Johannes Erdmann
· 07.03.2016
Regelmäßig werden Segler bestohlen und überfallen, wie jüngst in dem Fall einer deutschen Crew vor St. Vincent. Ein Eindruck zur Situation
Die Wallilabou-Bay auf der Karibikinsel St. Vincent, die im Film "Fluch der Karibik" als Kulisse für das Piratenhauptquartier diente, wurde vor wenigen Tagen Schauplatz eines brutalen Piratenüberfalls, der derzeit weltweit durch die Medien geht. Es klingt wie Ironie, doch ist leider bittere Realität.
Nach Auskunft des Premierministers von St. Vincent, Ralph Gonsalves, ereignete sich der Überfall gegen 1.30 Uhr morgens. Das Schiff wurde von zwei bewaffneten Angreifern geentert, der Skipper und ein Crewmitglied durch Schusswunden verletzt. Ein Crewmitglied erlag wenig später seinen Verwundungen.
Weiteren, ersten Informationen aus dem Freundeskreis eines Opfers zufolge muss sich der Überfall sehr schnell zugetragen haben: Die Eindringlinge kamen an Bord und haben sofort auf ein Crewmitglied geschossen, das an Deck geschlafen hat. Zwei weibliche Crewmitglieder hörten den Schuss und waren im Begriff, an Deck zu stürmen. Als die erste Frau das Brückendeck erreichte, bekam sie vom Angreifer einen Schlag auf den Kopf, was das zweite Crewmitglied dazu brachte, sich in ihrer Kabine zu verbarrikadieren. Auch der Skipper wurde angeschossen; erst nach dem Angriff konnte er von der Crew versorgt werden.
Zur Überraschung der Crew wurde der Überfall von anderen Ankerliegern nicht beachtet, und es dauerte etwa eine halbe Stunde, bis die Polizei den Tatort von Land erreichte und mit dem eigenen Dingi von der Crew an Bord geholt werden konnte. Als der Premierminister eingeschaltet wurde, stand sofort ein Flugzeug zur Verfügung, um die Crew zurück nach Deutschland zu fliegen. Den Katamaran durfte sie nur noch einmal kurz betreten, um ihre persönlichen Dinge zusammenzusammeln und in Plastiksäcken von Bord zu schaffen. Die Crew ist mittlerweile zurück in Deutschland und weiß weder, wo ihre Habseligkeiten abgeblieben sind, noch, was da eigentlich vor wenigen Tagen vor karibischer Palmenkulisse passiert ist.
Wer Prospekte über Karibikurlaube durchblättert, sieht immer nur die schönen Bilder von einsamen Stränden und Buchten mit kristallklarem Wasser. Auch auf Bootsmessen oder in Charterkatalogen dominieren Bilder der Tobago Cays, der wunderbaren Wasserfälle Grenadas oder der Regenwälder auf Dominica. Doch die Gefahren werden nicht erwähnt.
Dabei warnt sogar das Auswärtige Amt auf seiner Website:
Segler sollten beachten, dass Raubüberfälle auf ankernde oder sich in Küstennähe befindende Schiffe bzw. Fälle von Piraterie in der Ostkaribik sporadisch vorkommen und entsprechende Maßnahmen ergreifen (Vorsicht mit spontanen Gästen an Bord, Eigensicherung bei Nacht). Notrufe an die Polizei/Küstenwache über 911 (Mobiltelefon) sind möglicherweise zuverlässiger als Dringlichkeitsrufe über mobilen Seefunk.
Während die Karibik vor allem für Diebstähle bekannt war, scheinen sich jedoch auch Piratenüberfälle immer mehr zu häufen. Erst im Dezember gab es zwei Überfälle auf segelnde Yachten zwischen Trinidad und Grenada, im Januar einen Überfall auf einen Segler vor St. Croix. Im Januar 2014 ging der Fall zweier Briten um die Welt: Sie wurden vor St. Lucia überfallen und der Skipper dabei ermordet. Als wir uns letztes Jahr auf Grenada aufhielten, las ich immer wieder von einem Serienmörder, der Touristen am Strand mit einer Machete auflauert und hinterrücks auf der Sonnenliege umbringt.
Liest man all diese Fälle, stellt sich die Frage, ob es das Risiko wert ist, in die Karibik zu segeln.
Doch von einem Trend zu sprechen, ist derzeit nicht angemessen. Das Caribbean Safety and Security Net hat kürzlich seine Statistik für das Jahr 2015 vorgestellt. Daraus geht hervor, dass es in dem Jahr insgesamt zwölf Fälle von Piraterie (bewaffnete Überfälle) auf Segler in der gesamten Karibik gegeben hat, vorwiegend am Ankerplatz. Lediglich ein Überfall fand im Bereich St. Vincent und Grenadinen statt. Immer wieder gab es in den vergangenen Jahren hingegen Überfälle in den bekannten Hotspots wie Venezuela und Trinidad, ebenso in Mittelamerika, wie jüngst der Fall zweier deutscher Naturfilmer, die auf ihrem Segelboot im September 2015 in Bocas del Toro (nahe Panama) überfallen wurden. Eine Statistik, die zunächst denken lässt, dass das Risiko in den übrigen Windward Islands überschaubar ist.
