Die Versuchung ist groß, gleich nach der Hafenausfahrt das Ruder hart Backbord zu legen – Kurs Elba. Oder einfach weiter geradeaus nach Capraia und tags drauf nach Korsika zu segeln. „Die meisten Chartergäste machen genau das“, sagt Birger Palm von Palm Yachting. Kaum einer steuere von San Vincenzo in die Gegenrichtung, die toskanische Küste hinauf gen Ligurien, in die Cinque Terre, nach Portofino. Habe er selbst auch noch nie gemacht, gesteht Palm. Müsse aber schön sein. Nicht so überlaufen. Allerdings sei dort im Norden die Zahl der Ankerbuchten begrenzt.
Egal, wir sind neugierig und segeln gegen den Strom. Auch wenn eine Woche, die uns zur Verfügung steht, etwas sportlich bemessen ist für unser Vorhaben.
Knapp 90 Seemeilen sind es bis an Liguriens Küste. Mögliche Zwischenstopps bieten sich in Livorno oder Marina di Pisa an. Zur Verfügung steht uns die „Ribelle“, eine Jeanneau Sun Odyssey 439. Die leistet dank neuem, durchgelattetem Groß ihren Teil für eine zügige Passage: Das Schiff segelt anständig. Wind und Wetter passen auch, und so sind die ersten 30 Meilen bis Livorno schnell abgesegelt.
Pünktlich zum Sundowner machen wir im örtlichen Yachtclub fest. Die Bezeichnung klingt nobler, als es die Gegebenheiten sind: Die Schwimmstege quietschen symphonisch im Schwell des großen Hafenbeckens, in der Luft wabern die Abgase etlicher Fähren, die in Rufweite vorüberziehen. Dafür ist das Hafenpersonal bemerkenswert freundlich. Desgleichen die Liegeplatzpreise: 45 Euro für 13 Meter, da kann man nicht meckern.
Ein Bummel in den ältesten Teil Livornos, ins Quartiere Venezia, die alte Speicherstadt, ist Pflicht. In Klein Venedig erlebt man Italien pur. Fast nur Einheimische sind hier unterwegs. In den Fleeten wird abends für Ruderregatten trainiert, an den Ufern flaniert und anschließend gut und günstig gegessen.
Zum Beispiel Cinque e Cinque, eine lokale Spezialität in Form eines Sandwiches, gefüllt mit Gemüse nach Wahl und einem Kichererbsenteig. Darauf anschließend einen Ponce, das für Livorno typische Mischgetränk: ein Punsch als Schlummertrunk aus Kaffee, Rum, Zimt und Zitrone. Seinen Ursprung hat es angeblich im 17. Jahrhundert, nachdem schweres Wetter die Ladung im Bauch eines Schiffs gehörig durcheinanderwirbelte – wie in einem Cocktailmixer.
Am nächsten Tag segeln wir weiter in nördliche Richtung. Marina di Pisa bleibt an Steuerbord liegen, zu perfekt sind die Bedingungen. Außerdem wollen wir Strecke machen. Plötzlich ändert sich die Wasserfarbe, als hätte jemand einen gigantischen Cappuccino ins Meer gekippt. Aus dem tiefblauen Azzurro wird ein bräunlich-beigefarbener Ton. So klar abgegrenzt wie bei einer Farbenlehre, dass man unweigerlich auf Seekarte und Plotter schaut. Eine Sandbank? Oder aber ein Chemieunfall? Die Lösung ist schnell ersichtlich: Wir stehen vor der Flussmündung des Arno.
Ein kleiner Abstecher muss drin sein. Wir nehmen die Segel runter und tuckern in Schleichfahrt über die Sandbarre den Fluss hinauf. Den Blick starr aufs Echolot gerichtet. Die Tiefen variieren in der Mündung, je nach Regenfällen im Landesinneren, sie passen aber so gerade eben für unser Boot. An den Ufern tauchen auf Stelzen stehende Fischerhütten auf, an denen gigantische Senknetze angebracht sind. Sie können einfach in den Fluss hinabgelassen werden. Mitsegler Bene wähnt sich in Vietnam oder Thailand. Auf jeden Fall aber geben die Hütten ein tolles Fotomotiv ab.
An der südlichen Uferseite des Arno reihen sich bald etliche Marinas. Ideal für den Landausflug zum berühmten schiefen Turm. Pisa ist gerade mal zwölf Kilometer von hier entfernt, und eine Busanbindung gibt es auch. Wir verzichten jedoch aufs Sightseeing und segeln lieber weiter. Also zurück aufs Meer, das kurze Zeit später auch die Wasserfarbe wieder wechselt. Das dunkle Blau wirkt doch irgendwie beruhigender.
