FrankreichGeheimtipp im Golf von Saint-Malo - die Îles Chausey

Christian Tiedt

 · 14.12.2024

Marina von Saint-Malo im Port de Sablons
Foto: Christian Tiedt
Aus dem Golf von Saint-Malo geht es über den Ärmelkanal nach England. Unser eigentliches Ziel dabei sind die Kanalinseln. Den Anfang macht der einzige französische Archipel – die Îles Chausey.

Die Altstadt von Saint-Malo hat einen ungewöhnlichen lateinischen Namen: Intra Muros – innerhalb der Mauern. Und tatsächlich wirkt sie von außen betrachtet wie eine einzige Festung, wenn man zu ihren Füßen steht: grauer Stein, der sich über die linearen Häuserfassaden dahinter hinaufzieht bis zu den massiven Schornsteinen, die selbst wie zinnengekrönte Türme wirken.

Hier hat Vauban sich ausgetobt, der legendäre Festungsbaumeister des Sonnenkönigs Ludwig XIV., um den Hafen der bretonischen Freibeuterstadt vor der Rache der Beraubten zu schützen. Doch damit nicht genug: Auf den umliegenden Gezeiteninseln wurden zusätzlich Forts errichtet, deren Kanonen alle Seewege zur Ansteuerung unter Feuer nehmen konnten. Denn Saint-Malo ist nicht nur von seinen Mauern umschlossen, sondern auf drei Seiten auch vom Meer.

Saint-Malo: Stadt der Mauern, Heimat der Freibeuter

Hinein geht es durch die Porte de Dinan mit ihren wuchtigen Doppeltürmen. Direkt dahinter liegt das Wohnhaus des legendären Korsaren Robert Surcouf, der den Engländern während der napoleonischen Kriege immer wieder spektakulär zusetzte. Auch wenn die Royal Navy den Kampf der Flotten für sich entschieden hatte, den gewieften Kapitän mit dem Kaperbrief konnte sie nicht packen: Knapp 50 Schiffe konnte Surcouf aufbringen oder versenken, mehr als nur schmerzhafte Nadelstiche für den Stolz der britischen Admiralität – und die Geldbörsen der britischen Reeder, die ihrem Schutz anvertraut waren.

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Der Gang über die Wehrgänge der Stadtmauer ist wahrlich imposant, auch wenn es ringsumher friedlich zugeht. Weiße Segel zwischen den Inseln, Schnellfähren und Sportboote, eine gaffelgetakelte Slup mit langem Bugspriet, die direkt aus Surcoufs Zeit stammen könnte. Unten vor der Mauer die Strände, gepunktet mit Sonnenschirmen, und immer wieder Felsen, scharfkantig, durchsetzt mit kleinen Tümpeln, die das ablaufende Wasser zurückgelassen hat.

Auch die Ummauerung des Naturschwimmbades taucht jetzt auf, noch vor wenigen Minuten ragte nur der Sprungturm aus dem Meer. Gemeinsam mit Touristen aus Quebec und Brasilien sowie einer Bikergang aus Gelsenkirchen geht es weiter über den Wehrgang, an enger Stelle nur noch im Gänsemarsch, links Surcouf in Bronze, der erhobene Arm weist entschlossen Richtung See.

Chorgesang, Calvados und Kouign-Amann

Dann der Abstieg von der Mauer und hinein in diese so militärisch geordnete Stadt, zur Kathedrale Saint- Vincent, in der zur Freunde der Touristen gerade eine Hochzeit stattfindet. Der Vater führt die Braut in ihrem blütenweißen Kleid mit Schleppe ins Innere, wo sie vom Gesang des Chores empfangen wird. Aber das Geistliche ist nicht weit entfernt vom Geistigen: Nur zwei Ecken weiter lockt bretonische Musik durch einen Rundbogen zur Verkostung von Calvados und Cidre.

An der Rue Saint-Vincent schließlich sind alle Spezialitäten zu haben: von Hummer und Austern bis zu Butterkaramell und Kouign-Amann, dem runden Kuchen der Region. Eine halbe Stunde später sitzt unsere Crew nahe dem Port de Sablons. Am Himmel strahlt die Sonne und im Glas funkelt Ambrée. Der Törn kann beginnen!

Am nächsten Morgen ragt vor dem Rumpffenster eine hohe Wand aus schwarzem Bruchstein auf: Die Blöcke bilden die Hafeneinfassung, sichtbar jetzt bei Niedrigwasser. Zur Springzeit kann der Tidenhub hier mehr als zehn Meter betragen. Noch einmal steigen wir die nun sehr steile Brücke hinauf zu dem Servicegebäude, dann machen wir seeklar und legen ab. Törnstart, zwei Wochen liegen nun vor uns, am Ende der Reise liegt Portsmouth.

Quer über die Bucht von Mont-Saint-Michel

Eigentliches Ziel aber sind die Kanalinseln: Jersey, Guernsey und Co. Es sind vergleichsweise kurze Distanzen, der einzige lange Schlag wird über den Kanal selbst führen. Wie sich das Wetter geben wird? Atlantisch wechselhaft, von allem etwas, mit Wolken, Regen, aber auch Sonne. Und mit einem Wind, der die meiste Zeit mit drei bis vier Beaufort um West-Nordwest drehen dürfte.

