Havarie-ReportMastbruch mitten auf dem Pazifik. Und nun?

Ursula Meer

 · 22.07.2022

Havarie-Report: Mastbruch mitten auf dem Pazifik. Und nun?Foto: Lucy Strachan
Unter Notrigg nehmen die niederländischen Segler die Strecke in Angriff. Andere Crews helfen mit Diesel, Proviant – und Beistand

Albtraum für ein Blauwasserpaar: Auf dem Weg in die Südsee kommt das Rigg von oben – 1.700 Seemeilen entfernt vom Ziel! Interview mit dem Eignerpaar

Das möchte wohl niemand erleben: Gut vorbereitet startet das niederländische Weltumseglerpaar Yvette Oeben und Alexander Droog auf Galapagos zur Pazifiküberquerung (www.blueberylsailing.com). Doch nach einer Woche ruhigen Segelns geht plötzlich mit einem lauten Krach ihr Mast über Bord. Gegen den Wind nach Galapagos zurückzukehren ist für die beiden keine Option. Ausgestattet mit einer gehörigen Portion Mut und Tüftlergeist, bauen sie für ihre Koopmans 44 ein Notrigg. Vor ihnen liegen 24 Tage langsamen Segelns unter äußerst erschwerten Bedingungen. Unversehrt erreichen sie Hiva Oa in Französisch-Polynesien. Doch auch nach ihrer glücklichen Ankunft ist das Abenteuer noch nicht zu Ende. Im Interview berichten sie, wie sie die Herausforderungen der schwierigen Passage gemeistert haben und wie es jetzt für sie weitergeht.

YACHT: Wann und wie kam es zum Mastbruch?

Alexander Droog: Am 22. April waren wir bei 17 Knoten Wind mit gerefften Segeln unterwegs – es wehte eine schöne Brise, dazu etwa zwei Meter Dünung. Alles lief gut bis fünf, sechs Uhr morgens. Ich saß während meiner Wache am Kartentisch und hörte plötzlich großen Lärm, als wäre etwas aufs Boot gekracht. Als ich aus dem Niedergang schaute, sah ich, dass der Mast runtergekommen war.

Yvette Oeben: Ich wurde auch wach von dem Riesenkrach und rief: "Was ist das, was ist das?", und Alex rief zurück: "Der Mast ist über Bord. Zieh deine Rettungsweste an, wir müssen das checken!"

Alexander: Wir mussten den Schaden schnell sichten. Wir hatten von jetzt auf gleich keine Kontrolle mehr über das Boot, die mussten wir schnell wiedererlangen. Erst mal haben wir also geschaut, ob es Schäden am Rumpf gab. Das war zum Glück nicht der Fall.

  Yvette Oeben und Alexander Droog, beide 35, sind seit August 2020 auf Weltumsegelung. Nun stehen sie vor der großen Heraus­forde­rung, in der Südsee einen neuen Mast zu beschaffenFoto: Rob Droog
Yvette Oeben und Alexander Droog, beide 35, sind seit August 2020 auf Weltumsegelung. Nun stehen sie vor der großen Heraus­forde­rung, in der Südsee einen neuen Mast zu beschaffen

Was habt ihr dann gemacht?

Alexander: Wir haben zunächst einen Teil des Riggs gelöst, damit der Mast nicht mehr unkontrolliert aufs Boot schlug. Dann haben wir meinen Vater Rob angerufen. Er begleitet unsere Reise von zu Hause aus. Er sagte, wir sollten versuchen, den Mast und so viel Material wie möglich zu retten. Das haben wir versucht. Wir konnten aber nur ein Stück vom Vorsegel abschneiden. Das Großsegel hing tief im Wasser und hielt den Mast unten. Bei zwei Meter Welle war es zu gefährlich, ins Wasser zu gehen und es abzuschneiden. Nach drei Stunden harter Arbeit gaben wir es auf, das Groß oder den Mast zu bergen.

Also habt ihr das Rigg gekappt?

Alexander: Ja, das war sogar einfacher, als ich erwartet hatte. Ich habe das Vorstag über die Winsch angezogen und damit den Druck rausgenommen. So konnte ich die Terminals aufschrauben. Ich brauchte nicht mal eine Flex oder einen Wantenschneider.

Ohne Mast mitten auf dem Pazifik – was ging in euch vor?

Alexander: Nun, ich hatte zumindest keine Angst. Der Rumpf war ja unbeschädigt. Deshalb habe ich auch nicht eine Sekunde daran gedacht, das Boot zu verlassen. Yvette hingegen schon.

