Am 16. Juni 1900 eröffnete Kaiser Wilhelm II. persönlich den Elbe-Lübeck-Kanal, der damals noch Elbe-Trave-Kanal hieß. Bei strahlendem Sonnenschein und vor rund 1.200 geladenen Ehrengästen bestieg der Monarch am Kaisertor den Dampfer „Lubeca", der – gefolgt von anderen Schiffen und Booten – zum Festplatz am Burgtor fuhr. Die „Lubeca" zerteilte ein über dem Wasser gespanntes Band, während Fanfaren erklangen und Böllerschüsse die Eröffnung der modernsten Binnenwasserstraße ihrer Zeit verkündeten. „Möge der Kanal, den Sie mit unverwüstlicher Hanseatischer Tatkraft in Angriff genommen haben, in jeder Beziehung Ihren Erwartungen entsprechen!", wünschte Kaiser Wilhelm II. den Feiernden. Anschließend fuhr der Elbkahn Nr. 57 mit einer Ladung Braunkohle in den Lübecker Hafen ein – der Alltag auf dem Kanal hatte begonnen. Fast 23 Millionen Mark hatte das Unterfangen bis dahin verschlungen.
Die Geschichte des Elbe-Lübeck-Kanals reicht weit zurück - nämlich bis ins Mittelalter. Sein Vorläufer, der Stecknitz-Kanal, wurde von 1391 bis 1398 zwischen Lübeck und Lauenburg gebaut und gilt als der erste echte Wasserscheidenkanal Europas. Der Stecknitz-Kanal bestand aus zwei Flussläufen: im Norden die Stecknitz und im Süden die Delvenau, die in Mölln durch einen Höhenrücken getrennt waren. Diese beiden Flüsse wurden zu einem Kanal verbunden, und ab 1398 konnte erstmals Salz aus Lüneburg nach Lübeck transportiert werden. Im 14. und 15. Jahrhundert wurden auf diesem Weg bis zu 50.000 Tonnen Salz pro Jahr verschifft. Rund 500 Jahre lang blieb diese Wasserstraße in Betrieb, bis zum Baubeginn des Elbe-Lübeck-Kanals.
Als am 31. Mai 1895 der Grundstein für den neuen Kanal gelegt wurde, war klar, dass das Vorhaben gigantische Ausmaße annehmen würde. In Spitzenzeiten waren 3.000 Arbeiter mit der Arbeit am Elbe-Lübeck-Kanal beschäftigt. Sie bewegten insgesamt 105 Millionen Kubikmeter Erde, größtenteils mit Spitzhacken und Schaufeln, Loren und Schiebkarren. Und das in kürzester Zeit. Nur knapp fünf Jahre lang wurde geschaufelt, begradigt und gesichert, dann konnte der Kanal geflutet und befahren werden – auf einer Länge von 62 Kilometern und mit einer Wassertiefe von 2,50 Metern.
Für Planung und Bauleitung des Kanals wurde der Lübecker Ingenieur und Wasserbaudirektor Peter Rehder engagiert. Er hatte sich einen Namen als Experte für die entscheidenden Fragen gemacht, etwa die nach den passenden Größen von Schleusen und Querschnitte im Kanal. Hintergrund war, dass der neue Handelsweg es den großen Elbschiffe, die schon im Verkehr nach Hamburg fuhren, ermöglichen sollte, von dort aus auch Lübeck ansteuern zu können. Das größte Schiff, das auf der Elbe damals fuhr, war 79 Meter lang und 11,60 Meter breit.
Die Schleusen am Kanal funktionieren nach dem sogenannten Hotoppschen Prinzip. Entworfen hat sie der Wasserbauinspektor Friedrich Ludwig August Hotopp. Ohne weitere künstliche Energiezufuhr, wie elektrischen Strom oder Dampfkraft, wird lediglich die Wasserkraft des Kanaloberwassers eingesetzt, um die Schleusenkammern zu füllen und zu entleeren.
Die Wasserstraße von Lauenburg nach Lübeck erwies sich schnell als lohnende Investition. Nachdem der Stecknitz-Kanal den wirtschaftlichen Anforderungen im Zeitalter der Industrialisierung nicht mehr genügt hatte, verhalf der neue Kanal dem Lübecker Hafen sowie Industrie und Gewerbe zum Aufschwung.
Den Grund für die Umbenennung von Elbe-Trave-Kanal in Elbe-Lübeck-Kanal im Jahr 1936 erklären die Chronisten damit, dass sich Lübeck hervorheben wollte. Den Namen derart zu ändern sei für Binnenwasserstraßen eine unübliche Prozedur, weil hier üblicherweise nur Gewässerbezeichnungen miteinander kombiniert werden.
