Ein Artikel von Andreas Dillmann
Es sollte der ultimative Törntest mit unserer J/22 „Jola“ werden: Dänemark im Winter. Segeln bei Kälte auf einem sportlichen Kielboot ohne Heizung und jeglichen Komfort – eine echte Herausforderung. Einen Sommer- und einen Herbsttörn in der dänischen Inselwelt hatten wir schon im Kielwasser. Inspiriert durch einen YACHT-Bericht übers Wintersegeln dachten wir aber: „Why not?“
Natürlich soll es kein Harakiri-Trip werden. Ausgesucht haben wir uns daher das relativ geschützte Revier südlich von Fünen. Schon Wochen vorher telefonieren wir herum, um zu klären, wo es Strom am Steg – ein absolutes Muss – und Duschen gibt. Das Ergebnis überrascht uns: Fast alle kleinen Inseln haben, was wir brauchen. Bei den größeren Häfen wie Marstal und Ærøskøbing gehen wir einfach davon aus.
Auch den Krantermin klären wir im Vorfeld: Der Hafenmeister in Fåborg ist sogar mit zwei Wochenendterminen zu Beginn und Ende unseres Urlaubs einverstanden. Dort lassen wir also das Boot bequem an einem Samstag Anfang Januar 2023 zu Wasser.
Für den ersten Tag suchen wir uns einen kurzen Schlag von sieben Seemeilen nach Lyø aus. Zum einen, weil wir erst am frühen Nachmittag loskommen. Zum anderen ist es ganz gut, sich erst einmal einzugrooven. Lyø ist gleich ein Volltreffer: Hafenmeister Ken legt die Höhe der Hafengebühr ausnahmsweise vertrauensvoll in unsere Hände („Zahlt, was ihr denkt“), und seine Frau bringt morgens frische Brötchen zum Boot. Sich als erste Crew der Saison ins Hafenbuch einzutragen ist schon cool!
Die Liegeplatzsuche ist, wie während des ganzen Törns, einfach. Bequem können wir über zwei Boxen längsseits am Steg liegen. Strom, Duschen und ein Gemeinschaftsraum stehen uns exklusiv zur Verfügung.
Die nächste Etappe führt von Lyø nach Skarø. Graue Wolken verziehen sich erst im Laufe des Tages und bieten abends einen spektakulären Winterhimmel. Unterwegs üben wir Mann-über-Bord-Manöver mit einem Fender – sinnvoll und unterhaltsam! Wir achten bei diesem Winterabenteuer, bei dem ein Sturz ins Wasser fatale Folgen haben kann, besonders auf die Sicherheit. Strecktaue führen beidseitig vom Bug zum Heck, sodass man eingepickt aufs Vorschiff gehen kann. Beim Segeln sind wir ohnehin fast immer eingehakt.
Wichtig ist auch zu beachten, dass die Segeltage kurz sind. Schon um 16 Uhr wird es langsam dunkel. Wir planen daher maximal 20 Meilen pro Tag und rechnen mit einem durchschnittlichen Speed von fünf Knoten. Jeden Morgen testen wir die Funke zudem bei einem Radio-Check mit Lyngby Radio – ein tolles Ritual! „This is ‚Jola‘, ‚Jola‘, ‚Jola‘. Do you read me?“, geben wir durch. Die Jungs in der Leitstelle haben wahrscheinlich schon die Augen verdreht.
Weiter geht’s nach Skarø zu einer wunderschönen Wanderung. Die Insel hat im Norden eine weit begehbare Landzunge. Fast steht man an ihrem Ende neben der Fahrwassertonne. Über dem Wasser bieten Sonne und Wolken mal wieder ein grandioses Abendschauspiel, das nur noch von Wraps mit Pute in Salsa-Sauce aus der Bordküche getoppt wird.
Unterwegs wird eine heiße Suppe zum hervorragenden Doping. Morgens füllen wir sie in Thermobecher, um sie mittags zu verschlingen. Abends wird an Bord gekocht. Bewährt hat sich dabei das Zweiplatten-Kochfeld, das wir einem Gaskocher vorziehen. Auf den meisten Inseln kann man Lebensmittel auch im Winter einkaufen, Cafés und Restaurants sind aber geschlossen. Vorsichtshalber hatten wir dennoch im Vorfeld für die ganze Woche gebunkert – es wäre gar nicht nötig gewesen.
