BretagneInselhopping an der französischen Atlantikküste

Jill Grigoleit

 · 01.11.2025

Trockenfallen am Traumstrand Tréac’h er Gourèd auf Île d’Houat.
Foto: Jill Grigoleit
Tidengewässer: Ab Les Sables d’Olonne nordwärts nimmt der Tidenhub deutlich zu, was Einfluss auf Strömungen, Hafenzeiten und Ansteuerungen hat. Verlangt gutes Seemannshandwerk, macht das Revier aber auch spannend.

​​Die südliche Bretagne ist eines der Topreviere Europas für Segler. Traumhafte Ankerbuchten, charmante Fischerdörfer mit bretonischem Flair und kulinarische Highlights. Seglerisch ist das Tidenrevier anspruchsvoll und bietet eine einzigartige Mischung aus Küsten- und Hochseesegeln. Wir waren unterwegs mit dem Cruising Club der Schweiz im vielleicht schönsten Segelrevier Frankreichs.



​Mehr als 800 kleine und große Inseln umgeben die Bretagne. Die größte von ihnen ist Belle Île. Die „schöne“ Insel macht ihrem Namen alle Ehre und empfängt uns mit spektakulären steil abfallenden Küsten und versteckten Ankerbuchten. Piero, der das Revier bereits gut kennt, hatte uns schon zu Beginn des Törns vom Hafen von Le Palais vorgeschwärmt: „Das ist ein Spektakel, das dürfen wir uns nicht entgehen lassen!“. Denn das Besondere: Neben einem tidenunabhängigen großen Hafenbecken, dem Avant Port und dem zum Großteil trockenfallenden mittleren Hafenbecken, dem Port d’echouage, gibt es einen sehr kleinen von einer Schleuse abgetrennten Innenhafen, das Bassin á flot. Die Schleuse wird nur zwei Mal am Tag für ein Zeitfenster von etwa einer Stunde um Hochwasser herum geöffnet.

Beeindruckend: Die Capitainerie von Le Palais

Entsprechend wuselig wird es mit all den auslaufenden und einlaufenden Yachten. Dahinter liegt man dicht an dicht in großen Päckchen. Das Becken ist so schmal, dass man im hinteren Bereich über die Decks von einer Seite zur anderen hinüberlaufen könnte. Wie das Hafenpersonal es organisiert, dass jeder seinen Platz findet und auch wieder rauskommt, bleibt ein Rätsel. Aber ohnehin sind wir von deren Arbeit schwer beeindruckt. Als wir uns den Molenfeuern nähern, die die Einfahrt von Le Palais flankieren, hat sich bereits eine Warteschlange im vorderen Hafen gebildet. Die Capitainerie flitzt stehend in ihren RIBs zu den neu ankommenden Seglern und gibt Anweisungen. Eine Hand am Steuer, die andere am Funkgerät.

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Wir entscheiden uns, nicht durch die Schleuse zu fahren, weil wir ansonsten bis zur Schleusenöffnung am nächsten Nachmittag festsitzen würden. Also warten wir an einer Muringboje außerhalb der Hafenmauern, bis das Chaos sich gelegt hat und man uns hoffentlich noch einen Platz im mittleren Hafenbecken zuweist. Wir haben Glück. Längsseits an der Kaimauer unterhalb der Zitadelle ist noch ein Platz für uns. Eine freundliche Hafenmitarbeiterin nimmt die Leinen entgegen und schärft uns ein, den Leinen viel Spiel zu geben, sie bei sinkendem Pegel im Auge zu behalten und das Boot nicht zu verlassen, bis wir trockengefallen sind.

Abendstimmung im Hafen von Le Palais.Abendstimmung im Hafen von Le Palais.

Die Sonne steht schon tief und taucht den malerischen Hafen von Le Palais in ein warmes, goldenes Licht, als wir unseren Anlegedrink im Cockpit genießen. Die pastellfarbenen Fassaden der kleinen Häuser am Quai leuchten in weichen Tönen – Rosa, Hellblau, Vanillegelb –, als wären sie eigens für diese Abendstunde gemalt worden. Auf den Terrassen der Cafés und Restaurants und auf der Kaimauer sitzen die Menschen dicht an dicht, ein fröhliches Stimmengewirr erfüllt die Luft. Der Duft von frischem Fisch, Meeresfrüchten und gebratenem Knoblauch zieht durch die Gassen. Und über allem thront auf einem Felsvorsprung die imposante Citadelle de Vauban aus dem 17. Jahrhundert.

