Ursula Meer
· 18.04.2025
Seit mehr als 140 Jahren trotzt der Leuchtturm „Roter Sand“ Sturm, Wellen und Gezeiten inmitten der Deutschen Bucht, gut 30 Seemeilen nördlich von Bremerhaven. Er gilt als ältestes Offshore-Bauwerk der Welt, symbolisiert Technikgeschichte und Fernweh gleichermaßen. Als erster Turm überhaupt wurde er zwischen 1882 und 1885 direkt auf hoher See gebaut. Dafür wurde ein schwerer Stahlmantel, ein sogenannter Caisson, mit Beton und Mauerwerk gefüllt und tief in den sandigen Meeresboden versenkt. Er war letzter Gruß der Heimat für Auswanderer, weithin sichtbares Geleit für jene, die von der hohen See durch die Sände der Wesermündung navigierten, bis 1964 sein Feuer endgültig erlosch. Der rauen, exponierten Lage angemessen, könnte er sich auch optisch trutzig der See entgegenstellen. Immerhin: mit roten und weißen Streifen, schwarzem Fuß und ebensolchen Kappen trägt er die Farben des Kaiserreichs. Seine Türme sind dem wehrhaften Burgenbau nachempfunden. Und dennoch: sein Dach gleicht einer Zipfelmütze, die Erker zieren Zapfen und die konische Form wirkt gestaucht – es schwingt eine gewisse Märchenoptik mit. Vielleicht ist es dieser Kontrast, der dem Wahrzeichen so viele Liebhaber beschert. Nach seiner Stilllegung entwickelte der Leuchtturm "Roter Sand" sich zu einem beliebten Ausflugsziel. Zwischenzeitlich bestand sogar die außergewöhnliche Möglichkeit, in den historischen Räumen des Turms zu übernachten und die besondere Atmosphäre auf offener See hautnah zu erleben.
Doch die rauen Offshore-Bedingungen der Nordsee haben ihm kräftig zugesetzt. Der Caisson, das mächtige Unterteil des Turms, ist inzwischen so stark beschädigt, dass akute Einsturzgefahr droht. Experten der Deutschen Stiftung Denkmalschutz haben deshalb entschieden, einen emotionalen und logistisch anspruchsvollen Schritt zu wagen: Das obere, kulturell wertvolle Segment des insgesamt 53 Meter hohen und 70 Tonnen schweren Bauwerks soll per Schwerlast-Ponton und Spezialkran abgetrennt und vorsichtig an Land transportiert werden. Das dürfte eine der wohl komplexesten maritimen Bergungsaktionen werden, die an der deutschen Nordseeküste je stattfanden. Neben dem Einsatz von hoch spezialisierten Kränen und schwimmenden Schwerlastplattformen erfordert der lange Transportweg zur Küste günstige Wetter- und Gezeitenbedingungen. Der historische Sockel muss indes aus Gründen der technischen Machbarkeit und des Denkmalwerts an Ort und Stelle verbleiben.
Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz setzt sich seit Jahren intensiv für den Erhalt und die Rettung des maritimen Bauwerks ein, unterstützt Sanierungsmaßnahmen und engagiert sich im öffentlichen Dialog zur Zukunft des historischen Turmes. Ihr nun geplantes, kühnes Vorhaben wird aber nicht ganz kritiklos hingenommen - insbesondere vom Förderverein „Leuchtturm Roter Sand“, der die Bedeutung des Bauwerks untrennbar mit seinem Standort auf offener See verbunden sieht. Der Verein, dessen Mitglieder sich in unzähligen Stunden ehrenamtlicher Arbeit dem Erhalt des Turmes gewidmet haben, argumentiert, dass der denkmalhistorische und emotionale Wert des Leuchtturms durch eine Versetzung an Land erheblich beeinträchtigt würde und fordert stattdessen eine weitere Prüfung von Möglichkeiten zu seinem Erhalt vor Ort.
Unterdessen haben vier Küstenorte Wind von den anstehenden Umzug bekommen und sich darum beworben, dem „Roten Sand“ einen neuen Heimathafen zu geben; ein Publikumsmagnet dürfte er allemal werden. Ein wichtiges Kriterium für den neuen Standort ist laut Steffen Skudelny, Vorstand der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, die maritime Umgebung: Es werde ein Ort gesucht, an dem der Leuchtturm zumindest zu einer Seite hin eine uneingeschränkte 'Anmutung von Wasser' habe. Diese Anforderung schränkt die Auswahl möglicher Standorte ein. Neben Bremerhaven gingen auch Hooksiel in der Gemeinde Wangerland (Landkreis Friesland), die Stadt Wilhelmshaven und der Hafenort Fedderwardersiel in der Gemeinde Butjadingen (Landkreis Wesermarsch) in Rennen.
