ABC-InselnBei den fliegenden Holländern

Michael Wnuk

 · 25.11.2013

ABC-Inseln: Bei den fliegenden HolländernFoto: N. Müller/M. Wnuk/ SY MARLIN
Vollmond über dem Ankerplatz in Spanish Waters auf Curaçao

Die Langfahrtfamilie Müller-Wnuk nimmt mit ihrer "Marlin" Kurs auf Bonaire und die Nachbarinseln – ein Stück Holland mitten in der Karibik

Wir erreichen Bonaire. Nachts, wann auch sonst. Schnell lassen wir das Dingi ins Wasser, um bei "Karels", der angesagten Dorfkneipe Kralendijks, sechs Bier und ein Päckchen Zigaretten für den Skipper zu kaufen.

Es ist nicht das erste Mal, schon vor einem Zehnteljahrhundert haben wir mit unserer "Iron Lady" an den Murings vor Holland in der Karibik festgemacht. Ankern ist hier verboten, weil 80.000 Taucher jedes Jahr Bonaire besuchen, um rund um die Insel abzutauchen.

"Bon" steht für gut, "Aire" steht für Luft. Luftkurort, würde mein Vater Ortwin das salopp übersetzen. Aber die Insel könnte auch "Happy Colors" heißen, weil es so viel Spaß macht, das Objektiv der Kamera halb in den Himmel zu halten.

Wir haben Besuch, ansonsten wären wir auch gar nicht so pünktlich hier angekommen. Mayas beste Freundin aus Deutschland besucht uns, und so besteht der Tag aus Reisen, Touristenprogramm und Schnorcheln. Ich finde die letzten notwendigen Schläuche, Tüllen und Kabel beim lokalen Ship Chandler, um unseren Wassermacher aus Trinidad in Betrieb nehmen zu können. Ein voller Erfolg, der sich direkt bezahlt macht. Gäste duschen gern und viel, um nach zehn Minuten wieder nassgeschwitzt zu sein. Wir müssen nicht mehr aufgeregt ohne Bugstrahlruder durch enge Hafenbecken manövrieren, um Wasser zu tanken. Wasser satt. Eine neue Zeitrechnung auf der "Marlin" fängt an.

Dank unserer Gäste können die Capitana und ich nach vielen abstinenten Jahren endlich wieder zusammen mit Druckluftflasche tauchen gehen. Es ist wie der erste Kuss oder Händchenhalten, so schön und ruhig gleiten wir an Bonaires Unterwasserwelt vorbei. Wohltuende Stille, die man auf Familienbooten eher selten antrifft.

Der Schlag nach Curaçao, um die Gäste zum Flughafen zu bringen, unterbricht jäh die vom Tiefenrausch angereicherte Bonaire-Stimmung.

Die holländischen Antillen werden auch kurz ABC Islands genannt. Die fliegenden Holländer haben sich Aruba im Westen, Curaçao in der Mitte und Bonaire im Osten unter den Kolonialnagel gerissen. Ob sie hier außer Echsen, dornigen Sträuchern und guter Luft noch etwas gefunden haben, was sie zu Gold und Dukaten machen konnten, entzieht sich meiner Kenntnis.

"Marlin" auf Amwindkurs. Voraus liegen die ABC-Inseln
Foto: N. Müller/M. Wnuk/ SY MARLIN

Heute sind diese drei Inseln unabhängig, beziehen aber finanzielle Unterstützung der niederländischen Regierung und sind für die Holländer das, was vielleicht Mallorca für die Deutschen ist. Wirtschaftlich sticht Curaçao heraus, wo eine riesige Raffinerie venezolanisches Rohöl in seine für Holland wichtigen Bestandteile destilliert. Ansonsten: Touristen.

Mit Höchstgeschwindigkeit von 9,6 Knoten läuft die "Marlin" in den Pass von Spanisch Waters, Curaçao. Eine gepflegte Golfanlage auf der Steuerbordseite empfängt uns. " Die war aber früher nicht hier!", staunt Nathalie.

Von einigen hundert Meter Wassertiefe geht es schnell auf sechs Meter. Und "schlürf" zieht uns das einlaufende Wasser in die Lagune, die inzwischen mehrere Marinas, Hunderte von Fahrtenseglern und etliche Fischer beherbergt. Unsere Heimat für die nächsten vier Wochen. Unser Gast meint nur: "Das ist ja wie auf einem Campingplatz für schwimmende Caravane!"