Mehr über die Kanalinseln:

Vor uns legt die Autofähre nach Portsmouth ab, ein ziemlich alter Kasten. Diese Route scheint nicht die lukrativste über den Ärmelkanal zu sein. Das Wasser läuft auf, über dem seuil an der Hafeneinfahrt, dem Süll, das innen immer zwei Meter Wasser garantiert, stehen schon wieder mehr als vier Meter. Der Himmel reißt auf, die Sonne kommt heraus, um uns zu verabschieden.

Wir passieren das himmelhohe Tor der Molenmauern, rechts Saint-Malo im Gegenlicht. Das schnurgerade Fahrwasser führt nach Nordwesten über die Reede von Saint-Malo, rechts und links sinken die Felsen und Inseln mit steigender Tide tiefer. Yachten kreuzen gegen den Nordwest in Richtung der Ansteuerung.

Erst als wir den Leuchtturm Le Grand Jardin an Steuerbord voraushaben, spürt man stärkere Dünung. Wir drehen nach rechts auf ENE-Kurs, der uns quer über die Bucht von Mont-Saint-Michel führen wird. Vorbei an der Île de Cézembre und dann weiter, mit zwei Wegpunkten unserem ersten Tagesziel entgegen, dem Hafen von Granville. Es wird diesig; am Horizont im Südosten ist der berühmte Felsen mit seiner Kathedrale, der der weiten, flachen Bucht den Namen gegeben hat, gerade so zu erahnen.

Granville: Bordbesuch vom Grenzschutz

Wir sind nun fast allein unterwegs, bis wir die Küste der Halbinsel Cotentin erreichen, die bereits zur Normandie gehört. Granville kündigt sich durch die Pointe du Roc an, ein Kap mit Steilküste und Leuchtturm. Die Häfen, erneut eingefasst von festungsartigen Schutzmauern und von zwei Kirchen überragt, liegen östlich davon. Der Fischereihafen wird von einem Schleusentor geschützt und beim Port de Hérel verhindert ein seuil das Trockenfallen des Yachthafens, der von drei Stunden vor bis drei Stunden nach Hochwasser angelaufen werden kann.

Dort finden wir einen Platz direkt neben dem „Visiteurs“- Schild – aber auch schräg gegenüber einem grauen Einsatzboot der douanes. Natürlich beginnen die fünf Grenzbeamten ihre Schicht mit einem Besuch bei uns an Bord … So gründlich wurden wir noch nie kontrolliert, obwohl klar ist, dass wir gerade aus Saint-Malo kommen und auch sonst rundheraus unverdächtig erscheinen müssen. Eine gute halbe Stunde geht das so, bis man uns schließlich gute Fahrt wünscht und, da wir weiter auf die Kanalinseln wollen, viel Spaß mit „les Anglais“.

Die Kirche Christian Diors und buntbemalte Bunker

Granville, zuerst grau und etwas unnahbar, gibt sich im Sonnenlicht des zweiten Tages zugänglicher. Da uns noch etwas mehr als eine Stunde bleibt, machen wir uns auf in die haute ville, die historische Oberstadt, kaufen Souvenirs an der Place Cambernon und widerstehen den Verlockungen des La Rafale, wo wir gestern Abend eingekehrt waren. Mali Blues dringt nach draußen und der Wirt mit dem geschwungenen Knebelbart wischt seine Tische auf der Straße.

Wir folgen der Rue Notre Dame entlang Richtung Le Roc, der Landspitze. An den steinernen Fassaden blühen Blumen, und was aus Holz ist, wurde leuchtend gestrichen. Wir erreichen die große Kirche, die noch unter englischer Herrschaft im 15. Jahrhundert begonnen, aber erst im 18. Jahrhundert vollendet wurde. Wie der französische Wikipedia-Eintrag verrät, im Stil der Flamboyantgotik: ein Begriff, den ich zwar noch nie gehört habe, zu dem aber passt, dass kein Geringerer als Christian Dior hier 1908 getauft wurde. Noch ein extravagantes Detail: Obwohl die ganze Festlandsküste aus nichts als Stein besteht, wurde der Granit für den Bau des Gotteshauses von den Îles Chausey, unserem heutigen Ziel, in kleinen Frachtenseglern herangeschafft, den sogenannten gabares. Zum Ruhme des Herrn war offenbar keine Mühe zu groß …

Weiter zum Kap , wo der Wind durch die Büsche und wenigen Bäume streift – und um die zahlreichen Bunker herum. Standardklötze aus dem Betonbaukasten, Hitlers Atlantikwall. Einer dieser sogenannten Regelbauten ist als Haus bemalt, mit Backsteinmuster und Fenstern. Im wahrsten Sinne naive Malerei, die aber als plumpe Tarnungsmaßnahme historisch belegt ist. Mit dem Leuchtturm Granville dahinter bildet die ehemalige Stellung der Küstenartillerie ein ungewöhnliches Ensemble. Ansonsten ist es ein schöner Ort, mit weitem Blick nach Norden auf die geschwungene Küstenlinie von Cotentin. Ein unaufdringliches Denkmal, eine Stahlplatte mit ausgeschnittenem Lothringerkreuz, gedenkt der Résistance und der Kämpfe nach der Landung der Alliierten. Durch den langen Querarm des Kreuzes ist der Horizont zu sehen.

