon sind Highlights. Die Rhône hingegen ist breit, mit kräftigem Schiebestrom und vielen Berufsschiffen. Nach 765 Kilometern läuft man im Port Napoléon ein.
Die Route durch Westeuropa, also eventuell die Niederlande, aber auf jeden Fall Belgien und Frankreich, ist die wohl am häufigsten genutzte Route ins Mittelmeer und hängt zu Beginn in Deutschland natürlich stark vom Ausgangshafen der Eigner ab. Auf etwa 1700 bis 2000 Kilometer und um die 200 Schleusen kommt man aber fast immer. Die Übersicht rechts sagt ungefähr, was die Crews in welchem Abschnitt erwartet. Gerade die künstlichen Wasserstraßen können dabei mitunter eintönig sein. Ein Knackpunkt ist für viele Crews der schnell fließende Rhein. Für den Hinweg gegen die Fließrichtung oft ein No-Go, zurück kann er dem Boot ordentlich Flügel verleihen. Der längere Weg außen herum macht eigentlich nur Sinn, wenn die Crews Lust auf die Reviere haben, die dort locken: Normandie, Bretagne, England, Algarve – alles schöne Ziele. Nur kostet das bei entsprechender touristischer Nutzung dann oft viel Zeit, sodass die Runde außen herum zeitlich sehr lang werden kann. Dann kann Überwintern in Portugal oder Galizien Sinn machen, es gibt dort gute, professionelle Winterlager. Noch immer etwas exotischer, weil deutlich länger und durch Osteuropa inklusive Mündungsgebiet an der ukrainischen Grenze führt die Route über die Donau, wofür Ostsee-Crews erst mal den Weg in die Südostecke Deutschland machen müssen. Wer diese Strecke wählt, hat meist Lust auf die Flussfahrt in oft noch ungewohnte Reviere. Infrastruktur und Häfen sind nicht immer auf westeuropäischem Niveau, aber es gibt gute nautische Literatur und Karten.