Eine Vorwind-Kreuz macht den Auftakt der 17 Seemeilen von Skarø nach Rudkøbing. Bei traumhaftem Segelwetter mit blauem Himmel rauscht „Jola“ unter Spi in den Svendborg-Sund. Unvergessen! Dann der Schreck: Um ein Haar übersehen wir ein Flach von 0,8 Metern. Zum Glück erkennt Julia gerade rechtzeitig die Gefahr und biegt wieder ins tiefe Fahrwasser ab.
Doch der Segelspaß ist nicht von Dauer. Der Wind schläft ein, während sich der Tag schon dem Ende zuneigt. Also Posis und Jockel an. Es ist das einzige Mal, dass wir motoren müssen. Bisher blieb der Außenborder während der ganzen Saison eingepackt. Normalerweise fahren wir alle Hafenmanöver unter Segeln; selbst bei ordentlich Wind ist das gut zu machen. Ein Reff haben wir nicht, es bisher aber auch nicht vermisst. Wenn es richtig garstig wird, kommt das Großsegel halt runter. Unser Touren-Groß mit Mastrutschern ist da sehr komfortabel. Muss das Tuch geborgen werden, dauert das keine zwei Sekunden.
Der Wind kommt wieder, Motor aus! Unter Segeln laufen wir ins Fahrwasser von Rudkøbing ein, in dem wir sicherheitshalber noch einen Kreuzschlag vor der Pylone der Langelandbrücke machen. Glücklich gleiten wir in den Hafen. Doch zu früh gefreut: Hier im Nordhafen gibt es weder Strom noch Duschen. Zum Glück erreichen wir den Hafenmeister, der uns auf den Südhafen verweist, in dem beides verfügbar ist. Das heißt umparken in der Dunkelheit. Julia steht mit der Taschenlampe auf dem Vorschiff, ich steuere mit dem ungeliebten Außenborder am Heck. Nach kurzer Diskussion, ob wir wirklich auf die richtige Einfahrt zuhalten, läuft alles glatt. Zum Abschluss dieses aufregenden Tages tischt der Maître de Cuisine Pute in Estragon-Sahnesauce an Spätzle auf. Ziemlich gut!
Segelpläne, so ist es nun einmal, müssen mitunter geändert werden. So auch auf dem nächsten Schlag nach Marstal. Unterwegs wollen wir zur Stärkung und zum Aufwärmen einen Heiße-Suppe-Stopp auf dem Inselchen Strynø einlegen. Mit reichlich Wind kreuzt Julia perfekt aus dem Fahrwasser von Rudkøbing. Die Kreuz in den Hafen von Strynø übernehme ich. Dort frischt der Wind noch weiter auf, und zudem ergeben einige Telefonate mit den Zuständigen auf Ærø, dass sowohl Marstal als auch Ærøskøbing komplett geschlossen sind. Wir beschließen daher, die vorhergesagte Sturmnacht auf Strynø abzuwettern. Eine sehr gute Entscheidung!
Ach, Strynø – wohl das Highlight dieser Woche! Schon die Begrüßung durch den supernetten Hafenmeister Lasse bricht das Eis. In perfektem Deutsch begrüßt er uns und gibt uns das aufrichtige Gefühl, herzlich auf der Insel willkommen zu sein. Schnell telefoniert er mit Inselbewohnerin Lone und organisiert für uns einen abendlichen Sauna-Event. Wir müssen nur für das Feuerholz selbst sorgen.
Zusätzlich gibt uns Lasse einen Tipp für eine Inselwanderung, bei der wir die besten Sightseeing-Spots zu sehen bekommen. Die Tour führt uns vom Zentrum des Eilands zur historischen Mühle im Westen und von dort in einem Bogen am Meer entlang zurück zum Hafen. Wunderschön! Nur die Suche nach dem Feuerholz erweist sich doch als komplizierter als gedacht. Wir sind schon dabei, tote Äste zu sammeln, als wir noch einen Versuch beim letzten Haus wagen, an dem wir vorbeikommen. Volltreffer! Karl und seine Frau spendieren ideales Kaminholz. Seit 62 Jahren sind die beiden verheiratet. Beim Blick aus ihrem traumhaften Haus auf die Ostsee verraten sie uns: „Wenn wir um diese Jahreszeit ein Segel sehen, wissen wir, dass da Deutsche unterwegs sind!“ Wir allerdings sichten während der ganzen Zeit außer Fähren kein anderes Schiff in Fahrt, geschweige denn eines unter Segeln.
