OstseeWie wird ein Hafen nachhaltig?

Andreas Fritsch

 · 05.01.2024

Ostsee: Wie wird ein Hafen nachhaltig?Foto: Florian Melzer, Im Jaich
Marina von Lauterbach
Die Diskussion um den Nationalpark Ostsee macht klar: Der Segelsport muss umweltneutraler werden. Wie das gelingen kann, zeigen die Brüder Hans und Till Jaich, die unlängst mit einem Preis für die Nachhaltigkeits-Konzepte zweier ihrer Häfen ausgezeichnet wurden

Die Firma Im Jaich, Betreiber von neun Häfen in Deutschland, wurde unlängst für ihr Nachhaltigkeits-Konzept mit dem Deutschen Demografie Preis ausgezeichnet. Was genau macht die Firma anders, was merkt der Kunde davon? Gibt es vielleicht Lehren, die es Vereinshäfen oder anderen Betreibern erlauben würden nachzuziehen? Interview mit Till und Hans Jaich, beide Geschäftsführer.

Wie schwierig ist es, einen Hafen nachhaltig zu bekommen? Und wie misst man das überhaupt?

Till Jaich: Das ist ein Weg der vielen kleinen Schritte. Es gibt nicht die zwei, drei großen Maßnahmen, die plötzlich die Wende bringen. Natürlich wird im Moment das Thema Energieverbrauch stark diskutiert. Da haben wir schon vor zwölf Jahren etwa in unserem Hafen und Ferien-Resort in Lauterbach auf Rügen begonnen und Solarthermie und ein eigenes Blockheizwerk mit Wärmenetz in der ganzen Anlage verlegt. Das war damals absolutes Neuland. In Gustow sind wir jetzt einen Schritt weiter. Die Dächer unserer Bootshallen werden komplett mit Photovoltaik belegt, dazu kommen Wärmepumpen und unsere eigenen Batteriespeicher. Da produzieren wir an guten Tagen mehr Energie, als wir verbrauchen. Für den Hafen können wir das nicht genau beziffern, aber unser Hotel, das zum Hafen Bremerhaven gehört, haben wir klassifizieren lassen: Statt des deutschen Durchschnitts 20 kg CO2 pro Gast und Tag, wir sind jetzt bei 9 kg.

Hans und Till Jaich (v. l.)Foto: Kristina SteinerHans und Till Jaich (v. l.)

Hans Jaich: Aber gerade bei der Energie spielen die Details eine Rolle. Wir betreiben ja in Bremerhaven, Gustow, Lauterbach auch Hotels beziehungsweise Ferienwohnungen. Es macht zum Beispiel einen großen Unterschied, ob die gewerblichen Kaffeemaschinen oder Geschirrspülanlagen den ganzen Tag auf Standby laufen, bei den Kühlgeräten die Wärmetauscher regelmäßig von Staub gereinigt werden oder die Pumpen in der Heizungsanlage regelmäßig kalibriert werden. Wie gesagt, es ist die Summe der Kleinigkeiten.

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Welche Rolle spielen in den Häfen die Eigner und Gäste mit ihrem Stromverbrauch?

Hans: Das ist eine interessante Geschichte. Als wir vor einigen Jahren in den meisten unserer Häfen die Strompauschalen abschafften, waren die Kunden erst teils sauer. Die einen fühlten sich kontrolliert. Eigner kleinerer Schiffe fanden, es sei eine überfällige Gerechtigkeit. Überrascht waren viele Eigner danach, wie viel Strom sie wirklich verbrauchen. Wir rüsten die Energienetze an den Stegen seit Jahren nach, um dem zu begegnen, weil Verbrauch und Absicherung, bei uns 16 Ampere, seit Jahren steigen. Bei manchen Eignern führte das zum Umdenken: Sie versuchten dann erstmals an Bord ihre Stromfresser mit Messgeräten zu identifizieren und teils auch auszutauschen. Der Umstieg auf LED-Beleuchtung an Bord kam da bei dem einen oder anderen so erst ins Rollen.

Kommen eigentlich die Elektro-Antriebe für Boote stärker?