Es folgt ein langer, wilder Küstenstreifen. Mehr Strand als Menschen. Und nirgends Sonnenschirme. Langsam rücken auch die Berge dicht an die Küste heran: die Apuanischen Alpen, eine beeindruckende Kulisse. Bei Carrara kann man deutlich die Steinbrüche sehen, aus denen schon Michelangelo seine Marmorblöcke ausgesucht hat. Unter anderem für seine Skulptur des Davids, die in Florenz steht.
Leider kommen wir etwas zu spät, um in der Marina di Carrara nach einem Liegeplatz zu fragen. Um kurz nach 19 Uhr ist der Hafenmeister – eher untypisch für Italien – weder auf Kanal 72 noch per Telefon zu erreichen. Also einfach in einer freien Box festmachen? Wir fragen den Skipper einer einheimischen Yacht, die gerade einläuft. Die Antwort: „Mi dispiace, è tutto privato.“ Mit anderen Worten, Gastlieger müssen leider draußen bleiben; alles Privatplätze.
Schade, aber kein Drama, nachdem die Thermik deutlich nachgelassen hat und uns ein ablandiger Wind aus den Bergen eine ruhige und sichere Nacht beschert. Gut haltende Ankerstrände gibt es längs der Küste der Toskana mehr als genug.
Das ändert sich erst, als wir am nächsten Morgen den Golf von La Spezia erreichen. Das Ufer wird felsiger. An Steuerbord empfängt uns im feinsten Morgenlicht Tellaro – ein ehemaliges Fischerdorf, das inoffiziell als sechstes Dorf der Cinque Terre gelten könnte. Allerdings abseits der Touristenströme. Hier haben sich die wohlhabenderen Italiener eingekauft. Entsprechend wirkt der Ort etwas geisterhaft. Wir fahren lieber ein paar Buchten weiter nach Lerici. Viel geschützter kann man den Anker kaum fallen lassen. Wir liegen am Fuß eines alten Kastells mit Blick auf kleine und größere Kriegsschiffe. Über uns jagen diverse Kampfjets dahin.
Die Erklärung: In La Spezia gibt es eine Militärbasis. Hin und wieder wird scharf geschossen. Mit Pech wird dann während der Übungen der Golfo dei Poeti gesperrt – der Golf der Dichter, benannt nach den Shelleys und Lord Byron, die sich hier 1820 niedergelassen haben. Man versteht sofort, warum, wenn man sich die Hubschrauber, die Kampfjets, die Kriegsschiffe und die Detonationen wegdenkt.
Gegenüber von Lerici liegt Porto Venere – der Hafen der Venus. Ein Liegeplatz für 43 Fuß würde 130 Euro die Nacht kosten. Platz wäre auch da, meint der Hafenmeister. Vielleicht aber doch besser die Bordkasse schonen und den Anker unweit der Muschelzucht ausbringen, vorsichtshalber mit Trippleine. Elf Meter Wassertiefe übersteigen die Schnorchelfähigkeiten der Crew.
In Porto Venere flankieren bunte Häuser das Hafenbecken, sie bilden unterhalb des Castello Doria eine filmreife Kulisse. Ob aber die Lichterketten an den Häusern nottun? Geschmackssache! Wir finden: Weniger Disneyland ist mehr Italien. Allein die Lage von Porto Venere: auf einer Landzunge am Ende der Riviera di Levante. Auf der äußersten Spitze thront die Chiesa San Pietro an exponierter Stelle, wo andernorts Leuchttürme stehen. Ein Traum. Von hier überblickt man gen Nordwesten die gesamte Cinque Terre.
1997 wurde der Küstenabschnitt von der Unesco zum Weltkulturerbe erklärt. Das italienische Umweltministerium hat fast zeitgleich einen Nationalpark daraus gemacht und eine Meeresschutzzone ausgewiesen, was das Segeln entlang der Küste allerdings nicht groß beeinflusst. Im Gegenteil. Zum Schutz des Meeresbodens wurden vor einigen Dörfern Murings ausgelegt. Unter anderem unmittelbar vor Vernazza, das allgemein als das schönste Dorf der Cinque Terre gilt. Mehr Fluch als Segen, es ist entsprechend voll dort.
Mit einer 13-Meter-Yacht hat man da im Hafen keine Chance. Ab Juni ist der ohnehin für Gastlieger gesperrt. Selbst der Dingimotor muss im Becken abgestellt werden. Es ist so schon rummelig genug. Es wimmelt von Schiffen. Und Menschen. Nach einer kurzen Stippvisite ist man beinahe froh, wieder zurück an Bord der „Ribelle“ zu können. Fazit: Manchen Schönheiten kommt man besser nicht zu nah.
