Ursula Meer
· 17.10.2025
Der Leuchtturm Roter Sand, seit mehr als 140 Jahren ein markantes Wahrzeichen in der Außenweser, steht im Zentrum einer kontroversen Debatte über seine Zukunft. Als weltweit erstes Offshore-Bauwerk 1885 errichtet, verkörpert der rot-weiß gestreifte Turm ein bedeutendes Stück deutscher Ingenieurskunst und Seefahrtsgeschichte. Für Generationen von Auswanderern war er der letzte Gruß der Heimat, für heimkehrende Seeleute das erste willkommene Zeichen. Nach seiner Außerdienststellung 1964 entwickelte sich der etwa 30 Seemeilen nördlich von Bremerhaven gelegene Leuchtturm zu einem beliebten Ausflugsziel – zeitweise konnten Besucher sogar in seinen historischen Räumen übernachten. Doch nun droht dem 53 Meter hohen und 70 Tonnen schweren Bauwerk der Verfall, und zwei gegensätzliche Konzepte zu seiner Rettung stehen sich gegenüber.
Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz (DSD), seit 1987 Eigentümerin des Leuchtturms, sieht eine akute Einsturzgefahr und plant daher, das obere, kulturell wertvolle Segment des Turms abzutrennen und an Land zu versetzen. Nach umfassenden Gutachten kam die Stiftung zu dem Schluss, dass ein dauerhafter Erhalt vor Ort nicht realistisch sei. Als Gründe werden strukturelle Mängel, Materialermüdung und die zunehmenden Belastungen durch den Klimawandel angeführt. Auch die erhebliche Belastung des Außenanstrichs mit PCB und Blei erschwere notwendige Korrosionsschutzarbeiten. Der historische Sockel – der sogenannte Caisson, ein mit Beton und Mauerwerk gefüllter Stahlmantel – müsste im Falle eines Umzugs aus technischen Gründen am Originalstandort verbleiben.
Der Förderverein Leuchtturm Roter Sand e.V. widerspricht dieser Einschätzung vehement und kämpft für den Erhalt des Turms an seinem angestammten Platz. Der Verein stellt die Ergebnisse der DSD-Gutachten infrage und kritisiert einen angeblichen Instandhaltungsstau: Seit Jahren sei nichts für den Erhalt des Turms unternommen worden – kein Anstrich, keine Stahlreparaturen. Diese Vernachlässigung sei die eigentliche Ursache für den derzeitigen Sanierungsbedarf. Der Förderverein ist überzeugt, dass eine Sanierung vor Ort mit moderner Baustelleneinrichtung, wie etwa einem Hub-Montageschiff, sorgfältig und günstiger durchgeführt werden könnte als eine Versetzung.
Um ihrem Anliegen Nachdruck zu verleihen, unterstützt der Förderverein eine Petition, die von einem Bremerhavener Rechtsanwalt initiiert wurde. Diese richtet sich an den Niedersächsischen Landtag und verfolgt zwei zentrale Ziele: den Erhalt des Leuchtturms am Originalstandort und seine Aufnahme in die deutsche Vorschlagsliste für das UNESCO-Weltkulturerbe. Die Petition läuft vom 8. September bis zum 20. Oktober 2025 und benötigt 5.000 Online-Unterschriften, um vom Landtag behandelt zu werden. Mit diesem Schritt wird die Entscheidungsfindung von der Ebene technischer Gutachten auf die politische Ebene gehoben.
Gestern (am 16.10.2025) wurden das Ziel erreicht: Bis jetzt haben 5.160 Freunde des maritimen Wahrzeichens die Petition unterzeichnet. 5.000 Stimmen waren erforderlich. Damit muss sich nun der niedersächsische Landtag mit der Petition befassen. Der Auftrag lautet: “Der Landtag möge daher dem Ministerium für Wissenschaft und Kultur aufgeben, die Trennung und Versetzung des Leuchtturms nicht zu genehmigen, sondern ihn im Gegenteil auf die deutsche Vorschlagsliste als Weltkulturerbe setzen zu lassen. Für Niedersachsen wäre es dann das vierte Weltkulturerbe.”
Es gibt zehn Kriterien für die Aufnahme in die UNESCO-Welterbe-Liste. Unter anderem muss eine Stätte “ein Meisterwerk der menschlichen Schöpferkraft darstellen” und/oder “für einen Zeitraum oder in einem Kulturgebiet der Erde einen bedeutenden Schnittpunkt menschlicher Werte in Bezug auf Entwicklung der Architektur oder Technik, der Großplastik, des Städtebaus oder der Landschaftsgestaltung aufzeigen”. Grundsätzlich stehen alle Welterbestätten in Deutschland aufgrund ihres außergewöhnlichen universellen Werts für die Menschheit unter besonderem Schutz. Die Anerkennung als Welterbe ist in erster Linie Auftrag, den langfristigen Erhalt der Stätte, deren nachhaltiges Management und ihre Vermittlung an die Öffentlichkeit sicherzustellen.
