Johannes Erdmann
· 29.11.2023
Karibik-Reviere im Kurzporträt:
Keine Frage, die Karibik ist ein beliebtes Charterrevier. Doch die einzelnen Inselgruppen unterscheiden sich stark. Während in manchen Regionen die Infrastruktur sehr einfach ist und sich noch ein Stück der ursprünglichen, unerschlossenen Karibik entdecken lässt, sind andere vollständig vom Tourismus erobert. So wie die British Virgin Islands (BVIs). Das ist aber gar nicht schlecht, im Gegenteil.
So stehen etwa bei jedem Bade- und Etappenstopp genügend Muringbojen zur Verfügung, und ein paar gute Restaurants finden sich auch überall. Häufig sind Läden und Sehenswertes beim Landgang fußläufig zu erreichen. Und ein toller Strand mit einer preisgekrönten Bar ist nie fern. Darüber hinaus sind die Segeldistanzen kurz und das Revier überaus geschützt.
„Wenn Walt Disney einen Freizeitpark für Segler entworfen hätte, dann würde er vermutlich so aussehen wie die BVIs“, sagt uns ein US-amerikanischer Segler. Davon laufen und segeln hier viele herum, die Inseln sind dank zweieinhalb Flugstunden Entfernung von der US-Ostküste ihr Mallorca. Zudem hat die Inselkette, die sich von Osten nach Westen über nur 27 Seemeilen erstreckt, eine ganze Menge zu bieten. Viele Amerikaner lassen ihre Schiffe daher ganzjährig hier.
Das ist normalerweise auch nicht riskant, die BVIs werden äußerst selten von einem Hurrikan getroffen. Doch dann kam „Irma“ im September 2017, der mit voller Wucht auf die Inseln traf und große Zerstörungen anrichtete. Von dem Schock hat sich das Revier nur langsam wieder erholt. Die YACHT hatte seinerzeit über die Katastrophe und ihre Folgen berichtet. Nun waren wir erneut vor Ort, um herauszufinden, wie weit der Wiederaufbau fortgeschritten ist. Und ob die Inseln noch denselben Charme versprühen wie damals.
Die Ufer sind heute noch gesäumt von zerschlagenen und auf dem Kopf liegenden Katamaranen.
Bereits auf dem Weg vom Fähranleger in Road Town zur Charterbasis im Osten der Insel Tortola fallen die ersten Überbleibsel des Hurrikans ins Auge. Die Straße führt vorbei an der Paraquita Bay, einem „Hurricane Hole“, in dem Charterfirmen weit über 100 Charterboote vor „Irma“ sichern wollten. Keines hat überlebt. Die Ufer sind heute noch gesäumt von zerschlagenen und auf dem Kopf liegenden Katamaranen.
In der Basis von Dreamyachtcharter übernehmen wir dann pünktlich um 17 Uhr unseren Lagoon 52 „Rhapsody“, der uns neun Tage lang durch die Inselwelt tragen soll. Einrumpfer sind auf dem karibischen Chartermarkt eher selten geworden, Kats haben das Revier erobert. Und kaum ein Schiff ist älter als fünf Jahre – auch eine Folge des Hurrikans. Der Supermarkt „Rite-Way“ hat bereits den schon von daheim online bestellten Proviant geliefert und sogar die ersten Getränke kaltgestellt. Selbst ein Internet-Router ist an Bord, das macht die lästige Suche nach örtlichen Sim-Karten überflüssig. Mit 190 US-Dollar für neun Tage ist das Datenpaket allerdings nicht günstig. Dafür kann es am nächsten Morgen ohne Verzögerung losgehen. Charterbasis-Mitarbeiterin Teka weist uns in die Besonderheiten des Bootes ein und zeigt anschließend im Dingi vorausfahrend die Ideallinie, um mit dem Kat sicher das den Hafen umgebende Riff zu passieren.
Die erste Etappe soll nur kurz werden. Obwohl die BVIs im Einfluss des Passats liegen, also meist stetiger Ostwind weht, herrscht Flaute. Wir motoren deshalb achteinhalb Seemeilen vorbei an Peter Island und den kleinen Felsen The Indians hinüber in The Bight. Die liegt auf Norman Island und war angeblich Vorlage für den Schauplatz in Robert Louis Stevensons Buch „Die Schatzinsel“. Bis auf eine alte rostige Kanone am Strand sind allerdings keine Erinnerungen an die Piratentage vorhanden. Vielmehr ist die große Bucht gespickt mit Dutzenden Muringbojen. Im Norden liegt die „Willy T“ vor Anker, eine schwimmende Bar, die nur per Boot zu erreichen ist. Trotz der großen Zahl an Yachten ist der breite Strand ganz im Osten der Bucht am Nachmittag verwaist. Und das, obwohl sich von hier aus einer der schönsten Sonnenuntergänge beobachten lässt.