Den Abend verbringen wir am Anfang beziehungsweise am Ende des allzu berühmten Küstenstreifens: in Levanto. Genauer gesagt, in einer mehrfach preisgekrönten Pizzeria namens „La Picea“. Hier geht es wesentlich italienischer zu.
Tags drauf steht Portofino auf dem Programm, das berühmteste Fischerdorf Europas. Leider auch das mit den höchsten Immobilienpreisen. Einmal mehr gilt: Im Sommer hat man kaum eine Chance, im Hafen einen der wenigen Gastliegeplätze zu ergattern. Das muss zum Glück auch nicht sein. Wenn die Scharen der Tagesbadegäste mit ihren Motorbooten abreisen, kann man die Yacht in eine kleine Bucht unmittelbar neben dem Ort verholen. Bis es so weit ist, vertreiben wir uns die Zeit ein wenig mit Sightseeing-Segeln zwischen den diversen Superyachten, die hier vor Portofino auf Reede liegen.
Eine davon ist der Dreimastschoner „Koru“. In Rotterdam gebaut und gerade erst dieses Jahr an Amazon-Gründer Jeff Bezos ausgeliefert. Nicht weit davon entfernt seine Zweityacht, die quasi als Beiboot dient, die „Abeona“. Natürlich mit Hubschrauber auf dem Heck. Gesamtwert der beiden Schiffe: knapp 600 Millionen Dollar! Da ist es beinahe erstaunlich, wie nah wir daran vorbeisegeln können. So nah, dass sich unsere Charteryacht im Rumpf der Riesenpötte spiegelt.
Nach so viel Luxus zieht es uns ins Klösterliche. Und zwar in die Bucht von San Fruttuoso. Wer rechtzeitig kommt, ergattert hier noch eine der begehrten weißen Murings. Auch wenn die Ruhe des ehemaligen Klosters längst dem Bade- und Ausflugsbetrieb zum Opfer gefallen ist, die Bucht ist ein Traum. Eine harmonische Kombination aus Natur und Kultur. Ein Kloster mit Strandzugang. Das Wasser in der Bucht ist tiefblau. Und unter der Oberfläche findet sich eine Jesusstatue. Leicht zu lokalisieren: ganz in der Nähe der Tauchboote, die hier tagsüber einfallen.
Die Erkundung Portofinos wird verschoben. Allzu beliebte Orte, das wissen wir inzwischen, sollte man in Italien besser an Werktagen als am Wochenende besuchen. In der Zwischenzeit begnügen wir uns mit dem ein paar Meilen weiter nördlich liegenden Camogli. Schon von Weitem ist der Ort an den mehrstöckigen, bunten Häuserfassaden zu erkennen. Die sollten den Fischern früher bei schlechtem Wetter die Heimkehr erleichtern.
Wir machen ausnahmsweise mit dem Bug voran im äußeren Hafenbecken fest. Der Grund an der Mole ist unrein, das Ruderblatt könnte dort bei Wellenschlag aufsetzen. Wenig später schon tauchen wir in ein einzigartiges Bühnenbild ein: Um das innere Hafenbecken wirkt die Stadt wie drapiert. Die Kirche steht direkt am Wasser, die Promenade verläuft oberhalb des Strandes. Unzählige Bars und Restaurants reihen sich aneinander, dazu flanierende Menschen und ballspielende Kinder. Ein Fest für die Sinne. Alle Ingredienzen für das berühmte Dolce Vita. Man möchte gar nicht mehr fortgehen.
Aber Portofino wollen wir dann doch noch sehen. Statt eine teure Muring zu nehmen, bringen wir unseren Anker aus sowie eine Landleine. Die befestigen wir an einem dafür vorgesehenen Ring im Fels – perfekt! Kurz darauf spazieren wir zwischen gediegenen Anwesen und dem Duft von Jasminhecken. Hier irgendwo, in den fast tropisch üppigen Gärten, muss auch die Villa des deutschen Sektbarons Mumm stehen, der Portofino Anfang des 20. Jahrhunderts zu Berühmtheit verhalf. Erst danach entdeckten auch die italienischen Schönen und Reichen den Fischerort und drückten ihm ihren Luxusstempel auf.
Das kann man finden, wie man will. Der Faszination dieses Ortes, seiner unnachahmlichen Schönheit, wie überhaupt des ganzen Reviers, kann man sich jedoch nur schwerlich entziehen.