Abschied vom französischen Festland

Als wir schließlich auslaufen, mit 3,30 Meter Wasser über dem seuil, hat sich der Himmel längst wieder geschlossen. Zur südlichen Ansteuerung der Îles Chausey sind es kaum neun Seemeilen. Da fällt nicht weiter ins Gewicht, dass der Westwind auf diesem Schlag mit drei Beaufort erneut genau von vorn kommt. Schließlich tauchen die ersten scharf konturierten Felsen voraus an Steuerbord aus dem Meer.

Unser Ziel ist die Grande Île. Sie ist die einzige französische Kanalinsel und trotz des grandiosen Namens mit kaum zwei Kilometern Länge auch die kleinste. Aber wenn man sich die Seekarte der Îles Chausey anschaut, eine ganze Doppelseite im Maßstab 1 : 25.000, zeigt sich ein ganz anderes Bild: Neun Seemeilen misst der Archipel von West nach Ost, drei von Nord nach Süd. Durchzogen wird er von einem Fahrwasser, dem Chenal Beauchamp. Der Rest ist grün gefärbt, fällt also trocken. Jetzt, kurz vor Hochwasser, ist davon zwar kaum etwas zu sehen, das wird sich jedoch ändern.

Ein weiterer schiffbarer Zugang, der Sound de Chausey, folgt dem Ostufer der Hauptinsel, die nicht nur einen Leuchtturm an höchster Stelle trägt, sondern auch eine Reihe weiterer Gebäude. Vorbei an der überfluteten Landungsbrücke für die Tagesfähre, den hohen Kardinalstangen, dem „Eiffelturm“, einem Gittermast mit Seezeichen, geht es zum Bojenfeld. Natürlich lassen wir die Muring der douanes frei. Der bereits ablaufende Strom setzt ordentlich und es dauert etwas, bis wir schließlich vor Bug und Heck an zwei Leinen liegen.

Geheimtipp im Golf von Saint-Malo: die Îles Chausey

Wir sitzen gerade beim Anleger, als der Hafenkapitän mit seinem RIB vorbeikommt und es sich bei uns an Bord gemütlich macht; zwölf Euro kostet die Nacht, da kann man nicht meckern. Langsam wachsen die Felsen nun um uns herum aus dem Wasser, schwarz und braun, und verbinden sich zu Graten. Auf keinen davon möchte man auflaufen. In Skandinavien wurde der Granit von den Gletschern glatt geschliffen, hier ist alles scharfkantig, trotz Wind und Wellen, die seit etlichen Jahrtausenden darüber hinweggehen.

Ab ins Dingi. Bei der breiten gemauerten Slipbahn, an deren Außenseite gerade die letzte Personenfähre des Tages längsseits kommt, ziehen wir unser Beiboot an Land. Anbinden brauchen wir es nicht, nachher wird es höher liegen. Allerdings ahnen wir nicht, wie hoch …

Landgang! Tagesausflügler kommen uns entgegen und gehen an Bord der “Joly France”. Hummerkörbe flankieren den Weg, oben an der Kreuzung erinnert ein Gedenkstein an die auf See verunglückte Segellegende Éric Tabarly. Von den zwei Restaurants gefällt uns das einfachere, Contre Vents et Marées, wesentlich besser. Drinnen ist viel los und die großen Panoramafenster sind auf den Sund gerichtet. Wir reservieren einen Tisch, bis dahin wird erkundet.

Enge Pfade winden sich zwischen Hecken entlang, hier und dort versteckt sich ein weiß getünchtes Chalet zwischen windschiefen Kiefern. Weiter zum zugewachsenen Fort, dann zum Leuchtturm und zur Kirche. Sogar vier Strände gibt es. Die Grande Île ist wirklich wunderschön, ein funkelndes Kleinod. Dazu im Restaurant dann noch die grandiose Aussicht auf eine fantastische Landschaft, wo eben noch Meer war. Dort, ein von hohen Felsen eingeschlossenes Plateau! Gar nicht so weit entfernt. Ob schon einmal jemand seinen Fuß daraufgesetzt hat?

Die Stimmung ist gut und bleibt es, bis wir nach dem Essen im Dämmerlicht erkennen müssen, dass die Rampe mit unserem nicht ganz leichten RIB nun keineswegs mehr direkt zum Wasser führt – sondern in den steinigen, sandigen Schlick am Grund der kleinen Bucht. Knapp 50 Meter müssen wir schleppen. Lacht da nicht irgendwo jemand in der Dunkelheit? Mit kalten Füßen kommen wir schließlich zurück an Bord. Aber man lernt nie aus. Morgen wird es weitergehen nach Jersey - zu den “Anglais”.


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