Till Jaich: Für die Außenborder-Lösungen so im etwa 5-PS-Bereich ja, wir haben auch die ersten voll elektrisch betriebenen Motorboote im Hafen. Bei größeren Yachten ist das aber noch sehr selten.

Würde eine Ladeinfrastruktur für Boote wie bei Elektroautos in den Häfen funktionieren?

Till Jaich: Im Moment sind Schnellladesäulen wie bei Tesla illusorisch. Dafür würde auch die Kabel-Infrastruktur der Kommune oder Stromversorger gar nicht ausreichen. Da müssten erst massiv dickere, neue Kabel verlegt werden. Wir haben ein paar Ladesäulen für Autos auf dem Parkplatz, Ähnliches geht bestimmt auch für den Hafen, aber mehr ist derzeit einfach nicht realistisch. Zum Glück brauchen die meisten Segler das ja auch gar nicht. Da sie in der Regel über Nacht bleiben, kann ja auch langsamer geladen werden. Es wird eine Zwischenlösung werden.

Den Preis für Nachhaltigkeit gab es aber auch wegen vieler andere Projekte in Ihren Anlagen. Welche sind Ihnen am wichtigsten?

Till Jaich: Ich bin sehr stolz darauf, dass wir durch viele Gespräche mit dem Naturschutz und freiwilligen Selbstverpflichtungen bei uns in Lauterbach erfolgreich mit dem Naturschutz kooperieren. Vor 20 Jahren waren die Fronten da sehr verhärtet: Auf der einen Seite die Naturschützer, die jede Nutzung kategorisch verbieten wollten, auf der anderen Seite die Wassersportler, die zu keinerlei Abstrichen bereit waren. Doch bei Gesprächen stellte sich teilweise heraus, dass sich das gar nicht ausschließen musste, zumindest wenn die Gründe für den Schutz den Nutzern richtig erklärt werden. Das Problem ist oft auch nicht das Verhalten im Hafen, sondern bloß die Anfahrt desselben. Mit dem WWF ergaben Untersuchungen, dass ganz besonders wertvolle Gebiete oft relativ kleinräumig sind und wirklich strengen Schutz brauchen. Oder auch nur temporär geschützt werden müsse, weil Zugvögel dort rasten. Auch welches Verhalten der Wassersportler ganz genau die Störung ergibt, musste erst mal untersucht werden. So gab es hier dann ein gutes, respektvolles Miteinander.

Natürlich gibt es auch komplette Sperrgebiete, die ganz besonders wertvoll sind, wie etwa wie Insel Vilm, aber das, was mir wichtig ist, ist, dass das sogar für beide Seiten von Vorteil sein kann. Ein Beispiel: Nachdem wir unser Pfahldorf mit Ferienhäusern über das Wasser gebaut haben, hat sich dort eine der größten Rauchschwalben-Kolonien Mecklenburg-Vorpommerns angesiedelt, über 200 Brutpaare. Oder der Having: Im Sommer können den Segler jetzt nutzen, im Winterhalbjahr, wenn die Zugvögel kommen, halten wir uns freiwillig an die Fahrwasser. Das alles bringen wir unseren Kunden in Flyern, die jeder Gast bekommt, nahe, und der Stand der Entwicklung wird jedes Jahr vom Naturschutz überprüft. Da wird auch erklärt, dass wir in einem EU-Vogelschutzgebiet liegen und das Füttern aller Tiere verboten und kontraproduktiv ist. Unsere Erfahrung zeigt eindeutig, wenn die Kunden die Zusammenhänge verstehen, halten sie sich auch daran!

Gehen die Kunden da mit, oder gibt es auch negative Reaktionen?

Till Jaich: Viele finden das auch sehr gut und halten sich daran. Wir verzichten auch auf jedwedes Gift auf unseren Wegen und Stegen, haben 1.500 Quadratmeter insektenfreundliche Blühwiesen eingerichtet, über 5.000 Stauden gepflanzt. Viele Gäste setzen da sogar extra ihre Kinder rein und fotografieren die zwischen Blumen und Schmetterlingen! Aber man merkt auch, wie sich manche schon von der Natur etwas entfremdet haben, die beschweren sich dann über die vielen Insekten auf dem Gelände. Die verwechseln eine lebendige, artenreiche Umwelt mit mangelnder Hygiene, denken, wir putzen nicht genug.