Yvette: Richtig. Zwar nicht am ersten Tag, aber später. Zuerst hatte ich wohl so viel Adrenalin, dass ich ebenfalls keine Angst hatte. Das war mehr ein Schock. Erst danach, als ich realisierte, was geschehen war, bekam ich Angst. Ich stellte mir vor, wie lange die Reise dauern würde, und befürchtete, dass noch mehr kaputtgehen könnte. Ich hatte Panikattacken und konnte lange nicht schlafen. Da wollte ich wirklich runter vom Boot. Andererseits wollte ich Alex nicht allein lassen. Wir beschlossen schließlich, das Boot gemeinsam segelnd zurückzubringen, erst mal nach Französisch-Polynesien und irgendwann auch nach Hause in die Niederlande.

  Fast 3.000 Seemeilen segelt das Paar von Galapagos nach Hiva Oa, davon über die Hälfte unter NotriggFoto: YACHT
Fast 3.000 Seemeilen segelt das Paar von Galapagos nach Hiva Oa, davon über die Hälfte unter Notrigg

Wie seid ihr dann weiter vorgegangen?

Yvette: Alex hat das Beste aus der Situation gemacht. Am Vormittag hatten wir den Mast vom Boot getrennt, und schon bis mittags hatte er das Notrigg geplant und aufgerichtet. Beim Refit unserer "Blue Beryl" 2018 haben wir jede Menge altes Tauwerk und anderes Material übrig behalten und im Boot verstaut. Ich habe damals im Scherz gesagt, dass wir damit locker noch mal ein zweites Boot ausrüsten könnten. Ich ahnte ja nicht, dass das unser Glück sein würde: Nachdem wir die neuen Fallen gekappt hatten, konnten wir aus den ganzen alten Teilen unser Notrigg bauen und immerhin mit drei, vier Knoten segeln. Es gab also eigentlich keinen realistischen Grund, Angst zu haben. Dennoch war für mich die Situation beängstigend.

Was war denn bei der Fahrt unter Notrigg das Schlimmste?

Yvette: Das permanente Rollen des Bootes. Und zu wissen, dass das Ziel weit entfernt ist.

Alexander: Unser Spibaum, mit dem wir das Rigg gebaut haben, ist ja nicht viel mehr als ein Zahnstocher. Ohne richtigen Mast war das Boot völlig aus der Balance. Das kann man sich kaum vorstellen: Es schlingerte und knallte Tag und Nacht von links nach rechts und nahm dabei immer wieder Wasser über. Die Wellen kamen von beiden Seiten. Wenn sie gegen den Rumpf krachten, machte das ohrenbetäubenden Lärm. Das war schrecklich!

Das hört sich enorm anstrengend an …

Alexander: Absolut! Jede Bewegung war anstrengend. Zum Glück hatten wir Essen vorbereitet: Vorgekochtes im Gefrierfach und Dosenmahlzeiten. Das war schnell zubereitet. Das Aufwärmen war ohnehin nur das eine Problem. Das Essen an sich war ebenfalls eine Herausforderung: Du hast in so einer Situation einfach keinen Hunger oder Durst. Du musst dich zwingen, etwas zu essen und zu trinken. Und der Geschmack ist ganz anders.

Yvette: Das stimmt. Was du normalerweise gern isst, schmeckt plötzlich nicht mehr. Wir hatten zum Beispiel jede Menge Eier gekauft, die esse ich immer gern. Aber unterwegs mochte ich sie gar nicht. Und: Bei dem Geschaukel war es schwierig, überhaupt zu essen und zu trinken. Ich war die ganze Zeit ein wenig seekrank. Als wir dann auf Hiva Oa ankamen, haben wir erst vorsichtig wieder Verschiedenes probiert. Und siehe da: Es schmeckte uns wieder.

  Das Paar zählt die Tage bis zur ersehnten Ankunft in Hiva Oa. Noch eine Woche! Ein guter Grund für ein strahlendes Lächeln, denn das Bordleben in permanent rollender See ist äußerst kräftezehrendFoto: BlueBerylSailing
Das Paar zählt die Tage bis zur ersehnten Ankunft in Hiva Oa. Noch eine Woche! Ein guter Grund für ein strahlendes Lächeln, denn das Bordleben in permanent rollender See ist äußerst kräftezehrend

Wie ist es euch gelungen, diese Tortur durchzuhalten und vor allem auch einigermaßen bei Laune zu bleiben?