OVNIs Spezialität: Trockenfallen

Wir haben zwar nur diesen Abend hier, morgen wartet aber schon das nächste Highlight: Wir wollen noch vor dem morgendlichen Niedrigwasser die Île d‘Houat erreichen, um uns dort rechtzeitig zum Trockenfallen am Strand zu positionieren. Denn diese Fähigkeit war ein wichtiger Grund, weshalb sich der CCS für die OVNI 450 entschieden hat: „Bei der Evaluation war das ein Muss-Kriterium, weil wir es hier im Tidenrevier einsetzen wollten, und auf diesem Gebiet sind die Franzosen europaweit die Meister“ erzählt Piero. „Wir hatten vier Schiffe in der engeren Auswahl, aber dieses hat am Ende überzeugt.“ Das Schiff hat einen integralen Hubkiel, mit dem man den Tiefgang per Knopfdruck von 2,90 Meter auf 1,05 Meter verringern kann. „Wir werfen den Anker, fahren den Kiel hoch und fahren soweit es geht rückwärts an den Strand ran, so dass die Brandung vorne am Bug vorbeifließt. Und dann warten wir, bis das Wasser abgelaufen ist“ erklärt Piero der Crew unser Vorhaben. Klingt gar nicht so kompliziert.

Um 5 Uhr morgens machen wir die Leinen los. Sobald wir den Hafen hinter uns gelassen haben, ist es stockdunkel, der Mond von Wolken verdeckt. Wir suchen uns unseren Weg durch auf dem schwarzen Wasser tanzende Ankerlichter und nehmen Kurs auf Île d’Houat. Leider ist es – mal wieder – windstill und wir müssen die zehn Seemeilen unter Motor hinter uns bringen.

Trockenfallen auf Île d‘Houat: Die leichteste Übung?Trockenfallen auf Île d‘Houat: Die leichteste Übung?

Zwei Stunden später erreichen wir die Bucht auf der Westseite der Insel, fahren, soweit es geht an den Strand heran und werfen den Anker. Doch als wir ihn festfahren wollen, merken wir, dass uns die Brandung quer dreht und auf den Strand zu spülen droht. Einen kurzen Moment wird es brenzlig. Wir brechen das Manöver ab, lichten den Anker und fahren ein Stück zurück. Zuerst macht sich Erleichterung, dann Enttäuschung breit. War es das jetzt mit dem Trockenfallen? Aber noch wollen wir nicht aufgeben. Kurzerhand beschließen wir, es am nächsten Morgen auf der Ostseite nochmal zu probieren, wo die Brandung hoffentlich geringer ist.

Wilde Schwestern der Bretagne

Die Schwesterninseln Île d’Houat und Île Hoëdic in der Bucht von Quiberon sind berühmt für ihre Wildheit und Naturbelassenheit. Aber trotz ihrer Abgeschiedenheit ist man hier in den Sommermonaten alles andere als allein. Als wir die südöstliche Landspitze der Insel und die vorgelagerten Felsen umrundet haben, empfängt uns der Traumstrand „Treach-er-Goured“ mit reichlich Publikum. Der kilometerlange Sandstrand im Nordosten der Insel gilt als einer der schönsten der Bretagne. Entsprechend beliebt und im Sommer überlaufen ist es zumindest auf dem Wasser. Die Bucht ist rappelvoll. Zwei mit gelben Bojen gekennzeichnete Kanäle weisen Beibooten den Weg zum Strand. Wir suchen uns einen Platz und setzen selbst mit dem Dinghi über, um im kleinen Dorfladen unsere Vorräte aufzustocken. Die einzige Ortschaft auf der Insel ist geprägt von schmalen Gassen und niedrigen Häuschen mit weiß gekalkten Wänden und blauen Fensterläden. Die Schieferdächer wurden zementiert, damit sie dem Wind Stand halten. Im Winter sind die knapp 200 Houatais, wie sich die Insulaner nennen, zum Teil abgeschnitten von der Außenwelt. Aber jetzt im Sommer ist der kleine Lebensmittelladen im Zentrum so voll mit Touristen, dass man sich kaum bewegen kann. Zurück zum Strand geht es durch eine im Sonnenuntergang leuchtende Heidelandschaft, durchzogen von Sandwegen. Straßen und Autos gibt es auf der Insel nicht.

Endlich gestrandet

Früh am nächsten Morgen starten wir den zweiten Versuch. Die Bedingungen sehen gut aus. Dieses Mal kommt es uns entgegen, dass kein Wind weht, es gibt kaum Brandung. Langsam schlängeln wir uns im Slalom vorbei an den anderen Booten vor zum Strand. Außer uns scheint alles noch zu schlafen. Der Strand ist menschenleer. Und diesmal gelingt es. Direkt vom Boot aus können wir an den Strand laufen. Als sich der Strand nach und nach füllt, gibt es einige verwunderte Blicke. Ein außergewöhnlicher Anblick, so ein 11,5 Tonnen schweres Boot „gestrandet“ zu sehen.

Fast trockenen Fußes an Land. Karibik-Feeling am Traumstrand Tréac’h er Gourèd auf Île d’Houat.Fast trockenen Fußes an Land. Karibik-Feeling am Traumstrand Tréac’h er Gourèd auf Île d’Houat.