Was kann man beim Betrieb eines Hafens und der Hotels umweltmäßig noch optimieren?

Hans Jaich: Da sind die Stichworte Reduktion und Substitution wichtig. Ein Beispiel: In unseren Hotels bitten wir wie ja alle Hotels die Gäste, uns wissen zu lassen, ob sie wirklich tägliche Reinigung und neue Handtücher brauchen. Zu Hause putzen sie ja auch nicht jeden Tag und benutzen neue Handtücher. Aber damit der Kunde nicht meint, wir wollen nur Geld sparen, haben wir uns im Gegenzug verpflichtet, für jeden Tag ohne Reinigung und Handtuchwechsel in Kooperation mit der renommierten Aufforstungs-NGO „Prima Klima“ einen Baum zu pflanzen. Die Kunden hängen einfach ein entsprechendes von uns vorbereitetes Schild an die Tür. So sind bereits über 1.000 neue Bäume zusammengekommen. Weitere Reduzierung sind ein Verzicht auf To-go-Produkte, Plastik-Verpackungen, wo immer es geht. Die Milch kommt zum Beispiel in Pfandflaschen direkt vom Hof. Da kann ja jeder Hafenbetreiber mit Gastronomie Einfluss darauf nehmen.

Die andere Seite ist Substitution, also Ersatz von Bestehendem: Wir beziehen in der Gastro viele Produkte aus ökologischer oder regionaler Haltung. Das ist manchmal relativ kompliziert. Nicht immer gibt es Lieferanten dafür in der Nähe. Oder der Preis ist ein Problem. In unserem Restaurant im Bremerhaven zum Beispiel wäre der Einsatz von bioproduziertem Hühnchenfleisch so teuer geworden, dass die Kunden den Schritt nicht mitgegangen wären. Daraufhin haben wir Hühnchenfleisch eben von der Karte genommen und durch anderes Bio-Fleisch ersetzt. Und natürlich gibt es attraktive vegetarische Alternativen.

Till Jaich: Wie gesagt, das ist die Summe vieler kleiner Teile. Wir haben auch 30 begrünte Dächer, begrünte Fassaden, eigene Bienenvölker.

Zurzeit läuft ja gerade die Kontroverse um den Nationalpark Ostsee in Schleswig-Holstein. Auch dort haben Sie Marinas in Flensburg, Eckernförde, Arnis, Kopperby. Viele Segler befürchten Verbote und sind dagegen, es gibt auch eine Bürgerinitiative dagegen. Wie sehen Sie das?

Hans Jaich: Das ist für mich ganz schwierig, da schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Viele sagen natürlich zu Recht, da soll erst mal die Landwirtschaft als einer der größten Problemverursacher bei der Eutrophierung der Gewässer rangenommen werden. Oder die Fischer. Aber wenn jeder immer mit dem Finger auf den anderen zeigt, hilft das auch nicht weiter. Und dass die Ostsee nicht gut dasteht, wissen wir ja alle, das ist erforscht und belegt.

Till Jaich: Es wäre schön, wenn der Wassersport auch seinen Beitrag leisten könnte, vielleicht geht es dann ja auch wie auf Rügen ohne unverhältnismäßige viele Verbote.

Wie könnte das aussehen?

Till Jaich: Zum Beispiel beobachten wir seit Jahren, dass die Fäkalienabsaugstationen unserer Marina in Waren an der Müritz stark frequentiert wird. Die Leute auf den Binnenwasserstraßen haben sich daran gewöhnt, die zu nutzen, bei einem geschlossenen Gewässer ist das vielleicht auch einleuchtender. An der Küste stehen sich dagegen die meisten Absauganlagen mangels Nutzung kaputt. Dabei haben viele neue Schiffe die Tanks standardmäßig. Warum also die nicht öfter nutzen?