Laut einem Bericht der „Nordsee Zeitung“ ist Bremerhaven jedoch seit dem 15. April aus dem Rennen. Das Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt (WSA) Weser-Jade-Nordsee habe den Standort abgelehnt und dies damit begründet, dass der Leuchtturm mit seinem rot-weißen Anstrich an einem Standort in Bremerhaven zu Verwechslungen mit den Richtfeuern führen und den Schifffahrtsverkehr irritieren könnte. Eine Genehmigung wäre laut WSA nur möglich, wenn der Anstrich stark verändert würde – etwa auf Aschgrau. Das wiederum hätte den Vorgaben des Denkmalschutzes widersprochen – und mal ehrlich: was wäre der Turm ohne seine charakteristischen rot-weißen Ringel, schmuddelwetterfarben mit bleigrauer See verschmelzend?
Mit Bremerhavens Rückzug verbleiben Fedderwardersiel, Wilhelmshaven und Hooksiel. Fedderwardersiel punktet besonders mit seiner Nähe zur ursprünglichen Position des Leuchtturms in der Außenweser und der maritimen Atmosphäre eines authentischen Krabbenkutterhafens. Hooksiel wirbt mit einem Standort, der nicht nur verkehrstechnisch günstig liegt, sondern auch eine Sicht auf See bietet; Bürgermeister Mario Szlezak sieht in der Position des Ortes auf dem gleichen Längengrad wie der Originalstandort eine charmante Besonderheit. Wilhelmshaven wiederum bringt seine hervorragende Infrastruktur und Erfahrung mit maritimen Kulturprojekten ins Spiel. Es bleibt spannend.
Die nun nicht mehr als Standort infrage kommende Stadt Bremerhaven hätte durchaus Erfahrungen mit den Herausforderungen mitgebracht, die die Rettung historischer Leuchttürme bedeutet. Erst kürzlich musste die Seestadt einen herben Verlust hinnehmen: Im August 2022 war der markante rote Leuchtturm auf der Nordmole der Geestemündung in eine so starke Schieflage geraten, dass er kurzerhand abgetragen werden musste. Ursache waren verrottete Fundamentpfähle, die unter dem Molenkopf absackten. In einer dramatischen Rettungsaktion konnten zumindest Laterne, Kuppel und andere markante Teile des Leuchtfeuers geborgen werden. Aktuell plant man den Wiederaufbau – originalgetreu und mit modernen Messmethoden vermessen. Eine neue, verschwenkte Nordmole samt rekonstruiertem Leuchtfeuer soll eine bessere Infrastruktur bieten und die städtische Attraktivität erhöhen, Fertigstellung ist für Ende 2026 vorgesehen.
Noch ist keine endgültige Entscheidung gefallen, die Begeisterung für das Projekt „Roter Sand“ ist indessen ungebrochen. In einer eifrig in den sozialen Medien von den jeweiligen Fangruppen geteilten Umfrage der Nordsee-Zeitung zeigte sich Fedderwardersiel zuletzt als Publikumsliebling, dicht gefolgt von Hooksiel. Unklar ist indes, wann die endgültige Entscheidung fallen wird. Wo der einzigartige historische Leuchtturm letztlich seine Strahlkraft ausspielen wird – sicher ist zumindest, dass schon sein Umzug spektakulär werden dürfte.
Bis es so weit ist, haben Liebhaber maritimer Geschichte noch die Möglichkeit, ihn in seinem Element zu erleben. Für Sportbootfahrer aus Jade und Weser ist der Blick auf das Wahrzeichen schon Routine. Wer aber weiter entfernt wohnt oder skippert, kann den Turm dennoch besuchen, etwa bei einem der zahlreichen Törns, die im Rahmen der SAIL 2025 in Bremerhaven auf Traditionsschiffen oder sportlicher auf einer Bénéteau 473 Oceanis Clipper bei „Segelpartner Nordsee“ angeboten werden. Auch bei einer Fahrt nach Helgoland von Bremerhaven aus ist die Passage des Turmes unvermeidbar. Bequem vom Sofa aus nimmt beispielsweise eine Doku des NDR mit auf die Reise in die Wesermündung und den Turm.