Die Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit, mit der wir auf diesem Törn empfangen werden, ist sagenhaft und gewährt uns Einblicke in die winterliche dänische Inselwelt. Lone feuert abends nicht nur ihre Hafensauna an, sondern trommelt über eine WhatsApp-Gruppe auch die Dorfbewohner zum – streng geschlechterspezifischen – Saunieren zusammen. Das nächtliche Bad danach in der vier Grad kalten Ostsee gehört auf jede Bucket List. Einfach irre!
Im Laufe des Abends wird das Wetter immer biestiger. Starker Wind, Nieselregen und ungemütliche Temperaturen erinnern daran, dass wir weit vor dem Saisonstart segeln. Da passt eine deftige Soljanka nach der Sauna gut ins Programm. Auch die Nacht wird heftig. Die Brise frischt auf bis zu 9 Beaufort auf und verursacht heftigen Schwell im Hafen, der an „Jolas“ Klampen zerrt. Sicherheitshalber legen wir noch eine Vorleine vom Mast zum Steg. Die Schaukelei ist zwar gemütlich, sorgt aber auch für einen unruhigen Schlaf.
In einem Anfall von Heroismus macht sich Julia am nächsten Morgen auf den Weg, um Brötchen zu holen. Respekt. Dann soll ein kulturelles Highlight folgen; Strynø beherbergt nämlich das einzige SmakkeJollen-Museum Dänemarks. Leider stehen wir hier vor saisonbedingt ausnahmsweise verschlossenen Türen.
Also ab an Bord, und weiter geht’s. Als Tagesziel haben wir Drejø ausgemacht und wollen unterwegs einen Zwischenstopp auf Birkholm einlegen. Die Insel steht schon seit Jahren auf unserer Wunschliste. Als wir uns ihr dann nähern, werde ich allerdings zögerlich. Die Zufahrt führt durch eine unbetonnte ausgebaggerte Rinne, die mit Hilfe einer Fahrwassertonne und eines Kompasskurses angepeilt werden muss. Julia ist abgebrüht genug: „Da fahre ich uns rein“, versichert sie – und macht es.
Birkholm ist hyggelig (dänisch für gemütlich), aber total verwaist. Also weiter. Bei der Ausfahrt bin ich dran und nehme die enge Kreuz in die Hand. Der letzte Schlag nach Drejø dauert nicht lange.
Leider, oder besser gesagt Gott sei Dank, sehen wir am Abend beim Wettercheck, dass sich das Fenster für eine sichere Heimfahrt sehr bald schließen wird. Uns bleibt nur noch der kommende Vormittag, um zurück nach Fåborg zu gelangen – danach ist Sturm angesagt. Wollen wir unsere Reise wirklich um drei Tage verkürzen? Wenn wir nicht Gefahr laufen wollen, „Jola“ auf einer Insel liegen zu lassen und mit der Fähre nach Hause zu fahren: ja.
Duschen de luxe auf Drejø und ein Ziegenkäse-Risotto können die Stimmung nur marginal heben. Aber mit Sturm muss man bei einem Wintertörn leider rechnen. Also stehen anderntags die letzten 15 Seemeilen an. Die Nacht war biestig, und der Morgen sieht kaum besser aus. Früh müssen wir aus den Federn, um den segelbaren Vormittag zu nutzen. Beim Ablegen ist uns etwas mulmig, es brist weiter auf. Doch in der Abdeckung von Drejø und Avernakø segeln wir sicher nach Fåborg und schließlich eine letzte Kreuz unter den Kran.
Kurz darauf steht „Jola“ wieder an Land. Sie hat den Härtetest mit Bravour bestanden und uns gezeigt: Wintersegeln ist die perfekte Möglichkeit, die Segelsaison zu verlängern.
Julia Harder, 35, und Andreas Dillmann, 57, sind ein Segelteam und teilen die Begeisterung fürs Regattasegeln auf Dillmanns J/22 „Jola“. Sie starten bei Mittwochsregatten ebenso wie bei Weltmeisterschaften und belegten zuletzt den dritten Platz bei den Dutch Open 2023. Außerdem unternehmen sie Trailertörns, etwa in die ostschwedischen Schären. Das Heimatrevier der Teamleiterin und des Arztes aus Hamburg ist die Alster, ihr Verein der Hamburger Segel-Club.