Weit im Osten der Inselgruppe befindet sich der Bitter End Yacht Club. Das „bitter end“ beschreibt in der alten Seefahrt das Ende eines Taus, das nicht aus dem Block rutschen darf. Vermutlich wollte man mit der Namensgebung die abgeschiedene Lage des Clubs beschreiben. In der Tat kommt es einem auf der Kreuz gegen den Passat so vor, als müsste man ans Ende der Welt. Dabei hat hinter dem Yachtclub 2023 eine weitere Marina eröffnet : Oil Nut Bay verfügt über 93 Liegeplätze und eine Anzahl kleinerer Restaurants.
Der Yachtclub Bitter End war nach Hurrikan „Irma“ ein Totalverlust und musste komplett neu aufgebaut werden. Die Arbeiten sind noch nicht vollständig abgeschlossen, doch die Marina, die Tankstelle, das Restaurant und die Strandbar in Form eines alten Motorboots sind wieder in Betrieb. Die nackten hölzernen Wände ohne jeden Anstrich lassen die Eile erahnen, mit der man den Wiederaufbau vorangetrieben hat. Den meisten Seglern ist das egal, sie nehmen hier trotzdem nach der langen Anreise das erste Mal „ihre Medizin“ ein: einen Painkiller, jenen Cocktail, für den die BVIs berühmt sind. Gemixt wird er aus Kokosnusscreme, Ananas- und Orangensaft sowie dunklem Rum, serviert über Eis und mit frisch geriebener Muskatnuss.
Auf den BVIs liegen die Boote an Murings, die 30 bis 40 Dollar pro Nacht kosten, unabhängig von der Bootsgröße. Auf diese Weise soll die Unterwasserwelt vor Hunderten Ankern geschützt werden. Und außerdem kommen in einem Bojenfeld auf gleichem Raum mehr Yachten unter. Das ist in der Hauptsaison wichtig.
Gelegenheiten für eine einsame Nacht vor Anker bieten sich aber auch. Beispielsweise in der überaus geschützten Savannah Bay, etwa sechseinhalb Seemeilen entfernt und nordöstlich von Spanish Town. Ein langer Sandstrand lädt zum Baden und Verweilen ein, auch wenn hier keine Palmen Schatten spenden.
Savannah Bay hat einen weiteren Vorteil als Stopp über Nacht : Von hier aus sind es nur zweieinhalb Seemeilen bis zur Felsformation The Baths auf Virgin Gorda, dem landschaftlich Spektakulärsten, was die BVIs zu bieten haben. Als hätte ein Riese am Strand mit Kieselsteinen gespielt. Allerdings ist das Anlanden nicht einfach: Vom Ankerplatz vor Spanish Town ist es ein halbstündiger Wanderweg bis zum Eingang des Parks, und direkt vor den Felsen sind die Tages-Muringbojen heiß begehrt und rar. Deshalb lohnt sich frühes Aufstehen – oder eben ein kurzer Weg. Vor Ort ist die ausgetonnte Badezone rund um die Felsen für Dingis tabu. Also bleibt nichts anderes übrig, als die Handys in wasserdichte Tüten zu verpacken und den Weg ans Ufer schwimmend zurückzulegen. Etwas Bargeld mitnehmen, denn der Eintritt kostet zehn US-Dollar.
Nach einem langen Tag des Kletterns und Plantschens – man fühlt sich in The Baths wieder wie ein kleines Kind – hat keiner an Bord mehr Lust, noch Meilen zu machen. Die Muring aber muss vor Anbruch der Nacht verlassen werden, deshalb führt die Route fünf Seemeilen weiter zur Trellis Bay hinter Beef Island. Das ist jene Bucht, die einmal im Monat während des Vollmond-Festivals von Künstlern und Feuerartisten zum Leben erweckt wird. Doch gerade ist Halbmond, die Bay daher leer.
Wer einmal typisch urkaribisches Essen probieren möchte, für den lohnt sich der Besuch des Trellis Bay Market. Hier gibt es einfache, aber authentische Speisen. Etwa das Chicken-Roti, eine Art karibischer Döner mit Süßkartoffeln und Fleisch, das Ganze in einen Maisfladen gewickelt und mit Mango-Chutney serviert. Es wurde jüngst zum besten der Karibik gewählt.
Ganz auf der anderen Seite der Inselgruppe befindet sich Jost van Dyke, benannt nach einem holländischen Freibeuter. Weit weg ist die Insel nicht, nur zehn Seemeilen vor dem Wind nach Westen. Dann liegt bereits Sandy Spit vor dem Bugpaar. Das Sandeiland mit seinen zwei Palmen ist ein Postkartenmotiv. Tagsüber muss man sich Sandy Spit zwar mit anderen Seglern teilen. Am frühen Morgen und am späten Abend kommt aber sogar ein wenig Privatinsel-Feeling auf. Während der Nacht kann es hier vor Anker allerdings unruhig werden, daher verholen wir später noch an eine Muringboje bei „Foxy’s Taboo“, die nun sogar online reserviert werden kann – und sollte. Und zwar über boatyball.com.