Alexander: Wir sind bei den Fakten geblieben. Das ist meine Art des Optimismus. Der Rumpf war okay, wir hatten unser Notrigg, wir liefen drei, vier Knoten in die passende Richtung. Wir hatten ein Satellitentelefon und genug zu essen und zu trinken dabei für Monate. Immer wieder haben wir uns gesagt: "Wir haben erneut eine Stunde oder einen Tag geschafft. Und wir sind gesund." Die Reise war ja nicht unmöglich, sie war nur äußerst unbequem.

Yvette: Wir haben uns eine Art kleinen Spaß daraus gemacht und jeden Tag gesagt: "Okay, das ist wieder ein Tag, an dem wir uns am Leben erhalten müssen. Wir müssen essen, trinken, zu schlafen versuchen und auf die Toilette gehen. Wenn das alles geht, ist es ein guter Tag."

In einem Youtube-Video sieht man, dass ihr unterwegs Besuch bekamt von einem anderen Boot. Wie kam es dazu, und wie war das für euch?

Yvette: Das war toll! Es kamen tatsächlich ab und zu andere Segler zu uns, die von unserem Unglück erfahren hatten. Ich habe ein paar Mal überlegt, ob ich zu ihnen übersteigen soll. Ein, zwei Tage lang war das mein Backup-Plan. Aber ich wusste auch, dass ich das nicht wirklich tun könnte. Ich konnte Alex nicht allein lassen. Wenn dann ein Boot wieder weg war und ich wusste, dass in ein paar Tagen ein anderes kommen würde, dachte ich: "Okay, in vier Tagen hast du wieder die Chance, auf einem intakten Boot weiterzufahren." Obwohl ich das nie getan habe, habe ich mich an der Option festgehalten. Das hat mich beruhigt.

Alexander: Wegen des hohen Schwells konnten die anderen Segler nie nah an uns herankommen. Aber sie haben uns Diesel, Proviant und Süßigkeiten an langen Leinen rübergeschickt. Proviant war eigentlich nicht nötig, wir hatten ja von allem genug. Es war zwar gut, noch Reservediesel zu haben, wir sind aber insgesamt nur zweieinhalb Tage unter Motor gefahren. In Wirklichkeit war das Wichtigste, dass wir uns nicht allein auf dem großen Ozean fühlten. Die Unterstützung durch andere Segler, auch per Funk oder Satellitentelefon, ist das Beste, was dir in so einer Situation passieren kann.

  Geschafft! Nach 24 Tagen in Schleichfahrt erreicht die "Blue Beryl" Hiva Oa. Für Yvette und Alexander war sie über Wochen "ein Raum, der weniger Luxusboot als vielmehr Überlebensbunker ist"Foto: SailingBlackmoon
Geschafft! Nach 24 Tagen in Schleichfahrt erreicht die "Blue Beryl" Hiva Oa. Für Yvette und Alexander war sie über Wochen "ein Raum, der weniger Luxusboot als vielmehr Überlebensbunker ist"

Gab es – unter den gegebenen Umständen – auch etwas Gutes an der Reise?

Alexander (lacht): Die Ankunft!

Yvette: Mein Kapitän! Es ist bewundernswert, wie er die Situation gemeistert hat. Er ist ein entschlossener Macher und hat mir Mut gemacht. Er hat sichergestellt, dass wir heil hier in Hiva Oa ankommen. Ich habe mich extrem schwergetan mit der Situation. Die Panikattacken, die Quälerei beim Essen und der schlechte Schlaf: Das war weit jenseits meiner Komfortzone. Ich mochte Ozeanpassagen nie, jetzt hasse ich sie!

Wie fühlt es sich an, wieder an Land zu sein?

Yvette: Wundervoll!

Alexander: Richtig. Aber wir sind nicht in Partylaune. Es ist gut, Ruhe zu haben, mit der Familie und Freunden zu sprechen und sich ein wenig zu erholen – auch von der Enttäuschung. Wir hatten das Boot so gut vorbereitet! Wir hatten ein neues Rigg, wir hatten die Segel gerefft, und wir hatten einen schönen Kurs. Vor jeder Passage, die länger als 24 Stunden dauert, checke ich das Rigg vom Fuß bis zum Masttopp. So auch auf Galapagos. Und dann passiert trotzdem so etwas! Wir sitzen hier seit zwei Wochen auf Hiva Oa und sehen so manches Boot ankommen, bei dem man überrascht ist, dass es ohne großen Schaden die Passage überstanden hat. Die Reise ist ja schon mit einem intakten Mast sehr anspruchsvoll. Darüber hinaus haben wir jetzt auch jede Menge zu regeln und sind jeden Tag in aller Frühe auf den Beinen. Die Versicherung möchte den Schaden nicht übernehmen. Wir müssen also irgendwie zu einem neuen Mast kommen.