Fragt man Langfahrtsegler in der Karibik nach ihrem persönlichen Eindruck, dann klingt die Antwort jedoch anders. Viele sind der Meinung, dass es immer schlimmer wird. Andere sind der Meinung, dass die Kriminalitätsrate so hoch ist wie schon immer, Überfälle und Diebstähle durch Medien und Facebook heute jedoch schneller bekannt werden als früher.
Überfälle wie jener am vergangenen Freitag auf St. Vincent sind glücklicherweise selten, Diebstahl ist jedoch häufiger an der Tagesordnung. Was Letzteren angeht, ist den Statistiken nicht zu trauen, denn viele Fälle werden nicht gemeldet. So haben wir beispielsweise im April letzten Jahres zwei holländische Segler auf Bequia in den Grenadinen kennengelernt, die tags darauf auf dem Rückweg vom Internetcafé zum Dingi von Einheimischen überfallen wurden, der Rucksack mit dem Laptop und der externen Festplatte wurde gestohlen. Darauf enthalten: alle Bilder ihrer dreijährigen Weltumsegelung; ein Back-up war nicht vohanden.
Überfälle und Diebstähle geschehen häufig in der Abenddämmerung oder in der Nacht. Um die Ankerplätze etwas sicherer zu gestalten, werden an vielen Hotspots Patroullienboote eingesetzt, die in regelmäßigen Abständen ihre Runden drehen. Was nach einem großen Sicherheitsplus klingt, sieht in der Realität jedoch eher ernüchternd aus: Meist sind es ehemalige, abgehalfterte Fischerboote mit einem klapprigen Außenborder und aufgesprühtem "Ranger"-Schriftzug, auf dem Einheimische mit zerrissenen T-Shirts zwischen den ankernden Booten herumfahren. Uns persönlich hat der Anblick dieser Boote nicht wirklich Beruhigung verschafft.
Als ich im Februar 2006 mit meiner kleinen "Maverick" in der Rodney Bay auf St. Lucia angekommen bin, damals 20 Jahre alt, habe ich gleich am ersten Tag den Einheimischen Ricky kennengelernt. Überschwänglich erzählte ich ihm, wie froh ich wäre, nun endlich am Ziel meiner Träume zu sein und wie toll ich die Karibik fände. "Du bist zum ersten Mal hier?", fragte er mich und fügte gleich mit ernster Miene ein paar Grundregeln an: "Wenn du nachts an Bord schläfst, immer alles gut zuschließen. Und wenn du an Land bist, nur so viel Geld dabeihaben, wie du brauchst. Keine Geldbörse, sondern die Scheine am ganzen Körper in verschiedenen Taschen verteilen. Es ist nicht ungefährlich hier."
Das hat mich damals natürlich etwas überrascht, aber nicht eingeschüchtert. Ich habe mich die ganzen zwei Monate dort immer sicher gefühlt. Erst als ich Monate später bereits in den USA bin, erfahre ich, dass es kurz nach meiner Abfahrt einen Überfall auf ein junges holländisches Pärchen gegeben hat, mitten in der Lagune der Rodney Bay, in der sich damals noch ein Ankerfeld befand. Heute sind dort die Stege der Marina. Das Paar lag mit seinem zehn Meter langen Boot vor Anker und wurde bei Nacht überfallen. Nachdem alles Wertvolle eingesammelt war, fesselten sie den Skipper und vergewaltigten seine Frau. Als ich das in den USA las, fuhr mir ein kalter Schauer über den Rücken – in meinen zwei Monaten dort vor Anker fühlte es sich so sicher an. Ich hätte nie gedacht, dass so etwas passieren kann. Kurz darauf legten Segler und die Rodney Bay Marina zusammen und kauften ein Patroullienboot fürs Ankerfeld, so erzählte man mir damals.
Von den Seglern, die seit vielen Jahren in der Karibik unterwegs sind, erhält man als Neuankömmling die üblichen Tipps: große, stabile Schlösser vorm Niedergang und eine stabile Verriegelung von innen. Viele Segler lassen sich maßgeschneiderte Bügel oder Gitter für Niedergang und Decksluken anfertigen, denn die serienmäßigen Plastikverriegelungen sind einfach auszuhebeln. Außerdem: alles anketten, was nicht ans Schiff geschraubt ist, nicht nur das Dingi, sondern auch Außenborder und Tank. Das Dingi keinesfalls im Wasser lassen, sondern jeden Abend an Deck winschen. Nicht nur aus Diebstahlgründen, sondern auch, um Einbrechern weniger Chance zu geben, an Bord zu gelangen.