Hans Jaich: Was uns immer wieder auffällt, ist, wie viele Häfen es gibt, bei denen im Herbst beim Kranen das Waschwasser noch immer irgendwie in die Umwelt gelangt. Wir haben schon seit vielen Jahren Auffang-, Filter- und Abscheideanlagen dafür. Das muss doch nicht sein. Notfalls kann man da doch auch kleinen Häfen mit Fördergeldern unter die Arme greifen. Das wäre doch mal eine nachhaltig investierte Subvention! Natürlich sind die giftigen Antifoulings der Yachten generell auch ein Thema. Aber uns ist klar, dass es da im Moment nicht die einfache, universale, funktionierende Alternative für alle Reviere ohne Zwischenreinigung in der Saison gibt. Aber über weniger giftige Farben kann man an vielen Standorten ja durchaus nachdenken.

Was können Eigner und Tagesgäste eigentlich beitragen, um unser Hobby und die Häfen CO2-neutraler zu machen?

Ehrlich gesagt ist das größte Problem die Anreise der Eigner. Alle Studien belegen, dass da das größte Einsparpotenzial liegt. Also möglichst einen Hafen so dicht am Wohnort wie möglich wählen und die Anreise so umweltschonend wie möglich gestalten. Da haben wir als Betreiber jedoch nur wenig Einflussmöglichkeiten.

Sie betreiben nicht nur Häfen, mit dem Ostsee-Dienst betreiben Sie zusammen mit ihrem Cousin Nils Jaich auch einen Hafen- und Wasserbau-Betrieb an der Ostsee. Kann man einen Hafen auch schon beim Bau und dem späteren Betrieb grüner bekommen?

Hans Jaich: Auf jeden Fall! Wir nutzen zum Beispiel seit vielen Jahren gebrauchte Rammpfähle aus Hartholz für die Stegunterkonstruktionen. Diese Pfähle sind meist nur über Wasser auf etwa zwei Meter Länge verwittert und beschädigt. Doch die größte Länge der Pfähle steckt oft im Grund oder, wenn das Wasser tiefer ist, unter Wasser. Dann können wir die Pfähle ziehen, bearbeiten und in flacheren Häfen, wo die ganz langen Pfähle gar nicht gebraucht werden, erneut nutzen oder als Konstruktionsholz für Steganlagen. Oder die Metall-Heckpfähle, die wegen des Bohrwurms überall Standard sind: Das sind recycelte Rohre aus der Ölindustrie. Und schließlich wäre da noch die Wahl des Hafens-Standortes: Es tut mir immer etwas in der Seele weh, wenn man zum Erhalt der Wassertiefen häufig baggern muss. Das ist bei unserem Hafen in Langballigau etwa der Fall, weil dort ein Fluss mündet und eben Sediment einbringt. Das muss regelmäßig gebaggert werden. Da kann man dann überlegen, ob nicht vielleicht in der Mündung eine Umleitung helfen würde. Und zu guter Letzt: Neue Häfen sollten eigentlich nur da gebaut werden, wo schon Eingriffe in die Natur stattgefunden haben. Alte Industrieanlagen, alte Piers, Militärliegenschaften. Aber das ist an der Ostsee meist auch schon die Regel.

Wie ist das eigentlich, rechnet sich Nachhaltigkeit eigentlich als Betreiber auch?

(Lachen beide) Das ist tatsächlich die Frage, die uns am meisten gestellt wurde nach der Preisverleihung! Die Antwort lautet: nein. Aber: Uns macht das einfach einen riesigen Spaß zu sehen, wenn wir da Fortschritte erreichen und die Mitarbeiter und Kunden das vielleicht sogar registrieren, unterstützen und weitertragen. Wenn uns etwas Neues gelingt, feiern wir das richtig! Uns können auch alle Kunden direkt Vorschläge machen, die landen immer auf unseren beiden Schreibtischen. Und man kann es doch einmal so sehen: In Lauterbach ist die Artenvielfalt auf unserem Gelände seit dem Bau in den 90ern deutlich gestiegen, ist mittlerweile teils besser als im strenger geschützten Umland! Wir haben in Lauterbach regelmäßig im Winter Robben auf den Stegen, Fischotter und vieles mehr. Das gab es nicht, als wir den Hafen gebaut haben in den 90er Jahren! Darauf sind wir schon ein bisschen stolz. Trotzdem, es bleibt noch viel für uns in Sachen Nachhaltigkeit zu tun!


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