Am nächsten Tag nehmen wir Kurs auf den Westen von Jost van Dyke. Angeblich soll hier der Painkiller erfunden worden sein, in der White Bay. Hier steht seit den siebziger Jahren und nach dem Hurrikan gerade wieder neu aufgebaut die „Soggy Dollar Bar“. Der Name ist Programm, denn einen Anleger gibt es nicht. An Land gelangt der durstige Segler nur in Badehose – mit einem „nassen Dollar“ in der Tasche. Oder per Dingi. Einen Platz für den Kat zu finden wird aber schwierig, das Ankerfeld ist arg voll. Erst wenn die Tagestouristen am Abend zurück nach Tortola fahren, wird es luftiger.
Trotz der vielen Boote, am Strand verlaufen sich die Massen. Auch an der Bar steht keiner lange an. Der berühmte originale Painkiller wird der Einfachheit halber vorgemixt aus ehemaligen Gallonen-Wasserkanistern über Eiswürfel gekippt, dann mit Pusser’s Rum aufgefüllt. Das Geheimnis des Geschmacks ist vermutlich sowieso die Szenerie ringsum: das türkisfarbene Wasser, der feine Sand zwischen den Zehen und eine Menge geselliger anderer Segler, die alle aus demselben Grund hier sind. Cheers!
Wer am nächsten Morgen schwer aus der Koje kommt und im Dingi einen Stapel leerer Becher findet, hat es am Vortag vermutlich übertrieben. Zum Glück ist das nächste Ziel wieder einmal nicht weit, nur fünf Seemeilen. Wobei infolge eines Kreuzkurses auch ein paar mehr daraus werden können. In Soper’s Hole jedenfalls sind wir schlagartig zurück in der Zivilisation. Die farbenfrohe Häuserfront von The Wharf wirkt in der Abendsonne geradezu pittoresk, wie gemalt. Mit dem Dingi geht es an Land, das Angebot von Cafés, Restaurants und Cocktailbars ist groß. Auch einen Supermarkt gibt es direkt beim Hafen.
Dann steht die letzte Etappe an: Entlang der Südküste Tortolas kreuzen wir gegen den Passat ostwärts und vor Norman Island unser Kielwasser. Die Britischen Jungferninseln sind nach nur 100 Seemeilen umrundet! Für die letzte Nacht angeln wir uns eine Muringboje im Norden von Cooper Island, gleich gegenüber dem Beach-Club, der in den vergangenen Jahren zum Eco-Resort ausgebaut wurde.
Viele Betreiber haben nach den Hurrikanschäden die Zeit genutzt, um ihre Hotels und Marinas zu modernisieren oder aber völlig neu aufzustellen. Cooper Island setzt jetzt auf Autarkie. Unter anderem braut man selbst Biere: „Caribbean IPA“, „Tropical Lager“, „Sunset Pilsner“. Wir probieren sie alle, und keines wirkt hier, mit dem Blick auf die Karibische See, fehl am Platz. Einzig störend ist allenfalls das Feld aus Sargasso-Seegras, das sich mittlerweile um alle vor Muring liegenden Boote gebildet hat. Ein Problem, das in der Karibik seit einigen Jahren immer mehr zunimmt.
Am nächsten Morgen ist es ein Katzensprung zurück zur Charterbasis. Daher nutzen wir den letzten Segeltag, um das Schiff noch einmal laufen zu lassen. Denn: Wer will schon nach Hause, wenn er auf einem Abenteuerspielplatz wie den BVIs unterwegs sein darf!
Wir waren mit einem Lagoon 52 von Dreamyachtcharter unterwegs, den wir über Barbera-Yachting gechartert haben. Das Schiff kostet für neun Tage 19.200 Euro. Die meisten Charterboote sind Katamarane, Einrumpfer sind kaum noch im Revier erhältlich. Infos:
Die British Virgin Islands gelten als das einfachste KaribikRevier. Sie sind zudem sehr sicher und familienfreundlich. Die über 60 Inseln liegen dicht beieinander, ein Grenzübertritt ist nirgends erforderlich.
Die Inselgruppe liegt im Passatwind und weist das ganze Jahr über ein angenehmes Klima auf. Die besten Reisemonate sind April, Mai und November. Während der Hurrikansaison (Juni bis Oktober) ist das Wetter häufig unstetig.
Zwei Wege führen auf die British Virgin Islands: entweder über Paris nach St. Martin und dann per Propellermaschine nach Tortola. Oder aber man wählt den Weg über die USA (Esta-Visum nötig) nach St. Thomas auf den US Virgin Islands und von dort per Fähre auf die BVIs. Direktflüge sind nicht möglich. Hinund Rückflug kosten zwischen 900 und 1.000 Euro.
Die meisten Buchten sind mit Muringfeldern belegt. Die Nacht kostet zwischen 30 und 40 US-Dollar, es sind ausreichend Bojen vorhanden.
„Cruising Guide to the Virgin Islands“ von Simon Scott, 39,80 Euro, im Buchfachhandel erhältlich.