Der Großteil der nächtlichen Überfälle geschieht nämlich überraschend aus dem Wasser, schwimmend. Als wir im vergangenen Jahr die Admiralty Bay auf Bequia erreichten, rieten uns Segler, auf der nördlichen Seite der großen Bucht zu ankern. "So weit weg vom Strand wie möglich, damit man euch nicht schwimmend erreichen kann."
Auch wenn man noch so positiv durchs Leben geht, sollte man sich vor den Warnungen, Überfall- und Diebstahlgeschichten nicht verschließen, und eine gewisse Sorge segelt immer mit. An den meisten Orten und Ankerplätzen haben wir uns sehr wohl und sicher gefühlt. Doch das Gefühl kann schnell umschlagen. Wie etwa auf Carriacou in den Grenadinen. Wir lagen weit vor der Küste vor Anker, waren tagsüber an Land, haben frisches Gemüse von einem Farmer gekauft und uns mit den Einheimischen unterhalten. Abends fand in einer Strandbar eine Party mit Reggaemusik statt, die wir selbst am Ankerplatz noch hören konnten. Lebensfrohe Einheimische hatten eine Menge Spaß, sangen mit. Typisches Karibikfeeling; wir genossen es, von fern daran teilzuhaben. Gegen 23 Uhr gingen wir in die Koje und ließen die Luke über der Vorschiffskoje offen, um im warmen Passatwind einzuschlafen.
Als wir drei Stunden später durch unheimlich laute Musik wieder wach wurden, hatte sich die Stimmung an Land geändert. Die Reggaemusik war Gansterrap gewichen, mit Texten, in denen diverse Drogen besungen wurden. Die Einheimischen waren betrunken oder standen unter Drogeneinfluss, schrien sich aggressiv an und warfen Dinge durch die Gegend. Uns ging durch den Kopf: Was, wenn die nun auf die Idee kommen, sich für ein paar Dollar aufs Wasser zu begeben? Mit einem Mal fühlten wir uns überhaupt nicht mehr wohl, verriegelten die Decksluke und sogar das kleinste Fenster.
Auf unserer Reise nach Norden segelten Schweizer Freunde sogar mit 15 Meilen Abstand an der Küste St. Vincents vorbei, weil man ihnen erzählt hatte, dass es Überfälle mit Speedbooten gegeben hatte.
Auch wir sind vorbeigesegelt – und ärgern uns heute noch ein wenig darüber. Haben wir uns von den anderen Segler zu viele Sorgen aufladen lassen? Der Anblick der bergigen Insel in der Abenddämmerung war gewaltig. Fünf Meilen vor der Küste konnten wir den Regenwald riechen und in der schweren Luft schmecken und die Wolken bestaunen, die sich eng an die Berge schmiegten. Kurz vor Sonnenuntergang haben wir die Wallilabou-Bay passiert, Schauplatz des jüngsten Überfalls. Dort wollte ich schon immer mal hin, aber es war mir immer zu gefährlich.
Ist es übertrieben, so großen Abstand von gefährlichen Gegenden zu halten? Die Wahrscheinlichkeit, überfallen zu werden, ist schließlich trotz allem verhältnismäßig niedrig, gerade für uns, mit kleinem Schiff. In den meisten Fällen werden Charteryachten überfallen, und uns entgehen auf diese Weise eine Menge Erlebnisse mit Land und Leuten, wegen denen wir ja hier sind.
Wir lieben die Karibik. Cati vor allem Union Island, ich Grenada. Trotzdem haben wir inzwischen die Bahamas für uns entdeckt und lieben sie noch mehr. Das liegt nicht nur an den einsameren Inseln, sondern weil sie sehr viel sicherer sind.
Woran liegt das? Ich denke, vor allem daran, dass das Gefälle zwischen Reich und Arm nicht so groß ist wie auf den Windward Islands. Hier wie dort gibt es große Millionärsvillen, aber auf den Bahamas sind die Einheimischen finanziell sehr viel besser gestellt. Die meisten haben gutbezahlte Jobs, und die Kriminalitätsrate ist viel geringer.
Die karibische Inselwelt hat dennoch ein ganz anderes, besonderes Flair – nicht zuletzt durch die einzigartige Natur. Auch wenn die Berichte über Piraterie und Diebstähle so negativ klingen: Ich finde, die Karibik ist immer noch eine Reise wert, und wir werden dort auch noch einmal hinsegeln. Aber es ist wichtig, einige Regeln zu beachten, eine gesunde Skepsis und ein wenig Distanz zu bewahren.
Vor allem: Vorsichtsmaßnahmen zu treffen, so wie Ricky es mir damals geraten hat. Dazu gehören für mich: an Land dunkle Gassen und abgelegene Orte meiden, nur so viel Geld bei sich führen wie nötig. Grundsätzlich außerhalb der Reichweite von Schwimmern vor der Küste ankern, mit Riegeln vor den Luken. Das Dingi nachts an Deck holen. So kann man ruhiger schlafen.