Mit der Flut verabschieden wir uns gegen Mittag von der Insel und nehmen Kurs auf ihre nur fünf Seemeilen entfernte kleine Schwesterinsel Île Hoëdic. Während auf Île d’Houat lange Sandstrände und Dünen dominiert haben, besticht Île Hoëdic durch felsige kleine Buchten. Houat und Hoëdic waren nicht immer Inseln. In der Steinzeit waren sie mit der Halbinsel Quiberon verbunden. Heute trennen sie gut 20 Kilometer vom Festland. Im Mittelalter wurden sie zum Spielball zwischen Franzosen und Engländern. Später auch zum Zufluchtsort für Piraten und Schmuggler.

Die Zeit steht still auf Île Hoëdic

Auf der nur 2,5 Kilometer langen und 800 Meter breiten Granit-Insel scheint die Zeit stillzustehen. Bis auf den kleinen Fischerort in der Mitte der Insel besteht sie aus weiter Heidelandschaft, durchzogen von sandigen Rundwanderwegen entlang schroffer Felsen und kleinen versteckten Buchten. In einer davon werfen wir den Anker. Alternativ könnte man im Hafen Port d'Argol an einer der vier Gastlieger-Bojen festmachen, wo sich zum Teil zwanzig Schiffe im Kreis drumherum festmachen. Uns ist das zu viel Trubel. Der kleine Ort mit seinen gerade mal knapp 100 Einwohnern und den typischen Steinhäusern hat sich den authentischen bretonischen Charme bewahrt. Auch hier gibt es keine Autos, keine Straßen. Die Gassen sind versandet, Jod liegt in der Luft. Im Zentrum gibt es einen kleinen Lebensmittelladen, ein Restaurant und eine Kirche mit Rundumblick über Hafen, Heide und Meer. Und es gibt sogar eine kleine Schule, in der gerade mal ein Dutzend Schüler unterrichtet werden. Die Ecole d'Hoedic ist die kleinste öffentliche Schule Frankreichs, die 2018 eröffnet wurde, um die Abwanderung der Familien zu verhindern.

Am Abend sitzen wir ein letztes Mal zusammen bei einem Drink im Cockpit. Die Bucht liegt still im silbernen Licht des Vollmonds, der über der Insel aufgeht. Nur das sanfte Plätschern der Wellen gegen den Rumpf durchbricht die Stille. Morgen werden wir das Boot in Le Crouesty abgeben – einem riesigen Hafen an der Einfahrt in den Golf von Morbihan mit über 1500 Liegeplätzen. Nur 12 Seemeilen trennen uns von dem Trubel dort und doch scheint eine ganze Welt dazwischen zu liegen. Wir genießen die Ruhe und Abgeschiedenheit und lassen diese Woche Revue passieren, die so anders war als gedacht. Der Wind war oft schwach, das Segeln seltener als erhofft. Häufig mussten wir umplanen, aber am Ende bleibt die Erinnerung an sonnige Tage, leuchtende Strände und wilde Inseln wie aus einer anderen Welt.


​​Der Club:

Der Club Der Cruising Club der Schweiz hat etwa 5.500 Mitglieder. Eine Schweizer Staatsbürgerschaft oder ein Wohnsitz in der Schweiz sind keine Voraussetzungen für eine Mitgliedschaft. Die Flotte besteht aus fünf Segelschiffen und einem Motorboot, die vom Mittelmeer bis in den Finnischen Meerbusen eingesetzt werden. Neben den Reisetörns gibt es Ausbildungstörns, Thementörns, Meilentörns und Überführungstörns. Mehr Infos: www.cruisingclub.ch/de Kontakt: Tel.: +41 31 310 11 00 Mail: info@cruisingclub.ch

Das Boot:

Die Cruising Swiss VI ist eine OVNI 450 von Alubat aus Les Sables-d’Olonne, 45 Fuß mit Hubkieler. Die Aluminium-Knickspanter haben sich auf Langfahrten und in Gezeitenrevieren bewährt. Bei diesem Modell gibt es erstmals zwei Steuerräder im Cockpit.

Revierinfos:

Wind & Wetter: Vorherrschende Winde kommen meist aus West bis Nordwest. Bei Tiefdrucklagen aus dem Atlantik kann es schnell ruppig werden.

Navigation: Gute Befeuerung, aber einige Untiefen, Barre-Einfahrten (z.B. bei Flussmündungen) und starke Tidenströme erfordern aufmerksame Navigation. Häfen: Entlang der bretonischen Küste gibt es unzählige Ankerbuchten aber auch gut ausgestattete Marinas. Zur Hochsaison kann es sehr voll werden, und man sollte sich vorab anmelden, vor allem im Hafen Le Palais: VHF Kanal 9 oder Tel: 02 97 31 42 90.

Literatur:

  • Atlantic France, Nick Chavasse, 63,50 Euro, ISBN-Nummer: 9781786793744, www.nv.charts.com
  • Bloc Marine: Atlantique, 36 Euro, ISBN: 9782958016043, bietet wertvolle Informationen zu Strömungen, Gezeiten und meteorologischen Bedingungen, www.nvcharts.com
  • Sportbootkarten „NV-Atlas France FR6: Südbretagne von Lorient à Île de Noirmoutier“. NV-Verlag, 64,99 Euro www.nvcharts.com

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