Die größte Auslastung erlebte der Kanal 1939, als darauf 2,5 Millionen Tonnen Güter transportiert wurden. Eine große Bedeutung – gerade auch für die Stadt Hamburg – bekam der Kanal erneut nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs 1945. Zum Wiederaufbau Hamburgs wurden riesige Mengen Kies benötigt, die per Schiff in die Hansestadt gebracht werden mussten.
Doch der Boom hielt nicht an. Im Jahr 1999 wurden nur noch 1,1 Millionen Tonnen Güter transportiert. In jenem Jahr befuhren 1.600 Frachtschiffe den Kanal – die meisten von ihnen waren nur zu zwei Dritteln beladen. Das Problem war ganz offensichtlich die Wassertiefe. Die sogenannten Europaschiffe konnten nicht voll beladen werden, was das Befahren unwirtschaftlich machte.
Die Schiffe wurden größer – die damals noch sieben Schleusen (sechs sind heute noch im Einsatz) damit zu klein. Die Lauenburger Schleuse wurde 2005 für knapp 40 Millionen Euro auf 115 Meter verlängert. Hafengesellschaft und Industrie- und Handelskammer forderten einen weiteren Ausbau des Kanals, eine Verlängerung der Schleusen und eine Anhebung der Brücken. Im Jahr 2016 wurden schließlich 840 Millionen Euro für den Ausbau reserviert – doch wegen der geringen wirtschaftlichen Auslastung des Kanals stoppte der Bund das Vorhaben im Februar 2020.
Die Bedeutung des Elbe-Lübeck-Kanals für die Berufsschifffahrt nimmt seit Jahren ab: 1968 beförderten hier 17.602 Schiffe 2,524 Millionen Tonnen Güter, in 1998 waren es 3.160 Schiffe mit 1,103 Millionen Tonnen, und 2018 nur noch 1.220 Schiffe mit 585.715 Tonnen Ladung.
Auch wenn der Elbe-Lübeck-Kanal nicht mehr die ganz große wirtschaftliche Bedeutung für Lübeck hat, so ist er doch wichtig für die Region. Touristen und Einheimische freuen sich über die malerische Wasserstraße, über den wunderbaren Ausblick auf Wiesen, Wälder und Dörfer. Sportboote nutzen den Kanal für Ausflüge und Radfahrer drängeln sich an den flachen Uferwegen.
Von einer modernen Wasserstraße zu einem schnuckeligen Ausflugsziel – das hatte sich Kaiser Wilhelm II. damals vermutlich anders vorgestellt. Heute passieren jährlich etwa 2.500 Güterschiffe mit einer Million Ladungstonnen und 5.000 Sportboote den Kanal. 2016 fuhr zum ersten Mal ein kleines Flusskreuzfahrtschiff, die Princess der niederländischen Dutch Cruise Line, von Lauenburg aus durch den Kanal, wobei für Brückendurchfahrten das Oberdeck geräumt werden musste.
Der Elbe-Lübeck-Kanal ist heute eine 61,55 Kilometer lange Bundeswasserstraße der Klasse IV von Lauenburg/Elbe bei Elbe-Kilometer 569,23 nach Lübeck. Die Brückendurchfahrtshöhe beträgt bei normalem Kanalwasserstand 4,4 Meter und soll in den nächsten Jahren auf 5,25 Meter erhöht werden. Die Abladetiefe beträgt maximal 2,1 Meter. Limitierender Faktor für die Schifffahrt sind die sechs Schleusen ab 11 Kilometer vor dem Kanalende bei Lauenburg. Die Schleusenkammern können nur Schiffe bis 80 Meter Länge aufnehmen – mit Ausnahme der 2005 modernisierten Schleuse Lauenburg, die mit 115 Metern Länge auch größere Schiffe passieren lässt. Durch diese Schleuse wurden im Jahr 2019 1.086 Güterschiffe mit zusammen 505.325 Tonnen Ladung geschleust.
Nach einer Sperre von acht Monaten kann der Elbe-Lübeck-Kanal seit kurzem wieder durchgängig befahren werden. Die Reparaturen an der Donnerschleuse bei Kilometer 20,7 der Bundeswasserstraße sind zwar abgeschlossen, jedoch stehen noch zusätzliche Routinearbeiten während des laufenden Betriebs auf dem Plan.
Das betrifft in gleicher Weise die nahegelegene Schleuse Berkenthin bei Kilometer 13,3. Für diese Arbeiten sind lediglich kurze Betriebsunterbrechungen morgens und abends vorgesehen. Laut der Handelskammer in Lübeck hatte der vorherige Ausfall des Kanals bei einer Reihe von Industriezweigen in der Region für wirtschaftliche Verluste in Millionenhöhe geführt. Der Transportverkehr musste in der Zwischenzeit per LKW erfolgen. Die Sportschifffahrt war während des Saisonstarts ebenfalls betroffen.