Ehrliche, italienische Hafenstadt. Niedrige Liegepreise im Livorno Yacht Club. Mit schöner Markthalle und dem Quartiere Venezia hinter dem Fortezza Nuova. Abends ist der Besuch am schönsten, wenn sich die Lichter in den Kanälen spiegeln. Alternativ kann man südlich der Altstadt die Uferpromenade Terrazza Mascagni entlangflanieren. Besonders sonntags bei Einheimischen sehr beliebt.
Der wohl schönste Ort der Cinque Terre. Seit die fünf Dörfer nicht mehr ausschließlich per Boot oder Esel, sondern mit dem Zug erreichbar sind, ist es hier tagsüber aber mit der Ruhe dahin. Ob man die Nacht vor Ort an einer Muring verbringt, muss nach Wetterlage entschieden werden. Vorsicht ist auf jeden Fall angebracht: In unserem Fall riss eine Muringleine schon bei geringer Last.
Sehen und staunen und schwärmen. Liegeplätze sind aber rar und teuer. Besser in der kleinen Bucht nördlich des Hafens mit Anker und Landleine liegen. Über den kleinen öffentlichen Strand in der Bucht gelangt man zur Straße. Unbedingt zum Punta di Portofino (Foto) gehen und sich dort einen Aperitivo gönnen. Wer zwei nimmt, kann sich ob der mitgereichten Häppchen das Abendessen sparen.
Der Hafen der Venus zählt gleichfalls zu den schönsten Orten Liguriens und bildet das schroffe Ende der Riviera Levante sowie die Pforte zum Golf von La Spezia. Der Blick von der gotischen Kirche San Pietro ist spektakulär. Anschließend Einkehr im „La Medusa“ am kleinen Brunnenplatz.
Guter Ankerplatz unterhalb der Festung gegenüber von Porto Venere. Ein Tunnel verbindet den kleinen Strand mit dem Ort. Samstags ist Wochenmarkt an der Uferpromenade. Theoretisch ließe sich Porto Venere auch von hier aus mit der Fähre besuchen.
Die ligurische Küste erstreckt sich von der französischen Grenze bis zum Golf von La Spezia. Man unterscheidet die Riviera di Ponente, den westlich von Genua gelegenen Teil, vom östlichen Teil bis Porto Venere – der Riviera di Levante. Dieser Abschnitt im Osten wird als Cinque Terre bezeichnet. Aufgrund der Apenninausläufer ist die Küste hier steil und zerklüftet und bei Wanderern sehr beliebt. Für Bootsfahrer gibt es im Gegenzug kaum Ankerbuchten. Und selbst an den vielerorts ausgelegten Muringbojen kann es, sogar bei Windstille, infolge des regen Bootsverkehrs sehr unruhig werden. Auf den etwa 60 Seemeilen der Riviera di Levante finden sich zahlreiche Attraktionen, für die man sich mindestens eine Woche, besser mehr Zeit nehmen sollte.
An einigen Küstenabschnitten ist ein maritimes Naturschutzgebiet ausgewiesen, das nach Zonen (A, B und C) klassifiziert ist. Segler tangiert das jedoch kaum; die strikten Fahrverbotsgebiete der Zone A sind sehr überschaubar.
Wir waren mit einer Sun Odyssee 439 von Palm Yachting unterwegs. Die Preise für eine Woche liegen je nach Saison zwischen 2.700 und 4.800 Euro. Zu buchen via www.palm-yachting.it (man spricht Deutsch) oder über eine der gängigen Agenturen. Ab San Vincenzo, wo sich die Charterbasis befindet, sind es knapp 90 Seemeilen bis in den Golf von La Spezia, die sich allerdings angenehm in Livorno oder Marina di Pisa unterbrechen lassen. Eine Woche ist für den Törn knapp bemessen, besser zehn Tage oder zwei Wochen chartern.
„Küstenhandbuch Italien“, Edition Maritim, 69,90 Euro, delius-klasing.de. Für den Landgang: Reiseführer „Ligurien“, 20,90 Euro, Michael Müller Verlag. Karte: „NV Atlas Italy IT1: Menton to Elba“, 64,99 Euro.
Ligurien hat ein eigenes Mikroklima. Dank der hohen Berge ist die Küste vor kalten Nordwinden nahezu geschützt. Das macht es für Segler zu einem ausgesprochenen Schönwetterrevier. Der Wind in Küstennähe ist vor allem während der Hochsaison eher schwach bis umlaufend und selten stärker als 3 bis 4 Beaufort. Deutlich unangenehmer kann es in der Nebensaison werden, wenn der Libeccio aus Südwest viel Wind und Niederschlag bringt. Geschützte Anker- oder Hafenplätze sind dann gefragt und entsprechend rar. Da der Libeccio beinahe ungebremst auf die Küste trifft, können sich davor bisweilen beachtliche Wellen aufbauen.