Sollte das erste Offshore-Bauwerk der Welt den Schutzstatus erhalten, müsste über das weitere Vorgehen zur seiner Rettung im Nachgang entschieden werden.
Bevor mit die Petition gestartet wurde, lief bereits die Suche nach einem geeigneten neuen Standort für den Leuchtturm. Vier Küstenorte haben Wind von dem möglichen Umzug bekommen und sich darum beworben, dem “Roter Sand” ein neuer Heimathafen zu sein: an der Weser Bremerhaven und Fedderwardersiel, an der benachbarten Jade Hooksiel und Wilhelmshaven. Ein erster Standortvorschlag von Bremerhaven wurde vom Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt (WSA) Weser-Jade-Nordsee abgelehnt, da der rot-weiße Anstrich des Leuchtturms zu Verwechslungen mit den Richtfeuern führen und den Schifffahrtsverkehr irritieren könnte. Eine Genehmigung wäre nur möglich gewesen, wenn der Anstrich stark verändert würde – etwa auf Aschgrau – was wiederum den Vorgaben des Denkmalschutzes widersprochen hätte. Die Stadt schien aus dem Rennen, hat sich aber inzwischen mit einem neuen Vorschlag wieder ins Spiel gebracht.
Fedderwardersiel punktet besonders mit seiner Nähe zur ursprünglichen Position in der Außenweser und der maritimen Atmosphäre eines authentischen Krabbenkutterhafens. In einer Umfrage der Nordsee-Zeitung zeigte sich der Ort zuletzt als Publikumsliebling. Hooksiel wirbt mit einem Standort, der nicht nur verkehrstechnisch günstig liegt, sondern auch eine Sicht auf See bietet. Bürgermeister Mario Szlezak sieht in der Position des Ortes auf dem gleichen Längengrad wie der Originalstandort eine besondere Qualität. Wilhelmshaven bringt seine Infrastruktur und Erfahrung mit maritimen Kulturprojekten ins Spiel.
Die Diskussionen um den historischen Leuchtturm spiegeln einen grundlegenden Konflikt zwischen zwei Denkmalschutz-Philosophien wider. Die DSD favorisiert eine risikominimierende Lösung, um das physische Bauwerk um jeden Preis zu retten – auch wenn dies bedeutet, es von seinem historischen Standort zu entfernen.
Der Förderverein hingegen hat sich seit der Außerdienststellung mit viel ehrenamtlichem Engagement für dessen Erhalt eingesetzt. Er betont, dass der Wert des Leuchtturms untrennbar mit seinem Standort verbunden ist. Als erstes Offshore-Bauwerk der Welt verlöre er durch eine Versetzung seine Authentizität und würde von einem lebendigen Denkmal zu einem musealen Exponat degradiert. Besonders kritisch sieht der Verein, dass der Caisson – das eigentliche technische Pionierwerk – am Originalstandort zurückbleiben müsste.
Der Leuchtturm Roter Sand muss nicht zum ersten Mal gerettet werden. Nach seiner Außerdienststellung 1964 war er zunächst dem Verfall preisgegeben, da die zuständigen Behörden seine Rettung ablehnten. Dies löste damals eine massive Protestwelle in der Bevölkerung aus, die zur Gründung des Fördervereins führte. Das bürgerschaftliche Engagement war erfolgreich: 1987 wurde in einer spektakulären Aktion eine neue Stahlmanschette über das Fundament gestülpt, um dessen Stabilität wiederherzustellen. Anschließend wurde der Turm in den Besitz der Deutschen Stiftung Denkmalschutz übertragen, die im selben Jahr die treuhänderische Stiftung Leuchtturm Roter Sand zur dauerhaften Pflege gründete.
Während die Debatte andauert, bleibt die Zukunft des Leuchtturms Roter Sand ungewiss. Sollte die Versetzung tatsächlich stattfinden, dürfte es sich um eine der komplexesten maritimen Bergungsaktionen handeln, die an der deutschen Nordseeküste je stattfanden. Der Einsatz von spezialisierten Kränen und schwimmenden Schwerlastplattformen würde günstige Wetter- und Gezeitenbedingungen erfordern.