Yvette: Wir sind auf uns allein gestellt, sehr weit weg von allem. Kein Profi ist hier, der uns helfen könnte. Wir müssen also alles selbst regeln, das ist ziemlich hart und kostet viel Energie.

Bekommt ihr denn weiterhin Hilfe von anderen Seglern?

  Die Koopmans 44 "Blue Beryl". Sie hat schon eine Weltumsegelung hinter sich. 2018 hat das Paar sie komplett refittet, 2020 ein neues Rigg angeschafft. Warum der Mast runterkam, weiß niemandFoto: BlueBerylSailing
Die Koopmans 44 "Blue Beryl". Sie hat schon eine Weltumsegelung hinter sich. 2018 hat das Paar sie komplett refittet, 2020 ein neues Rigg angeschafft. Warum der Mast runterkam, weiß niemand

Yvette: Ja, die Segler-Community ist wirklich sehr hilfsbereit. Aber sie können auch nicht viel tun. Es ist schließlich der gesamte Mast, der weg ist, nicht einfach nur ein Draht oder eine Schraube, mit der man sich schnell mal gegenseitig aushilft.

Alexander: Die ersten zwei Wochen hier an Land habe ich jetzt damit verbracht, zumindest einen vorübergehenden Ersatzmast zu finden. Auf einer entlegenen Insel lag der eines gesunkenen Bootes auf einem kleinen Strand zwischen hohen Felsen. Wir sind dort mit einem anderen Boot hingefahren, durch die Brandung an den Strand und mit dem Mast zurückgeschwommen. Das war auch wieder ein Abenteuer! Jetzt haben wir immerhin einen Mast, wenn auch ohne jegliches Zubehör. Keine Terminals, keine Wanten. Wir hoffen aber dennoch, ihn in den nächsten zwei Wochen stellen zu können.

Wie soll es dann weitergehen?

Yvette: Erst einmal haben wir ja nur einen provisorischen Mast. Mit dem versuchen wir, von diesen kleinen Inseln wegzukommen. Hier gibt es ja weit und breit kein Material zu kaufen. Wir wollen daher nach Tahiti segeln, in der Hoffnung, dort einen vernünftigen Mast samt Zubehör zu bekommen.

Alexander: Wir wissen aber noch nicht, ob wir das Geld dafür zusammenbekommen. Freunde haben eine Crowdfunding-Kampagne gestartet, und einige Firmen wollen uns sponsern. Wir bleiben auch im Gespräch mit der Versicherung. Es bleibt spannend. Wenn es uns gelingt, segeln wir langsam weiter, bis Ende 2023 nach Neuseeland und dann irgendwann nach Hause.

Wie fühlt ihr euch nach dem Erlebnis bei dem Gedanken an eine weitere Ozeanpassage?

Yvette: Ich glaube nicht, dass ich noch einmal einen Ozean überqueren werde. Aber das habe ich nach der Atlantiküberquerung auch gedacht. Und es dann doch wieder getan. Es gibt ja diese Seglerdemenz, die einen die Strapazen rasch vergessen lässt. Diese Passage nun war aber wirklich ein Trauma, das werde ich nicht so schnell vergessen. Ich kenne das Leben auf dem Boot und das Segeln erst, seit ich Alex vor sechs Jahren getroffen habe. Ich stamme aus einer Familie von Landratten. Das Segeln ist nicht in meiner DNA.

Alexander: Das sagt Yvette immer. Dabei hat sie mehr Erfahrung als die meisten Segler in Europa. Aber es wird in der Tat wohl schwierig werden, sie noch einmal auf den Ozean zu bekommen. Ich selbst bin auf dem Wasser aufgewachsen und werde ganz sicher weitersegeln. Mein Vater liebt zum Glück lange Ozeanpassagen. Er und einige meiner Freunde werden mich notfalls sicher begleiten.

Video der "Blue Beryl" von der Atlantiküberquerung, als alles noch gut war