Nachdem unsere Gäste sich verabschiedet haben, finden wir nur schleppend Anschluss an die eingeschworene holländische Fahrtenseglergemeinde – wir sprechen eben nicht die Landessprache. Und wenn 20 Holländer beim Sundowner in "ihrer" Kneipe stehen, werden diese nicht komplett wegen zweier Deutsche ins Englisch wechseln. Aber sie geben sich Mühe!

Die Auswahl der Ankerplätze hat sich eben verändert. Früher sollte es möglichst kostengünstig und geschützt sein, heute ist es wichtig, WiFi und eine gute Supermarktanbindung zu haben. In Spanish Waters gibt es genau das. Ein paar Segler, deren Ankerketten schon länger als lang im Schlick der Lagune liegen, haben ein W-Lan-Netz aufgebaut. Der lokale Supermarkt schickt jeden Morgen um zehn Uhr einen Bus, der die Segler zum Kaufrausch abholt. Wir warten, wie eben die vielen anderen Boote, auf das Ende der Hurrikansaison, um weiter nach Norden zu segeln.

Mit Maya fahren wir durch die Anchorage Spanish Waters und lernen die netten jungen Trainer der Segelschule YSCO kennen. Dan nimmt sich unserer Tochter an und bringt ihr das Opti-Segeln bei. Zuerst wird Kentern und Wiederaufrichten geübt. Nach zwei Stunden meint er zu mir. "Das muss daran liegen, dass Maya auf dem Boot lebt. Die hat es echt im Blut. Wofür andere Kinder zwei Jahre brauchen, schafft Maya in vier Stunden."

Schon eine Woche später segelt unsere kleine Maya ihre erste Regatta und wird Sechste. Das mit dem Wegschubsen muss sie noch lernen. Ansonsten segelt sie auf und ab, quer durch die Anchorage und lernt das, was ich ihr niemals hätte so schnell beibringen können.

Dafür ist Lena ganz der Fisch im Wasser. Beim Weltmeister im Apnoe-Tauchen Carlos Costa nehmen Lena und ich eine Schnupperstunde. Mehr können und wollen wir uns nicht leisten. Carlos zeigt Lena, wie man richtig abtaucht, wie man länger Luft anhält. Mir natürlich auch, und der Erfolg stellt sich sofort ein. 15 Meter tiefes Wasser sind plötzlich kein Problem mehr. Lena bringt es auf vier bis fünf. Prima. Auch einen Schnuppertauchgang mit Kinderdruckluftflasche mache ich mit Maya und Lena.

Wieder nehmen wir Kurs Bonaire. Dort liegen Freunde von uns. Eine amerikanische Familie mit drei fast gleich alten Töchtern segelt auf ihrem Katamaran um die Welt. Grund genug, um, inzwischen normal, gegen den Passat aufzukreuzen.

Die anderen Segler fassen sich an den Kopf: "Aber das ist doch gegen den Wind!" Genau der Kurs, den wir zwischenzeitlich mögen. Wir liegen nebeneinander mit unseren amerikanischen Freunden an zwei Murings, und ein reger Schwimmverkehr der Kinderschar zwischen den 20 Meter voneinander entfernten Booten entwickelt sich. Eine Woche halten wir es auf Bonaire aus, dann wird es uns zu bunt. So schön das Leben und das Tauchen auch ist, wir wissen, wo es uns besser gefällt. Sehnsüchtig schauen wir zurück nach Osten. Einsame Strände locken. Immer noch ist Wirbelsturmsaison, noch mindestens sechs Wochen liegen vor uns, in denen wir außerhalb des Gürtels bleiben müssen.

Im Osten liegen die Islas Aves und Roques, die zu Venezuela gehören. Zu oft schon sind wir aus Zeitmangel daran vorbeigefahren. Venezuela ist derzeit nicht besonders zu empfehlen, vor allen Dingen nicht die Insel Margaritha. Die Inseln Islas Aves und Roques gelten jedoch als ungefährlich und sind von der venezolanischen Guarda Costa streng bewacht. Am Nachmittag segeln wir los. Für die Nacht sind 23 Knoten plus angesagt. Auf die Nase. Angenehm wird das nicht, dafür wartet mal wieder ein neues Abenteuer.